Kaltland (eBook)

Unter Syrern und Deutschen

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44277-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kaltland -  Jasna Zajcek
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Jasna Zajcek will wissen, welche Menschen aus Syrien nach Deutschland kommen, wie der Krieg sie geprägt hat, worauf sie hoffen, was sie antreibt. Sie unterrichtet als Deutsch-Lehrerin in Sachsen Flüchtlinge, recherchiert in Berlin und im Westen unter Pegida-Anhängern, 'Gutmenschen' und Sozialarbeitern. Rechtspopulismus, Not der Zuwanderung oder Integration sind die Fragen, denen Zajceks Reportage auf den Grund geht. Mit harter Radiernadel zeichnet sie das Bild eines kalten Landes. Kaltland, denn das Geschäft mit den Flüchtlingen ist wichtiger als ein menschliches Willkommen. Kaltland, denn Angst und Ressentiments greifen auch unter liberalen Städtern um sich. Kaltland, denn viele Flüchtlinge sind schlecht ausgebildet, verbinden hohe Erwartungen mit geringer Lernbereitschaft, finden die Demokratie dubios und den CSD widerlich. Kaltland ist das Deutschland der Gegenwart. Diese Sozial-Reportage ist ein Blick in den Spiegel und ein nüchterner Fingerzeig für die Politik, wenn sie 'das' wirklich schaffen will und Integration gelingen soll.

Jasna Zajcek,1973 geboren, hat Islamwissenschaften studiert und viele Jahre in Damaskus gelebt. Sie ist Journalistin und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Zajcek arbeitet für Arte und 3sat und schreibt für Taz, Spiegel online, FAS, Le Monde Diplomatique und die Welt. 2005 erhielt sie den CNN Journalist Award für eine Undercover-Recherche in einem Ausbildungslager der US-Armee. Jasna Zajcek lebt in Berlin.

Jasna Zajcek, 1973 geboren, hat Islamwissenschaften studiert und viele Jahre in Damaskus gelebt. Sie ist Journalistin und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Zajcek arbeitet für Arte und 3sat und schreibt für Taz, Spiegel online, FAS, Le Monde Diplomatique und die Welt. 2005 erhielt sie den CNN Journalist Award für eine Undercover-Recherche in einem Ausbildungslager der US-Armee. Jasna Zajcek lebt in Berlin.

Das Open-Air-Flüchtlingslager mitten in Berlin


Bei einem Picknick mit Yahyas Familie erreicht mich dann Anfang September die Nachricht, dass Dutzende von Asylsuchenden, nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernt, verdursten. Sie müssen in sengender Hitze am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) anstehen. Angeblich verlieren sie ihren Warteschlangenplatz, wenn sie sich Wasser vom einzigen Hydranten auf dem weitläufigen Gelände holen. Und das bedeutet eine Verlängerung ihrer Wartezeit für einen Termin zur Erstregistrierung um weitere Wochen. »Bringt Wasser in Bechern, Obst, Snacks, die Menschen hier verdursten mitten in Berlin!«, lautet die Schlagzeile auf Facebook.

Yahya und ich brechen sogleich auf. Wir fahren Richtung Moabit und kaufen so viel Wasser, wie wir tragen können. Vor dem ehemaligen Krankenhausgelände angekommen, reißen uns schmutzige, verwildert wirkende Kinder die kleinen Flaschen aus der Plastikverpackung. Eine Passantin warnt, das seien Roma-Kids, wir sollen aufpassen, auch auf unsere Brieftaschen und Handys, die Kleinen greifen einfach nach allem. Die »wahren« Hilfsbedürftigen seien im Hof.

Im parkartigen Innenhof des Amtes befindet sich die einzige Registrierungsstelle für Asylsuchende in Berlin. Die Warteschlange, der imposante Stau, offenbart bereits den Kollaps des Verwaltungssystems. Auf grünem Rasen, unter Platanen, in Büschen, sitzen Tausende Menschen mit ihrem wenigen Hab und Gut, manche auch nur mit den Kleidern am Leib. Unter ihnen viele erschöpfte Frauen und Kinder. Ein einziges DRK-Sonnenzelt befindet sich im Hof, unter ihm hocken acht Männer mit Salafistenbärten. Sie tragen traditionelle arabische Gewänder und beten permanent. Alle anderen halten Abstand von ihnen, selbst Schwangere legen sich lieber in der prallen Sonne auf den Boden, statt diese Männer um ein Plätzchen im Schatten zu bitten.

Das sind Szenen, wie sie mir aus dem Libanon bekannt sind – hier, in der deutschen Hauptstadt, wirken sie sehr befremdlich. Ein Open-Air-Flüchtlingslager mitten in Berlin! Die Verfolgten und das Elend dieser Welt sind nur ein paar Kilometer vom Bundestag entfernt und nur einige Kilometer von der Friedrichstraße, der bei saudi-arabischen Frauen beliebten Shoppingmeile.

