Kampfabsage (eBook)

Kulturen bekämpfen sich nicht - sie fließen zusammen
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490228-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kampfabsage -  Ilija Trojanow,  Ranjit Hoskote
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Bestseller-Autor Ilija Trojanow und der indische Dichter und Kulturkritiker Ranjit Hoskote haben mit ?Kampfabsage: Kulturen bekämpfen sich nicht - sie fließen zusammen? eine radikale Streitschrift gegen neue Feindbilder verfasst. Sie wollten damit einst Samuel Huntigtons These vom »Kampf der Kulturen« eine Antwort geben, doch das Thema ist aktueller denn je. Abgrenzung durch die Definition der eigenen kulturellen Identität hat leider wieder Konjunktur. So werden weltweit neue Feindbilder geschaffen und Konflikte geschürt. Die Autoren entlarven die Unsinnigkeit dieser Haltung und rücken den Propheten eines kulturellen Weltkriegs die Köpfe zurecht. Sie zeigen, dass das Zusammenfließen von Kulturen kulturelle Identität und Zivilisation überhaupt erst möglich macht. Ein ermutigender Appell an unsere Vernunft. Trojanow und Hoskote haben das erstmals 2007 erschienene Buch aktualisiert und ergänzt; Pankaj Mishra hat ein Nachwort zu der Neuausgabe verfasst. »Das einzig Ewige ist die Veränderung, sagt ein altes Sprichwort. Wenn die westliche Welt sich abschotten will, so glaubt sie also an das Ende der Geschichte. Sie glaubt, dass ihr System das beste und letzte ist, dass die westliche Kultur abgeschlossen und fertig ist. Sie ist dem Tod geweiht.« Ilija Trojanow

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Unterbrochen von einem vierjährigen Deutschlandaufenthalt lebte Ilija Trojanow bis 1984 in Nairobi. Danach folgte ein Aufenthalt in Paris. Von 1984 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie in München. Dort gründete er den Kyrill & Method Verlag und den Marino Verlag. 1998 zog Trojanow nach Mumbai, 2003 nach Kapstadt, heute lebt er, wenn er nicht reist, in Wien. Seine bekannten Romane wie z.B. ?Der Weltensammler? und ?Macht und Widerstand? sowie seine Reisereportagen wie ?An den inneren Ufern Indiens? sind gefeierte Bestseller und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen bei S. Fischer der literarisch-politische Essay ?Nach der Flucht? und die Romane ?Doppelte Spur? und ?Tausend und ein Morgen?.

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Unterbrochen von einem vierjährigen Deutschlandaufenthalt lebte Ilija Trojanow bis 1984 in Nairobi. Danach folgte ein Aufenthalt in Paris. Von 1984 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie in München. Dort gründete er den Kyrill & Method Verlag und den Marino Verlag. 1998 zog Trojanow nach Mumbai, 2003 nach Kapstadt, heute lebt er, wenn er nicht reist, in Wien. Seine bekannten Romane wie z.B. ›Der Weltensammler‹ und ›Macht und Widerstand‹ sowie seine Reisereportagen wie ›An den inneren Ufern Indiens‹ sind gefeierte Bestseller und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen bei S. Fischer der literarisch-politische Essay ›Nach der Flucht‹ und die Romane ›Doppelte Spur‹ und ›Tausend und ein Morgen‹. Ranjit Hoskote, geboren 1969 in Mumbai, ist Dichter, Kunstkritiker und Sekretär des indischen PEN-Clubs. Als weltweit anerkannter Kurator verantwortete er unter anderem die Biennale in Gwangju sowie den indischen Stand bei der Biennale in Venedig.

2 Der Schoß des Ostens


Die Idee von Europa


Die meisten Europäer gehen davon aus, daß Europa der Mittelpunkt der Welt ist. Die Geschichte der vergangenen fünf Jahrhunderte scheint das zu bestätigen. Ohne Europa hätte es keine Renaissance gegeben, keine Aufklärung, keine Französische Revolution, keine Industrielle Revolution und keine Moderne. Die bestehenden Machtverhältnisse stützen in vielerlei Hinsicht diese Darstellung. Die europäischen Mächte haben einen Großteil des Planeten erobert, ihre Sprachen in fremde Länder verpflanzt und ihr Bildungs- und Verwaltungssystem fleißig exportiert, auch in die USA, so sehr die auf ihre besondere Berufung pochen. Selbst Länder, die wie China den Imperialismus zurückwiesen, sind nicht immun gegen europäische Einflüsse. Schließlich wurde die Volksrepublik China lange gemäß den Vorstellungen eines Anwaltssohns aus Trier regiert. International sein heißt in erster Linie europäisch sein – oder anders formuliert: Das Europäische ist universal. Der Rest wird als regional abgetan.

