Dark Poison

Wer bist du, wenn du alles weißt?

(Autor)

Buch | Softcover
378 Seiten
2018 | 1. Erstauflage
Papierfresserchens MTM-Verlag
978-3-86196-713-2 (ISBN)
15,30 inkl. MwSt
  • Keine Verlagsinformationen verfügbar
  • Artikel merken
Cathlen Duty ist siebzehn und ein ziemlich ungewöhnliches Mädchen. Sie ist frech, schlagfertig, überaus selbstbewusst, temperamentvoll bis aufbrausend, starrköpfig und beinahe respektlos gegenüber Erwachsenen. Jedenfalls gegenüber ihrem Chef Mr. Scottler und dem Chef der Chefs Mr. Flanell. Die beiden sind nämlich ihre Vorgesetzten bei der Organisation, für die sie als Agentin und Detektivin tätig ist. Den letzten Auftrag hat Cathlen gründlich vermasselt, denn sie hat – natürlich aus Versehen – die Hauptzeugin erschossen. Umso mehr wundert und freut sich die junge Agentin mit dem russischen Akzent, dass sie nun einen neuen und dazu noch überaus aufregenden Auftrag erhält. Damit erhält sie die Chance, sich zu rehabilitieren, auch wenn ihr Auftrag zur Gattung „eigentlich unmöglicher Fall“ zu zählen scheint. Sie darf an einer amerikanischen Highschool recherchieren und dort sogar im angeschlossenen Internat wohnen. Cathlen lernt den stummen Silent kennen und verliebt sich Hals über Kopf in den freundlichen Timothy. Und sie lernt, dass hellseherische Fähigkeiten bei der Bewältigung ihres Auftrages und des Lebens im Allgemeinen nicht alles sind. Übernatürliches kann nämlich auch ein Fluch sein.

Celina Weithaas wurde am 13.10.1999 in Berlin geboren und 2004 in Teltow eingeschult. 2010 wechselte sie auf ein Gymnasium in Teltow.

In ihrem ersten Roman „Dark Poison – Wer bist du, wenn du alles weißt?“ setzt sich die junge Autorin Celina Weithaas aus Teltow in Brandenburg gleich mit zwei interessanten und aktuellen Themenbereichen auseinander. Schon der Prolog weist darauf hin, dass Übernatürliches geschehen wird und die künftigen 400 Seiten den jugendlichen Leser des Buches mit ungewöhnlichen Entwicklungen und Abenteuern fesseln werden. Außer damit, dass ihre Protagonistin hellseherische Fähigkeiten besitzt, befasst sich Celina Weithaas auch mit dem Thema Autismus. So stehen gleich zwei Helden im Zentrum des Romans, die man gemeinhin als „Außenseiter“ titulieren könnte. Ob auch diese beiden außergewöhnlichen Menschen in Wahrheit ihr Leben meistern können, wenn auch in etwas anderer Weise, wird sich im Laufe der Geschichte zeigen.

Celina Weithaas verpackt ihre locker erzählte Geschichte mit dem ernsten Kern in eine humorvolle und vielschichtige Rahmenhandlung, die die Hauptfigur des Romans temporeich durchlebt. Ihre Fähigkeit, sowohl Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit zu sehen, ist ihr dabei nicht immer hilfreich. Um das Seelenleben der Cathlen Duty für den Leser besser greifbar zu machen, streut Celina Weithaas rückblickende Tagebucheinträge in die Geschichte ein, die bis in die frühe Kindheit zurückreichen. Die Idee zum Roman kam der Autorin durch Diskussionen mit Freunden, die sich um die Themen Hellsehen und Autismus drehten. Es lag ihr am Herzen, diesen Fragestellungen „eine Stimme zu geben“, wie sie selbst sagt. Celina Weithaas ist Jahrgang 1999 und besucht ein Gymnasium in Teltow. Vor ihrem Debütroman hat sie bereits zahlreiche Kurzgeschichten auf einer Onlineplattform veröffentlicht. Band 2 und 3 der Dark Poison-Trilogie sind bereits fertiggestellt.

