Leben mit einem Neugeborenen (eBook)

Ein Buch über das erste halbe Jahr
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490772-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Leben mit einem Neugeborenen -  Barbara Sichtermann
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Barbara Sichtermanns Standardwerk hat nichts von seiner Aktualität verloren: Ihre Kritik an den überkommenen Methoden des Umgangs mit Säuglingen und ihre praxisbezogene Sichtweise, wie man sich Neugeborenen gegenüber verhalten soll, sind heute wichtiger denn je. Ihr »Gegen-Leitfaden« hilft Erwachsenen, Unsicherheiten, Ängste und Vorurteile abzulegen und statt dessen vor allem eine Körperbeziehung zu dem Baby herzustellen: mit ihm zu leben, anstatt es lediglich zu versorgen.

Barbara Sichtermann, Publizistin und Schriftstellerin, geboren 1943 in Erfurt, wuchs auf in Kiel und studierte Sozialwissenschaften und Volkswirtschaft in Berlin. Seit 1978 arbeitet sie als freie Autorin für den Rundfunk und verschiedene Printmedien. Sie schrieb zahlreiche Bücher. Ihre Themen: Leben mit Kindern, Frauenpolitik und -bewegung, Medien, die Rebellion von 1968. Bekannt wurde sie als Fernsehkritikerin der »Zeit«. Sie wurde mit dem Elisabeth-Selbert-Preis und dem Jean-Améry-Preis für Essayistik ausgezeichnet.

Barbara Sichtermann, Publizistin und Schriftstellerin, geboren 1943 in Erfurt, wuchs auf in Kiel und studierte Sozialwissenschaften und Volkswirtschaft in Berlin. Seit 1978 arbeitet sie als freie Autorin für den Rundfunk und verschiedene Printmedien. Sie schrieb zahlreiche Bücher. Ihre Themen: Leben mit Kindern, Frauenpolitik und -bewegung, Medien, die Rebellion von 1968. Bekannt wurde sie als Fernsehkritikerin der »Zeit«. Sie wurde mit dem Elisabeth-Selbert-Preis und dem Jean-Améry-Preis für Essayistik ausgezeichnet.

2. Dieses Buch: seine Absicht, sein Leitmotiv, sein Aufbau


Dieser ›Gegen-Leitfaden‹ will Ihr Leben mit einem Neugeborenen entregeln helfen – damit es ein Leben wird anstelle einer Abfolge von Pflichten. Das Kind soll für Sie kein Prüfstein sein, mit dem Sie etwas richtig oder falsch machen können, sondern es soll für Sie ein Gast sein, der – sagen wir es ruhig ein bisschen märchenartig – aus einem anderen Land kommt und Ihnen davon, auf seine Art, erzählt. Hören Sie zu und zeigen Sie ihm – Sie werden bald merken, es will auch von Ihnen viel erfahren –, wie es bei Ihnen zugeht. Die meisten Leute lernen zu viel, wenn sie sich auf das Leben mit einem Kind vorbereiten, und strengen sich zu sehr an dabei. Reden wir nicht vom Lernen, wenn wir den Umgang mit einem Neugeborenen meinen – denn es geht uns um das Loskommen von Mühe und Last. Denken wir an einen Vorgang, der anstrengungslos und passivisch ist, eher das Gegenteil vom Lernen: das Vergessen. Wo immer das Leben mit einem Neugeborenen beginnt, sollten die Prozeduren vergessen werden, die dieses Leben in charakteristischer Weise einzuschnüren drohen, sollten die Pläne vergessen werden, durch die wir gewohnt sind, den Ablauf unserer Tage und Nächte zu strukturieren, sollten die Normen und Gebote vergessen werden, durch deren Befolgung wir uns zur Domestizierung des neuen, noch ungebärdigen Lebens anschicken.

Sicher wird uns ein solches Vergessen nicht leicht. Und so landen wir bei dem paradoxen Ergebnis, dass wir das Vergessen zu lernen hätten. Die Prozedur, die diese Lerntätigkeit ausmacht, scheint einfach: Sie ist negativ und besteht im Weglassen.

Leider ist diese Kunst in unserer megalomanischen Kultur, in der allenthalben das Vorurteil herrscht, dass mehr = besser ist, am allerschwersten auszuüben.

Wir müssen eben doch lernen.

