Zehn Monate durch Afrika (eBook)
308 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7460-7028-5 (ISBN)
Gaby Reuß hat durch die Afrikareise ihr Faible fürs Reisen und fremde Kulturen entdeckt und hat sowohl privat wie beruflich als Diplom-Geographin alle Kontinente bereist.
Europa
Endlich! Am 7. Januar 1985 gegen 15.45 Uhr fahren wir los. Bei -10° C im Bus sind Christine und ich gezwungen, uns in Schlafsack respektive Decke einzumummen, während die Jungs die schwächlich beheizten vorderen Plätze einnehmen. Hermi thront auf dem Fahrersitz und chauffiert unser laut brummendes Diesel-Vehikel gefühlvoll über die schneebedeckte Fahrbahn. Joll erweist sich als aufmerksamer Beifahrer, der immer gute Ratschläge zu verteilen weiß... Bereits nach 15 km steht ein erster Ersatzteilkauf an: der Wasserhahn unserer Spüle ist nämlich schon vor der ersten Benutzung defekt.
Eine problemlose Fahrt ist uns nicht beschieden, denn bereits auf den ersten Kilometern macht sich ein Stottern des Motors bemerkbar, dem wir zunächst durch Abschrauben des Tankdeckels beikommen wollen (lt. Hermi ist sonst nicht genug Luft im Tank). Als es sich dadurch nicht bessert, wird uns an der Tankstelle empfohlen, Benzin in den Tank zu füllen. Die vielen Lkws an der Zapfsäule scheinen die Richtigkeit dieses Rates zu bestätigen. Also probieren wir’s und haben in den nächsten zwei, drei Stunden auch keine Probleme mehr. Trotz der Kälte ist unsere Stimmung super, wissen wir doch, dass wir diese europäische Gefriertruhe in spätestens einem Tag hinter uns haben werden! Dumme Sprüche fliegen hin und her, die unsere Lachmuskeln strapazieren – bis die ausgelassene Stimmung von einem lauten Knall jäh unterbrochen wird. Wir rätseln, was das wohl gewesen sein mag: vielleicht sind uns wegen der Kälte Konserven aufgeplatzt? Doch unsere Gulaschdosen sind unversehrt; und wie Josef bei einem Rundgang um den Bus feststellt, sind auch alle auf dem Dach befindlichen Gegenstände noch auf ihrem Platz. Also fahren wir weiter, Christine und ich widmen uns einer Tafel Schokolade, Joll vertieft sich in seine Lektüre. Doch ein plötzliches heftiges Rütteln und Schlenkern des Busses lässt ihn panisch seine Zeitung zerknüllen, Christine und ich blicken uns entsetzt an, als wir so dahin schlittern... durch Hermis blitzschnelle Reaktion landen wir nicht im Graben, sondern kommen zum Stehen. Unsere vorhin nur flüchtig ins Auge gefasste Vermutung erweist sich als wahr: zwei Hinterreifen geplatzt. Das fängt ja gut an! Während sich die Jungs in der Eiseskälte an den Reifenwechsel machen, kochen wir Pfefferminztee, das einzige, was uns in dieser Situation zu tun bleibt. In dem Moment bin ich doch dankbar, dass sich die Emanzipation der Frau noch nicht so ganz durchgesetzt hat, es ist entschieden angenehmer, im Bus Tee zu kochen, als sich bei -20° C die Finger abzufrieren.
Im weiteren Verlauf des Abends gibt’s zum Glück keine technischen Probleme mehr und auch der Grenzübertritt nach Frankreich geht locker vonstatten: „Allez!“
Während wir so über winterliche Straßen fahren, es draußen von den kilometerweiten Schneedecken weiß leuchtet, führen Hermi und Joll interessante Gespräche:
Joll: | Fahr langsam, die Schdrassn sin nid geräumd! |
Hermi: | Wo stehd’n des? |
Joll (aufgeregt): | Des siehd mer doch!! |
In Belfort stellen wir den Bus auf einem Parkplatz ab und bereiten uns auf die Nacht vor. Nun gilt es, sich erst mal an die eingeschränkte Bewegungsfreiheit zu gewöhnen: der Bus sieht von außen zwar groß aus, aber bei vier Leuten geht’s drinnen doch recht eng zu und es kommt nicht selten zu Rempeleien und gegenseitigem Auf-die-Füße-steigen. Doch die Ausstattung ist geradezu luxuriös: der grüne Teppichboden trägt zwar nicht sehr viel zum Erwärmen der Füße bei, verbreitet dafür aber eine wohnliche Atmosphäre, dazu passt die in dunkelbraunem Holz gehaltene Inneneinrichtung. Wir haben sozusagen ein komplettes Haus: Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, Küche und Bad. Gleich links von der Beifahrertür befindet sich die „Küche“, sprich Spüle und Herd mit zwei gasbetriebenen Kochstellen. Den Raum unter der Spüle nehmen drei Wasserkanister mit jeweils 12 Liter Fassungsvermögen ein. Einer elektrischen Pumpe verdanken wir den Luxus fließenden Wassers aus dem neu erstandenen Wasserhahn. Einen Haken hat die Sache heute jedoch: das Wasser in den Kanistern ist gefroren.