„Warst du schon mal an einer Highschool?“ „Klar, jeden Samstag. Und manchmal auch donnerstags, je nachdem, wann die Serie läuft“, antworte ich. „Pardon?“ Ich verdrehe die Augen. „Ich weiß, wie es dort zugeht. Man wird mehrmals täglich gegen Schließfächer gestoßen, lernt alles Mögliche über das Leben und verlässt sie dann gemeinsam mit vier festen Freunden wieder. Ganz einfach. Ganz banal.“ Ich zucke wegwerfend die Schultern. Mr ... ich hab vergessen, wie er heißt. Auf jeden Fall vergräbt er das Gesicht verzweifelt in den schweißigen Händen. „Hast du persönlich schon mal so ein Gebäude betreten?“, will er wissen. „Zählt ein 4-D-Kino?“, erkundige ich mich. Mir wird ein fassungsloser Blick zugeworfen. „Nein!“ „Dann nicht“, erwidere ich. Kurz schweigen wir, bevor ich nachhake: „Warum denn nicht? Da lernt man doch alles. Jedes Detail. Wie sich die Mitschüler verhalten, wie der Unterricht abläuft, wie genau man sich anzuziehen hat ...“ „Man lernt Klischees kennen, Cathlen“, unterbricht er mich unwirsch. „Sonst nichts.“ Klischee hin, Klischee her, ich vertrete die feste Auffassung, dass das voll und ganz ausreicht, schließlich haben auch die ihren Ursprung in einem realen Schulgebäude, aber daran scheinen sich die Gemüter in diesem Raum doch zu scheiden. Mr Dingsbums sieht mich nur zweifelnd aus wässrigen Augen an. „Wir haben keine andere“, wirft seine Sekretärin schließlich ein, während sie nagelkauend auf den Lagebericht starrt. Sie ist wirklich ein Prachtstück von hektischer Protokollantin. Blond gefärbte Haare, die zu einem strengen, leicht lächerlich wirkenden Pferdeschwanz gebunden sind, und stark geschminkt. Knallroter Lippenstift, schwarzer, fetter Eyeliner, Mascara, dass die Wimpern abstehen wie Spinnenbeine, und natürlich Puder. Dick, aber ebenmäßig. Ihre Kleidung ist einfach, betont aber die ungünstigsten Stellen. Der Bleistiftrock ist etwas zu eng, sodass selbst die weite Bluse ihre Fettpölsterchen nicht mehr kaschieren kann, und die Feinstrumpfhose hat eine Laufmasche. Ich mag sie. Vor allem, weil sie nie einen Plan von irgendwas hat und mich deswegen zu jeder Zeit blind unterstützt. Dummes Blondchen in gehobener Stellung auf meiner Seite? Jackpot! „Natürlich haben wir andere Optionen, Miss Blase. Denken Sie doch nur an Stephen. Oder Luca.“ Miss Blase, meine Lieblingssekretärin, spitzt hochkonzentriert die Lippen. Ich verbeiße mir ein Grinsen. So viele Informationen auf einmal ... „Aber wir brauchen doch ein Mädchen für den Einsatz“, erwidert sie und blinkert dabei übertrieben mit ihren Betonwimpern. Manchmal frage ich mich wirklich, warum Mr Dingsbums sie überhaupt hierbehält. An ihrer überragenden Intelligenz kann es kaum liegen. Andererseits, ihre Argumente möchte ich eigentlich nicht kennen. Ob die FSK 6 haben, ist doch eher fraglich. Während ich mir nicht die Mühe mache, sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass Luca ein Mädchen ist, scheint sich der leicht übergewichtige Typ vor mir die gleiche Frage zu stellen wie ich mir gerade eben. Warum ist dieses Blondchen überhaupt noch hier? Er vergräbt das Gesicht mal wieder in den fettigen Händen. „Luca ist unser weiblicher Ersatz.“ Man sieht quasi, wie die Zahnrädchen bei Miss Blase rattern. Irgendwann nach gefühlten fünf Minuten rasten sie ein und ihre Miene erhellt sich. „Ach so. Natürlich. Soll ich sie herbitten?