Der Stein der Weisen (eBook)

Die geheime Kunst der Alchemisten
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
272 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-561662-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Stein der Weisen -  Allison Coudert
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Alles über Alchemie - eine Wissenschaft im Zeichen der Magie Sie suchten das Elixier für ewiges Leben und fanden Heilmittel, die uns noch heute helfen; sie wollten Gold in der Retorte erzeugen und erhielten jene feuerfeste Keramik, mit der wir unsere Raumfahrzeuge gegen Hitze schützen; sie forschten nach dem Stein der Weisen und kreierten die Radiologie. Die von uns so gern belächelten Alchemisten jagten Utopien nach, aber sie legten dabei den Grundstein für die modernen Wissenschaften. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Allison Coudert, geboren 1941, beschäftigt sich als Autorin und Professorin mit der Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft.

Allison Coudert, geboren 1941, beschäftigt sich als Autorin und Professorin mit der Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft.

Das Credo der Alchemisten


Nicolas Flamel, ein armer Schreiber, lebte zusammen mit seiner ihm treu ergebenen Frau Perrenelle in Paris. Eines Tages stieß er zufällig auf ein altes Buch; es war schön in Messing gebunden und voller eigentümlicher Zeichnungen. Flamel kaufte das Buch für zwei Gulden und nahm es mit nach Hause. Tagelang saß er über den fremdartigen Bildern. Auf einem davon versuchte ein alter Mann, der mit einem Stundenglas auf dem Kopf und einer Sense in der Hand vom Himmel herabschwebte, die geflügelten Füße des jungen Gottes Merkur abzuhacken. Auf einem anderen blies der Nordwind heftig in einen Busch roter und weißer Blumen, die auf der Spitze eines Berges wuchsen. Unterhalb des Busches saßen Drachen und Greife heiter in ihren Nestern. Das furchterregendste Bild zeigte König Herodes, wie er ein Schwert schwang und den Soldaten um ihn herum befahl, eine Gruppe kleiner Kinder niederzumetzeln, deren Mütter zu Füßen der erbarmungslosen Soldaten lagen und herzzerreißend weinten. (In seinem zweiten Surrealistischen Manifest bezeichnete André Breton diese Szene als das surrealistische Bild schlechthin.) Flamel erfuhr, daß das Buch von »Abraham, dem Juden, Prinzen, Priester, Leviten, Astrologen und Philosophen« geschrieben worden war, um seine Brüder zu lehren, wie man selbst das Gold machen könne, das sie als Tribut an Rom zahlen mußten.

Flamel suchte den berühmtesten Alchemisten von Paris auf und erfuhr von diesem eine Menge über die exotischen Bilder in seinem außergewöhnlichen Buch, aber jenes letzte Geheimnis, das auf rätselhafte Weise in diesen Seiten verborgen war, konnte auch er nicht entschlüsseln. Flamel fiel in einen Zustand tiefer Niedergeschlagenheit. Als seine Frau ihn fragte, was ihn denn so bedrücke, zeigte Flamel ihr das Buch, und zu seiner Freude erwies sich ihre Neugierde als genauso stark wie seine eigene.

Die nun folgenden einundzwanzig Jahre arbeiteten sie beide unermüdlich daran, dem Geheimnis des Steins der Weisen auf die Spur zu kommen. Umsonst. Der Verzweiflung nahe, beschlossen sie, Flamel solle nach Spanien reisen, um einen Juden ausfindig zu machen, der in der Kabbala bewandert war und vielleicht die rätselhaften Figuren erklären könnte. Flamel traf schließlich in Spanien einen jüdischen Arzt namens Meister Canches, der überglücklich war, ein Buch zu sehen, das er schon lange verloren glaubte. Auf der Rückreise nach Frankreich begann Meister Canches, der Flamel begleitete, die Bilder zu erklären. Aber bevor er noch alles offenbaren konnte, wurde der Jude krank und starb.

Die hieroglyphischen Figuren des Nicolas Flamel (ca. 1330–1418).