Dutzende Berliner und die Johanniter Unfallhilfe kümmern sich an diesem heißen Spätsommertag um die Versorgung, schleppen Wasser, Müsliriegel, Obst und Kinderspielzeug an. Privatleute rollen mit Einkaufswagen voller Softdrinks und Wassereis auf das Gelände, um den Kindern eine Freude zu machen. Es ist ein einziges Kommen und Gehen: Nicht nur das Nötigste wird gebracht, neben Windeln und Wasser auch ein paar Paletten Puste-Fix-Seifenblasendosen, Luftballons und Straßenmalkreiden.

Die Solidarität der Berlinerinnen und Berliner überwältigt mich, und ich erinnere mich an eine ähnliche Situation in Damaskus, im Sommer 2006, als die Israelische Armee einen Monat lang schiitische Gebiete im Libanon bombardierte. Innerhalb weniger Tage nahm Syrien rund eine Million Menschen aus dem Nachbarland auf, die vor den Bomben geflüchtet waren. Auch ohne Facebook (es war damals in Syrien noch gesperrt) organisierten die Damaszener sofort überall riesige Suppenküchen und behelfsmäßige Unterkünfte. Aber das war im Nahen Osten, dort, wo kaum etwas richtig funktioniert und Leben in permanenter zivilgesellschaftlicher Improvisation normal ist. Großfamilien, die länderübergreifend leben und zusammenhalten, dazu die starken Bande der religiösen Sekten, übernehmen auch in Friedenszeiten essenzielle Teile des täglichen Lebens, die in Deutschland staatlich organisiert sind.

Und nun, solch ein Szenario, so ein improvisiertes Lager, hier, mitten in Berlin? Oder sind diese Szenen etwa ein Grund zur Freude? Ist das der Beginn einer schönen zivilgesellschaftlichen, über die sozialen Netzwerke organisierten Willkommenskultur, noch vor der Erfindung dieses klangvollen, vielversprechenden Wortes?

Fast 2000 Männer, Frauen und Kinder hatten allein am Vortag das LaGeSo erreicht. Und es sollte erst mal täglich bei dieser Zahl bleiben. Oft hatten die Geflüchteten die Adresse der Registrierungsstelle in den GPS-Routenplanern für die Flucht nach Deutschland einprogrammiert. Angela Merkel hatte die Grenzen geöffnet und die in Ungarn Festsitzenden nach Deutschland eingeladen. In ein Land, das manch einem Syrer aus ländlicher Gegend wie eine Science-Fiction-Vision aus der fernen Zukunft erscheint.

Deutschland war für Syrer schon immer ein Vorbild guter Staatsführung. Vom Hörensagen wissen viele, dass Deutschland ein sehr reiches, sauberes und gerecht regiertes Land ist, ein Land, in dem alles funktioniert und niemand hungern muss.

Die Deutschen sind als die Nation von »Mercedes-Schumacher-Hitler-Ballack« bekannt; Schlagworte, die mir fast jeder Syrer und auch Libanese im Nahen Osten entgegenrief, als sie erfuhren, dass ich Deutsche bin. Die Deutschen gelten in diesen Ländern als diszipliniert, fähig, gebildet, reich und werden bewundert, nicht zuletzt, weil wir den Holocaust gegen die verhassten Juden zu verantworten haben. Und nun sind viele Menschen aus dem Krieg oder auf der Flucht vor Armut und Unterdrückung in Deutschland angekommen und wissen nicht weiter. Weil dieses disziplinierte, fähige und bewunderte Land, das Autos hervorbringt, die vierzig Jahre lang auch ohne fachgerechte Wartung im Wüstensand fahren können, nicht nach ihren Vorstellungen funktioniert. Aufgrund des schieren Andrangs nicht funktionieren kann.

Am Ende ihrer oft langen, meist lebensgefährlichen und teuren Reisen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, dem Iran, Somalia, Albanien und vielen weiteren Ländern müssen Geflohene nun, ohne Informationen und Anweisungen, warten. Tag um Tag warten. Sie waren auf alles Schöne vorbereitet, das ihr Sehnsuchtsziel versprach, sie hofften auf schnelle Bearbeitung ihrer Anträge und natürlich auch auf die von den Schleppern versprochenen Leistungen des deutschen Staates. Doch hier, am LaGeSo, zeigt sich der hochgelobte Staat einfach nur überfordert und planlos.

