Schutzengel unter Strom (eBook)

Trambahnfahrer in München: Kein Job für schwache Nerven

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 16. Auflage
203 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7450-2391-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schutzengel unter Strom -  Thomas Bosch
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Den ganzen lieben Tag lang gemütlich auf Schienen durch die Stadt gleiten, nur einen Hebel vor und zurück bewegen und zwischendurch ein bisschen die Fahrgäste ärgern - wer sich den Beruf des Straßenbahnfahrers so vorstellt, der liegt komplett falsch. Zeitdruck, steigende Fahrgastzahlen, ständige Kostenreduzierungen und insbesondere eine sich wandelnde Gesellschaft hin zu immer mehr Egoismus und Rechthaberei haben die frühere Trambahner-Romantik längst verfliegen lassen. Dieses Buch, provokant geschrieben, gibt detaillierte Einblicke in den Beruf des Münchner Straßenbahnfahrers, räumt auf mit Irrtümern und Vorurteilen, erklärt Hintergründe zum Betriebsablauf und hält vor allem in zahlreichen Anekdoten der Gesellschaft einen Spiegel vor. Eine moderne Gebrauchsanweisung für die Tram in der bayerischen Landeshauptstadt - für Fahrgäste, Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer.

Thomas Bosch, Jahrgang 1971 und gebürtiger Münchner, hat schon als Kind Geschichten geschrieben. Sein Vater musste ihm regelmäßig für 50 Pfennig kleine selbst gemachte Bücher abkaufen, die aus einem zusammengefalteten DIN-A4-Blatt mit handgemaltem Titelbild bestanden. Meistens handelte es sich um Western-'Romane' oder - sic! - um romantische Liebesgeschichten.

Thomas Bosch, Jahrgang 1971, ist gebürtiger Münchner und seiner Heimatstadt immer treu geblieben. Er arbeitete zunächst als Journalist und in der privaten Sicherheitsbranche, bevor er im Alter von 41 Jahren endlich sein Hobby zum Beruf machte. Seit 2013 steuert er in seiner Heimatstadt Straßenbahnen durch die bayerische Landeshauptstadt. Geschichten geschrieben hat Thomas Bosch schon immer gerne: Als er ein Kind war, musste ihm sein Vater regelmäßig auf einem DIN-A4-Blatt selbstverfasste Krimis und Western-Romane für 50 Pfennig abkaufen. Weitere Infos und Online-Shop auf thomas-bosch.de

Bitte einsteigen: Willkommen bei der Tram


Mit nachdenklicher Miene blickte mich mein Gegenüber an. Zumindest glaubte ich, dass er das tat, denn im Halbdunkel konnte ich sein Gesicht fast nicht erkennen. Irgendwas muss doch jetzt kommen, dachte ich, doch mein Gesprächspartner sagte kein Wort. Genau genommen hatte er bisher noch überhaupt nichts gesagt. Sogar die Begrüßung war mit einem knappen Kopfnicken erledigt gewesen.

So saßen wir uns nun schon eine ganze Weile gegenüber an diesem klapprigen alten Holztisch, der wahrscheinlich schon während des dreißigjährigen Krieges bessere Tage gesehen hatte. Exakt in der Mitte zwischen uns, so als hätte jemand es mit dem Lineal ausgemessen, erhellte eine fast niedergebrannte Kerze als einzige Lichtquelle den fensterlosen Raum. Es roch ein bisschen modrig. Im Schein der Kerze sah ich die Staubflocken tanzen.

Gott, ich hätte alles für ein Glas Wasser gegeben.

Das Rascheln von Papier unterbrach die beklemmende Stille, als mein Gegenüber endlich meine Unterlagen zur Hand nahm und sie langsam, ganz langsam, begann durchzublättern. Was er gelesen hatte, schien ihn nicht wirklich zufrieden zu stellen, denn er ließ meine Dokumente achtlos zurück auf den Tisch fallen. Dann beugte er sich vor, so dass ich im Kerzenschein zum ersten Mal sein Gesicht deutlich erkennen konnte. Es war das Gesicht eines Mannes, der schon vieles gesehen hatte und den wohl nichts mehr erschüttern konnte.

„Erst Redakteur, dann fast zwanzig Jahre Mitarbeiter im Sicherheitsdienst“, gab seine rauchige Stimme meine Vita wieder. „Und da glaubst Du wirklich, dieser Herausforderung gewachsen zu sein?“

Ich setzte eine selbstbewusste Miene auf, straffte meinen Oberkörper und berichtete von meinem hohen Interesse an der Thematik seit meiner Kindheit sowie von meiner angesichts der damals bereits verstrichenen 41 Jahre umfassenden Lebenserfahrung. Ja, ich verkaufte mich gut. Fand ich.

