Angst für Deutschland (eBook)

Spiegel-Bestseller
Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44354-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Angst für Deutschland -  Melanie Amann
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Die Spiegel-Redakteurin Melanie Amann kennt die AfD (Alternative für Deutschland) wie keine andere Beobachterin. Seit die rechtspopulistische Partei mit ihrer EU-Skepsis das öffentliche Interesse erregt hat, stehen Frauke Petry, Alexander Gauland oder Beatrix von Storch für eine kaum verstandene Bewegung, die Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit oder Homophobie allmählich hoffähig macht. Melanie Amann legt darum die erste umfassende Darstellung dieser jüngsten deutschen Volkspartei vor, ordnet sie historisch ein in die Liste deutscher Rechtsparteien und die europäischen Parteien am rechten Rand. Das Debatten-Buch erklärt, wie der Populismus der AfD so schnell so erfolgreich werden konnte, welche Stimmungen und Strömungen in der deutschen Gesellschaft sie tragen, und warum alle Abwehrstrategien der etablierten Parteien gescheitert sind. Melanie Amann leistet mehr als nur die Darstellung von Geschichte und Gegenwart der AfD. Sie eröffnet einen Blick hinter die Kulissen der Partei und analysiert, welche Politiker in der AfD wirklich das Sagen haben und was von der Partei in den nächsten Jahren zu erwarten ist.

Dr. Melanie Amann, promovierte Juristin und Absolventin der Deutschen Journalistenschule, hat für die FAZ und die FAS gearbeitet und ist seit 2013 Redakteurin im Hauptstadtbüro des Spiegel. Für ihn beobachtet sie die AfD. Sie pflegt Kontakte zu abtrünnigen und aktiven Mitgliedern der Parteiführung und kann auf einen großen Fundus interner E-Mails des AfD-Bundesvorstandes zurückgreifen.

Dr. Melanie Amann, promovierte Juristin und Absolventin der Deutschen Journalistenschule, hat für die FAZ und die FAS gearbeitet und ist seit 2013 Redakteurin im Hauptstadtbüro des Spiegel. Für ihn beobachtet sie die AfD. Sie pflegt Kontakte zu abtrünnigen und aktiven Mitgliedern der Parteiführung und kann auf einen großen Fundus interner E-Mails des AfD-Bundesvorstandes zurückgreifen.

Teil I
Die Vorboten. Die AfD und die Angst


1 Sarrazins Keller


Die Quelle


Das Rohmaterial der AfD lagert in einem Keller in Berlin, genauer in Charlottenburg-Wilmersdorf. Die einzigen Möbel in diesem Raum sind weiße Ikea-Regale, Marke »Kavaljer«. Hier hat Thilo Sarrazin sein Wirken archiviert: Notizbücher, Vermerke, Terminkalender, Präsentationen aus seinen Stationen als Referatsleiter im Bundesfinanzministerium, als Staatssekretär in Rheinland-Pfalz und als Vorstand bei der Deutschen Bahn. Hier stehen Sarrazins Kalkulationen für den Hartz-IV-Speiseplan, den der Sozialdemokrat als Berliner Finanzsenator vorlegte: der Beweis, dass in Deutschland vier Euro pro Tag zum Überleben reichen. Hier steht das Recherchematerial für Sarrazins Bücher: »Deutschland schafft sich ab«, »Europa braucht den Euro nicht«, »Der neue Tugendterror« und »Wunschdenken«. Die Unterlagen für jedes Buch füllen mindestens zwei Regalbretter, ein Brett fasst sieben Leitz-Ordner. Für jeden Ordner legte Sarrazin am Computer ein Inhaltsverzeichnis an.

Hier stehen auch sechs Ordner, die Sarrazins Sekretärinnen noch während seiner Zeit bei der Bundesbank anlegten. Sie enthalten die Reaktionen auf ein Interview, das er im September 2009 der Zeitschrift Lettre International gegeben hatte. »Bürgerecho« ist auf den Rücken der Ordner zu lesen. »Es war ein unfasslicher Ansturm«, sagt Sarrazin. Mindestens 5000 Briefe müssten es sein, schätzt er. »Ich habe es nicht geschafft, die Post systematisch auszuwerten.«

Es war damals eine chaotische, gefährliche Zeit für ihn. Die Bundesbank wollte Sarrazin feuern, sogar der Bundespräsident stellte sich gegen ihn, weil er Sätze wie diese gesagt hatte: »Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin.«

Politiker und Journalisten schrien empört auf. Aber aus unzähligen Zuschriften wusste Sarrazin die Bürger auf seiner Seite:

