Der Jahrtausendmensch (eBook)

Bericht aus den Werkstätten der neuen Gesellschaft

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
302 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-10050-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Jahrtausendmensch -  Robert Jungk
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Die Krise der Menschheit wird kaum noch bestritten. Die Grenzen des materiellen Wachstums sind sichtbar, der Verteilungskampf um die Rohstoffe verschärft sich auf Kosten der Armen; die Folge: Not in der Dritten Welt, Not aber auch in den Industrieländern, deren Bevölkerung inmitten äußeren Wohlstands geistig und seelisch verarmt. Profitorientierte Arbeitsteiligkeit und eine Technik, die mit ihrer kurzfristigen Effizienz mehr Abhängigkeit schafft als sie aufhebt, hindern die meisten Menschen an einer persönlichen Entfaltung. So wird neurotisches Verhalten zum Normalzustand. Staat und Wirtschaft gehorchen Zwängen, die allenfalls ein Ausbessern, kein Erneuern des Systems zulassen. Aber die Zahl der Außenseiter, die bürgerliche Karrieren aufgeben, um Alternativmodelle zu entwerfen und zu erproben, wächst rasch. Robert Jungk, der Zukunftswahrscheinlichkeiten nüchtern einzuschätzen weiß, setzt auf sie die Hoffnung für eine menschlichere Gesellschaft. Sie arbeiten an sanften Technologien, die dem Menschen und der Natur angepaßt sind, sie entwickeln Ansätze für humanere Arbeitsabläufe, für eine tatsächliche Mitbestimmung der Bürger und eine Verbreiterung der kulturellen Basis. Sie sind Prototypen des Jahrtausendmenschen, der gelernt haben wird, im Einklang mit sich, der Umwelt und den anderen zu leben. Ihre Aktivitäten und Teilerfolge faßt Jungk zu einem packenden und ermutigenden Bericht zusammen.

Robert Jungk wurde 1913 in Berlin geboren und starb 1994 in Salzburg. Er arbeitete nach 1933 in Frankreich und im republikanischen Spanien an Dokumentarfilmen und schrieb von 1940 bis 1945 für die «Weltwoche» in Zürich. Er hatte einen Lehrauftrag für Zukunftsforschung an der TU Berlin und war Vorsitzender der Gruppe «Mankind 2000» in London. Das Thema, das er in «Die Zukunft hat schon begonnen» anschlug, wurde später in «Heller als tausend Sonnen» (1956) und «Strahlen aus der Asche» (1959) vertieft, international berühmten Büchern, die eindringlich vor den Gefahren der entfesselten Atomkraft warnen. Sein 1973 veröffentlichtes Buch «Der Jahrtausendmensch» führte 1975 zur Gründung einer «Fondation pour l'invention sociale», die Ansätze zu einer humaneren Technologie und Gesellschaft koordinieren und fördern soll. 1977 veröffentlichte er «Der Atom-Staat», eine eindringliche Warnung vor den entmenschlichenden Folgen einer uneingeschränkten Atomenergie-Nutzung.

Robert Jungk wurde 1913 in Berlin geboren und starb 1994 in Salzburg. Er arbeitete nach 1933 in Frankreich und im republikanischen Spanien an Dokumentarfilmen und schrieb von 1940 bis 1945 für die «Weltwoche» in Zürich. Er hatte einen Lehrauftrag für Zukunftsforschung an der TU Berlin und war Vorsitzender der Gruppe «Mankind 2000» in London. Das Thema, das er in «Die Zukunft hat schon begonnen» anschlug, wurde später in «Heller als tausend Sonnen» (1956) und «Strahlen aus der Asche» (1959) vertieft, international berühmten Büchern, die eindringlich vor den Gefahren der entfesselten Atomkraft warnen. Sein 1973 veröffentlichtes Buch «Der Jahrtausendmensch» führte 1975 zur Gründung einer «Fondation pour l'invention sociale», die Ansätze zu einer humaneren Technologie und Gesellschaft koordinieren und fördern soll. 1977 veröffentlichte er «Der Atom-Staat», eine eindringliche Warnung vor den entmenschlichenden Folgen einer uneingeschränkten Atomenergie-Nutzung.

