Verwandtschaft ist ein Knochenjob (eBook)

Was Fossilien über unsere Herkunft verraten

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40038-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verwandtschaft ist ein Knochenjob -  Kai Jäger
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Eine faszinierende Reise zum Stammbaum des Lebens - Fossilien und ihre Geheimnisse Wussten Sie, dass Dinosaurier gar nicht ausgestorben sind? Wieso entwickelten unsere Vorfahren eigentlich Haare? Und wie realistisch ist Jurassic Park? Steckt Paläo in der Paläo-Diät? Der Paläontologe Kai Jäger führt uns in diesem Buch an entlegene Grabungsstellen, erklärt die Arbeitsweisen seiner Zunft (einen echten Knochen erkennt ein Paläontologe, indem er an ihm leckt!), entlarvt Mythen (noch nie wurde ein Fossil allein mit einem Riesenpinsel ausgegraben) und erläutert auf anschauliche und unterhaltsame Weise, was unsere versteinerten Verwandten über die Evolution des Menschen verraten. Oder anders: wie viel von ihnen noch heute in uns steckt.

Kai Jäger, Jahrgang1987, hat mit seinem Vortrag über Fossilien die deutschen Science-Slam-Meisterschaften 2014 gewonnen. Er promoviert momentan im Fachbereich Paläontologie an der Universität Bonn über das Kauverhalten früher Säugetiere.

Kai Jäger, Jahrgang1987, hat mit seinem Vortrag über Fossilien die deutschen Science-Slam-Meisterschaften 2014 gewonnen. Er promoviert momentan im Fachbereich Paläontologie an der Universität Bonn über das Kauverhalten früher Säugetiere.

Nass bis auf die Knochen


Es regnet. Und wie es regnet. Ich liege in einem Steinbruch lang gestreckt auf nacktem, schlammigem Fels und versuche, mit meinem Körper eine Reihe fossiler Fußabdrücke, aber vor allem die in sie gepresste Abformmasse, vor den heranrauschenden Wassermassen zu schützen. Warum ich das mache?

Weil ich Paläontologe bin. Zugegeben, das ist erklärungsbedürftig.

Bereits die Nacht zuvor hatte es so sehr geschüttet, dass der Campingplatz knapp zehn Zentimeter hoch unter Wasser stand. Nur ein Zentimeter mehr und das Wasser wäre durch den Eingang in mein Zelt gelaufen. So aber hatte es sich damit begnügt, in Form von Feuchtigkeit langsam durch den Zeltboden zu dringen … Es gibt doch nichts Schöneres, als in einem klammen Schlafsack aufzuwachen! Dabei hatte der Tag nach den nächtlichen Überflutungen noch gut angefangen. Im Gegensatz zu vielen Urlaubern auf unserem niederländischen Campingplatz waren die meisten Teilnehmer unseres Grabungsteams recht gut ausgerüstet. Wir platschten einer nach dem anderen leicht verschlafen in unser Gemeinschaftszelt und versammelten uns am Frühstückstisch. Die Verpflegung stammte aus dem nächstgelegenen Supermarkt, und da wir uns in den Niederlanden befanden, durfte Vla natürlich nicht fehlen. Für den heutigen Tag sei abwechselnd Sonne und Regen angekündigt, erklärte der Grabungsleiter. Wenn es zu schlammig würde, wären wir gezwungen, Pausen zu machen; allerdings werde die Zeit langsam knapp und die Funde der letzten Tage müssten noch vollständig geborgen werden. Außerdem müsse die Reptilienfährte im Gestein, die wir die letzten anderthalb Wochen systematisch freigelegt hatten, noch abgegossen werden, um später Kopien herstellen zu können.

Wir packten unsere Rucksäcke, warfen das Grabungsequipment in die VW-Busse und machten uns auf den Weg zum nahe gelegenen Kalksteinbruch in Winterswijk. Einige besonders Hartgesottene unter uns fuhren die Strecke vom Campingplatz jeden Morgen mit dem Rad, ich hingegen nutzte wie immer die Gelegenheit, auf der Rückbank noch etwas zu dösen. Als wir den Steinbruch erreichten, war es bereits angenehm warm, was mich an die letzten Tage denken ließ. Die Luft in der Grube hatte sich manchmal auf fast 40 °C aufgeheizt, und wir arbeiteten die meiste Zeit mit feuchten Tüchern unter dem (leider vorgeschriebenen) Helm.

