Gesundheit ist kein Zufall (eBook)
416 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-19819-0 (ISBN)
Was ist Gesundheit? Neue Erkenntnisse zeigen: Gesundheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Und dieser beginnt weit vor unserer Geburt. Sogar Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern sind molekularbiologisch in unseren Genen gespeichert. Anschaulich und spannend präsentiert Wissenschaftsautor Peter Spork, wie die Weitergabe von Gesundheit und Persönlichkeit funktioniert, und zeigt, wie wir unseren Kindern und Enkeln den Weg in ein langes, gesundes und glückliches Leben bereiten können.
Peter Spork, geboren 1965, hat Biologie studiert und wurde im Bereich Neurobiologie/Biokybernetik promoviert. Seit 1991 ist er freiberuflicher Wissenschaftsjournalist (unter anderem für Die Zeit, Geo Wissen, FAZ, NZZ, Süddeutsche Zeitung, bild der wissenschaft) und viel eingeladener Redner bei Firmenkongressen und ärztlichen Fachtagungen. Er hat mehrere populärwissenschaftliche Sachbücher veröffentlicht, darunter der Bestseller »Der zweite Code« (2009), und ist außerdem Autor und Herausgeber des Newsletter Epigenetik.
Kapitel 1
Vergesst die Gene!
Vergesst die Umwelt!
Schritt für Schritt
Wann immer ich kann, gehe ich morgens eine Runde laufen. Mindestens 45 Minuten, manchmal auch eineinhalb Stunden bin ich an der frischen Luft, genieße den monotonen Rhythmus der Bewegung, den leeren Kopf, glitzernde Schneeflocken, kühlende Regentropfen oder wärmende Sonnenstrahlen. Meist gelingt das viermal in der Woche. Wer für einen Marathon trainiert, wird darüber herablassend lächeln. Wer Bewegung scheut, wird mich vielleicht sogar bewundern. Doch das alles ist relativ. Und es spielt keine Rolle. Jeder Mensch macht so viel Sport, wie er will. Jeder Mensch ist anders. Und das ist gut so.
Ich empfinde das Laufen jedenfalls als positiv. Die Stimmung steigt, die innere Rhythmik stabilisiert sich, ich kann mich später am Schreibtisch gut konzentrieren, werde abends früher müde, schlafe tiefer, wache tags darauf erholter auf. Rückenschmerzen sind mir weitgehend unbekannt, ich bekomme seltener Infekte, fühle mich insgesamt fitter, bleibe halbwegs schlank. Doch macht mich das Laufen auch gesünder? Bremst es das Altern? Verhindert es, dass ich später einen Herzinfarkt bekomme, Cholesterinsenker, Psychopharmaka oder Betablocker nehmen muss, zum Diabetiker werde und auch nicht stark übergewichtig, krebskrank oder dement?
Es gibt eine Menge epidemiologischer Daten, Längsschnittstudien und Bücher, die nahelegen, dass regelmäßige Bewegung ein Stück weit vor Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen, vor Alzheimer-Demenz und sogar vor vielen psychischen Leiden und manchen Arten von Krebs schützt, dass sie die mittlere Lebenserwartung der Menschen steigen lässt, dass Joggen zu guter Letzt also gesund ist. 2 Vor allem deshalb machen es ja so viele.
Das alleine würde mich allerdings kaum motivieren, schon deshalb, weil ich auf derart verallgemeinernde Aussagen eher skeptisch reagiere und die systematischen Schwächen vieler dieser groß angelegten, auf den Lebensstil von Menschen rein statistisch zurückblickenden Studien kenne.
Da ist also noch mehr, was mich antreibt. Und ich vermute, es ist schlichtweg das gute Gefühl, das sich beim Laufen einstellt! Dieses gute Gefühl war jedoch nicht immer da. Es ist hart erarbeitet. Es ist die Folge mühsamen Trainings und vieler quälender Läufe. Als ich nur selten joggte, waren eigentlich alle Läufe eine Tortur. Doch dieses Gefühl verschwand immer mehr, je regelmäßiger ich mich aufraffen konnte, die Laufschuhe anzuziehen. Irgendetwas passierte mit mir. Heute fühle ich mich mies, wenn ich nicht laufe.
