Die Revolution von 1918/19 (eBook)
464 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-227-5 (ISBN)
Dr. Wolfgang Niess, geb. 1952, studierte in Stuttgart und Tübingen Geschichte, Politikwissenschaft, Mathematik und Kommunikationswissenschaften. Er ist Autor zahlreicher Radio- und Fernsehsendungen, Aufsätze und Buchpublikationen zu Aspekten der Zeitgeschichte. Bereits seit den 1970er-Jahren beschäftigt er sich mit der Revolution von 1918/1919; ihre Deutungen in der deutschen Geschichtsschreibung der vergangenen 100 Jahre behandelte er in seiner Dissertation. Wolfgang Niess machte sich als Moderator im Radio des SWR und SDR einen Namen, ebenso durch die Veranstaltungsreihe 'Autor im Gespräch', die er entwickelte und seit mehr als 20 Jahren moderiert. Hier waren nicht nur die bekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller seine Gäste, sondern auch renommierte Historiker wie Ian Kershaw, Christopher Clark und Joachim Fest. Wolfgang Niess ist leitender Redakteur beim SWR Fernsehen.
Dr. Wolfgang Niess, geb. 1952, studierte in Stuttgart und Tübingen Geschichte, Politikwissenschaft, Mathematik und Kommunikationswissenschaften. Er ist Autor zahlreicher Radio- und Fernsehsendungen, Aufsätze und Buchpublikationen zu Aspekten der Zeitgeschichte. Bereits seit den 1970er-Jahren beschäftigt er sich mit der Revolution von 1918/1919; ihre Deutungen in der deutschen Geschichtsschreibung der vergangenen 100 Jahre behandelte er in seiner Dissertation. Wolfgang Niess machte sich als Moderator im Radio des SWR und SDR einen Namen, ebenso durch die Veranstaltungsreihe "Autor im Gespräch", die er entwickelte und seit mehr als 20 Jahren moderiert. Hier waren nicht nur die bekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller seine Gäste, sondern auch renommierte Historiker wie Ian Kershaw, Christopher Clark und Joachim Fest. Wolfgang Niess ist leitender Redakteur beim SWR Fernsehen.
ES IST ZEIT …
Revolutionen haben es manchmal schwer, in der historischen Tradition ihrer Völker »anzukommen«. Das galt für die große Französische Revolution, das galt für die Deutsche Revolution von 1848/49, und das gilt auch für die Revolution von 1918/19. Aber einhundert Jahre danach ist es Zeit, sie endlich zum festen Bestandteil unserer demokratischen Tradition zu machen.
Gerade die Deutsche Revolution 1918/19 ist auf unerwartete Weise wieder aktuell geworden. Was wir dieser Revolution verdanken, wird heute teilweise infrage gestellt, wenn auch glücklicherweise noch nicht in Deutschland. Die liberale und soziale Demokratie ist gefährdet. Das wird uns in diesen Jahren vielfach und schmerzlich vor Augen geführt – auch in Europa. In Ungarn und Polen haben national-konservative Parteien die Macht übernommen und arbeiten daran, sie nicht wieder zu verlieren. Vor Wahlen in einer ganzen Reihe von Staaten der Europäischen Union beginnt regelmäßig das große Zittern. Sogenannte Populisten haben Hochkonjunktur. Autoritäre Regime sind mit einem Mal nicht mehr nur ein Problem Südamerikas, Afrikas oder Asiens. Auch in Europa sind liberale und soziale Demokratien keine Selbstverständlichkeit mehr.
Gerade jetzt sollten wir uns deshalb erinnern, dass die politische Demokratie eine großartige Errungenschaft ist, für die in den Revolutionsmonaten 1918/19 Arbeiter und Soldaten, Männer und Frauen gekämpft haben. Wir verdanken sie ihrer Bereitschaft, notfalls ihr Leben für diese Demokratie einzusetzen. Sie ist auf dem politischen Feld das Wertvollste, was wir haben. Wir in Deutschland sollten besonders wachsam sein und allen Versuchen, sie uns ein zweites Mal zu nehmen, von Anfang an entschieden entgegentreten. Die Erinnerung an die Revolutionskämpfe 1918/19 kann unseren eigenen Einsatz für die liberale und soziale Demokratie stärken und deutlich machen, worauf es dabei wesentlich ankommt.