Als Flamel zu seiner geliebten Perrenelle zurückkehrte, wußte er zwar wesentlich mehr als vor seiner Reise, aber das letzte Geheimnis der Kunst kannte er noch immer nicht. Nach vielen weiteren Jahren harter und mühevoller Laboratoriumsarbeit entdeckten die beiden schließlich die Formel. Am 17. Januar 1382 mittags verwandelte das Ehepaar ein halbes Pfund Quecksilber in reines Silber. Vier Monate später, am 25. April gegen fünf Uhr nachmittags, gelang ihnen angeblich das noch schwierigere Unternehmen, die gleiche Menge Quecksilber in reines Gold zu transmutieren.

Das kinderlose Paar verwendete das Vermögen, das sich in der Folgezeit ansammelte, für wohltätige Zwecke. Die beiden halfen Witwen und Waisen, ließen vierzehn Hospitäler, drei Kapellen und sieben Kirchen bauen und viele Friedhöfe wiederherrichten. Flamel ließ Kopien der rätselhaften Figuren aus seinem Buch auf einen Bogen malen, den er auf dem Friedhof der Unschuldigen Kinder errichtete. Dort legten sie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts beredtes Zeugnis ab für die romantischste alchemistische Erfolgsgeschichte, die es in der Überlieferung gibt.[2]

Nicht alle Alchemisten waren so erfolgreich wie Nicolas Flamel. Giorgio Vasari, der berühmte italienische Maler und Kunstschriftsteller, erzählt die warnende Geschichte des Malers Parmigianino (150340), eines großen und originellen Künstlers, dessen schicksalhafte Leidenschaft für die Alchemie ihn zunächst arm machte und dann ins Grab brachte.

Parmigianino hatte den Auftrag, die Gewölbe und Kuppeln der Steccata, einer berühmten Renaissance-Kirche in Parma, auszumalen, aber er steckte so tief in seinen alchemistischen Experimenten, daß er mehr und mehr den Pinsel zugunsten des Schmelzofens vernachlässigte. Anstatt sich auf der Suche nach schönen Motiven den Kopf zu zerbrechen und die Kirchenwände damit zu schmücken, verschwendete er seine Zeit darauf, mit Kohlefeuer und Glasgefäßen zu spielen, und gab an einem Tag mehr Geld aus, als er in einer Woche verdiente. Die Männer der für die Steccata zuständigen Baugenossenschaft merkten natürlich bald, daß die Arbeit nicht mehr voranging, und forderten per Gerichtsbeschluß die Rückzahlung eines ihm gewährten Vorschusses. In tiefster Nacht floh Parmigianino nach Casal Maggiore. Dort ließ er einige Zeit die Finger von der Alchemie und bemalte eine Holzvertäfelung für die Kirche des heiligen Stephan. Aber schon bald darauf packte ihn seine unglückselige Leidenschaft erneut.

»Am Ende wurde Parmigianino – wie so viele andere, die sich ganz der Alchemie hingaben – geradezu verrückt. Aus einem gepflegten freundlichen Menschen verwandelte er sich in einen beinahe wilden, kaum noch zu erkennenden Mann mit langem Bart und ungekämmtem Haar. Derart heruntergekommen, melancholisch und exzentrisch geworden, fiel er einem starken Fieber und heftigem Ausfluß zum Opfer, die ihm innerhalb von ein paar Tagen das Tor zu einem besseren Leben öffneten. So fand er Erlösung von den Qualen dieser Welt, die er immer nur als einen Ort voll der Sorgen und Not gekannt hatte. Er wurde nackt begraben, wie er es verlangt hatte, mit einem Zypressenkreuz aufrecht auf der Brust.«[3]

Aber immer wieder setzte einer seine ganze Hoffnung auf Glück und Erkenntnis in die Alchemie. Und jeder Geschichte des Scheiterns, wie der Parmigianinos, hielten die Alchemisten Hunderte von Erfolgen entgegen wie beispielsweise den Flamels. Das alte Sprichwort »Wenn Wünsche Pferde wären, würden die Bettler reiten« trifft genau auf diese Adepten zu, die wie besessen auf den Pferden ihrer Phantasie dem Goldtopf am Ende des alchemistischen Regenbogens hinterherritten. Dennoch waren die meisten Alchemisten keine unbesonnenen Narren, die leichtsinnig in unbekannte Regionen vorgestürmt wären. Sie galoppierten den ausgetretenen Pfad der alten Philosophie entlang, und über die Hürden, auf die sie stießen, halfen ihnen die Ratschläge ehrwürdiger Denker hinweg. Die Weisheit aller Zeiten sollte der urmenschlichen Suche nach Gesundheit, Wohlstand und ewigem Leben dienstbar gemacht werden.