Das Christentum ist zwar 2000 Jahre alt, doch Konzept und Realität des christlichen Europa sind nicht einmal halb so alt. Die Umwandlung von »Mediterranea« in den Kontinent »Europa« ist eines der faszinierendsten Kapitel in der Geschichte von politischer Festlegung und kultureller Identität. Seit Beginn der Siedlungszeit wird das Mittelmeer, das so sehr ein Ozean ist wie Europa ein Kontinent, durch ein Beziehungsgeflecht seiner Küstenregionen definiert: Kreta bildete eine Symbiose mit dem pharaonischen Ägypten, die Phönizier fuhren als Kaufleute über das Meer, die hellenischen Städte nutzten die Minen Iberiens, die Römer und Karthager unterhielten Beziehungen, die von Haß und Handel geprägt waren. Wir, die wir es gewohnt sind, Realität in Landkarten zu suchen, sehen in der blauen Wasserfläche eine Trennlinie, obwohl sie doch eigentlich eine fließende Brücke ist. In diesem Buch werden wir immer wieder Beispiele für den regen kulturellen Verkehr anführen, der diese Brücke in beide Richtungen überquert hat.

 

Der aktuelle Hang zur Vereinfachung, der die komplexe Vielfalt des Islam auf relativ junge und einfältige Tendenzen wie den Wahhabismus verkürzt, darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Islam jahrhundertelang die progressivste kulturelle Kraft im Mittelmeerraum und in Westasien darstellte. Seine Errungenschaften stammten nicht unbedingt aus dem arabischen Raum – wie wir noch zeigen werden, gab es persische, indische und griechische Einflüsse –, doch im Islam wurden sie übersetzt, gelangten zur Reife und fanden weitere Verbreitung. Der Unterschied zwischen der islamischen und der christlichen Welt war oft einer zwischen Offenheit und Verschlossenheit, städtischer Raffinesse und ländlicher Tölpelei, Mobilität und Trägheit, zwischen einer überwiegend merkantilen und einer größtenteils feudalen Wirtschaft. Die durchlässige Grenze zwischen dem Mittelmeergebiet und der kulturellen Brache im Norden verlief in etwa entlang der Vegetationsgrenze des Olivenbaums. Im »Entwicklungsgebiet« der nördlichen Hemisphäre gaben Angelsachsen, Franken, Teutonen und Wikinger den Ton an. Die Normannen spielten dabei eine wichtige Rolle: Sie fungierten als Vermittler und verbanden die beiden Welten miteinander. Die Verlagerung des Schwerpunkts vom Mittelmeerraum nach Europa geht einher mit dem Wechsel von einer offenen, auf Handel und Austausch angewiesenen Gesellschaft zu einer Gesellschaft, die sich hinter einem Bollwerk verschanzt, um sich vor Invasoren zu schützen.

Europa hat einiges erreicht, daher ist es verständlich, daß die Europäer gerne glauben, sie hätten alles aus eigener Kraft geschafft. Zudem verleiten uns der bemerkenswerte Erfolg des französischen und britischen Kolonialreichs und die Verbreitung der Wissenschaftssysteme, die in Paris, Berlin, Wien, London und Rom perfektioniert wurden, zu der Ansicht, die treibende Kraft in Europa sei stets aus seinen zentralen oder westlichen Regionen gekommen.

 

Es gab jedoch Zeiten, da war der Mittelmeerraum nicht der Saum Europas, der doppelt und dreifach umgeschlagen und festgenäht werden muß, sondern die kreative und produktive Mitte, ein Geflecht von Beziehungen und Neuschöpfungen. Die Grundlagen der europäischen Kultur wären ohne die durchlässige, wechselhafte und manchmal sogar symbiotische Qualität der Ränder nicht möglich gewesen. Trotzdem begreifen wir fließende Formen, unstete Identitäten und unscharfe Definitionen als Problem. Der öffentliche Diskurs über Europa verlangt zunehmend nach einer kategorischen und kohärenten Klärung von Merkmalen der Zugehörigkeit. Als sollte eine Rasterfahndung ermöglicht werden, die europäisch von nichteuropäisch unterscheidet. Wenn wir uns für die Zukunft wappnen wollen, sollten wir Grenzen als Zusammenflüsse begreifen, die uns in der Vergangenheit bereichert haben, als Spielwiesen von Mischkulturen, die für die Entwicklung des Kontinents von entscheidender Bedeutung sind. Denn das Trennende ist stets nur eine momentane Differenz, eine Flüchtigkeit der Geschichte.

