Das trotzige Leben der Mary Bryant (eBook)

Die unglaubliche Geschichte einer Räuberin im 18. Jahrhundert

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
260 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-561634-5 (ISBN)

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Das trotzige Leben der Mary Bryant -  Judith Cook
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Die unglaubliche, bewegende Geschichte von Mary Bryant, die lieber sterben wollte, als unfrei zu leben. Sie war eine Straßenräuberin in schlechten Zeiten, eine Heldin der Armen, die stahl, um zu überleben. Ihr unbändiger Wille siegte über ein grausames Schicksal: 1786 in England zum Galgen verurteilt, zur Verbannung begnadigt, unter unsäglichen Bedingungen nach Australien geschafft, gelang ihr eine spektakuläre Flucht über See und schließlich ein Neuanfang in Freiheit und Würde, der die Menschen ihrer Zeit bewegte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Judith Cook (1933-2004) war Journalistin und Autorin einer Reihe von Büchern zu historisch-literarischen Themen.

Judith Cook (1933–2004) war Journalistin und Autorin einer Reihe von Büchern zu historisch-literarischen Themen.

I Cornwall


1 Bewegte Zeiten


Mary Bryant, Tochter eines Seemanns aus Cornwall, war eine Straßenräuberin, die zum Tode verurteilt und dann zur Deportation nach Australien begnadigt wurde; sie war die Geliebte eines Marineoffiziers auf einem Gefängnisschiff, und sie war die «Steuerfrau» eines Kutters, mit dem einige Sträflinge eine waghalsige Flucht über dreitausend Seemeilen unternahmen. Nachdem sie abermals gefangengenommen und nach England zurückgebracht worden war, setzte sich kein Geringerer als James Boswell für ihre Freilassung ein.

Dennoch ist Mary Bryant bis heute wenig bekannt. Die Holländer betrachten sie als eine Art «Nationalheldin», obwohl ihr Leben nur eine kurze Episode in der niederländischen Kolonialgeschichte darstellt. In Australien, wo sie lediglich vier Jahre lang lebte, hat Mary in jüngster Zeit den ihr gebührenden Platz in der Gründungsgeschichte des Kontinents erhalten. In England dagegen, wo sie geboren wurde, wo sie aufwuchs und wohin sie schließlich zurückkehrte, hat man ihre Existenz kaum zur Kenntnis genommen.

Obwohl das schwarzhaarige, grauäugige Mädchen aus Cornwall keine Schönheit war, muß sie auf viele Männer, die ihr begegneten, höchst faszinierend gewirkt haben, und ihre schillernde Figur geistert durch die Aufzeichnungen jener, die zu den ersten weißen Siedlern in Neusüdwales gehörten.

Mary Bryant muß in der Tat eine außergewöhnliche Frau gewesen sein, und sie hat auch in einer außergewöhnlichen Zeit gelebt. Es gibt eine chinesische Verwünschung, welche lautet: «Mögest du in bewegten Zeiten leben!» Mary erlebte solche bewegte Zeiten, denn sie wurde in eine Epoche hineingeboren, die von wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen geprägt war. Die Revolutionen in Amerika und Frankreich lösten beim englischen «Establishment» Angst und Schrecken aus, bestand doch Gefahr, daß auch die einheimische Bevölkerung mit dem Bazillus des Freiheitskampfes angesteckt werden könnte. Die industrielle Revolution führte dazu, daß die zahllosen ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubten Kleinbauern in die Städte strömten, um Arbeit und Brot zu finden. Für die Menschen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geboren wurden, sollte nichts je wieder so sein, wie es einmal gewesen war.

Mary, deren Kindheit und Jugend in die Jahre des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges mit seinen für England katastrophalen wirtschaftlichen Folgen fiel, war ein Kind – und in mancher Hinsicht ein Opfer – jener bewegten Zeiten. Sie wuchs in einem Land auf, dessen rasch wachsende Unterschicht von der herrschenden Oberschicht mit dem Instrument eines drakonischen, immer brutaler angewendeten Strafrechts in Schach gehalten wurde. Dieser Umstand hat Mary beeinflußt, und hat sie zweifellos auch den Weg einschlagen lassen, der sie – in Ketten – um die halbe Welt führen sollte. Geprägt war sie aber auch von ihrer Heimat, dem «Wilden Westen» Englands.