Ein Blick nach Frankreich oder in die USA zeigt, dass andere Nationen mit Stolz ihre Revolutionen feiern und damit ihr Selbstbewusstsein als demokratische Gesellschaften stärken. Wir haben in der alten Bundesrepublik lange gebraucht, bis wir den aufständischen Bauern und den Revolutionären von 1848/49 einen angemessenen Platz in unserer Geschichtskultur gegeben haben. Dass darin bis heute die größte Massenbewegung der deutschen Geschichte fehlt, die uns 1918/19 die Demokratie gebracht hat, ist kaum zu entschuldigen – wohl aber zu erklären.
Die Erinnerung an die Revolution von 1918/19 ist jahrzehntelang ins Räderwerk der politischen Auseinandersetzungen geraten und für die unterschiedlichsten Zwecke instrumentalisiert worden. Gegenstand intensiver Forschung ist diese Revolution erst Mitte der Fünfzigerjahre geworden, und bereits dreißig Jahre später ist sie weitgehend in Vergessenheit geraten.
Ich bin ihr Ende der Sechzigerjahre – noch als Schüler – zum ersten Mal begegnet. Es war Faszination auf den ersten Blick. Sie hat viel Geheimnisvolles ausgestrahlt, von dem im Geschichtsunterricht nur beiläufig und mit sehr negativer Bewertung die Rede war: Meuterei, Aufstände, Arbeiter- und Soldatenräte, Räterepublik. Der stern hat damals in einer ganzen Serie den »großen Verrat« angeprangert, der 1918/19 stattgefunden habe. Da war offenbar ein Kapitel unserer Geschichte zu entdecken, das lange ins Abseits gestellt worden war.
Anfang der Siebzigerjahre habe ich diese Revolution dann im Studium näher kennengelernt, und sie hat mich seither nicht mehr losgelassen. Meine Magisterarbeit hat sich mit ihr beschäftigt, auch meine Dissertation. Ich habe die Revolution von 1918/19 als eine der großen Weichenstellungen der deutschen Geschichte wahrgenommen: Sie hat die Monarchie hinweggefegt und Deutschland zur Republik gemacht. Sie hat aber nicht alle Chancen nutzen können, auch die Gesellschaft zu demokratisieren. Todfeinde der Republik blieben mächtig und haben die Demokratie nach vierzehn Jahren an Hitler ausgeliefert. Vielleicht wäre Deutschland und der Welt manches erspart geblieben, wenn die Revolution ein Stück weiter vorangekommen wäre! Der Gedanke ist naheliegend, auch wenn er spekulativ ist und mit Geschichtswissenschaft nichts zu tun hat. Ich habe in den Siebzigerjahren vor allem auf die nicht genutzten Chancen geblickt, wie fast die gesamte historische Forschung. Inzwischen schaue ich viel intensiver auch auf die Ergebnisse und Errungenschaften dieser Revolution. Jede Zeit hat ihren eigenen Blick auf die historischen Ereignisse.
Die Geschichtsschreibung über die Revolution von 1918/19 hatte immer eine besonders stark ausgeprägte politische Dimension. Für die politische Rechte in der Weimarer Republik war die Revolution der »Dolchstoß« in den Rücken des Heeres und damit die Ursache für die Niederlage im Weltkrieg. Diese Position nahmen damals auch die meisten deutschen Historiker ein, die zu den entschiedenen Gegnern der Republik gehörten. Für Hitler war sie Hochverrat – und sein persönlicher Albtraum schlechthin. Der Nationalsozialismus hat sich von Anfang an als Gegenbewegung zur Revolution von 1918/19 verstanden. Die Kommunisten haben sie vor allem als großen Verrat der Sozialdemokraten gesehen, während die führenden Sozialdemokraten sie als erfolgreichen Abwehrkampf gegen den Bolschewismus feierten. Die bürgerlichen Parteien der Mitte haben sich mit der Republik arrangiert, wollten aber von der Revolution schon bald nichts mehr hören. Allein die breite Mehrheitsströmung der Sozialdemokraten hat in der Weimarer Zeit die Erinnerung an die Revolution von 1918/19 in einem positiven Sinn hochgehalten.