Einleitung
An der Jahrtausendwende


So geht es nicht weiter


Nüchterne, farblose Worte, mit denen Menschen dieser Zeit das benennen, was früher sehr viel pathetischer Weltuntergang genannt wurde.

Vor einem Jahrtausend wurde schon einmal das Ende der christlichen Welt erwartet. Viele verkauften ihr letztes Eigentum und bereiteten sich auf das Jüngste Gericht vor, das sich durch eine steigende Flut von Gewalttaten anzukündigen schien.

Neuere Historiker, die sich über die Geschichte der Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend gebeugt haben, sind zu der Ansicht gekommen, daß schon in dieser dunklen Zeit Anfänge jener Erhellung zu finden sind, die sich in den folgenden Jahrhunderten nach und nach ausbreitete. Das klare Gedankengebäude des Thomas von Aquin, die Strukturen der gewaltigen, weißleuchtend gen Himmel strebenden Kathedralen, die Lehre des heiligen Franz von Assisi, die Geistigkeit der Humanisten, ja sogar der kritische Rationalismus der Aufklärung – all das wurde schon damals, im zehnten Jahrhundert, von einer kleinen Zahl inspirierter Mönche hinter den Mauern ihrer Klöster vorbereitet.

Der französische Geschichtsforscher George Duby beschreibt die Wendung, die sich, erst wenigen bemerkbar, anbahnte: «Die Menschheit liegt noch zu Füßen eines schrecklichen, magischen, rächenden Gottes, der sie beherrscht und erdrückt. Aber sie ist dabei, sich das Bild eines menschlichen Gottes zu schaffen, der ihr ähnlicher ist, und sie wird es bald wagen, ihm ins Gesicht zu schauen. Sie beginnt einen langen Weg der Befreiung …»

Nur wenige dachten damals an eine irdische Wandlung. Ihre einzige Hoffnung galt dem Reich Christi. Hienieden war das Leben beherrscht von täglicher Not und nie endender Furcht. Das karolingische Reich war zerfallen, Räuberbanden durchstreiften Europa, plünderten, marterten, brandschatzten. Im barbarischen Klima dieses Säkulums gediehen die kulturellen Anfänge der beiden vorhergehenden Jahrhunderte nicht weiter und gingen zugrunde. Nur wenige Menschen konnten lesen oder schreiben.

So blieb der Prozeß geistiger Erneuerung, der hinter den Mauern einiger Klöster begonnen hatte, den Zeitgenossen verborgen. Erst die Nachwelt erfuhr davon aus Berichten von Chronisten wie Raoul Glaber. Das war ein unsteter, scharfzüngiger Mönch, höchst unbeliebt bei hohen wie mittleren Kirchenherren. Seine vielen Feinde sagten ihm nach, er sei «geschwätzig, leichtgläubig und ungeschickt». Er aber empfand, so wird überliefert, diese Tadelsbezeigungen als Lob und wertete sie als indirekten Beweis dafür, daß seine kritischen Beobachtungen getroffen hatten. Er widmete sich schließlich ganz dem Notieren des Erlebten und schrieb im Kloster Cluny, das ihm Unterschlupf gewährte, seine fünfbändige Geschichte der Jahre 900 bis 1044 nieder.

Ähnlich wird ein Chronist an der Wende zum dritten Jahrtausend versuchen müssen, nicht nur die Erscheinungen des Verfalls und der Zerstörung, der Brutalität und der Unvernunft, der Unterdrückung und Verschwendung zu registrieren und zu kritisieren, sondern auch zu fragen haben: Gibt es heute wiederum Vorzeichen eines Wandels? Wo sind Ansätze einer Veränderung? Werden wir noch einmal davonkommen?