“ Mir fällt die Kinnlade nach unten. Als wüsste diese Verräterin, wie man ein Telefon bedient! Ich verschränke verstimmt die Arme vor der Brust. Jetzt will die mich auch nicht mehr dabeihaben. Dabei bin ich die Beste, die sie bekommen können. Ich bin hübsch, intelligent, nehme hin und wieder Befehle entgegen und erledige meinen Job wirklich gerne, vorausgesetzt, mir gefällt das Ambiente, in das man mich verfrachtet hat, und die Probanden, mit denen ich mich umgeben muss, sind freundlich. Gut, von mir aus, vielleicht sind das in meiner Position als kleine Detektivin minimale Schwächen, aber es hat mir schon den einen oder anderen Fall gerettet. Ich bin vielleicht nicht Holmes, dafür aber weiblich. Etwas, was bei meinem Vizechef leider nicht zieht. Der ist schwul. Und den richtigen, der wohl was mit Miss Blase hat, bekomme ich nie zu Gesicht. „Nein“, beschließt Mr Dingsbums und knetet nachdenklich seine Wurstfinger. „Sie haben recht. Miss Duty ist die Beste für diesen Job.“ Ich verkneife mir ein triumphierendes Lächeln. Seht her, Leute, ich habe sie alle von mir überzeugt! „Vorausgesetzt ...“ Der Kerl hebt die Hand. Genervt sinke ich in meinem Stuhl zurück. Das berühmte Aber ... „Vorausgesetzt, Sie benutzen Ihre Fähigkeiten nur im absoluten Notfall.“ Ich verdrehe die Augen. Als ob er es merken würde, wenn ich sie wann anders aktiviere. Meine „Fähigkeiten“ sind nicht besonders aufregend. Sie sind eben da. Und manchmal helfen sie mir im geringen Maße, das Geschehen zu beeinflussen. Ich kann, bitte einen Trommelwirbel, alles sehen. Jede Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart. Alles ist in meinem hübschen, kleinen Köpfchen. Der Wahnsinn. Die Hölle. Diesen Vorteil abzuschalten, das wäre, als würde man mir einen Arm amputieren. Oder noch schlimmer, ein Bein. Diese Bilder begleiten mich auf Schritt und Tritt und egal, wie lästig sie werden können, sind sie doch alles, was mich vor schwerwiegenden Fehlern bewahren kann. „Okay“, stimme ich scheinbar widerwillig zu. Würde er mich nur im Ansatz kennen, wüsste er, dass ich nicht einmal im Traum daran denke, diese Einschränkung zu akzeptieren. Aber wir sind nicht einmal gute Kollegen. Mr Dingsbums nickt zufrieden. „Das heißt, Luca benötigen wir hier heute nicht, Mr Scottler?“, zwitschert die Sekretärin, die sich nun nach so vielen Jahren als hinterhältige Verräterin erwiesen hat. „Nein, wir brauchen sie nicht“, stimmt Mr Scottler — ich habe mir den Namen für die nächsten zehn Sekunden gemerkt — der charmanten, verräterischen Miss Blase zu. Man fragt sich vielleicht ein winzig kleines bisschen, wer eigentlich diese tolle Luca ist, von der hier alle die ganze Zeit reden. Ja, nun ... ich mag sie nicht. Sie ist eines dieser Mädchen. Sie trägt den gleichen Lippenstift wie Miss Blase, jedoch um einiges vorteilhaftere Kleidung, um ihre Hammerfigur zu betonen. Und sie hat eine nervige Quietschestimme wie Mickymaus. Irgendwas muss schließlich auch an jemandem wie ihr nicht ganz perfekt sein. Ihr Vorteil für diesen Job wäre gewesen, dass sie schon an tausend Highschools war. Meistens, wenn es dabei um männliche Zielpersonen ging. Ihr Rekord war, glaube ich, vier Tage. Dann hatte sie dem Typen den Verstand, dem Vater des armen Knilchs das halbe Vermögen und dem Onkel, an den wir eigentlich ranwollten, die wichtigsten Firmenunterlagen geklaut. Wie gesagt, ein sehr sympathisches Mädchen. Ich kann nicht anders, als sie, ihren Stolz, ihr Können und