Mit der Machtübergabe an Hitler im Januar 1933 endete auch das. Mehr als zwölf Jahre war dann nur noch von Dolchstoß, Hochverrat und Novemberverbrechern die Rede. Das Ende der ersten deutschen Demokratie und Hitlers Machtantritt prägten von nun an ganz entscheidend den Blick auf die Revolutionsperiode. Sozialdemokraten im Exil begannen ernsthaft darüber nachzudenken, ob man nicht in den Revolutionsmonaten 1918/19 Entscheidendes versäumt habe. Auch die Geschichtsschreibung in den USA und Großbritannien stellte diese Frage, besonders drängend nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Man wollte vermeiden, dass ein zweites Mal dieselben Fehler gemacht werden.
Solche Fragestellungen waren in der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik jahrelang tabu. Sie hat fast ein Jahrzehnt gebraucht, um sich vom Trauma des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs etwas zu erholen. Ihr vorherrschendes Interesse richtete sich zunächst vor allem darauf, den Nationalsozialismus als tragischen Betriebsunfall darzustellen, der mit dem Rest der deutschen Nationalgeschichte nichts zu tun habe. Nach Versäumnissen in den Jahren 1918/19 zu fragen wäre diesem Interesse völlig zuwidergelaufen. Bis zum Historikertag 1964 galt deshalb: Es gab in den Revolutionsmonaten nur zwei Optionen, den Bolschewismus oder die Weimarer Republik, wie sie im Lauf des Jahres 1919 entstanden ist. Da den Bolschewismus nach dem Geschichtsverständnis des Westens niemand ernsthaft wollen konnte, war die Entwicklung hin zu Hitlers Machtantritt eine tragische Zwangsläufigkeit.
Ganz anders war die politische Interessenlage in der sowjetischen Besatzungszone. Hier trat die KPD, später die SED, mit dem festen Vorsatz an, all das nachzuholen, was die Revolution 1918/19 in ihren Augen versäumt hatte. Die DDR verstand sich als der deutsche Staat, der die »Lehren der Novemberrevolution« berücksichtigt hat. Paradoxerweise ergab das eine ganz ähnliche Deutung der Revolution von 1918/19 wie im Westen. Auf beiden Seiten sah man in den politischen Zielsetzungen der Spartakusgruppe bzw. der frühen KPD die einzige Alternative zur Weimarer Republik. Die Bewertungen waren allerdings völlig gegensätzlich.
Diese Revolutionsbilder passten vorzüglich in die Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West, aber kritische Geister in der Sozialdemokratie hatten schon früh den Verdacht, dass sie dem tatsächlichen Geschehen der Revolutionszeit nicht gerecht wurden. In der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre entstanden in der Bundesrepublik zahlreiche Studien vorwiegend jüngerer Historiker, die ein ganz anderes Bild der Revolution von 1918/19 ergaben. Eberhard Kolb, Peter von Oertzen, Reinhard Rürup und ihre Kollegen entdeckten die Arbeiter- und Soldatenräte neu, die in der Revolutionszeit eine umfassende »Demokratisierung« des Militärwesens, der Verwaltung, der Wirtschaft, ja der ganzen Gesellschaft forderten, aber von Bolschewismus nichts wissen wollten. Die Kommunisten hätten während der Revolution zwar lautstark auf sich aufmerksam gemacht, seien aber keine machtpolitisch bedeutsame Größe gewesen. Im Kern kamen all diese Studien – bei manchen Unterschieden im Detail – zu dem Urteil, dass die Revolution 1918/19 die gegebenen Möglichkeiten nicht vollständig genutzt hat, um der jungen Demokratie eine sichere und nachhaltige Grundlage zu verschaffen.
Im Verlauf der Sechziger- und Siebzigerjahre hat sich dieses neue Bild der Revolution von 1918/19 – mit manchen Revisionen im Einzelnen – in...
Erscheint lt. Verlag | 28.1.2019 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Schlagworte | Demokratie • Geschichte • Kaiserreich • Novemberrevolution • Republik • Volksbewegung |
ISBN-10 | 3-95890-227-8 / 3958902278 |
ISBN-13 | 978-3-95890-227-5 / 9783958902275 |
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