Der Schreiber dieser Zeilen bemüht sich seit Jahren darum, Signale, Tendenzen und Versuche ausfindig zu machen, die im Widerspruch zum Bestehenden auf eine andere und bessere Zukunft hindeuten.

Anfangs war das nur eine Nebenbeschäftigung, die ich durchaus unsystematisch betrieb: eine Zeitungsnachricht, ein Brief, eine mündliche Mitteilung erzählten von Möglichkeiten und Hoffnungen. Ich sammelte solche «guten Nachrichten» und gab während meiner Korrespondententätigkeit bei den Vereinten Nationen in New York als private Publikation einige Nummern eines «Good News Bulletin» heraus. Denn als Zeitungsmann fand ich es unerträglich, daß Presse und Funk in ihrer Suche nach Neuigkeiten zwar über Kriminalität und Katastrophen, Krisen und Krieg ausführlich berichteten, darob aber hoffnungsvollere, wenn auch weniger aufdringliche Entwicklungen vernachlässigten.

Das starke Echo dieses naiven Versuchs in der amerikanischen Öffentlichkeit – Leitartikel in den führenden Zeitungen und Nachrichtenmagazinen, Interviews in Radio und Fernsehen, Hunderte von Briefen aus allen Teilen des Landes – zeigte mir, wie groß die Sehnsucht war, einmal etwas anderes als die täglichen Klagen zu hören. Meine Freude über diesen scheinbaren Erfolg war kurz. Ich merkte sehr schnell, wie sehr dieses oberflächliche Interesse an «guten Nachrichten» der Nachfrage nach Beruhigungspillen ähnelte. Meine damaligen Leser und Korrespondenten schienen weder interessiert zu sein, eindringlich über Alternativen und ihre Durchsetzung nachzudenken, noch die Zeitübel tiefergreifend zu diagnostizieren. Sie mißverstanden meine Hinweise auf einige wenige Lichtblicke in einem überwiegend dunklen Bild als Bestätigung dafür, daß doch «alles gar nicht so schlimm» sei.

Wie sehr meine Bemühungen um eine etwas ausgewogenere Betrachtungsweise zur Verschleierung mißbraucht werden konnte, wurde mir besonders deutlich, als sich gerade diejenigen intensiv zu interessieren begannen, die am schlechten Stand der Dinge nicht unwesentlich beteiligt waren: ein großer Chemiekonzern und eine Fluggesellschaft boten mir an, eine tägliche «Good-News»-Radiosendung zu finanzieren. Am Ende würde dann ein Sprecher die Güte ihrer Leistungen loben.

Nein, so ging es nicht. Ich mußte mich weiterhin fast ausschließlich kritisch mit denen beschäftigen, die eine Verbesserung der Lage verhinderten, und denen, die es erduldeten: den Drahtziehern und den Zappelnden, den Rücksichtslosen und ihren ahnungslosen Opfern. Und doch ließ mich eine Frage nicht los: Trug ich damit wirklich zur «Aufklärung» und Aktivierung der Leser bei? Verstärkte ich nicht vielmehr ihre Gefühle der Resignation? Wenn sie über den Egoismus, die Kurzsichtigkeit, den wachsenden Einfluß der Herrschenden informiert wurden, wenn sie Einblick erhielten in das Vordringen von Zwängen, die unaufhaltsam schienen, in Machtstrukturen, die den Bürger immer abhängiger werden ließen, würden sie dann nicht – durch solche Informationen gelähmt und in ihrer Passivität bestätigt – alles so weiterlaufen lassen, wie es lief? Und wurde ich nicht auf diese Weise erst recht zum Helfer derer, die sich sowohl der Verhüller wie der Entschleierer zu bedienen verstehen?