ihre dämliche Perfektion zu hassen. Vor allem, wenn sie mit ihrem „Cathy, besorg dir mal ein ordentliches Equipment, um nicht mehr ganz so abstoßend auf deine Mitbürger zu wirken“ anfängt. Spätestens dann könnte ich Luca erwürgen. Was ich aber meist nicht tue. Nur einmal mussten uns die Securitymänner trennen. Sie waren hinterher zwar nicht mehr in einem Stück, Luca jedoch auch nicht. Also eine Erfolgsbilanz. Auch wenn diese ganzen Querelen natürlich in meiner Akte vermerkt wurden, die bestimmt die — wie soll ich es nennen — korpulenteste von allen ist. Mein Beileid an Miss Blase. Sie darf diese nämlich durchschnittlich zweimal die Woche wälzen. Nicht, weil ich mich ständig prügle oder so. Hauptsächlich wegen Ausfälligkeiten gegenüber Autoritätspersonen, Befehlsverweigerungen und dem Schwänzen des Lauftrainings. Ein Grund mehr, überrascht zu sein, dass mir der Job angeboten wurde. Ich darf an eine echte amerikanische Schule. Und Menschen kennenlernen. Ich muss nur herausfinden, was für perfide Spielchen da laufen, ein Kinderspiel mit hundertprozentigem Spaßfaktor. „Okay“, sage ich und versuche, meine Aufregung zu verbergen. „Wann geht es los?“ Mr ... Himmel, ich hab seinen Namen schon wieder vergessen. Auf jeden Fall wischt er sich einmal erschöpft über die Stirn. „Wollen Sie nicht erst mal ein Bonbon?“, fragt er mich und schenkt mir ein hoffnungsfrohes Lächeln. Nachdenklich betrachte ich die mit bunten Süßigkeiten gefüllte Schüssel. Wer könnte da schon Nein sagen? Wortlos schnappe ich mir ein Melonenbonbon, die kenne ich noch nicht, und stecke es mir in den Mund. Irgendwie künstlich. Etwas sauer. Und es verursacht augenblicklich Zahnbelag. Skeptisch sehe ich meinen Chef an. Will Mr Dingsbums mich vergiften? „Danke. Wenn das hier kein Plutonium oder so Zeugs enthält, können wir auch gerne weiter konversieren.“ Zufrieden grinse ich ihn an. Fremdwörter und eine große Dosis guter Laune sind und bleiben das Rezept für ein erfolgreiches Gespräch. Von Letzterem bringe ich heute so viel mit, dass der Raum kurz vorm Bersten ist. „Also ...“ Er räuspert sich und starrt aus dem Fenster, ohne Anstalten zu machen weiterzusprechen. Gedankenverloren kratzt er sich an der Knollennase. Momentan scheinen die hüpfenden Vögel außerhalb des Zimmers wichtiger zu sein als ich. „Also?“, ärgere ich ihn. „Wie bitte?“, fragt Miss Blase vollkommen durch den Wind. Ich schlage mir die Hand vors Gesicht. Dass so viel Blödheit nicht tödlich ist. Wie war das? Mit einem IQ unter 40 vergisst man zu atmen? Sie hat höchstens 43 IQ-Punkte abbekommen. Mr Irgendwas reibt sich gedankenverloren das fettige Kinn, was mich wiederum dazu bringt, zu überlegen, ob er jetzt zwanzig oder dreißig Kilogramm zu viel auf die Waage bringt. Schließlich lässt er sich dazu herab, zu antworten. „Wir würden Sie gerne bereits nächste Woche zu Ihrem Einsatz schicken. Auch wenn Sie deutliche Wissenslücken haben. Zu meiner Schulzeit ...“ „... waren alle diszipliniert und trugen eine Schuluniform. Ist klar“, unterbreche ich ihn. Er runzelt die Stirn. „Junge Dame.“ Oh, oh ... er wird wütend. „Ich verbitte mir diesen Tonfall! Noch sind Sie nicht da“, tadelt er mich. Das würde er doch nicht wagen, oder? „Luca würde die Aufgabe bestimmt liebend gern übernehmen.“ Und wie er das wagen würde. Ich schürze missbilligend die Lippen und versuche, irgendwie gewissenhaft zu wirken. Gar nicht so einfach für eine Siebzehnjährige ohne Nerdbrille. „Nebenbei, es werden noch immer Schuluniformen getragen in diesem Internat.