»Sehr geehrter Herr Sarrazin, in Ihren Erläuterungen bezüglich Migranten, denen Fähigkeiten, Intelligenz, Willen fehlt, Deutsch zu lernen, Schulen zu besuchen, Schuljahre durchzuhalten, bin ich völlig Ihrer Meinung, wie zahlreiche meiner Bekannten und deutsche Bürger.«

»Für Ihre ungeschminkten Äußerungen über die Türken möchte ich Ihnen meine uneingeschränkte Anerkennung aussprechen.«

»Natürlich haben Sie recht mit der geäußerten Meinung über verschiedene menschliche Gruppen. Ich bin sehr dankbar dafür, auch für die brillante Formulierung.«

»Sie sollen wissen, wir Urberliner sind völlig Ihrer Meinung. Schlimm, dass man in Deutschland nicht mehr die Wahrheit sagen darf!!«

»Wann endlich werfen wir diejenigen raus, die weder deutsch sprechen noch wollen und nur die Hände aufhalten???«

Als Sarrazin elf Monate später, am 30. August 2010, sein Buch »Deutschland schafft sich ab« veröffentlichte, kamen weitere Briefe. Tausende, Zehntausende, zwanzig Ordner voll. Viele Absender schrieben ihre Botschaften mit Kugelschreiber auf Umweltpapier oder karierte Zettel, herausgerissen aus Blöcken. Aber es kamen auch Briefe in gefütterten Kuverts, geschrieben mit Füllfederhalter auf steife Bogen mit Wappen und Wasserzeichen. Es meldeten sich Vertreter aller politischen Lager, von ganz links bis ganz rechts, auch aus den USA, Korea und Russland. Und immer kam Lob, fast nie Kritik, nur hier eine empörte SPD-Abgeordnete aus Bayern und da ein Gewerkschaftssekretär aus Norddeutschland.

Von Anfang an waren Sarrazins Fans politisch. Sie wollten nicht bloß Feedback geben oder Fragen stellen, ihre Botschaften hatten etwas Forderndes. Es musste etwas geschehen! Da brodelte etwas in den Leuten, das spürte auch Sarrazin, wenn er seine Fans auf der Straße traf. Sie hupten ihm im Vorbeifahren aus dem Auto zu, winkten und reckten den Daumen hoch. Im Café oder im Zug näherten sich Fremde mit respektvoller Miene, baten um Autogramme und ein Foto. Sein Buch hätten sie nicht gelesen, sagten die meisten verlegen, aber man höre ja viel Gutes. Was er sage, sei einfach richtig, und er habe schließlich Beweise für seine Thesen.

»Wenn ich gewollt hätte«, sagt Sarrazin heute, »hätte ich eine Staatskrise auslösen können«, und er klingt dabei nicht unzufrieden. Eine Krise löste er vielleicht nicht aus, aber eine Eruption. Es war, als hätte er mit einer Wünschelrute auf den Erdboden geklopft und plötzlich wäre mit einem Donnerknall Öl in die Luft geschossen. Ein politischer Rohstoff sprudelte aus der Tiefe an die Oberfläche, noch grob und unbearbeitet, ohne Richtung und Ziel. Aber enorm wertvoll für jeden, der eine Methode fand, diesen Stoff politisch zu raffinieren.

Sarrazins Worte waren für viele Deutsche ein Befreiungsschlag. Endlich war da einer, der eine Ahnung bestätigte, die sie seit Jahren umtrieb. Eine Ahnung, die sie nie auszusprechen gewagt hätten und die kein Spitzenpolitiker in dieser Deutlichkeit aussprach: Die Türken sind faul, die Araber kriminell, die Afrikaner dumm und die Muslime werden uns irgendwann verdrängen.

So hatte Sarrazin das natürlich nicht gesagt. Er zitierte nur Statistiken, wonach türkische Kinder schlechtere Schulleistungen erbringen. Sarrazin hatte auch nie geschrieben, dass Afrikaner dümmer und Araber krimineller seien als andere Völker. Er zitierte nur Tabellen, wonach dunkelhäutige Schüler in den USA schlechter abschneiden als weiße oder asiatische Kinder derselben Schicht. Oder solche, wonach in Deutschland überdurchschnittlich viele arabischstämmige Straftäter verurteilt werden und Muslime überdurchschnittlich viele Kinder kriegen.

»Was ich nicht beweisen kann, das schreibe ich auch nicht«, sagt Sarrazin. »Und wo ich keine Antworten habe, gebe ich auch keine.« Nein, er warf keine brennende Fackel in den Heuschober. Er steckte die Fackel sicher in einen Sandhaufen – direkt neben dem Heuschober. Manche Schritte musste der Leser schon selbst tun.

