Elenis Kinder (eBook)

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2017 | 1. Auflage
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-561948-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elenis Kinder -  Nicholas Gage
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In seinem in zahlreiche Sprachen übersetzten Buch ?Eleni? hat Nicholas Gage die tragische Geschichte seiner Mutter erzählt. Im griechischen Bürgerkrieg rettete Eleni ihre Kinder vor der Deportation, indem sie sich lieber foltern und erschießen ließ, als deren Versteck zu verraten. 1949 kamen der neunjährige Nicholas und seine Schwestern dann nach Amerika; am Pier erwartete sie ihr Vater, der ihnen und ihrer Mutter während der Kriegswirren nicht hatte helfen können. In ?Elenis Kinder? schildert Gage, was aus ihm und seinen Geschwistern wurde, ihren dornigen Weg zum Platz an der Sonne in der neuen Heimat Amerika. Es ist die ewig neue und abenteuerliche Geschichte von Emigranten, denen nichts geschenkt wird und die sich nichts schenken lassen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Nicholas Gage nimmt jeden harten Job und jede Entbehrung auf sich, um schon neben dem College seinem Traumziel, Journalist zu werden, näher zu kommen. Dabei ist ihm keine Recherche zu banal und keine Story zu gering, die er für kleine Blätter zu schreiben hat. Und so schreibt er sich seinen Weg im wahren Wortsinn nach oben - bis er als 20jähriger von Kennedy im Weißen Haus empfangen wird und einen einflußreichen Job bei der New York Times erhält, der ihn in alle Welt führt.

Nicholas Gage nimmt jeden harten Job und jede Entbehrung auf sich, um schon neben dem College seinem Traumziel, Journalist zu werden, näher zu kommen. Dabei ist ihm keine Recherche zu banal und keine Story zu gering, die er für kleine Blätter zu schreiben hat. Und so schreibt er sich seinen Weg im wahren Wortsinn nach oben – bis er als 20jähriger von Kennedy im Weißen Haus empfangen wird und einen einflußreichen Job bei der New York Times erhält, der ihn in alle Welt führt.

1 Aufbruch nach Amerika


Die Schwarzweißaufnahme zeigt wie viele, die Ende der vierziger Jahre gemacht wurden, eine Gruppe von Flüchtlingen, die ihre verwüstete Heimat für einen Neubeginn in Amerika verlassen. Es sind vier Reisende: zwei fast erwachsene junge Frauen in bäuerlicher Kleidung und zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, etwa acht Jahre alt. Hinter ihnen stehen zwei Männer in modischen Stadtanzügen – Verwandte, mit der Aufgabe betraut, die Waisen sicher zum Schiff zu begleiten, das sie in ihre neue Heimat bringen wird. Im Hintergrund ragt ein riesiges Schiff der Marine auf, und darum herum errät man das Getriebe des Hafens von Piräus.

Aber die vier Auswanderer stehen still und feierlich inmitten der verschwommenen Geschäftigkeit und schauen ernst in die Box des Straßenfotografen, der bezahlt worden ist, um die letzten Augenblicke auf griechischem Boden festzuhalten. Die älteren Mädchen, mit langen Zöpfen auf dem Rücken, sind von den groben Dorfschuhen und Strümpfen bis zu ihren dicken Wollröcken und Jacken ganz in Schwarz gekleidet. Sie tragen Trauer, denn ihre Mutter starb, damit sie diese Reise antreten konnten.

Sie hieß Eleni Gatzoyiannis. Acht Monate davor, im Juni 1948, sorgte sie für die Flucht ihrer Familie aus ihrem Bergdorf, da die kommunistischen Partisanen, die es besetzt hatten, Kinder zusammentrieben, um sie in Schulungslager hinter den Eisernen Vorhang zu schicken. In letzter Minute war Eleni gezwungen gewesen, zurückzubleiben, und sie hatte ihren Kindern befohlen, ohne sie zu fliehen. In einem Flüchtlingslager erfuhren sie später, daß sie eingesperrt, gefoltert und schließlich als Vergeltung für ihre Flucht von den Partisanen hingerichtet worden war. In Kesseln mit kochendem Wasser über dem Feuer färbten sie ihre Kleidung schwarz und bereiteten sich für die Reise nach Amerika vor, denn ihre Mutter hatte ihnen gesagt: Was immer mit ihr geschähe – dorthin müßten sie gehen.