“ Internat? Also davon war bisher keine Rede. „Ich will nicht in irgendwelchen durchgepennten Betten liegen und mir das Bad mit einem ganzen Stockwerk teilen“, entfährt es mir und meine seriöse Maske ist nach weniger als fünf Sekunden wieder verschwunden. Super. Das scheint Miss Blase ziemlich amüsant zu finden. Sie beginnt plötzlich, haltlos zu kichern. Auf jeden Fall glaube ich das. Es könnte auch sein, dass sie sich an ihrer eigenen Spucke verschluckt hat. Blöde blondierte Schnepfe. „Aber so macht man doch die interessantesten Bekanntschaften, Cathlen“, säuselt sie mit einem vieldeutigen Grinsen im Gesicht. Ungläubig sehe ich sie an. Das, was sie da andeutet, ist absolut widerwärtig. Eklig. Zum Kotzen. Ich bin eine verdammte Agentin! Ich brauche keinen Typen, der mich abschlabbern will. Nebenbei, ein bisschen Ehrgefühl habe ich auch und das schließt aus, während eines Auftrags solche ... Arrangements zu treffen. „Bekanntschaften, die wir nicht gewillt wären zu dulden“, wirft Mr Dingsbums ein. Ach, deswegen haben sie also nicht die Schlampe aus Passion geschickt. Die Typen sollen unbeschadet davonkommen. Ich nicke beifällig und balanciere vollkommen konzentriert auf einem Stuhlbein. Die beiden starren mich an. Tja, das zu können, wünschen sie sich in ihren kühnsten Träumen wohl auch. Wer weiß, mit ein paar Kilo weniger würden sie es vielleicht sogar schaffen, ohne dass das Holz wie ein Streichholz splittert. „Also, Miss Duty, zurück zum Punkt. Sie werden ein amerikanisches Internat besuchen, und zwar die höchste Klasse auf dem höchsten Niveau. Wir haben Ihren Stundenplan mit allen erdenklichen Fächern vollgestopft. Ein Umstand, der Ihnen bei Ihrer Wissbegierde entgegenkommen sollte.“ Zufrieden verschränke ich die Arme hinter dem Kopf. Oh ja. Ich liebe es, neue Informationen zu sammeln. Ich habe in den vier Jahren, die ich bereits hier festsitze, die ganze Bibliothek durchgeackert. Man könnte mich also auch im weitesten Sinne Streber schimpfen. Oder Genie. „Voll und ganz“, grinse ich und warte darauf, dass er fortfährt. Mr Dingsbums kratzt die wenigen Härchen, die sich mühsam auf seiner polierten Platte halten. „Wir haben beschlossen, Ihnen keine Waffen mitzugeben.“ Krachend fällt der Stuhl zurück auf alle viere. Die Vögel vor dem Fenster flattern erschrocken auf. Ich bin nicht weniger überrumpelt als die Flattermänner. Was? Dafür bin ich doch in diesem Verein. Ich kämpfe, ich siege und, verdammt noch mal, ich will einen dieser oberhammercoolen Kugelschreiber mit Giftspitze haben. Luca bekommt die immer. Wirklich, jedes verdammte Mal. Und ich? „Ist das Ihr Ernst? Nicht mal ein winziges Extra?“, jammere ich und sehe den Vizeboss aus großen, flehenden Kulleraugen an. Darin bin ich echt gut. Nur hat der Kerl ein Herz aus Stein und steht auf Typen. Also bringt mir weder mein Aussehen etwas noch mein Hundeblick. „Der Chef war der Meinung, dass es nach Ihrer letzten Mission das Beste wäre, Sie von solch unnützen Kinkerlitzchen fernzuhalten“, erklärt der Trottel mit einem breiten Grinsen. Ich spitze die Lippen. Mir das auszurichten, darauf hat er sich bestimmt die ganze Zeit über schon gefreut. Die Sekretärin hingegen sieht aus, als suche sie in ihrem begrenzten Wortschatz nach dem Begriff Kinkerlitzchen. „Ach, kommen Sie schon! Ich hab die alte Frau doch nicht mit Absicht getötet. Und ich konnte auch nicht wissen, dass ausgerechnet sie die Einzige war, die uns Informationen zu dem Mafiaboss geben konnte.