Die Ausrüstung wurde wie immer auf Schubkarren verteilt, und wir gelangten über einen Feldweg zur Rampe, die in Serpentinen ins Innere des Steinbruchs hinabführte. An diesem Tag hatte ich Glück, da die Schubkarren bereits von anderen Teammitgliedern geschoben wurden.

Nein, das Glück bestand nicht etwa darin, mir etwas Arbeit erspart zu haben, sondern in der kleinen, aber angenehmen Tatsache, nicht bei lebendigem Leib gefressen zu werden. Beim Weg in und aus dem Steinbruch wurde unsere Gruppe nämlich regelmäßig von schwarzen Wolken aus Bremsen angefallen. Natürlich beschleunigten dann alle, wild um sich fuchtelnd, ihren Schritt. Die Bremsen folgten ihren Opfern jedoch meist nicht weit in den heißen Steinbruch hinein, sondern kehrten um, sobald man die Rampe erreicht hatte. Auf ihrem Rückweg versammelten sich dann die Schwärme bei den langsamsten Tieren unserer Herde (denjenigen, die ächzend die Schubkarren vor sich herschoben). Wenn man sich in dieser ungünstigen Position wiederfand, hatte man die Wahl: Entweder setzte man die Schubkarre ab, um jeden Landeversuch mit gezielten Schlägen zu unterbinden – allerdings kam man dann noch langsamer voran –, oder man blieb auf Kurs, packte die Schubkarre fester, biss die Zähne zusammen und hoffte darauf, die Rampe zu erreichen, bevor der Blutverlust sich bemerkbar machen würde.

Im Steinbruch angekommen bauten wir unser Grillzelt (also: Sonnenschutz, Regendach, Schattenspender) auf der mittleren Sohle auf. Hier befand sich die fossilreichste Schicht. An dieser Stelle sollte ich vielleicht erklären, wie der Steinbruch aufgebaut war: Man stelle sich ein rechteckiges Loch im Boden vor. Es ist rund 30 Meter tief und im Durchmesser mehrere hundert Meter breit. Die grauen Wände fallen senkrecht ab. Alle paar Meter beginnt eine neue Sohle, sozusagen eine Kante, die wie ein Stockwerk fungiert, und von der aus die darüberliegende Wand abgebaut werden kann. Die einzelnen Sohlen sind durch schräge Rampen verbunden, sodass die tiefer liegenden Ebenen zugänglich für Lastwagen sind. Auf einer dieser Sohlen hatten wir die letzten Tage eine Schicht mit Fossilien abgebaut, und mehrere Stücke warteten nun darauf, vollständig aus dem Gestein geborgen zu werden.

Unterdessen machte sich unser Präparator daran, auf der Rampe, die zur untersten Sohle führte, die zweite Überdachung aufzubauen, um die dort freigelegte Fährte mit Silikon abzugießen. Das Zelt über der Fährte war wichtig, da Regen angekündigt war: Nasses Silikon härtet nicht aus.

An dieser Stelle möchte ich kurz für einige Feststellungen unterbrechen: Die Gesteinsschichten unseres Steinbruchs entstanden im Erdzeitalter der Trias vor rund 240 Millionen Jahren. So weit ist das für den Paläontologen noch nichts Ungewöhnliches. Auch dass versteinerte Knochen gefunden wurden, war nicht der einzige Grund dafür, warum wir eine größere Grabung durchführten. In Winterswijk war eine andere Sache hochinteressant: Neben fossilen Knochen konnten auch Fußabdrücke an derselben Fundstelle gefunden werden – ein seltener Glücksfall. An den meisten paläontologischen Fundstellen kommen entweder Spuren oder Knochen vor, beides zusammen ist höchst selten (und lässt jedes Paläontologenherz höher schlagen). Noch ungewöhnlicher wurde die Tatsache dadurch, dass die Spuren von Landlebewesen stammten (man kann sie sich vom Aussehen ungefähr wie Eidechsen vorstellen), die Knochen in den darüberliegenden Schichten aber verschiedenen Meeresreptilien zuzuordnen waren. Dieses Phänomen lässt sich unter anderem durch Meeresspiegelschwankungen erklären. Über einem flachen Wattbereich, der durch Gezeiten immer wieder trockenfiel, hatten einige Reptilien der Trias auf der Suche nach angeschwemmter Nahrung ihre Fußabdrücke hinterlassen. Einige tausend Jahre später (geologisch gesehen eine wirklich kurze Zeit!) war der Meeresspiegel etwas gestiegen und das ehemalige Watt nun vollständig von Wasser bedeckt. Die sich darüber ablagernden Schichten enthielten jetzt keine Fußabdrücke mehr, doch dafür die Knochen von Meeresreptilien. Sofern Sie an diesem Punkt mit Begriffen wie «Schichten» noch nichts anfangen können, keine Sorge, wir werden uns im Laufe der nächsten Kapitel gemeinsam das nötige Hintergrundwissen für eine erfolgreiche Fossilienjagd aneignen.