Bald rückten die ersten Löschwagen aus. Die Intelligenzforscherin Elsbeth Stern warnte in der Zeit, Sarrazin habe »Grundsätzliches über Erblichkeit und Intelligenz nicht verstanden«, nämlich: »Die absolute Intelligenz eines Menschen lässt sich gar nicht messen.«[1] Wissenschaftsjournalisten schrieben, dass vietnamesische Schulkinder nicht wegen ihrer asiatischen Gene so gut abschnitten, sondern weil schon ihre Eltern höhere Bildungsabschlüsse gehabt hätten als die türkischen Gastarbeiter und ihre Kinder so besser fördern konnten. Und der »Mediendienst Integration« widerlegte in einem Faktencheck viele Aussagen Sarrazins über Muslime, etwa die, dass 30 Prozent »keinen Schulabschluss« hätten – tatsächlich gelte dies laut Mikrozensus nur für 13,5 Prozent.

Aber es war zu spät, die Deutschen waren bereits entflammt. Karamba Diaby, gebürtiger Senegalese und SPD-Politiker aus Halle, schrieb später in der Zeit: »Ich werde nicht erst seit Pegida bedroht, eigentlich hat für mich alles mit dem Buch von Thilo Sarrazin angefangen. Als das erschien, merkte ich: Jetzt verschiebt sich etwas.«

Natürlich habe er etwas verschoben, sagt Sarrazin, nämlich die viel zu engen Grenzen der Meinungsfreiheit: »Vor mir waren bestimmte Fakten und Zusammenhänge im öffentlichen Diskurs tabu.« Die Leser könnten ja selbstständig denken, für ihre falschen Schlüsse trage er keine Verantwortung.

Die Leser zogen keine falschen, sondern naheliegende Schlüsse. Jetzt musste es nur noch Politiker geben, die bereit waren, Sarrazins Fakten und die entsprechenden Schlussfolgerungen der Bürger in ein Programm zu gießen. Aber die Politiker griffen nur zaghaft zu: Man müsse »den Unmut über die teils gravierenden Missstände ernst nehmen«, sagte der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Die »10 bis 15 Prozent wirklichen Integrationsverweigerer« seien hart zu bestrafen, so Innenminister Thomas de Maizière. Dabei blieb es. Also beschlossen die Bürger, selbst Politiker zu werden.

Die Raffinerie


Viele Leserbriefe an Sarrazin schlossen mit Sätzen wie: »Sie würde ich sofort wählen.« Oder: »Schade, dass Sie keine Partei gründen wollen.« 18 Prozent der Deutschen sagten in einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2010, sie könnten sich vorstellen, eine »Sarrazin-Partei« zu wählen. 24 Prozent der Berliner wünschten sich eine »gegen den Islam gerichtete Partei«.

Doch Sarrazin hatte kein Interesse daran, seinen Rohstoff zu raffinieren. Ihm reichte die Genugtuung, dass sein Buch, das die Kanzlerin für »nicht hilfreich« erklärt hatte, der Bestseller des Jahres 2012 wurde – neben dem Roman »Hummeldumm« von Tommy Jaud. Politisch war Sarrazin voll ausgelastet mit dem Bemühen, sich selbst und der Sozialdemokratie weiszumachen, man gehöre nach vierzig Jahren noch immer zusammen.

Statt Sarrazin handelten andere. Der Erste war René Stadtkewitz, Geschäftsführer einer Firma für Alarmanlagen und Ex-Mitglied der Berliner CDU. Der wortkarge Mann mit Bürstenhaarschnitt und dem tiefen Bass des Kettenrauchers konnte als politische Referenzen eine Bürgerinitiative gegen den Bau einer Moschee und gute Drähte zu dem niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders vorweisen. »Acht Prozent plus X« wollte seine Partei »Die Freiheit« bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 schaffen, kam aber nur auf 1,0 Prozent – eine erstaunliche Diskrepanz zu den Umfragen. Stadtkewitz’ Raffinerie war offensichtlich noch nicht ausgereift.

Währenddessen...

Erscheint lt. Verlag 27.2.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Alternative für Deutschland • Bednarz • CDU • CSU • Demokratie • Euro • Fremdenfeindlichkeit • Gauland • Höcke • Homophobie • Identitäre Bewegung • Islam • Leitkultur • Lucke • Melanie Amann • Meuthen • national • Nationalismus • Nichtwähler • Nichwähler • Partei • petry • Populismus • Rechte Partei • rechts • Rechtsextrem • rechtsextreme politische Partei • Rechtsextremismus • Rechtspopulismus • Rechtspopulismus in Europa • rechtspopulistische Partei • Rechtsradikal • Völkisch
ISBN-10 3-426-44354-6 / 3426443546
ISBN-13 978-3-426-44354-5 / 9783426443545
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