Das beste ist, Sie lernen mit Ihrem Kind gemeinsam das, was für Sie zu lernen ist. Leihen Sie dem Kind Ihr Ohr. Denken Sie nicht, Sie seien so viel schlauer, nur weil Sie ein paar Jährchen länger auf dieser Erde herumgekrebst sind. Jeder von uns hat eben auch viel Falsches gelernt. Nutzen Sie die große Chance, die Ihnen das Baby bietet: in vielen Dingen noch einmal neu zu beginnen. Je weniger Sie schon vorweg das Leben mit dem Baby einrichten, je weniger Sie im Detail planen, desto besser. Pläne sind – entgegen allen Ratschlägen und Gewohnheiten – kein guter Modus der Gegenwartsbewältigung im Leben mit einem Neugeborenen, ja auch im Leben der Erwachsenen wirken sie häufiger als sanfter Terror, denn als Hilfe im Alltagsleben. Dass Kurzzeitpläne erfüllt werden müssen, gehört zu den tagtäglichen Nötigungen, die an uns selbst heranzutragen wir allzu gut gelernt haben. Jetzt mache ich dies, dann das, und schließlich folgt jenes – wie jeden Dienstag. Springen Sie aus der Woche und der Kette Ihrer Verpflichtungen, Sie werden staunen, wie wenig Ihnen fehlt. Das Problem ist, dass wir alle dazu neigen, am Dienstagabend zufrieden zu sein, nicht weil wir dies, das und jenes getan, sondern weil wir unsere Pläne erfüllt haben.

Erwachsene mit einem Neugeborenen werden ein ums andre Mal erleben, dass es ihre Pläne durchkreuzt. Obwohl das, was unplanmäßig dann geschieht, schöner sein könnte als das Geplante, sind die Erwachsenen unzufrieden, denn die Erfüllung eines Planes begeistert sie. Auch dann, wenn das, was sie dafür tun müssen, unangenehm ist. Dem Götzen Plan (Stundenplan, Terminplan, Fahrplan, Dienstplan) opfern wir tage- und nächtelang, ohne es überhaupt zu merken. Wir opfern ihm aber nichts weniger als unsere Fähigkeit, das Hier und Jetzt anders wahrzunehmen als in Gestalt eines abzuhakenden Punktes auf der Tagesordnung. Mit anderen Worten: Wir opfern ihm das Hier und Jetzt. Darin aber lebt ein Baby ganz und gar. (Moral: Verzichten Sie unbedingt auf die Aufstellung eines Tagesplans für den Alltag mit dem Kind.)

Ein Leitfaden kann Ihnen hierfür schwerlich im Einzelnen etwas raten. Es wäre sinnlos, Sie aufzufordern: Seien Sie spontan, entwickeln Sie Phantasie! Da bleibt nur das Negative: Ich kann Ihnen hin und wieder sagen, was Sie alles nicht machen sollen, was Sie vergessen und was Sie weglassen können. Und mit Ihnen zusammen hoffen, dass das, was in dem frei gewordenen Raum sich herstellt, ein Stück Kontakt und Kennenlernen zwischen Ihnen und dem Baby, den beiden Reisenden aus den füreinander unbekannten Ländern, sein wird.

Aber jetzt doch rasch zum Positiven, damit Sie keine Angst kriegen, ich wollte den Umgang mit dem Säugling ganz und gar Ihrer Intuition überlassen. Sie finden in diesem ›Gegen-Leitfaden‹ die meisten jener Informationen, die Ihnen auch andere Leitfäden bieten, also z.B. welche Arten von Wickeltechniken es gibt, wieviel Gramm Milch ein Säugling in den ersten Wochen trinkt und was beim Baby eine gesunde Verdauung ist. Aber diese Art von Information ist mir nicht das Wichtigste. Der ›Gegen-Leitfaden‹ hat eine Art Leitmotiv, das die meisten Kapitel und Abschnitte strukturiert, ich erwähnte dieses Leitmotiv schon im ersten Teil der Einführung: Es geht um das Wiederentdecken und Wiederermöglichen der Körperbeziehung zwischen Erwachsenen und Neugeborenem. Meine Kritik an herkömmlichen Ratgebern, die Ideen, Anregungen und Vorschläge, die ich Ihnen unterbreite, zentrieren sich um die für diese Beziehung nötigen und wichtigen Tätigkeiten, Einstellungen, Gegenstände und Gefühlsbereitschaften. Ich glaube, dass, wenn die Herstellung der Körperbeziehung geglückt ist, alle weiteren Probleme an Schärfe verlieren und sich leichter lösen lassen. Die Existenz des Leitmotivs beschränkt nun die Gültigkeit des ›Gegen-Leitfadens‹ im Wesentlichen auf das erste halbe Lebensjahr des Säuglings, wobei wiederum den ersten drei Lebensmonaten besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. In dieser Zeit entscheidet es sich, ob Kind und Erwachsene mit ihren Leibern und Sinnen zusammenfinden – alle weiteren Aspekte des Zusammenlebens sind dann von dieser Basis aus erklärbar, überschaubar, gestaltbar.