In den Schubladen unterhalb des Herdes ist unser wertvolles Geschirr untergebracht. Da wir nicht monatelang von Plastiktellern essen und aus Pappbechern trinken wollen, haben wir Porzellanteller und Gläser dabei. Die Schubladen sind mit dickem Schaumstoff ausgelegt, der passend zur Größe von Tellern und Gläsern ausgeschnitten wurde, so dass unser kostbares „Meißner“ (eigentlich war es ja für einen Polterabend gedacht...) bruchsicher im Schaumstoff ruht. Gleich neben dem Herd: unser Kühlschrank. Eine Gasflasche, im „Schuhfach“ unter dem Kühlschrank deponiert, wird uns (hoffentlich!) in wärmeren Gefilden dazu verhelfen, unser Bier zu kühlen. Gegenüber der „Küche“ befindet sich der Küchentisch, zu beiden Seiten Bänke mit losen Sitz- und Rückenpolstern aus dickem Schaumstoff. Der grün-braune Bezug ist zwar nicht besonders geschmackvoll, dafür aber unempfindlich gegen Schmutz und Staub. Bei Bedarf wird der Küchentisch heruntergeklappt und bildet zusammen mit den Sitzflächen der Bänke ein geräumiges Bett. Neben dieser Schlafgelegenheit befindet sich das „Bad“ – da staunt man, was?! Ja, wir haben ein richtiges Badezimmer, ein Raum für sich, mit ca. einem halben qm Stehfläche. Der restliche halbe qm wird vom chemischen Klo und einem Waschbecken mit darunter befindlichem Stauraum eingenommen. In diesem Stauraum stapeln sich hinter einer hochschiebbaren Sperrholzplatte Seifen, Zahnpasta, Sonnenmilch und was man halt noch so alles braucht. Über der Toilette hat Joll verschieden große Fächer eingebaut, die nun Handtücher, Wasch- und Putzutensilien und unsere umfangreiche Apotheke beherbergen.
Gegenüber der Badtür befindet sich ein Schrank mit fünf schmalen, ca. 40 cm hohen und ebenso tiefen Fächern, in denen sich unsere Klamotten übereinander drängen (was das Mitschleppen eines Bügeleisens erspart).
Im hinteren Bereich des Busses ist das „Wohnzimmer“ untergebracht, mit einem großen Tisch, der auf drei Seiten von Sitzbänken eingerahmt wird, die, wie sich später herausstellen wird, acht Leuten Platz bieten. Nach demselben Prinzip wie vorn am Küchentisch entsteht hier eine Liegewiese für drei Personen. Wie es sich gehört, bietet das Wohnzimmer freien Blick auf die Außenwelt: durch zwei Seiten- und ein großes Fenster, das hinten über die ganze Breite des Busses reicht. Blickfang sind unsere (noch) blütenweißen Vorhänge, an deren unterem Ende zahlreiche Enten im Gänsemarsch eingewebt sind. Hier hinten ist es so richtig gemütlich, Christines rosa Wachstuchdecke vermittelt einen Hauch Heimat und die Erinnerung an ihre alte Wohnung. Sowohl hinten als auch über Esstisch und Küchenzeile befinden sich geräumige Staukästen, in denen die für den tagtäglichen Gebrauch wichtigen Dinge untergebracht sind: Frühstücks- und Gewürzfach, über dem Kühlschrank die Töpfe und Pfannen. In die Stauräume über der Wohnecke haben wir Spiele, Bücher, Geschenke, Schreibutensilien und die Schlafsäcke gepackt. In den Ecken sind Lautsprecher eingebaut, Musikgenuss im Wohnzimmer ist somit gewährleistet. Unsere bei Aldi erstandenen Konserven haben wir größtenteils in den Sitzkästen verstaut, sowohl hinten als auch in einer der vorderen Bänke. Unter der Sitzgelegenheit neben dem Bad befinden sich Wasserkanister, die zur Versorgung des Bads dienen.
Mit Lichtquellen ist unser Haus geradezu verschwenderisch ausgestattet: jeweils eine Lampe über Herd und Küchentisch, eine im Bad, gleich drei Stück im Wohnzimmer. Die Lampen werden von einer zweiten Batterie gespeist, die automatisch durchs Fahren wieder aufgeladen wird. Etwas ganz Besonderes ist unsere „Hutschachtel“: Joll hat an den Staufächern über dem Küchentisch ein Holzkästchen festgeschraubt, das beim Kochen als Ablage für Gewürze u. ä. dienen soll. Da aber Hermis Vater bei der ersten Fahrt mit dem Bus spontan seinen Hut darin deponierte, hatte die Vorrichtung ihren Namen weg. Während der Reise erwies sich die Hutschachtel als äußerst nützlich: wenn man zu faul war, etwas aufzuräumen, wanderte der Gegenstand in die Hutschachtel. Und so kam es, dass sich mit fast 100%iger Sicherheit sämtliche als vermisst gemeldeten Utensilien, angefangen von der Sonnenbrille über Zigaretten, Geld, Schraubenzieher, Löffel bis hin zu Tampons, darin wiederfand.
Oft jedoch, v. a. in den ersten Tagen, war die Hutschachtel der Grund schmerzvoller „Autsch“-Rufe und gemurmelter Flüche, da sie sich genau in Stirnhöhe befand. Beulen am Kopf heimste zu Anfang jeder von uns ein, wobei ich wegen meiner geringen Größe noch am besten wegkam. Doch auch die anderen drei lernten schnell, den Kopf einzuziehen.
Da wir am Abend keine Lust zu...
Erscheint lt. Verlag | 25.11.2017 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
ISBN-10 | 3-7460-7028-7 / 3746070287 |
ISBN-13 | 978-3-7460-7028-5 / 9783746070285 |
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