Patient Blood Management (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-241079-4 (ISBN)
1 Grundlagen
1.1 Patient Blood Management – ein Konzept zur Erhöhung von Patientensicherheit und Verbesserung des Krankheitsverlaufs
H. Gombotz, A. Hofmann
1.1.1 Triade aus Anämie, Blutverlust und Transfusion
Weltweit besteht eine hohe und oft unterschätzte Prävalenz der Anämie ▶ [38], ▶ [66]. Während Anämien in Entwicklungsländern in erster Linie durch Mangelernährung verursacht werden, ist sie in hochentwickelten Ländern hauptsächlich eine Erkrankung des Alters ▶ [4], ▶ [18], ▶ [35], ▶ [40], ▶ [46], ▶ [61]. Der Großteil dieser Patienten leidet unter einer milden Anämie, wobei der Prozentsatz schwererer Anämien mit dem Anstieg der Anämierate zunimmt ▶ [38]. Insgesamt stellt die Anämie für die gesamte Bevölkerung ein enormes Gesundheitsproblem dar und ist für fast 10% der Totalinvalidität verantwortlich. Sie bildet besonders für Frauen im gebärfähigen Alter und Kinder unter 5 Jahren die größte Belastung ▶ [33], ▶ [38]. Bleibt sie vor einem operativen Eingriff unbehandelt, ist sie ein unabhängiger Prädiktor für einen schlechteren Krankheitsverlauf ▶ [8], ▶ [9], ▶ [12], ▶ [13], ▶ [20], ▶ [31], ▶ [45], ▶ [60]. Blutverluste, insbesondere perioperative Blutungen, sind zusätzliche unabhängige Prädiktoren für ein schlechteres Behandlungsergebnis ▶ [10], ▶ [19], ▶ [36], ▶ [37]. Bislang begegnete man diesen negativen Einflussfaktoren vor allem mit Transfusionen allogener Erythrozytenkonzentrate (EK) ▶ [21], ▶ [25]. Mehrere große Beobachtungsstudien an unterschiedlichsten Patientenkollektiven haben allerdings gezeigt, dass die Bluttransfusion an sich ebenfalls ein unabhängiger Prädiktor für einen schlechteren Krankheitsverlauf ist. Deshalb wird sie auch als „second hit“ chirurgischer Patienten bezeichnet ▶ [42], ▶ [56], ▶ [62].
In den zahlreichen, meist retrospektiven Untersuchungen zeigen sich deutlich transfusionsassoziierte Komplikationen wie z.B. eine erhöhte Infarkt- und Infektionsrate, Volumenüberladung (TACO) oder Lungenversagen (TRALI) sowie eine erhöhte Letalität. Dabei ist hervorzuheben, dass in fast allen Studien eine signifikante Korrelation zwischen der Transfusionsmenge und dem schlechteren Outcome besteht.
Eine Reihe von Metaanalysen prospektiv randomisierter klinischer Studien zur Auswirkung restriktiver gegenüber liberalen Transfusionsstrategien (also eine Level-1a-Evidenz) konnte nicht belegen, dass eine liberale Indikationsstellung bzw. ein sogenannter liberaler Transfusionstrigger von Vorteil für die Patienten, einschließlich jener mit vorbestehender bzw. einem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankung, ist. Vielmehr zeigten diese Analysen, dass ein restriktiver Trigger die Zahl der Transfusionen deutlich reduziert, den Krankheitsverlauf nicht verschlechtert und in einigen Fällen sogar verbessert ▶ [5], ▶ [7], ▶ [32], ▶ [51], ▶ [52].
Bereits 2009 legte die erste internationale Konsensuskonferenz zu Transfusion und Krankheitsverlauf (ICCTO) mittels der Bradford-Hill-Kriterien einen kausalen, mengenabhängigen Zusammenhang zwischen Transfusion und erhöhter Mortalität und Morbidität bei hämodynamisch stabilen Patienten nahe. Die Bradford-Hill-Methodik wurde bereits früher angewandt, z.B. um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebserkrankungen nachzuweisen ▶ [54]. Eine Cochrane-Datenbank-Analyse prospektiv randomisierter klinischer Studien (also eine Level-1a-Evidenz) hat schließlich gezeigt, dass ein restriktiver Transfusionstrigger von Hämoglobin 7–8g/dl im Vergleich zu einem liberalen Transfusionsregime keinen nachteiligen Effekt hat, aber zu einer etwa 40%igen Reduktion aller Transfusionen führt ▶ [2], ▶ [6], ▶ [34]. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse der kürzlich publizierten Real-World-Studie zum PBM-Projekt in Western Australia mit 605046 Patienten, bei der die Reduktion von Transfusionen mit einer signifikanten Verbesserung des Krankheitsverlaufs einschließlich der Krankenhaussterblichkeit einherging ▶ [41].