Kehren wir jetzt zurück zur Arbeit im Steinbruch. Die Hitze der letzten Tage war endlich vorüber, es war bewölkt und kühl genug, um die Arbeit mit Hammer und Meißel erträglich werden zu lassen. Glücklicherweise ließ auch der angekündigte Regen auf sich warten. Letzteres änderte sich jedoch nach der Mittagspause.

Ein Sommerregen, ähnlich stark wie der, der die Nacht zuvor unseren Campingplatz unter Wasser gesetzt hatte, ergoss sich über der Grabungsstätte. Das Gestein war binnen kürzester Zeit von grauem Kalkschlamm bedeckt, der ein vernünftiges Arbeiten unmöglich machte. Beinahe das gesamte Grabungsteam quetschte sich samt Rucksäcken und wichtiger Ausrüstung unter das Grillzelt auf der mittleren Sohle. Lediglich unser Präparator harrte am Fuß der nächsten Rampe unter seinem Zelt aus, wo er noch immer damit beschäftigt war, die freigelegten Fährten mit Silikon abzugießen. Während um uns herum die Welt unterging, konnten wir ihn als kleine Gestalt weiter unter uns beobachten. Mit der Zeit fiel mir auf, dass er unter seinem Unterstand relativ aktiv war und ständig hantierte. Nach etwa einer Viertelstunde stand ich auf, nahm meinen Rucksack und ließ den Grabungsleiter wissen, dass ich mal zum anderen Zelt laufen würde, um zu sehen, ob ich mich nicht nützlich machen könne. Nach wenigen Metern war ich bereits nass bis auf die Knochen und bereute meinen Entschluss. Doch als ich etwa die Hälfte der Strecke zügig zurückgelegt hatte, begann ich wirklich zu rennen. Denn nun konnte ich erkennen, warum unser Präparator die ganze Zeit im Zelt hin und her lief. Neben mir bewegte sich das ganze Wasser, das oben im Steinbruch niedergegangen war und nun einen Weg zum Abfließen suchte. Die Fährte, die wir die Tage zuvor freigelegt hatten, befand sich auf dem untersten Abschnitt dieser Rampe. Wir hatten eine Rinne gegraben, die etwa zwei Meter lang, 50 Zentimeter breit und rund zehn Zentimeter tiefer war als das sie umgebende Gestein. Sie war jetzt mit Silikon ausgefüllt, um die Fußabdrücke, die sich darin befanden, abzugießen. Doch während das Silikon durch das zweite Grillzelt von oben vor Regen geschützt war, flossen gerade große Mengen an Wasser die Rampe herab, nur um auf die von uns gegrabene Rinne zu treffen, die wir um jeden Preis trocken halten mussten, da wir weder das Silikon noch die Zeit für einen zweiten Abguss hatten. Das alles verstand ich erst, als ich das Zelt erreichte und sah, wie unser Präparator notdürftig einen Damm aus Grabungsutensilien, seinem Rucksack und allem, was sonst noch so vorhanden war, um den Abgussbereich errichtete. Ich warf sofort meinen Rucksack auf den provisorischen Damm, und gemeinsam begannen wir, mit den Spitzhacken eine zweite Abflussrinne zu hacken. Ein Teil des Wassers konnte so zwar umgeleitet werden, aber immer noch drohte das Silikon nass zu werden. Nun blieb nur noch eins: Wir legten uns jeder auf eine Seite der ausgegrabenen Fährte und bildeten mit unseren Körpern und den beiden...

Erscheint lt. Verlag 24.3.2017
Zusatzinfo Zahlr. s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Dinosaurier • Evolution • Jurassic Park • Paläontologie • Säugetiere • Steinzeit
ISBN-10 3-644-40038-5 / 3644400385
ISBN-13 978-3-644-40038-2 / 9783644400382
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