Diese Erfahrung haben schon Millionen Menschen vor mir gemacht. Sie alle haben gespürt, wie sich ihr Körper und ihr Gehirn mit dem Training verändern. 3 Sportphysiologen und Biopsychologen können die Verwandlung sogar messen, etwa durch die Analyse von Pulsfrequenzen, Muskelumfängen, Regenerations- und Koordinationsleistungen, Reaktionszeiten, Stimmungswerten – oder schlicht über die für Leistungssportler so wichtigen Laktatwerte, also über das Tempo, in dem Milchsäure von der Muskulatur erzeugt und vom Körper wieder abgebaut wird.
Doch erst seit ein paar Jahren weiß man, was beim Training im tiefsten Innern von Körper und Geist genau vor sich geht: in den zahllosen, rund zehn Mikrometer kleinen Kernen der beteiligten Muskelzellen, im Fettgewebe, in anderen am Stoffwechsel mitwirkenden Organen und im Gehirn. Hier befindet sich die molekulare Basis der umfassenden Veränderungen, die das sportliche Training in unserem Körper und unserer Psyche auslöst. Hier finden sich wohl auch die Auslöser dafür, dass ich ein gutes Gefühl beim Laufen habe, und vielleicht sogar die Ursache, warum manche Menschen sportsüchtig werden.
Eine kuriose, aber nicht unbedeutende Nebenrolle bei der Entschlüsselung solcher Prozesse spielen ein paar eigenartige Trainingsfahrräder, die vor drei, vier Jahren im Auftrag des ehrwürdigen Karolinska-Instituts der Universität Stockholm aufgestellt und manipuliert worden waren. Dreiundzwanzig untrainierte junge Probanden durften – ganz im Dienst der Wissenschaft in einer »EpiTrain« (Epigenetics in Training) getauften Studie – auf diesen Ergometern drei Monate lang ihre Beinmuskulatur stärken. Das Besondere: Die Geräte hatten nur eine Kurbel und ein Pedal. Die angehenden Sportler, die immerhin viermal pro Woche eine Dreiviertelstunde auf den Ergometern schwitzten, radelten einbeinig. Welches Bein sie trainierten, war zuvor ausgelost worden. Das andere blieb ungeübt. 4
Während der drei Monate entnahmen die Forscher Gewebeproben und analysierten sogenannte epigenetische Strukturen in und am Erbgut der Muskelzellen. Mit diesen Strukturen beschäftigt sich die Wissenschaft der Epigenetik, was so viel wie Neben-, Über- oder Zusatzgenetik bedeutet. Epigenetische Strukturen – meist simple biochemische Anhängsel, etwa Acetyl-, Phosphor- oder Methylgruppen – beeinflussen, welche ihrer Gene eine Zelle benutzen kann und welche nicht. Sie wirken ähnlich wie Schalter oder Dimmer an einer Steckdosenleiste. Ist die Leiste abgeschaltet oder heruntergedimmt, haben die An- und Ausschalter an den angeschlossenen Geräten wenig oder gar keinen Einfluss mehr. Genauso bestimmen die epigenetischen Strukturen darüber, ob und wie gut die Zelle ein Gen überhaupt noch an- oder abschalten kann.*1
Die Gene befinden sich im Zellkern auf dem berühmten Erbgutmolekül DNA (Desoxyribonukleinsäure). Unsere Gene werden nicht nur von den Zellen an ihre Tochterzellen weitergegeben und von Eltern an ihre Kinder vererbt. Vielmehr bestimmen sie im Alltag einer jeden lebendigen Zelle maßgeblich, wie diese Zelle aussieht und welche Aufgaben sie erfüllt. Angestoßen durch bestimmte Proteine namens Transkriptionsfaktoren liest die Zelle einen bestimmten Satz an Genen ab. Sie erfüllt ein individuelles Programm. Dabei dient der Text der Gene als Bauanleitung für all die vielen Proteine, die die Zelle gerade benötigt. Das können Hormone, Enzyme, Baustoffe, die bereits genannten Transkriptionsfaktoren sein und vieles mehr.