“ Den wir, zugegebenermaßen, wegen meiner Unfähigkeit bis jetzt immer noch nicht haben. Aber mit viel Glück hat er sich schon in seinem weiteren illegalen Leben abknallen lassen. „Sie hätten vorsichtiger sein müssen“, feuert der Typ vor mir rotzfrech zurück. Als ob ich immer mit entsicherter Waffe rumliefe. Ich hielt sie nur eben etwas ungünstig und dann kam das eine zum anderen ... Außerdem bestehe ich immer noch darauf, dass sie gesichert war. Auch wenn das wenig glaubwürdig erscheint, weil ich die Einzige weit und breit mit einer Waffe in der Hand war. Berge erschießen keine Frauen. Menschen schon. Und sie und ich, wir waren mutterseelenallein. Ich beschließe, dass es Zeitverschwendung ist, ihm das zu erklären. Das habe ich ja erst tausendmal gemacht. Also übergehe ich das Kein-Spielzeug-für-Cathlen-Problem und fokussiere mich auf das wirklich Wichtige. „Bekomme ich ein iPhone?“ Bitte sag Ja. Sag Ja! Er reicht mir den üblichen Knochen. Wirklich? „Die werden mich fertigmachen“, maule ich mit Blick auf das uralte Nokiagerät. Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, dass das aufgeladen wurde. Und der Akku ist noch immer zu drei Vierteln voll. „Damit kommen Sie schon klar“, wischt Mr Dingsbums das Thema einfach vom Tisch. Ich stöhne theatralisch auf und stütze mich mit den Ellbogen auf seinem Schreibtisch ab. Na super. Highschool mit Internat, und das ohne Smartphone. Ich werde die seltsamste neue Mitschülerin sein, die man dort jemals empfangen durfte, ergo, das potenzielle Opfer. Und man darf die Idioten da nicht einmal verprügeln. Die. Absolute. Hölle! „Klar“, sage ich sarkastisch und stecke das Ding weg. Meine Geheimmission: es irgendwie zerstören. Aber es ist wahrscheinlicher, dass mir der entwischte Mafioso über den Weg läuft, als dass dieses Gerät zu Bruch geht. „Haben Sie sonst noch irgendwelche wichtigen Infos für mich, Boss?“ „Sie sollten versuchen, Ihren russischen Akzent abzustellen“, plappert die Sekretärin. Ich lache auf. Meinen Akzent abstellen? Wie bitte? „Tut mir leid, dass ich nicht wie Sie aus einem asozialen amerikanischen Erdnussbuttertoasthaushalt komme“, knurre ich sie an. Na, das ist wirklich das Sahnehäubchen aller Beleidigungen: wenn man auf meiner Art zu sprechen herumhackt. Bei der ticken doch nicht mehr alle Uhren richtig. „Das ist eine gute Idee“, pflichtet ihr Mr Dingsbums nun auch noch bei. Ich beiße mir auf die Zunge, um ihnen nicht alle russischen Schimpfwörter, die mir in den Sinn kommen, an den Kopf zu werfen. Meinen Akzent abstellen ... fällt denen vielleicht noch was Besseres ein? Soll ich demnächst eine Geschlechtsumwandlung durchführen lassen oder wie? Weil es nämlich ähnlich kompliziert wäre, meine Aussprache zu ändern. Ich bin doch keine Waschmaschine, bei der man einfach nur den richtigen Knopf drücken muss. Aber hey, wie war das? Akzeptanz wird hier großgeschrieben. „Natürlich“, bringe ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und bemühe mich mit geringem Erfolg, meinen ungünstigen Akzent zu vertuschen. Wie soll das auch von jetzt auf gleich gehen? „Sonst noch was?“ Der blöde Vizechef wedelt mit der Hand in Richtung Tür. „Wir werden für Sie schon das Richtige packen. Ich bin dafür, dass Sie sich ein paar nützliche Informationen von Luca einholen.