Die Entstehung des BND (eBook)
568 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-434-0 (ISBN)
Thomas Wolf hat anhand bislang geheimer Quellen akribisch den Aufbau des BND rekonstruiert und ordnet die Entstehungszusammenhänge ganz neu in die Frühgeschichte der Bundesrepublik ein.
Jahrgang 1985, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie und Erziehungswissenschaft an der TU Dresden, Seminarleiter u. a. an der FU Berlin und der Universität Potsdam, seit 2012 wiss. Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes.
Jahrgang 1985, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie und Erziehungswissenschaft an der TU Dresden, Seminarleiter u. a. an der FU Berlin und der Universität Potsdam, seit 2012 wiss. Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes.
I. Improvisation ohne Kontrolle: Die Organisation Gehlen unter der Ägide der US-Army, 1946–1949
Die Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes wurde vom Leitungspersonal in der Regel mit dem Begriff »Organisation«, »Org.« oder »Organisation Gehlen« bezeichnet. Der Begriff der Organisation setzte sich daraufhin über die Grenzen des Apparates durch und wird auch von der historischen Forschung aufgegriffen. Er suggeriert Zusammenhalt, rationalen Aufbau und insbesondere eine Abgrenzung zur Umwelt, da sich Organisationen nicht zuletzt durch spezifische Prozesse, Sinnzuschreibungen, Rituale und Ziele definieren, die von den Mitgliedern der Organisation geteilt und anerkannt werden, von »Nicht-Mitgliedern« aber nicht.1 Dieses Verständnis verstellt den Blick auf wesentliche Merkmale des Apparates »Organisation Gehlen«. Dessen organisatorische Entwicklung in der Aufbauphase, die vom Beginn der nachrichtendienstlichen Tätigkeit im Dienst der US-Army im Frühjahr 1946 bis etwa zum Einzug des Leitungsbereichs in die abgeschottete ehemalige NS-»Reichssiedlung«2 in Pullach bei München im Spätherbst 1947 reicht, entsprach eher einem Modell konzentrischer Kreise. Im Mittelpunkt standen ein übergreifender Leitungsbereich mit nachgeordneten Sondereinrichtungen, der jedoch aufgrund der Entstehungszusammenhänge erst mit zeitlicher Verzögerung ab Frühjahr 1947 errichtet wurde, sowie die beiden Führungsstäbe »Meldungsbeschaffung« und »Auswertung«. Um dieses Zentrum des Apparates herum bestanden diverse, weitgehend autonom agierende und sehr heterogen aufgebaute Außenorganisationen. Sie waren für die Durchführung der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung zuständig und verteilten sich im Schwerpunkt über die amerikanische Besatzungszone. Schließlich ist daneben ein peripherer Bereich auszumachen. Hier sammelten sich unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen, die spezielle Aufgaben erhielten. Sie waren dabei aber nur lose an den Apparat gebunden und ihre Mitarbeit war durch verschiedene persönliche Interessen motiviert.