Merke
Anämie, Blutung bzw. Blutverlust und Transfusion sind unabhängige Prädiktoren für ein schlechteres Outcome ( ▶ Abb. 1.1). Ihre Vermeidung ist ein Garant für die Erhöhung der Patientensicherheit und die Verbesserung des Krankheitsverlaufs.
Triade der unabhängigen Risikofaktoren für ein schlechtes Outcome.
Abb. 1.1
Ein weiteres Problem, das in Verbindung mit Transfusionen auftreten kann, ist die Bedrohung durch neu entstehende und wiederkehrende Pathogene im Blutvorrat, auch wenn die unmittelbare Bedrohung durch HIV, HCV und HBV unter Aufwendung enormer finanzieller Mittel gebannt zu sein scheint ▶ [26], ▶ [27]. Außerdem werden durch die Verringerung des Blutspendeaufkommens und durch die Überalterung der Bevölkerung Engpässe in der Fremdblutversorgung hochentwickelter Länder prognostiziert ▶ [28], ▶ [53]. Die Nichteinhaltung existierender Richtlinien und die hohe Variabilität im Blutverbrauch stellen neben dem erhöhten Gesundheitsrisiko eine Belastung für die Gesundheitsbudgets dar ▶ [26], ▶ [27]. Prozesskostenanalysen zeigten nämlich, dass die Behandlung mit Blutprodukten zu den teuersten Therapieformen zählt ▶ [1], ▶ [16], ▶ [48], ▶ [54], ▶ [55], ▶ [64]. In den letzten Jahren kam es nicht zuletzt durch die weltweit zunehmende Akzeptanz des PBM-Konzepts zu einer deutlichen Reduktion der Bluttransfusionen im chirurgischen Bereich und zu einer relativen Verschiebung der Transfusionen zum konservativen insbesondere hämatoonkologischen Bereich ▶ [30], ▶ [65]. Die Ausweitung des PBM-Konzepts auf konservative Fächer ist daher ein wichtiger weiterer Schritt.
Produktorientierte Programme Die Kenntnis der vielschichtigen Transfusionsproblematik hat in hochentwickelten Ländern zur Erstellung von Leitlinien, Einführung von Hämovigilanzregistern und Empfehlungen zum optimalen Einsatz von Blutprodukten geführt, wie z.B. dem von der EU geförderten „Optimal Use of Blood“-Programm (http://www.optimalblooduse.eu/) ▶ [43], ▶ [47]. Das Problem ist aber, dass bei diesen produktorientierten Programmen wesentliche patientenspezifische Maßnahmen, wie z.B. die Vermeidung oder Behandlung einer Anämie, ein optimales Gerinnungsmanagement oder die Erhöhung der Anämietoleranz, kaum beachtet werden ▶ [22].
Tab. 1.1 „Optimal Use of Blood“-Programm und PBM-Konzept im Vergleich ▶ [22]. Optimal Use of Blood | Patient Blood Management |
Vorgehensweise | produktorientiert | patientenorientiert |
Ziel | optimale Anwendung | Verbesserung des Heilungsverlaufs |
Verminderung der Transfusionsrate | ? | ja |
Optimierung des Behandlungsregimes | nein | ja |
Behandlung perioperativer Anämie | nein | ja |
Reduktion des Blutverlustes | nein | ja |
Gerinnungsmanagement | nein | ja |
Steigerung der Anämietoleranz | nein | ja |
Erscheint lt. Verlag | 25.4.2018 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Krankheiten / Heilverfahren |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Innere Medizin | |
Medizin / Pharmazie ► Pflege | |
Studium ► 1. Studienabschnitt (Vorklinik) ► Biochemie / Molekularbiologie | |
Schlagworte | Anämie • Anämietoleranz • Blutbereitstellungspraxis • Blutkonserven • Blutprodukte • Blutsparmethoden • Bluttranfusion • Bluttransfusionen • Blutverlust • Blutvolumen • Eigenblutspende • Erythrozytenverlust • Erythrozytenvolumen • Fremdblut • Fremdblutversorgung • Hämatologie • Outcome • Patient Blood Management • PBM-Konzept • präoperative Anämie • Transfusion • Transfusionsbedarf • Transfusionsmedizin |
ISBN-10 | 3-13-241079-9 / 3132410799 |
ISBN-13 | 978-3-13-241079-4 / 9783132410794 |
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