Born of War – Vom Krieg geboren (eBook)
368 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-408-1 (ISBN)
In diesem Buch erzählen Menschen aus ganz Europa von ihrem Leben als »Kinder des Feindes«. Sie berichten von der schwierigen Beziehung zu ihren Müttern, die ihnen oft ihre wahre Herkunft verschwiegen. Und von der mühsamen Suche nach den Vätern, die von der Existenz ihrer Kinder bisweilen nichts wussten - oder auch später nichts wissen wollten. Darüber hinaus schildern Deutsche, die in »Lebensborn«-Heimen zur Welt kamen, ähnliche Erfahrungen. Es sind zutiefst bewegende Geschichten über Zurückweisung und Misshandlung, Unsicherheit und Scham sowie die schmerzhafte Suche nach der eigenen Identität. Aber bisweilen auch über das Glück, spät noch eine zweite Familie zu finden.
Ergänzt wird das Buch durch Einführungen in die historischen Zusammenhänge des jeweiligen Landes.
Gisela Heidenreich (Herausgeberin): Jahrgang 1943, geboren in Oslo, Norwegen; Sonderpädagogin, Paarund Familientherapeutin, Mediatorin in freier Praxis; Autorin, seit 2007 P.E.N.-Mitglied; seit 1979 mit dem Schriftsteller Gert Heidenreich verheiratet; Veröffentlichungen u. a.: "Das endlose Jahr. Die langsame Entdeckung der eigenen Biographie – ein Lebensbornschicksal" (2002), "Sieben Jahre Ewigkeit. Eine deutsche Liebe" (2007); "Geliebter Täter. Ein Diplomat im Dienst der Endlösung" (2011).
Vorwort: Europas verleugnete Kinder
Gisela Heidenreich
Stellvertretend für Hunderttausende bricht in diesem Buch eine Gruppe von europäischen »Kriegskindern« mit spezifischem Schicksal ihr jahrzehntelanges Schweigen. So verschieden Nationalität, geografische Bedingungen und Sprachen sind, »Kinder des Krieges« in Europa von Nord bis Süd haben vieles gemeinsam: Teilen sie auch schreckliche Erlebnisse, Not und Entbehrung mit allen Kriegskindern ihrer Generation,1 so sind ihre Biografien zusätzlich geprägt durch nagende Zweifel an ihrer Herkunft und den schmerzhaften Mangel an Identität. So paradox es klingt: Diese Kinder verdanken ihr Leben dem Krieg, weil sie im Krieg durch Beziehungen mit »dem Feind« entstanden – aus Liebe oder Ideologie – manchmal auch durch Gewalt.
Deutschlands Eroberungs- und Vernichtungskrieg führte auch dazu, dass in allen von Deutschen besetzten Ländern Europas zwischen 1939 und 1945 deutsche Soldaten Kinder zeugten, von Finnland über Norwegen bis Dänemark, in den Niederlanden, Belgien und Frankreich, auf den Kanalinseln, in Italien und Griechenland, sicher auch in den Balkanstaaten, der damaligen Tschechoslowakei, Polen bis hin zu Teilen der Sowjetunion. Sie wuchsen als »Kinder des Feindes« und somit »Kinder der Schande« im Land ihrer Mütter auf, die nicht selten härter bestraft wurden als Kollaborateure, weil sie sich mit »dem Feind« eingelassen hatten. Sie waren die Sündenböcke, die kahl geschoren mit Schimpf und Schande durch die Straßen gejagt oder sogar interniert wurden.
Ihre Kinder erfuhren meist wenig Liebe, oft genug den Hass und die Schmach, »Deutschenbälger« und »Nazibastarde« zu sein. Der Versuch vieler Mütter, die wahre Herkunft solcher Kinder zu verleugnen und sie als »Kuckuckskinder« in einer Ehe mit einem anderen Mann zu verbergen, war selten ein »Heilmittel«, ebenso wenig wie die Freigabe zur Adoption: Die Lebens- und Leidensgeschichten Betroffener bezeugen dies.
»Wehrmachtskinder« ist eine geläufige Bezeichnung, seit Ebba D. Drolshagen – eine der ersten Autorinnen, die sich mit den Geliebten der Wehrmachtssoldaten im besetzten Europa2 und der Existenz solcher Kinder auseinandergesetzt hat – diesen Begriff geprägt hat.3 Er klammert allerdings »SS-Väter« aus. In der Forschung4 gehören diese Kinder, wie die Besatzungskinder, zu den »Children Born of War«. Vom Krieg geboren sind die Kinder des Krieges, während oder als Folgen des Zweiten Weltkrieges.