Mein Gegenüber lehnte sich wie in Zeitlupe zurück. Obwohl sein Gesicht damit im Halbdunkel verschwand, glaubte ich ein abfälliges Grinsen auf seinen Lippen zu erkennen.

Der alte Mann griff an seinen Gürtel und zog ein kleines Messer hervor, das er links von sich auf den Tisch legte. Die etwa zehn Zentimeter lange Klinge glänzte im Schein der Kerze. Dann holte er aus seiner Brusttasche ein zusammengefaltetes Blatt, schob die Kerze ein Stück zur Seite und breitete das Papier zwischen uns aus.

„Deine Hand“, forderte er, und mit einem leicht flauen Gefühl im Magen hielt ich ihm die Rechte hin. Mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, packte er meinen Arm, drehte die Handfläche nach oben und ritzte mir mit dem Messer den Daumen an. Als ein dicker roter Blutstropfen hervorquoll, presste er meinen Finger auf das Blatt Papier, unten rechts. Dann ließ er meinen Arm los, den ich schnell zurückzog. Aua. Was war das denn jetzt??

Während ich noch fassungslos meinen schmerzenden Daumen betrachtete, faltete der Mann das Papier wieder zusammen und steckte es mit einem süffisanten Lächeln zurück in die Brusttasche seiner dunkelblauen Uniformjacke. Dann beugte er sich erneut zu mir vor.

„Du hast keinen blassen Schimmer, worauf Du Dich hier eingelassen hast“, sagte er. Mit der rechten Hand klopfte er zweimal auf seine Brusttasche, in welcher der mit Blut unterzeichnete Vertrag steckte. „Aber jetzt gehörst Du uns.“

Hatte ich wirklich keinen blassen Schimmer? Nein, das konnte nicht sein. Der Typ wollte mich nur verunsichern. Tatsächlich war ich am Ziel meiner Träume angekommen. Ich war jetzt ein Fahrer bei der Münchner Trambahn oder würde es zumindest in Kürze sein. Das bedeutete Respekt und Ansehen bei der Bevölkerung, Dankbarkeit für eine solide Dienstleistung – und nicht zuletzt Tag für Tag strahlende Kinderaugen, wenn ich mit meinem prachtvollen Zug geschmeidig in die Haltestellen einfahren würde. Yep, ich hatte allen Grund, auf mich stolz zu sein.

Entweder hatte ich laut gedacht oder mein verklärter Gesichtsausdruck hatte meinem Gegenüber auch so mehr als deutlich zu verstehen gegeben, was gerade in meinem Gehirn vor sich ging. Das Lächeln verschwand von seinen Lippen. Er beugte sich noch ein Stückchen weiter vor. Mir schien plötzlich, als sei es kühler im Raum geworden.

„Junge“, wiederholte er, „Du hast tatsächlich keine Ahnung.“ Er hob seine rechte Hand, klappte den Zeigefinger aus und deutete durch ein imaginäres Fenster hinaus auf die bayerische Landeshauptstadt.

„Da draußen“, flüsterte er, „da draußen … herrscht Krieg.“

*

Okay, zugegeben, genau so ist mein Vorstellungsgespräch bei der Trambahn natürlich nicht gelaufen – damals, irgendwann im Sommer des Jahres 2012. Eine große Portion Wahrheit steckt aber durchaus in der kleinen Geschichte. Klar, Verträge werden heutzutage nicht mehr mit Blut unterzeichnet. Selbst ein traditionsreicher Arbeitgeber wie die Landeshauptstadt München verzichtet mittlerweile auf dieses Ritual. Und man bekommt sogar etwas zu trinken angeboten.

Tatsache ist aber, dass wirklich die Wenigsten wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich dafür entscheiden, Fahrer bei der Münchner Straßenbahn zu werden. Ich rede hier nicht von den Rahmenbedingungen, die eine Tätigkeit im Fahrdienst zwangsläufig mit sich bringt.

Schichtdienst zum Beispiel. Die Tram fährt 365 Tage im Jahr und seit Einführung eines Nachtliniennetzes im September 1994 (damals starteten die „N“-Linien mit drei Tram- und sieben Bus-Strecken) auch rund um die Uhr. Das bedeutet, die Züge müssen früh am Morgen, am Tag, spät am Abend und auch in der Nacht gefahren werden, was nahezu täglich wechselnde Arbeitszeiten mit sich bringt. Der Schichtdienst, den sich viele leichter vorstellen als er tatsächlich ist, ist bis heute ein häufiger Grund dafür, dass neue Straßenbahnführer den Beruf nach relativ kurzer Zeit wieder an den Nagel hängen. Es ist halt irgendwie dann doch nicht so schön, ständig auf dem Bock zu sitzen, während die Freunde feiern gehen oder die Frau mit den Kindern allein zu Hause sitzt.