Um diesem starken Zug zur Entmutigung entgegenzuwirken, suchte ich immer wieder Reportagethemen, in denen ich Menschen beschreiben konnte, die gegen den Strom zu schwimmen versuchten. Wie zum Beispiel den Vietnamesen, der während der ersten Indochinakonferenz in Genf auf einer Wiese vor dem Völkerbundpalast die Herren Unterhändler durch einen wochenlangen Hungerstreik auf die Leiden seines Volkes aufmerksam machte. Oder Danilo Dolci, den italienischen Reformer, der in einem der furchtbarsten Elendsviertel Palermos gegen die sizilianische Mafia und die mit ihr verbundenen römischen Politiker protestierte. Oder den jungen Elektroingenieur Ishiro Kawamoto aus Hiroshima, der seine Karriere aufgegeben hatte, um den Atomkranken zu helfen, die von keiner offiziellen Stelle betreut wurden.

Trugen solche bewunderungswürdigen Einzelgänger wirklich dazu bei, den verhängnisvollen Kurs der Ereignisse zu ändern? Ihr Opfer wurde zur Anekdote. Nur für Augenblicke brachte es geschehenes Unrecht ins Bewußtsein der Öffentlichkeit. Geändert wurde dadurch so gut wie nichts. Ging es aber nicht darum, Unheil rechtzeitig zu verhindern? War das nicht dringender, als es nachträglich zu beschreiben und zu beklagen?

Ich erinnere mich genau der Stunde, da ich endlich einsah, daß ich als Reporter eigentlich ein «Kriegsgewinnler» war, ein Nutznießer des Unheils dieser Zeit.

Im Frühjahr 1960 drehte ich in Japan eine Fernsehreportage, die auf meinem im Jahr zuvor erschienenen Buch «Strahlen aus der Asche» basierte. Wir standen in einem jener zugigen Notquartiere am Rande von Hiroshima. Hier hatten die Überlebenden des ersten Atombombardements der Geschichte sich verkriechen müssen. Vor uns ein strahlenkrankes Ehepaar. Sie bereits so schwach, daß sie sich nicht mehr aufrichten und kaum noch sprechen kann. Er – weißhaarig, runzlig, frühzeitig gealtert – hat bis jetzt geduldig alle meine Fragen beantwortet. Nun bittet er mich, ob er nicht auch etwas fragen könne? Mit schwacher Stimme, durchaus nicht anklagend, eher im Tonfall der Entschuldigung, sagt er: «Haben denn die ehrenwerten Gelehrten des Westens nicht vorhergesehen, daß ihre neuen Waffen noch Jahrzehnte nach dem Einsatz Menschen umbringen würden?»

Die Frage dieses Japaners, der fünfzehn Jahre nach dem 6. August 1945 an den Folgen der Atombombe sterben mußte, hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Sie war nicht nur an die Wissenschaftler gerichtet, sie geht uns alle an. Aber mich traf sie ganz besonders. Lief ich nicht seit Jahren hinter den Ereignissen her, um dann, wenn es schon zu spät war, zu kritisieren und zu protestieren? War ich nicht vom Schrecklichen, das ich beschrieb, beruflich so abhängig geworden wie manche Ärzte von der Krankheit und daher an seiner Weiterexistenz interessiert? Mußte ich nicht auch bei mir den Mangel an Voraussicht, an Vision bekämpfen und verhindern helfen, daß sich Katastrophen wie Hiroshima wiederholten?

Die Arbeit an einer Fernsehserie mit dem Titel «Europa Richtung 2000» zeigte mir, daß diese Zukunftsblindheit weitaus verbreiteter war, als ich vermutet hatte. «Ich kann mich nur mit dem nächsten, bestenfalls noch mit dem übernächsten Budget beschäftigen», bekannte ein führender englischer Staatsmann, den ich interviewte. «Was...

Erscheint lt. Verlag 21.10.2016
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Freiheitsverlust • Gesellschaftskritik • Gesellschaftsstruktur • Gleichgewicht • Humanismus • Humanität • Jahrtausendmensch • Profitgier • Selbstverwirklichung • Sozialkritik • Unmenschlichkeit • Weltgeschichte • Zukunftsvisionen
ISBN-10 3-688-10050-6 / 3688100506
ISBN-13 978-3-688-10050-7 / 9783688100507
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