Dem modernen Touristen, der die lange Bahnfahrt dorthin unternimmt oder mit dem Auto über holperige Landstraßen schaukelt, wird früher oder später klar, daß Cornwall doch recht abgelegen ist. Dem Reisenden des 18. Jahrhunderts mußte es gar wie ein fernes Land vorkommen, eine Welt für sich, durch Flüsse und Moore sogar vom benachbarten Devon abgeschnitten. Äußerlich hat sich das Bild Cornwalls mit seinen grauen, gegen den scharfen Westwind durch drei Fuß dicke Mauern geschützten Häusern nur wenig verändert. Zu Marys Zeiten lebten freilich viel weniger Menschen dort. Im rauheren Norden mit seinen turmhohen schwarzen Klippen über der rauhen See lagen die Weiler und Gehöfte weit verstreut. Anders der von langgezogenen Buchten und waldreichen Flußtälern dominierte Süden: Hier gab und gibt es neben verschlafenen Kleinstädten und Dörfern auch zwei größere Seehäfen: Fowey und Falmouth.

Wenn wir heutzutage die schlechten Straßen in Devon und Cornwall verfluchen, müssen wir uns erst einmal vorstellen, wie strapaziös die Reise dorthin im 18. Jahrhundert gewesen sein muß: Wer sich eine Kutsche leisten konnte, wurde tagelang durchgeschüttelt, wer zu Pferde oder zu Fuß unterwegs war, hatte bald eine wunde Sitzfläche oder Blasen an den Zehen. Als Marys Eltern jung verheiratet waren, gab es nur eine größere Straße und nur eine einzige, weit landeinwärts gelegene Brücke. Reisende aus Exeter und Plymouth mußten entweder einen Umweg machen oder eine der Flußfähren über den Tamar nehmen – aber gerade die Wege zu den Fährstationen galten als besonders gefährlich, denn da lauerten highwaymen und footpads (Straßenräuber zu Pferde beziehungsweise zu Fuß).

Wo immer man sich in Cornwall auch befindet, die See ist immer nah. Damals gab sie viel mehr Menschen Nahrung und Arbeit, sie forderte viel häufiger ihre Opfer, und sie prägte den eigenwilligen Menschenschlag, der dort lebt. Marys Familie, die Broads, gehörte einem Volk an, das einst eine eigene Sprache besaß, das dem Walisischen und Bretonischen nah verwandte Kornisch. Stolz auf seine Unabhängigkeit, von tiefem Mißtrauen gegen alles erfüllt, was von jenseits der Grenze kam, hatte dieses Volk seit dem großen Bauernaufstand mehr als einmal gegen den König und die Regierung rebelliert. Heute noch wird einer dieser Aufstände in der kornischen Hymne And Shall Trelawney Die? besungen. Während des Bürgerkrieges jedoch machten die Leute von Cornwall ihrem Ruf als unberechenbare Individualisten alle Ehre: Die meisten schlugen sich auf die Seite der Royalisten und kämpften weiter für eine verlorene Sache, noch lange nachdem das übrige England sich mit Cromwell abgefunden hatte.

Vor 1750 waren nur wenige Anzeichen eines bevorstehenden Umbruchs erkennbar, und das Leben in Cornwall verlief nicht viel anders als zu jenen Zeiten, als die Fowey Gallants, wie man im Mittelalter die Freibeuter nannte, von Marys Heimatstadt aus in See stachen, oder als die Rashleighs ein Schiff zum Kampf gegen die Armada ausrüsteten.