Im zweiten Lebenshalbjahr des Kindes ändert sich das Verhältnis Erwachsene–Baby in diesem wesentlichen Punkt: die Körperbeziehung lockert sich. Das Kind greift nach Gegenständen, es lernt zu kriechen und bewegt sich aus eigenem Antrieb von den Erwachsenen weg. Meist spielt auch in diesem Alter das Stillen, also die Ernährung durch den Körper der Frau, wenn überhaupt noch eine, so eine untergeordnete Rolle. Jetzt müssen die Erwachsenen bereit sein, das Baby gehen zu lassen, ihre Körper müssen es hergeben, loslassen. Obwohl auch ein älterer Säugling (und selbst das Kleinkind) immer noch häufig auf den Arm oder auf den Schoß will, obwohl die Erwachsenen es auch jetzt noch gern hochnehmen, tragen und an sich drücken, ist doch bei beiden, Erwachsenen und Kind, der Impuls zur Körperverschränkung schwächer geworden. Die Umarmung wird zärtlicher, bewusster, spielerischer, ich würde sagen: sie verliert ihren vorwiegend sexuellen Charakter.

Das zweite halbe Jahr brauchte also ein anderes Leitmotiv: weg vom Körper, hin zu den Dingen und der Welt, aber dann, zwischendurch, doch immer wieder zurück zum Erwachsenenkörper. Eine bewegtere Melodie, mit ganz anderem Rhythmus, anderer Tonart. Sie würde aber die eine oder andere Dissonanz einschließen, wenn nicht das Leitmotiv der ersten Monate noch gut in Erinnerung, d.h. wenn es nicht gut ›gelernt‹ und gelebt worden wäre. Die besondere Bedeutung, die die Körperbeziehung Neugeborenes–Erwachsene in den ersten sechs Monaten für alle folgenden Monate und Entwicklungsabschnitte hat, rechtfertigt, meine ich, die Konzeption eines Leitfadens nur für diese Zeit. Sie finden dennoch im vorliegenden Buch vieles, was für die gesamte Säuglingszeit gültig ist.

Bei aller Konzentration auf das Leitmotiv ist, hoffe ich, der ›Gegen-Leitfaden‹ realistisch. Er berücksichtigt die Lebensumstände der meisten Erwachsenen, die heute Kinder kriegen, und unterscheidet zwischen dem Ideal einer engen Körperverschränkung und dem Machbaren, Zweitbesten, mit dem viele von uns sich trotz besserer Absichten und Einsichten begnügen müssen. Wo es sich anbot, habe ich indessen darauf hingewiesen, dass das Sich-Begnügen nicht immer der richtige Weg ist, dass der Zwang der Verhältnisse manchmal auch den Umstand quittiert, dass wir es nicht wagen, die Verhältnisse zu zwingen.

 

Zum Aufbau des ›Gegen-Leitfadens‹: Ich beginne mit einem kleinen Kapitel zur Erziehung der Erzieher. Die verbreitete Überzeugung von Erwachsenen (von Leitfadenschreibern und -lesern), sie sollten und könnten Entwicklung und Zukunft eines Kindes nach eigenem Gutdünken ausgestalten, wird darin kritisch angesehen.

Es folgt ein Kapitel über das Schreien, jenes Phänomen, das die meisten Leute in unserer Zeit assoziieren, wenn sie an einen Säugling denken. Ein Kind, das ist eine Störung, weil es lärmt, ein Baby ist erst recht eine, weil es schreit. Es lärmt mit einer menschlichen Stimme, es wagt, sich zu beklagen, auszudrücken, dass die Welt, auf die es kam, ihm nicht geheuer ist. Und die Welt hält sich die Ohren zu.

Kein Wunder, dass ein so empfangener Säugling Grund zum Schreien hat. Welche Gründe es nun im Einzelnen noch gibt und was Sie tun können, um die Kette von Geschrei der Kinder und Abwehr der Erwachsenen zu durchbrechen, das lesen Sie im zweiten Kapitel.

Das dritte Kapitel behandelt das Stillen, eine der tröstlichsten Antworten, die die Erwachsenen dem...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2017
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Aktualität • Baby • Gegenmodell • Körperbeziehung • Neugeborene • Pflege • Ratgeber • Säugling
ISBN-10 3-10-490772-2 / 3104907722
ISBN-13 978-3-10-490772-7 / 9783104907727
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman | Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels 2023

von Caroline Wahl

eBook Download (2023)
DuMont Buchverlag
10,99
Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt - Mit einem …

von Herbert Renz-Polster

eBook Download (2012)
Kösel (Verlag)
15,99