1. Frühe Strukturen
Entstehung von »Beschaffung« und »Auswertung«
Der Aufbau des Nachrichtendienstes, der später den Namen »Organisation Gehlen« trug, begann im Frühjahr 1946 im besetzten Westdeutschland, während sich Reinhard Gehlen, vormaliger Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost im Oberkommando des Heeres (OKH), in den USA in Kriegsgefangenschaft befand.3 Der ehemalige Oberstleutnant der Abwehr Hermann Baun erhielt nach mehreren Monaten Vorbereitung Anfang 1946 von der US-Army in Deutschland den Auftrag, eine nachrichtendienstliche Operation aufzuziehen. Baun hatte während des Krieges die Leitstelle I Ost (Deckbezeichnung: Walli I) geleitet und war in dieser Funktion für die frontnahe Spionage gegen die Sowjetunion zuständig gewesen. Er stand im Ruf, ein ausgewiesener Experte im Spionagemetier und herausragender Russlandkenner zu sein.4 Das Projekt begann offiziell im April 1946 und erhielt wenig später die Tarnbezeichnung »Operation Rusty«.5 Das offizielle Ziel, das Baun brieflich mit Gehlen abgestimmt hatte, lautete zunächst, mithilfe von Informanten im Schwerpunkt in der amerikanischen Besatzungszone subversive kommunistische Aktivitäten aufzuklären. Baun und Gehlen waren aber von Beginn an einig gewesen, dass der Auftrag so schnell wie möglich ausgeweitet werden sollte und auch Informationen über Vorgänge in den sowjetischen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs, den sowjetischen Satellitenstaaten sowie der Sowjetunion selbst durch Informanten und Horchfunkeinrichtungen, mit denen grenznahe Funkkommunikation mitgehört werden konnte, gewonnen werden sollten.6
Baun knüpfte beim Aufbau der Operation zu Beginn lose an die Strukturen der Frontaufklärung der Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion an.7 Es entstanden ein Stab unter seiner Führung sowie mehrere dezentral organisierte Dienststellen. Bauns Stab war für die Auftragsverteilung, die Bereitstellung der notwendigen Hilfsmittel, insbesondere die Versorgung mit Geld und Waren, zuständig und übernahm die Aufbereitung und Weitergabe der einlaufenden Informationen an die US-Army. Der Stab war zunächst in einem separierten Bereich innerhalb des US Military Intelligence Service Center (inoffiziell als »Camp Sibert« und später »Camp King« bezeichnet) in Oberursel in der Nähe von Frankfurt am Main einquartiert worden.8 Ende August 1946 gingen Hinweise in Oberursel ein, dass die Operation von den Nachrichtendiensten der anderen Besatzungsmächte enttarnt worden war. Um die Verantwortung der US-Army zu verschleiern, wurde Bauns Stab daraufhin verlegt und in einem zivilen Gebäude im rund 15 Kilometer entfernten Schmitten untergebracht; Baun erhielt eine eigene Unterkunft in der Nähe.9 Die neue räumliche Distanz zu den verantwortlichen US-Offizieren, die in Oberursel blieben, half, den amerikanischen Einfluss kleinzuhalten. Das neue, größere Gebäude – ein ehemaliges Hotel – bot zudem Platz für mehr Mitarbeiter.
Für den personellen Aufbau seines Stabes griff Baun bevorzugt auf Personen zurück, die er persönlich kannte und die meist, ebenso wie er, der Abwehr angehört hatten. Viele seiner ehemaligen Mitarbeiter bei der Leitstelle »Walli I« fanden auf diese Weise ihren Weg zur »Operation Rusty« und übernahmen dort Aufgaben, die sie in ähnlicher Weise bereits während des Krieges hatten. Hauptmann a. D. Siegfried Graber war beispielsweise für die Koordinierung der Außenorganisationen zuständig, wie es auch schon zwischen Mai 1944 und dem Kriegsende für agentenführende Einheiten im Befehlsbereich von »Walli I« seine Aufgabe gewesen war.10 Die »Sichtung«, d. h. die erste Prüfung und Beurteilung der eingehenden Meldungen nach dem Neuigkeitswert der Information und der Glaubwürdigkeit des Informanten, übernahm Gustav-Adolf Tietze. Auch er hatte bei »Walli I« gedient und eine entsprechende Aufgabe vermutlich ebenfalls bereits dort wahrgenommen.11 Ebenso Ferdinand Boedingheimer, der zwischen 1943 und 1945 als »Funkleiter Ost« für den Agentenfunk in Bauns Dienststelle zuständig gewesen war und nun erneut als Leiter des Funkwesens agierte.12 In der »Operation Rusty« wurden auf diese Weise große Teile der Abwehrleitstelle »Walli I« wenige Monate nach Kriegsende wieder zusammengeführt und reaktiviert.13