Als eine zusätzliche Kontrollinstanz kommen die epigenetischen Strukturen ins Spiel. Ist ein bestimmter Abschnitt der DNA epigenetisch auf nicht aktivierbar gestellt oder auf schwer aktivierbar heruntergedimmt, sind die Transkriptionsfaktoren an dieser Stelle wirkungslos oder gebremst. Die Zelle kann die entsprechenden Gene nicht oder nur schlecht benutzen.
Die Schalter-Proteine können nämlich nur an solchen Stellen an die DNA binden, die epigenetisch auf das Andocken vorbereitet sind. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Ablese-Enzyme, die angelockt von geeigneten Transkriptionsfaktoren den genetischen Code transkribieren, also auf ein Botenmolekül übertragen, das dann außerhalb des Zellkerns für den bauplangerechten Zusammenbau neuer Proteine sorgt. Auch diese Ablese-Enzyme benötigen ein geeignetes epigenetisches Umfeld, um einzelne Gene oder auch ganze Gruppen benachbarter, funktionell zusammenhängender Gene zu erfassen. Während Transkriptionsfaktoren und Ablese-Enzyme also die Aktivität der Gene bestimmen, entscheidet das epigenetische Programm darüber, welche Gene überhaupt aktivierbar sind.
Die Gesamtheit der epigenetischen Strukturen einer Zelle wird Epigenom genannt. Und dieses Epigenom legt fest, welche ihrer rund 23 000 Gene eine jede menschliche Zelle wie gut benutzen kann und welche nicht. Ändert sich ein Epigenom, wandelt sich die Identität der entsprechenden Zelle. Sie wechselt sozusagen in ein anderes Programm, erhält eine andere Gebrauchsanweisung. Und weil sie dieses Programm meist noch beibehält, wenn das Training oder was auch immer die epigenetische Veränderung bewirkt hat, längst beendet ist, bildet das Epigenom eine Art zelluläres Gedächtnis für Umwelteinflüsse.
Doch zurück zu den Einbein-Radlern und den epigenetischen Strukturen in ihrer Muskulatur: Das dreimonatige Training blieb natürlich nicht ohne Effekt. Die Muskulatur veränderte sich rein äußerlich, und auch der Zellstoffwechsel stellte sich um. So weit war das zwar noch kein neues Resultat. Doch dieses Mal erfassten die Wissenschaftler – die Expertin für molekulare Sportphysiologie Maléne Lindholm und Kollegen – zusätzlich das epigenetische Gedächtnis der Muskelzellen.
Und tatsächlich waren die epigenetischen Schalter und Dimmer in den Zellkernen auch wirklich verantwortlich für den Trainingseffekt. Sie lagerten sich in den neuerdings so intensiv benutzten Muskeln um. Auf diesem Weg entstanden neue Genaktivierbarkeitsmuster, das heißt, der Satz an Genen, der den Zellen zur Verfügung stand, hatte sich gewandelt. Aus den einst schlappen, untrainierten Faserchen wurden – wenn man so will – vor Kraft und Energie strotzende, effizient arbeitende Bündel, wie man sie von umfassend trainierten Athleten kennt.
Was die Studie aber besonders elegant und aussagekräftig macht, ist der Einsatz der einkurbeligen Ergometer. Sie sorgen für eine statistisch saubere und wenig fehleranfällige Art der Ergebniskontrolle. All die spannenden molekularbiologischen Effekte zeigten sich nämlich nur in den trainierten Beinen der Probanden. Die Epigenome der untrainierten Beine, obgleich selbstverständlich genetisch identisch und allen Umwelteinflüssen außer dem Training in gleichem Maße ausgesetzt, blieben praktisch unverändert.
Im Detail entdeckten die Forscher an knapp 5000 Stellen des Erbguts Unterschiede zwischen dem trainierten und dem...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2017 |
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Zusatzinfo | mit Abbildungen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Biologie • Corona • Covid-19 • eBooks • Evolution • Gesundheit • Krankheiten • Lebensstil • Medizin • Prävention • Psychologie • Vererbung • Volkskrankheiten |
ISBN-10 | 3-641-19819-4 / 3641198194 |
ISBN-13 | 978-3-641-19819-0 / 9783641198190 |
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