 

Was ist dieses Europa, das wir täglich im Mund führen, ohne ein klares Bild davon zu haben? Europa ist die einzige Halbinsel der Welt, die zu einem Kontinent hochgestapelt worden ist. Benannt ist sie nach einer phönizischen Prinzessin, der Tochter des Königs Agenor, eines Sprößlings von Poseidon, dem Meer also zugewandt, der Ägypten verließ, um sich im Lande Kanaan anzusiedeln. Erstaunlich an dem Mythos von Europa ist, daß die Prinzessin nicht aufgrund einer eigenen Leistung berühmt geworden ist, sondern aufgrund dessen, was ihr angetan wurde. Die Legende um Europa kennt viele Fassungen. Schauplätze und Handlungsstränge ändern sich, manche der Figuren treten bei dem Chronisten Apollodorus auf, werden besungen von Pindar und schleichen sich in die Sagen ein; die moralische und politische Richtung des Stoffes variiert. Denn das war Europa von Anfang an: Vielfalt, und ihre Geschichte kann nur dann allen bedeutsam sein, wenn sie im Sinne eines jeden erzählt werden kann.

Alpu Betu Gamu


Es war einmal eine weise Frau namens Sophia. Unglücklich über den Zustand der Welt schuf sie aus ihrem Inneren eine Parallelwelt nie gekannter Pracht. So lautet kurz zusammengefaßt die traditionelle Erzählung von der Herkunft und Einmaligkeit des alten Griechenland. Diese einzigartige Kultur, heißt es in der Geschichte weiter, wurde zur Seele Europas und Quelle seiner Vormachtstellung in der Welt. Doch im Fall des klassischen Griechenland kann es unmöglich eine unbefleckte Empfängnis gegeben haben. Jahrhundertelang schwärmten die europäischen Gelehrten von der griechischen Antike und zeigten gleichzeitig völliges Desinteresse an ihren Wurzeln und Ursprüngen. Griechenland war reinweiß! Selbst die Tempel wurden weiß getüncht, damit sie um so heller von den Klippen leuchteten. Dabei waren sie zu ihren Glanzzeiten üppig bemalt und erinnerten stark an die reichgeschmückten Fassaden der südindischen Hindutempel. Heute weiß man, daß die Kuratoren des British Museum im 19. Jahrhundert ihre griechischen Marmorplastiken »verbesserten« und mit Siliziumcarbid alle Farbspuren wegschrubbten. Ein beträchtliches Maß Rassismus kennzeichnete die imperialistische Gelehrsamkeit: Mesopotamien wurde als Ursprung der jüdischen Kultur akzeptiert, aber wie konnte das arische Griechenland von der semitischen Kultur beeinflußt worden sein? Oder gar, wenn man dem glaubte, was einige Gelehrte hinter vorgehaltener Hand über eine Verbindung zwischen Ägypten und Griechenland munkelten, von der afrikanischen Kultur? Als der Klassizismus zur Ersatzreligion wurde, war es nur konsequent, dem Genius von Hellas gottähnliche Allmacht zu verleihen.

Diese Sichtweise hat sich in den letzten Jahren gewaltig verändert. Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen beachten heute den historischen Kontext der Antike, anstatt sie nur zu verherrlichen. Die Archäologen, die in den vergangenen Jahrzehnten fleißig Ausgrabungen in der ländlichen Türkei durchführten, haben ganze Wagenladungen von Belegen dafür ausgegraben, daß es in Kleinasien weit mehr Stadtstaaten gab, als bisher angenommen, und daß sie einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der griechischen Kultur geleistet haben. Hellas bestand in der Frühphase aus einer Vielzahl von Stadtstaaten und Kleinkönigreichen; doch von den 1500 griechischen Städten befanden sich nur 200 in der Ägäis, die übrigen 1300 lagen verstreut im Mittelmeerraum und um das Schwarze Meer. Athen und Sparta gehörten zwar zum europäischen Teil der Ägäis, doch Griechenland wurde durch Städte an der Küste der heutigen Türkei, darunter Ephesus, Milet, Rhodos, Halikarnassos und Ilion (Troja), zum eigentlichen Hellas. Die Städte Kleinasiens waren nicht nur deutlich wohlhabender als die Siedlungen auf dem griechischen Festland, sondern hatten auch engen Kontakt mit den Kulturen und Traditionen Westasiens, vor allem den persischen. Aus diesem anhaltenden Austausch entstand die hellenische Kultur. Die neuere archäologische Forschung bestätigt, was einige Autoren aus Gründen des gesunden Menschenverstands schon lange behauptet haben. So schreibt etwa Bertrand Russell: »Homer war als gereifter Autor ein Produkt Ioniens«, einer Region im heutigen westlichen Teil der Türkei, »… dem wichtigsten Teil der hellenischen Welt«[1], Thales, der allgemein als Begründer der Philosophie gilt, war ein Bürger von Milet, damals ein geschäftiger Stadtstaat mit 60000 Einwohnern und vier verschiedenen Häfen. Thales...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2016
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Feinbilder • Feindbilder • Kampf der Kulturen • Macht und Widerstand • Pankaj Mishra • Samuel Huntington • Streitschrift • Weltensammler
ISBN-10 3-10-490228-3 / 3104902283
ISBN-13 978-3-10-490228-9 / 9783104902289
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