Für Aufgaben, die während des Krieges nicht bei »Walli I« gelegen hatten, nun aber von der »Operation Rusty« zu erfüllen waren, zog Baun bevorzugt Personen heran, die er entweder persönlich kannte oder die ihm Vertraute empfohlen hatten. Vorkenntnisse im Spionagemetier waren gewünscht, aber nicht zwingend notwendig. Die Herausforderung, zügig einen funktionsfähigen Stab aufzubauen, und die eingeschränkten Möglichkeiten, qualifiziertes Personal anzuwerben, führten dazu, dass persönliche Bekanntschaft zum maßgeblichen Kriterium für die Rekrutierung wurde. Dadurch gelangten sowohl Personen zur »Operation Rusty«, die persönlich in den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion involviert gewesen waren, als auch solche, die keine Befähigung für ihre neuen Aufgaben mitbrachten. Beispielsweise begannen Eginhard Notzny von Gaczynski und Fritz Scholz den Arbeitsbereich »Gegenspionage und Spionageabwehr« aufzubauen. Dieser war während des Krieges außerhalb der Zuständigkeit von »Walli I« organisiert gewesen,14 gehörte nun aber zu den Aufgaben von »Rusty«.15 Notzny hatte als ehemaliger Leiter der Abwehrstelle in Königsberg während des Krieges unter anderem die Bekämpfung polnischer und sowjetischer Agenten verantwortet und hierbei eng mit den SD-Dienststellen vor Ort kooperiert.16 Der Abwehroffizier Notzny war er ein langjähriger Freund Bauns und von ihm persönlich für die »Operation Rusty« angeworben worden.17 Fritz Scholz verfügte über keine Erfahrung auf dem Spionage-, Spionageabwehr- oder Gegenspionagegebiet. Er hatte während des Krieges in verschiedenen Frontverwendungen im Bereich des Nachrichten- und Funkwesens gedient, was als Nachweis fachlicher Qualifikation ausgereicht hatte, um ihn verantwortlich mit dem Aufbau der Gegenspionage und Spionageabwehr zu betrauen. Den Kontakt zu Scholz hatte ein Vertrauter Bauns vermittelt.18 Im Spätsommer 1946 stieß dann Kurt Kohler zu »Rusty«, ein ehemaliger SA-Mann und Abwehroffizier, der ab 1942 an der sogenannten Partisanenbekämpfung in Estland beteiligt gewesen war.19 Er verdrängte Notzny und Scholz bald darauf als Verantwortlicher für die Gegenspionage und Spionageabwehr, weil er sich als durchsetzungsstärker erwies, die verschiedenen Tätigkeitsfelder dieses Bereichs zu organisieren und Zuständigkeiten auszuweiten.20
Verantwortlichkeiten und die personelle Zusammensetzung im Stab änderten sich in den ersten Monaten häufig. Fragwürdige Personalentscheidungen Bauns verstärkten die Instabilität weiter. Insbesondere im Verwaltungsbereich setzte Baun ebenfalls Bekannte aus Kriegstagen ein, ohne nach deren Qualifikation für ihre neuen Aufgaben zu fragen. Einem systematischen Organisationsaufbau schenkte er keine Beachtung. Schon während des Krieges hatte er diese Neigung gezeigt, von der nun erneut sein Aufbauprinzip geprägt wurde.21 Die weitreichende Abschottung des Stabes gegenüber dem restlichen Apparat spielte ebenfalls eine Rolle, dass bei den nachgeordneten...
Erscheint lt. Verlag | 22.10.2018 |
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Reihe/Serie | Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Schlagworte | CIA • Hans Globke • Innere Sicherheit • Konrad Adenauer • Osteuropaforschung • Parlamentarische Kontrolle • Personal • politische Kontrolle • Pullach • Reinhard Gehlen • Theodor Oberländer • Verfassungsschutz |
ISBN-10 | 3-86284-434-X / 386284434X |
ISBN-13 | 978-3-86284-434-0 / 9783862844340 |
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