Der 1642 ausgebrochene Bürgerkrieg hatte dem Land allerdings Wunden beigebracht, die hundert Jahre später noch nicht verheilt waren. Viele blutige Schlachten waren in Cornwall geschlagen worden, eine davon vor den Toren von Fowey. Richard Grenville, des Königs General im Westen, hatte mit seiner Armee auf der uralten Hügelfestung Castle Dor – der Legende nach König Markes Burg und Schauplatz der Tragödie von Tristan und Isolde – Stellung bezogen; er hatte die Soldaten des Parlaments auf diesen Hügel gelockt und dann in die sumpfige Küstenebene gejagt, wo sie, zwischen der hereinkommenden Flut und einem weiteren Verband Königstreuer gefangen, jämmerlich ertranken oder niedergemacht wurden.

In diesem Krieg waren Allianzen auseinandergebrochen, hatten sich Familien entzweit. Noch ein Jahrhundert später herrschten Spannungen zwischen den in der Umgebung von Fowey lebenden Großgrundbesitzern, etwa den Rashleighs und den Robartes, weil ihre Vorfahren für oder gegen den König gekämpft hatten, und einer der Treffrys gehörte sogar zu denen, die das Todesurteil Karls I. mitunterzeichneten.

 

Zu Marys Zeiten waren Bergbau, Fischerei und Landwirtschaft die wichtigsten Erwerbszweige. Viele Leute betätigten sich auf allen drei Gebieten. Sie besaßen vielleicht ein kleines Stück Ackerland, das für die Selbstversorgung ausreichte, und verdienten in den Kupfer- und Zinngruben noch etwas dazu; oder sie arbeiteten im Winter und Frühjahr in den Minen, im Sommer und Herbst auf einem Fischerboot. Dies war nur deshalb möglich, weil der Bergbau in Cornwall vorwiegend nach dem sogenannten «Tributsystem» betrieben wurde: Mehrere Männer taten sich zusammen, um für einen festen Betrag, der sich nach dem Schwierigkeitsgrad richtete, ein bestimmtes Flöz abzubauen; den Erlös teilten sie unter sich auf. Diese Bergleute genossen ein höheres Ansehen als solche, die im Wochenlohn arbeiteten. Natürlich war das ein riskantes Geschäft, obwohl man vor der Einführung dampfbetriebener Pumpen (die dann zu tiefgreifenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt führen sollte) nicht in große Tiefen vordringen konnte. Zudem stand es den Grubenbesitzern jederzeit frei, Leute zu entlassen, falls die Preise für Kupfer und Zinn sanken. Die meisten Grubenarbeiter wohnten in Reihenhäuschen, die in unmittelbarer Nähe der meist kleinflächigen Abbaustellen errichtet wurden. Zu jedem Häuschen gehörte ein Garten, den man mit Kartoffeln und Rüben bepflanzte, und die damals noch von allen benutzten Allmenden lieferten Futter für Kleinvieh; manche Familien besaßen sogar eine Kuh.

Das Meer lieferte die wirtschaftliche Grundlage Cornwalls, die Sardinen. Sie waren nicht nur ein wichtiges Grundnahrungsmittel, sondern auch ein einträgliches Exportprodukt. Die größten Sardinenschwärme kamen zu Beginn des Sommers, kleinere folgten im Herbst. Ihre Ankunft löste jeweils in Fowey und den kleineren Fischerhäfen eine hektische Aktivität aus, an der sich jeder beteiligte. Frauen und Kinder halfen beim Entladen der Boote mit; das Einsalzen war eine typische Frauenarbeit. Mit den Abfällen düngte man die Felder.

Während der Wintermonate waren die Küstenbewohner fast ausschließlich auf ihren Vorrat an Salzfisch angewiesen. Fiel der Fang schlecht aus, mußten viele Menschen hungern. So sollte denn das Jahr 1786, in dem die großen Schwärme ausblieben, ein Schicksalsjahr werden – für Cornwall im allgemeinen und für Mary ganz persönlich.

Ein beträchtlicher Teil der von der lokalen Wirtschaft dringend benötigten Geldmittel stammte aus dem Export nach den...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2017
Übersetzer Anne Büchel
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Australien • Begnadigung • Biographie • Deportation • England • Flucht • Haft • Rückkehr
ISBN-10 3-10-561634-9 / 3105616349
ISBN-13 978-3-10-561634-5 / 9783105616345
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