“ Ich lächle freundlich und stehe auf. Er hat mit Sicherheit nicht einen einzigen Blick in meine Akte geworfen. Sonst wüsste er, dass jedes einzelne verdammte Aufeinandertreffen von Luca und mir in einer Katastrophe endet. Das liegt im Übrigen nicht an mir. Das ist ihre Schuld. Ihre und die ihrer himmelschreienden Arroganz. Bevor ich sie um Rat bitte, stürze ich mich vor eine geladene Flinte. Allein der Gedanke, was es mit ihrem Ego anstellen würde, wenn ich aus freien Stücken mit ihr spreche ... das ist jetzt schon auf Steroiden. Danach wäre es gigantischer als Hulk. Ich schließe mit einem letzten Blick auf Mr Dingsbums und seine blondierte Sekretärin die Milchglastür etwas heftiger als notwendig hinter mir, ehe mir noch irgendwas Unpassendes herausrutscht. Konzentrieren wir uns auf die positiven Dinge. Ich darf auf eine Highschool. Mit Internat. Also, miserable Betten, blödes Essen und tussige Mitschülerinnen rund um die Uhr. Aber hey, ich komme hier endlich wieder raus nach meinem kleinen Versehen. Frische Luft, Bekanntschaften. Neue nackte Wände, die ich anstarren kann. Keine Neonleuchten mehr über meinem Kopf. Ein Traum. Vor mir räuspert sich jemand. Direkt nachdem ich aus einem Büro komme? Oh, oh. Ich blicke langsam auf. Dort steht ein ungefähr vierzigjähriger, großer Mann mit Hornbrille und Mundwinkeln, die bis auf den Boden hängen. Kein schöner Anblick. Ich schlucke. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“, frage ich der Höflichkeit halber und schiele an ihm vorbei. Niemand zu sehen außer mir. Nicht gut. Wann immer jemand, den ich nicht kenne, mich allein sprechen will, mündet es in einer kleinen Katastrophe. Vielleicht sollte ich einfach weitergehen? Oder ich lasse es. Um zu behaupten, ich hätte ihn nicht bemerkt, ist es jetzt wohl etwas spät. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu hoffen. Bitte sag Nein! Komm schon. Nein. Ein ganz einfaches Wort. Nein. Ich kann es auch buchstabieren. „Cathlen Duty. Würden Sie mich bitte begleiten?“ Ich beiße die Zähne zusammen. So ein gottverdammter Mist.

"Warst du schon mal an einer Highschool?""Klar, jeden Samstag. Und manchmal auch donnerstags, je nachdem, wann die Serie läuft", antworte ich."Pardon?"Ich verdrehe die Augen. "Ich weiß, wie es dort zugeht. Man wird mehrmals täglich gegen Schließfächer gestoßen, lernt alles Mögliche über das Leben und verlässt sie dann gemeinsam mit vier festen Freunden wieder. Ganz einfach. Ganz banal." Ich zucke wegwerfend die Schultern.Mr ... ich hab vergessen, wie er heißt. Auf jeden Fall vergräbt er das Gesicht verzweifelt in den schweißigen Händen. "Hast du persönlich schon mal so ein Gebäude betreten?", will er wissen."Zählt ein 4-D-Kino?", erkundige ich mich.Mir wird ein fassungsloser Blick zugeworfen. "Nein!""Dann nicht", erwidere ich. Kurz schweigen wir, bevor ich nachhake: "Warum denn nicht? Da lernt man doch alles. Jedes Detail. Wie sich die Mitschüler verhalten, wie der Unterricht abläuft, wie genau man sich anzuziehen hat ...""Man lernt Klischees kennen, Cathlen", unterbricht er mich unwirsch. "Sonst nichts."Klischee hin, Klischee her, ich vertrete die feste Auffassung, dass das voll und ganz ausreicht, schließlich haben auch die ihren Ursprung in einem realen Schulgebäude, aber daran scheinen sich die Gemüter in diesem Raum doch zu scheiden. Mr Dingsbums sieht mich nur zweifelnd