Auch wenn streng genommen nur die norwegischen »Lebens-born«-Kinder zu dieser Gruppe gehören, kommen in diesem Buch einige zu Wort, die von deutschen Müttern in Heimen des »Lebensborn e. V.« geboren wurden. Denn auch die Väter der deutschen »Lebensborn«-Kinder wurden meist verleugnet, und die psychosozialen Schicksale ihrer Kinder sind denen anderer Kinder des Krieges sehr ähnlich. Und ihr Beispiel verdeutlicht den Rassenwahn der Nationalsozialisten als Motor für die mörderische Eroberung Europas. »Lebensborn«-Kinder sollten mit ihrer Geburt durch den Krieg entstandene Verluste ausgleichen.
Der Verein der ehemaligen »Lebensborn«-Kinder Lebensspuren e. V.5 gehörte zudem zu den ersten, die sich auf Anregung des Wegbereiters Ludwig Norz, Mitarbeiter der Deutschen Dienststelle WASt6 (Wehrmachtauskunftstelle) 2005 in Berlin, zunächst mit dem französisch-deutschen Verein Cœurs sans Frontières / Herzen ohne Grenzen7 trafen. Verbände und Organisationen aus Belgien, Dänemark, Frankreich, Finnland, Holland und Norwegen haben sich dann 2007 in der WASt zu einem »Europäischen Netzwerk« zusammengeschlossen.8 Unter dem Namen BOW i. n., BORN OF WAR international network9 wurde die Vereinigung Mitglied des Vereins Fantom e. V., einem Netzwerk für Kunst und Geschichte, das der Künstler Ludwig Norz gegründet hatte. 2013 kam eine weitere Gruppe dazu, die »Russenkinder in Deutschland«10, die auf der Suche nach ihren russischen Vätern sind.
Die meist kurz WASt genannte Deutsche Dienststelle spielte und spielt bei der Suche nach unbekannten Vätern eine entscheidende Rolle, wie in den folgenden Beiträgen mehrfach berichtet wird. Die Anfragen dort werden auch in der Gegenwart nicht geringer, mittlerweile ist die Enkelgeneration auf der Suche nach der wahren Herkunft ihrer Großväter.
Ziel des europäischen Netzwerkes BOW i. n. ist die gemeinsame psychohistorische Aufarbeitung der Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges mit Blick auf individuelle Traumata. Der Kontext mit gegenwärtigen Konflikten und Kriegen wird betont. So haben die nationalen Vertreter von BOW i. n. 2012 eine gemeinsame, in die jeweilige Sprache übersetzte Anfrage an ihre Regierungen bezüglich der derzeitigen Auslandseinsätze gestellt:
»Als Kriegskinder vom Zweiten Weltkrieg haben wir selbst erfahren, wie unsere Mütter behandelt wurden, und selten wurden wir willkommen geheißen. Aber wofür kann man ein Kind anklagen? Wie viele andere Länder hat auch [das jeweilige Land] eine UN-Konvention über die Rechte von Kindern unterzeichnet. [Das Land] trägt somit eine große Verantwortung für Kinder [seiner] Soldaten und anderen entsandten Personals. Ein Frieden bewahrender Einsatz sollte kein neuer Krieg gegen Kinder sein.
Mit dieser Sorge im Hintergrund bitten wir um Antwort auf folgende Fragen:
•Welche Richtlinien hat das Verteidigungskommando ausgearbeitet im Hinblick auf die sexuellen Verhältnisse unserer Soldaten?
•Welche Maßnahmen werden zum Schutz der schwangeren Frau vorgenommen?
•Wie verhält es sich mit der Anerkennung des Kindes, das zur Welt gekommen ist, und mit dessen Unterhalt?
•Hat das Kind das Recht und die Möglichkeit, seinen Vater wiederzufinden?