Würde ein kleines grünes Männchen vier Tage auf der Erde verbringen und Scotch und Soda, Whisky und Soda, Wermut und Soda und Weinbrand und Soda trinken, könnte es vernünftigerweise schlußfolgern, daß man von Soda betrunken wird. Obwohl im Irrtum, wäre es doch aufgrund einer streng logischen Kombination von Beobachtung und Deduktion zu dem Ergebnis gelangt. Die Alchemisten haben nichts anderes getan. Sie akzeptierten dieselben wissenschaftlichen Theoreme über die Materie wie die meisten intelligenten Leute bis ins 19. Jahrhundert hinein. Ausgehend von den Lehrsätzen des Aristoteles entwickelten sich die grundlegenden Theorien in den folgenden Jahrhunderten immer weiter, wurden differenzierter und umfassender zugleich.

Transmutation ist eine Lebenstatsache. Raupen verwandeln sich in Schmetterlinge, Eis schmilzt und wird zu Wasser, aus kleinen Eicheln entwickeln sich mächtige Bäume. Endlos ist die Reihe der Verwandlungen, die sich in der Natur oder im Laboratorium ereignen. Und schon lange, bevor es Alchemisten gab, fragten sich die Menschen: »Warum?«

Aristoteles gab eine Antwort, die die meisten Bewohner des Abendlands mehr als zweitausend Jahre lang zufriedenstellte. Er glaubte, genau wie Platon, daß alle Einzelformen von einer unbegrenzten, plastikartigen Materie stammen. Wurden diesem Urstoff die vier Qualitäten heiß, kalt, feucht und trocken eingeprägt – wie ein Siegel in flüssiges Wachs –, so entwickelten sich daraus die vier Elemente Erde, Luft, Feuer, Wasser. Alles bestand aus den vier Elementen, aus ihrer Kombination in verschiedensten Proportionen.

Aristoteles’ Festlegung auf vier Elemente war offensichtlich willkürlich – die Chinesen kannten fünf –, aber sie eröffnete einen einfachen Weg der Kategorisierung und Erklärung vieler chemischer und physikalischer Eigenschaften von Körpern. Ein fester Körper war deshalb fest, weil das Element Erde in ihm gegenüber allen anderen Elementen überwog. Flüssigkeiten setzten sich überwiegend aus Wasser zusammen und Gase aus Luft. Das Element Feuer mußte schon in einem Körper enthalten sein, bevor er brannte.

Es war nicht leicht, oft sogar unmöglich, Substanzen in ihre Bestandteile zu zerlegen, aber sahen sie grünes Holz brennen, dann nahmen die Alchemisten an, sie sähen die vier Elemente: Der aufsteigende Rauch war für sie Luft, die feuchten Ausdünstungen waren Wasser, die Asche war Erde und das Feuer selbst natürlich Feuer.

Aristoteles’ Theorie der vier Elemente war bis vor relativ kurzer Zeit ein derart fundamentaler Aspekt des westlich-abendländischen Denkens, daß es schwierig ist, die alten Schriften ohne diese Grundkenntnisse überhaupt zu verstehen.

Substanzen sind in ständiger Veränderung begriffen; sie treten in Erscheinung, wachsen, zerfallen, nehmen ab und verschwinden schließlich. Aristoteles...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2017
Übersetzer Christian Quatmann
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Alchemie • Magie • Sachbuch • Utopie • Wissenschaft
ISBN-10 3-10-561662-4 / 3105616624
ISBN-13 978-3-10-561662-8 / 9783105616628
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