aus wässrigen Augen an."Wir haben keine andere", wirft seine Sekretärin schließlich ein, während sie nagelkauend auf den Lagebericht starrt. Sie ist wirklich ein Prachtstück von hektischer Protokollantin. Blond gefärbte Haare, die zu einem strengen, leicht lächerlich wirkenden Pferdeschwanz gebunden sind, und stark geschminkt. Knallroter Lippenstift, schwarzer, fetter Eyeliner, Mascara, dass die Wimpern abstehen wie Spinnenbeine, und natürlich Puder. Dick, aber ebenmäßig. Ihre Kleidung ist einfach, betont aber die ungünstigsten Stellen. Der Bleistiftrock ist etwas zu eng, sodass selbst die weite Bluse ihre Fettpölsterchen nicht mehr kaschieren kann, und die Feinstrumpfhose hat eine Laufmasche.Ich mag sie. Vor allem, weil sie nie einen Plan von irgendwas hat und mich deswegen zu jeder Zeit blind unterstützt. Dummes Blondchen in gehobener Stellung auf meiner Seite? Jackpot!"Natürlich haben wir andere Optionen, Miss Blase. Denken Sie doch nur an Stephen. Oder Luca." Miss Blase, meine Lieblingssekretärin, spitzt hochkonzentriert die Lippen. Ich verbeiße mir ein Grinsen. So viele Informationen auf einmal ..."Aber wir brauchen doch ein Mädchen für den Einsatz", erwidert sie und blinkert dabei übertrieben mit ihren Betonwimpern. Manchmal frage ich mich wirklich, warum Mr Dingsbums sie überhaupt hierbehält. An ihrer überragenden Intelligenz kann es kaum liegen. Andererseits, ihre Argumente möchte ich eigentlich nicht kennen. Ob die FSK 6 haben, ist doch eher fraglich.Während ich mir nicht die Mühe mache, sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass Luca ein Mädchen ist, scheint sich der leicht übergewichtige Typ vor mir die gleiche Frage zu stellen wie ich mir gerade eben. Warum ist dieses Blondchen überhaupt noch hier?Er vergräbt das Gesicht mal wieder in den fettigen Händen. "Luca ist unser weiblicher Ersatz."Man sieht quasi, wie die Zahnrädchen bei Miss Blase rattern. Irgendwann nach gefühlten fünf Minuten rasten sie ein und ihre Miene erhellt sich. "Ach so. Natürlich. Soll ich sie herbitten?"Mir fällt die Kinnlade nach unten. Als wüsste diese Verräterin, wie man ein Telefon bedient!Ich verschränke verstimmt die Arme vor der Brust. Jetzt will die mich auch nicht mehr dabeihaben. Dabei bin ich die Beste, die sie bekommen können. Ich bin hübsch, intelligent, nehme hin und wieder Befehle entgegen und erledige meinen Job wirklich gerne, vorausgesetzt, mir gefällt das Ambiente, in das man mich verfrachtet hat, und die Probanden, mit denen ich mich umgeben muss, sind freundlich. Gut, von mir aus, vielleicht sind das in meiner Position als kleine Detektivin minimale Schwächen, aber es hat mir schon den einen oder anderen Fall gerettet. Ich bin vielleicht

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Dark Poison
Verlagsort Lindau
Sprache deutsch
Maße 135 x 210 mm
Gewicht 520 g
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte action • Agentin • hellseherische Fähigkeiten • Klischees • Krimi • Liebesgeschichte • Seelenband • Übernatürliches • USA
ISBN-10 3-86196-713-8 / 3861967138
ISBN-13 978-3-86196-713-2 / 9783861967132
Zustand Neuware
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

Buch | Hardcover (2022)
Droemer (Verlag)
24,00
Kriminalroman

von Nele Neuhaus

Buch | Hardcover (2023)
Ullstein Buchverlage
24,99
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

Buch | Hardcover (2021)
Droemer (Verlag)
22,99