•Kann das Kind seine Akte einsehen und hilft man ihm bei der Suche? (Vergl. Artikel 8 der Kinderkonvention).«
Alle Regierungen haben noch im selben Jahr geantwortet, wenn auch sehr unterschiedlich.11 So gab z. B. das Dänische Verteidigungsministerium eine sehr konkrete Antwort auf die erste Frage:
»Die letzten Verhaltenskodexe enthielten als roten Faden, dass jegliches Verhalten, das die im Einsatzgebiet lebenden Frauen kompromittieren könnte, vermieden werden sollte – so z. B. sich direkt an eine Frau zu wenden, sie zu berühren oder anzustarren. Außerdem geht eindeutig daraus hervor, dass romantische Affären mit der örtlichen Bevölkerung nicht geduldet werden. Sexueller Verkehr ist mit anderen Worten inakzeptabel.«
Das Königliche Verteidigungsministerium Norwegens bescheinigte u. a., dass »norwegische Soldaten, die in internationalen Operationen eingesetzt sind, als öffentliche Bedienstete anzusehen« sind. »Sowohl das Regelwerk für öffentliche Bedienstete, als auch das Strafgesetzbuch verbieten den Kauf von sexuellen Diensten.«
Auf die Frage nach dem Schutz schwangerer Frauen mochte niemand eingehen, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beantwortete »auch im Namen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel« immerhin die Fragen nach den Rechten und der Staatsangehörigkeit des Kindes u. a. so: »Wenn das Kind durch die Geburt auch die Staatsangehörigkeit der Mutter erworben hat, was in der Regel der Fall sein dürfte, und eine wirksame Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft eines deutschen Staatsangehörigen vorliegt, besitzt das Kind somit im Regelfall die Staatsangehörigkeit der Eltern, also die deutsche Staatsangehörigkeit des Vaters und die ausländische Staatsangehörigkeit der Mutter.«
Genau dieser »Regelfall« ist noch lange nicht die Regel bei allen Kindern des Krieges, und deshalb ist ein anderer Schwerpunkt unserer Zusammenarbeit die gegenseitige Unterstützung bei der Bemühung um die zusätzliche deutsche Staatsbürgerschaft. Alle unsere Aktivitäten zielen auf die Vertiefung europäischer Kooperation und Freundschaft.
Auf Anregung von BOW i. n. erzählen in diesem Buch Kinder des Zweiten Weltkrieges aus Dänemark, Deutschland, Griechenland, Finnland, Frankreich, Holland und Norwegen ihre Lebensgeschichte. Das geschieht keineswegs, um Leid gegen Leid »aufzurechnen«, sondern um exemplarisch zu zeigen, wie existenziell notwendig, schmerzhaft und schwierig die Suche nach den eigenen Wurzeln ist, und wie schwer es ist, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten.
Deutlich wird in den eindrücklichen Lebensbeschreibungen, wie viele Erfahrungen diese Kriegskinder trotz aller Unterschiede der Lebensumstände und der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen über alle Ländergrenzen hinweg verbinden:
Den meisten wurde ihre Herkunft lange verheimlicht, sie stießen immer wieder auf eine Wand des Schweigens und der Ablehnung. Daraus resultierende diffuse Gefühle der Unsicherheit, der Schuld und der Scham kennen alle. Viele haben lange geschwiegen, konnten sich selbst und anderen ihr psychisches Leid und ihre Verletzlichkeit nicht erklären und erkannten erst allmählich den Zusammenhang mit der frühen kindlichen Ver-Störung. Viele fühlen sich »fremd in der eigenen Haut«, kennen die Selbstzweifel und das mangelnde Selbst-Bewusstsein, die oft genug verstärkt werden durch das Wissen, »Täterkind« oder »Feindeskind« zu...
Erscheint lt. Verlag | 4.12.2017 |
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Reihe/Serie | Politik & Zeitgeschichte |
Co-Autor | Barbara Stelzl-Marx, Barbara Krähmer, Arne Øland, Einer Bangsund, Monika Benndorf, Michel Blanc, Thorleif Blatt, Imke Bollmann, Kerstin Muth, Brigitta Rambeck, Henny Granum, Heilwig Weger, Irja Wendisch, Marlene Märkert, Roman Arens, Sarah Rehberg |
Zusatzinfo | 35 s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Schlagworte | Kriegskinder • Kriegsverbrechen • Nachkriegsgeneration • Soldatenkinder • Uneheliche Kinder • Vatersuche • Vergewaltigung • Wehrmacht • Wehrmachtskinder |
ISBN-10 | 3-86284-408-0 / 3862844080 |
ISBN-13 | 978-3-86284-408-1 / 9783862844081 |
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