Das kleine Mädchen auf dem Foto hält stolz eine winzige Plastikhandtasche in der Hand und trägt neue Kleider, die aus einem Athener Kaufhaus stammen. Der kleine Junge floh barfuß aus dem Dorf, aber für die Reise nach Amerika bekam er derbe Schuhe, die im Flüchtlingslager angefertigt worden waren. Einer seiner Schuhe ist offen, es fällt aber niemandem auf, und keiner schnürt ihn zu. Er trägt einen schlecht sitzenden Anzug aus grauer Wolle mit kurzen Hosen und einer dicken Jacke mit ausgebeulten Taschen. Sein neuer Haarschnitt ist so kurz, daß an den Seiten die Kopfhaut durchschimmert. Er blickt argwöhnisch in die Kamera, als ob er dem Fotografen nicht traut.

Was der Junge tatsächlich beobachtete, sind zwei Pappkoffer, die gleich hinter dem Fotografen stehen, denn sie enthalten den ganzen Besitz seiner Familie, auch den Hochzeitsschal seiner Mutter und die einzigen Fotografien, die sie von ihr haben. Fast so wichtig ist ihm die Schultasche aus Segeltuch, die mit Heften aus seinem Unterricht im Flüchtlingslager gefüllt ist. Er hofft, daß diese seine amerikanischen Lehrer beeindrucken werden.

Ich weiß, was der Junge beobachtete und dachte und welche Schätze seine Taschen füllten, denn ich war dieses neunjährige Kind, das am 3. März 1949 die Seereise nach Amerika antrat. Meine drei Schwestern und ich hatten Schiffskarten für die Marine Carp, einen umgebauten amerikanischen Truppentransporter, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Dienst als Passagierschiff gepreßt worden war. Ich reiste mit meiner ältesten Schwester Olga, zwanzig, meiner zweiten Schwester Kanta, sechzehn, und meiner vierten Schwester Fotini, zehn. Unsere fünfzehnjährige Schwester Glykeria war hinter dem Eisernen Vorhang vermißt, vielleicht sogar tot. Mit unserer Mutter hatten wir sie zurücklassen müssen. Nach Manas Hinrichtung war unsere Schwester mit den restlichen Dorfbewohnern von den zurückweichenden kommunistischen Partisanen mit vorgehaltener Waffe nach Albanien getrieben worden, und wir hatten keine Ahnung, wo sie jetzt war.

Obwohl ich meine Mutter verloren hatte, den einzigen Elternteil, den ich je kennengelernt hatte, waren wir eigentlich keine Waisen, denn wir hatten einen Vater in Amerika. Deshalb hatten wir es geschafft, von den Wellblechhütten in Igumenitsa, wo ein aufgehängtes Leintuch uns von anderen Familien trennte, in den Hafen von Piräus zu gelangen. Jetzt würden wir in ein Land fahren, das uns stets so fern und sagenhaft wie Atlantis vorgekommen war.

Mana hatte uns immer Briefe von diesem Vater vorgelesen, der in Worcester, Massachusetts, Obst und Gemüse verkaufte und vom ganzen Dorf für einen amerikanischen Millionär gehalten wurde. Er war 1910 von Griechenland nach Amerika ausgewandert – ein Junge von siebzehn Jahren, mit zwanzig Dollar in der Tasche – und 1926 zurückgekehrt, um zu heiraten. Die amerikanische Staatsbürgerschaft und das Vermögen, das er angeblich besaß, erzeugten Neid unter den Dorfbewohnern, die meine Mutter Amerikana nannten, obwohl sie selbst nie weiter als achtzig Kilometer über ihren Geburtsort hinausgereist war.

In den ersten neun Jahren meines Lebens hatte es Zeiten gegeben, in denen ich insgeheim stolz auf den Reichtum und Status meines unbekannten Vaters war, allmählich verübelte ich ihm aber seine Abwesenheit und die Verlegenheit, in die mich seine Nationalität brachte. Der Sohn eines amerikanischen «Kapitalisten» zu sein, machte mich häufig zum Sündenbock der Dorfjungen, die die Propaganda der kommunistischen Partisanen in sich aufgenommen hatten. Wenn Blockaden und Knappheiten des Zweiten Weltkriegs Hungersnot schafften und wir unter Unterernährung und Rachitis litten, den Boden nach Unkraut zum Essen absuchten und mit Hilfe der knappen Mehlration, die mein Großvater, ein Müller, uns ungern zuteilte, überlebten, dann machte ich meinem Vater stille Vorwürfe, daß er uns nicht zu sich nach Amerika holte.