Nein, ich meine mehr die ganz normale Alltagsbelastung, der man als Trambahnfahrer ausgesetzt ist. Und zwar nicht durch die Tätigkeit an sich – schließlich hat jeder Beruf seine schönen und seine schwierigen Seiten. Sondern ich spreche von der Belastung durch jene Faktoren, die bedingt sind durch den steten Wandel unserer Gesellschaft hin zu immer mehr Egoismus, Rechthaberei und mangelnder Empathie. Ganze Bücher wurden schon hierüber geschrieben, aber diese zu lesen ist für einen halbwegs intelligenten Menschen gar nicht nötig. Es genügt vielmehr schon, einen regelmäßigen Blick in die Tageszeitung zu werfen. Oder einfach mal sich ein bisschen bewusster umzusehen, wenn man unterwegs ist.

Da streiten sich Menschen über Dinge, die wir früher nur belächeln konnten oder die nicht mal einer näheren Betrachtung wert waren. Da wird in breiter Öffentlichkeit und in blumigen Worten be- und geklagt, kritisiert, geschimpft und attackiert. Jeder will immer recht haben und nie nachgeben. Jeder sieht sich selbst in der besseren Position. Und wenn man nicht bekommt, was man will, dann nimmt man es sich eben einfach. Oder schreibt gleich mal seiner Rechtsschutzversicherung.

Die erschreckendste Entwicklung ist aber, dass der gegenseitige Respekt voreinander mehr und mehr verloren geht. Höflichkeit wie ein ehrlich gemeintes „Bitte“ und „Danke“ wird sowieso völlig überbewertet. Im Gegenteil, mit einer Beleidigung ist man heutzutage unglaublich schnell bei der Hand. Bestimmt haben Sie im Frühjahr 2017 die vieldiskutierten Artikel gelesen, in denen sich die Polizei über rapide zunehmende verbale und tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte beklagt. Rettungskräften wie Sanitätern, die ja wirklich nur zum Helfen kommen, ergeht es nicht besser. Wenn schon die Achtung vor der Polizei fehlt, dann kann man sich denken, was sich erst Menschen in vom Statusdenken her deutlich niedriger angesiedelten Berufen gefallen lassen müssen. Die Straßenbahnfahrer zum Beispiel: Ein gepflegtes „Arschloch“ gehört bei uns mittlerweile schon zum Alltag.

Bestimmt kennen Sie diese schicken Infomonitore in U-Bahn, Bus und Straßenbahn, die seit circa 2012 nicht nur die folgenden Haltestellen samt Umsteigemöglichkeiten darstellen, sondern auf denen seit 2014 auch Werbung, Rätsel, Nachrichten und kleine Clips dem Passagier die Fahrzeit verkürzen. Die MVG selbst zeigt dort nett gestaltete Filmchen, mit denen Fahrgäste für Gefahren sensibilisiert und – Achtung! – auf gegenseitige Rücksichtnahme hingewiesen werden. Ist es denn nicht traurig, dass so etwas wirklich nötig ist? Dass es einen Film braucht, der daran erinnert, für Schwangere und Gebrechliche den Sitzplatz frei zu machen? Oder seinen Müll nach der Fahrt mitzunehmen anstatt ihn einfach auf dem Fußboden zu entsorgen?

Im Straßenverkehr setzt sich dieses Bild tagtäglich fort. Gegenseitige Rücksicht? Nur wenn’s grad bequem ist. Ansonsten parkt man eben mal in zweiter Reihe, auch wenn’s auf den Tramgleisen ist und auch wenn aus dem „bin gleich wieder da“ locker mal fünf bis zehn Minuten werden können. Und wenn nicht in zweiter Reihe, dann eben mitten auf dem Radlweg oder auf dem Bürgersteig. Am besten auch noch genau an der Haltestelle. Das kommt häufig vor – kein Wunder, schließlich ist da ja immer Platz. Manchmal wundere ich mich echt, dass bisher noch keiner auf die Idee gekommen ist, sein Gefährt witterungsgeschützt im Wartehäusel unter zu stellen. Wobei, bei Fahrrädern sieht man das gelegentlich schon.

Vom Fahrstil mancher Kraft- und Fahrradfahrer will ich gar nicht erst anfangen. Allein darüber könnte man ein ganzes Buch...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2017
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft
Schlagworte Anekdoten • Beruf • Berufsbild • Fahrer • München • Straßenbahn • Straßenbahnfahrer • Tram • Trambahn
ISBN-10 3-7450-2391-9 / 3745023919
ISBN-13 978-3-7450-2391-6 / 9783745023916
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