Viele Mitarbeiter des LaGeSo sind, auch wegen Überlastung, krankgeschrieben, andere schieben Zwölf-Stunden-Schichten. Die wenigsten sprechen Arabisch. Als Yahya und ich unsere Wasserfläschchen am Gatter direkt vor dem Zugang zu den Büros verteilen wollen, werden wir sofort von Männern aller Herren Länder bestürmt und können nicht anders, als ihnen zuzuhören. Sie haben keinen Durst, sie haben Fragen.

Was mit all diesen Papieren und Anweisungen zu tun sei, wollen sie wissen. Die Antragsteller, die ihre Registrierung in Deutschland erhielten, kommen mit unzähligen Zetteln in bestem Behördendeutsch aus den Büros. Es herrscht riesiger Erklärungsbedarf. Wie geht es weiter? Warum erhalten sie kein Bargeld? Und warum können sie nicht sofort eine eigene Wohnung beziehen, die Schlepper hätten ihnen da was anderes erzählt. Warum sollen sie für einen Schlafplatz noch am selben Abend nach Bayern, Mecklenburg oder Thüringen reisen? Sie wollen ohnehin in Berlin bleiben, wozu dann erst mal den Umweg über ein Dorf? Es sei doch warm, sie könnten hier im Park schlafen. Wir werden auch gefragt, was sie ihren Familien in der Türkei sagen sollen bezüglich eines Jobs oder Studienplatzes und einer Wohnung. Das hier sei doch Deutschland, hier funktioniere doch alles, wir hätten eingeladen, und nun so etwas!

Yahya und ich schauen uns viele Papiere an: Da die Berliner Notunterkünfte schon belegt sind, werden die Neuankömmlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen, meist Turnhallen und Jugendherbergen irgendwo im Land, verteilt. Die Asylsuchenden zeigen uns Fahrscheine für die öffentlichen Berliner Transportmittel, dazu Bahnfahrkarten bis in entlegene Gegenden, teilweise Dörfer bei Chemnitz oder Passau, dazu Reservierungs- und Zuweisungsschreiben für ihre Schlafplätze in den dortigen Turnhallen oder Jugendherbergen, die sie noch am gleichen Tag erreichen sollen. Einige haben auch Gutscheine für Übernachtungen in Berliner Hostels dabei. Die lokalen Hostelbetreiber lehnen die Gutscheine jedoch schon längst ab, da die Stadt über viertausend offene Rechnungen für ebendieses Unterbringungskonzept nicht bezahlt hat.

Junge syrische Medizinstudenten mit Designerbrille sind ebenso anzutreffen wie kurdische und bulgarische, mazedonische und albanische Großfamilien auf der Suche nach ein wenig sozialer Unterstützung. Und sei es nur für eine sichere Niederkunft in einem sauberen Krankenhaus, wie mir ein Mazedonier erklärt. Dass die Familie zurückmuss, ist ihm bewusst, aber als er im Fernsehen gesehen hat, wie »alle« nach Deutschland strömten, da wollte er es wenigstens, wenn auch nur für ein paar Monate, versucht haben. Seine beiden Jobs in der Heimat reichen nur für die Miete und einen Sack Mehl im Monat, er hat Angst, das neue Kind nicht versorgen zu können.

Wir sprechen mit einem korpulenten Familienvater, der zwei Ehefrauen und sieben Kinder in der Türkei und in Syrien zurückgelassen hat. Er will sofort wissen, wann und wie er beide nachholen kann. Erst soll die eine Frau mit den drei Kindern aus der Türkei kommen, dann die andere mit den vier Kindern aus Syrien. Wir sollen ihm helfen. Er hätte jahrelang in der Türkei gelebt und dort vor einem Imam die zweite Frau, ebenfalls eine Syrerin auf der Flucht, geheiratet. Papiere, die das belegten, Ausweisdokumente für sich und den mitreisenden ältesten Sohn, Belege über Qualifikationen und was man sonst noch braucht, um sich auszuweisen, hat er nicht dabei, aber noch genügend Zigaretten. Sagt er, bietet mir eine an und lacht. Die Schlepper hätten ihn angewiesen, alles wegzuschmeißen, um einer Registrierung in Griechenland unter dem echten Namen zu entgehen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die fast alle Geflüchteten, mit denen wir an diesem Tag sprechen,...

Erscheint lt. Verlag 27.2.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Afghanen • Angst • Arbeitskräfte • Asylbewerber • Ausländerhass • Bautzen • Bürgerkrieg • DAF • Deutsch als Fremdsprache • Flucht • Flüchtlinge • Hass • Integration • Pegida • Politisches Asyl • Populismus • Rechtsextremismus • Rechtspolulismus • Sachsen • Syrer • Zukunft
ISBN-10 3-426-44277-9 / 3426442779
ISBN-13 978-3-426-44277-7 / 9783426442777
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