In der kurzen Friedensperiode zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Ausbruch des griechischen Bürgerkriegs Ende 1946 schrieb Mana an ihren Mann und bat ihn flehentlich, unsere Papiere einzureichen, damit wir sofort auswandern könnten, aber er zögerte, weil er sich über das Risiko Sorgen machte, heranwachsende Töchter an einen mondänen Ort wie Amerika zu verpflanzen. «Du hast keine Ahnung, wie frei die Mädchen hier sind. Schon früh fangen sie an, mit Fremden herumzulaufen …», schrieb er. Er befahl meiner Mutter, für Olga, meine älteste Schwester, die Hochzeit mit einem Mann aus guter Familie zu arrangieren, dann würde er uns holen.

Aber es war zu spät. Im Herbst 1947 besetzten griechische kommunistische Partisanen die Dörfer im Norden Griechenlands, wo wir lebten. Alle Männer, darunter mein Großvater Kitso Haidis, flohen aus den Bergen, um der Zwangsrekrutierung zu entgehen, und ließen Frauen und Kinder zurück. Mana bat ihren Mann um Rat, und er riet ihr, zu bleiben und auf Haus und Grundstück aufzupassen. Sie hatte die Invasionen der Italiener und Deutschen überlebt, schrieb er, ganz sicher hätte sie von ihren griechischen Landsleuten viel weniger zu befürchten, die doch nur für ihre Rechte kämpften.

Meine Mutter war eine folgsame Bäuerin, die niemals mit einem Mann sprach, der nicht zur Familie gehörte, bis sie im Alter von achtzehn Jahren mit einem vierzehn Jahre älteren Amerikaner, der auf Besuch war, verlobt wurde. Ihre Erziehung verlangte, daß sie den Befehlen der Männer gehorchte. Als die Partisanen kamen, gab sie ihnen klaglos unser Essen und half beim Bau von Festungen und beim Verwundetentransport. Sie widersprach nicht, als sie unser Haus forderten, um es zum Hauptquartier und Gefängnis zu machen, sondern zog einfach mit uns in die Hütte ihrer Eltern. Obwohl die Partisanen und ihre Nachbarn sie zur Zielscheibe besonderer Kränkungen machten, weil sie die reiche Amerikana war, blieb sie folgsam und klagte nie.

Erst als die Partisanen die Übergabe ihrer Kinder verlangten, beschloß Eleni Gatzoyiannis, ihnen die Stirn zu bieten.

Im Frühjahr 1948 hielten die Partisanen in unserem Dorf eine Versammlung ab, zu der jeder kommen mußte, und verkündeten, daß alle Kinder zwischen drei und vierzehn Jahren in osteuropäische Lager gebracht werden würden, wo sie als Kommunisten erzogen und ausgebildet würden. Sie stellten einen Tisch voller Speisen vor die hungernden Dorfbewohner und sagten, alle Kinder, deren Eltern sie freiwillig herausgäben, bekämen sofort zu essen. Trotz der Schreie ihrer ausgehungerten Kinder weigerten sich die meisten Mütter.

Eines Tages, als ich mich im Bohnenfeld meiner Großmutter versteckt hielt, hörte ich, wie zwei Offiziere der Partisanen sagten, daß alle Kinder, freiwillig herausgegeben oder nicht, mit Gewalt fortgebracht würden. Als ich zu meiner Mutter rannte und es ihr erzählte, faßte sie zum ersten Mal im Leben den Entschluß, sich zu widersetzen, und begann die Flucht zu planen, die mit ihrer Einkerkerung, Folter und Hinrichtung endete.

Als ich in Piräus am Kai stand, gab ich meinem Vater mit die Schuld an ihrem Tod. Hätte er doch nur schneller gehandelt, dann hätte er uns 1946, in der kurzen Friedenszeit, herausholen können, und wir wären ganz und lebten als Familie in Amerika. Jetzt waren wir auseinander gerissen. Die von Kugeln durchsiebte Leiche meiner Mutter war mit anderen Opfern in ein flaches Massengrab geworfen und Monate später von meinem Großvater gefunden worden, der ihre sterblichen Überreste auf dem Friedhof in der Nähe unseres zerstörten Hauses begrub. Glykeria war hinter dem Eisernen Vorhang für uns verloren. Meine übrigen Schwestern und ich...

Erscheint lt. Verlag 29.12.2017
Übersetzer Gerda Bean
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Al Berry • Amerika • Athen • Auto • Autobiographie • Boston • Brautschau • Bürgerkrieg • Debby Fred • Eleni • Emigration • Frühlingstag • Generationskonflikt • Griechenland • Großfamilie • Heimkehr • Integration • Jackie Walsh • Kindheit • New York • Nicholas Gage • Olga Vaters • Ratgeber • Restaurant • Sachbuch • Schiff • Streifzug • Tony Deli • USA • Worcester
ISBN-10 3-10-561948-8 / 3105619488
ISBN-13 978-3-10-561948-3 / 9783105619483
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