Sicherheitsrisiko NS-Belastung (eBook)

Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er Jahren

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
528 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-363-3 (ISBN)

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Sicherheitsrisiko NS-Belastung - Sabrina Nowack
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Die Studie widmet sich einer internen, von der Politik erzwungenen Personalüberprüfung im BND. Zwanzig Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches wurde individuelle NS-Belastung hauptsächlich als mögliches Sicherheitsrisiko betrachtet. Zwar entließ der BND 68 von 157 überprüften Mitarbeitern, doch bekamen es die Verantwortlichen nicht nur bei den Überprüfungen selbst, sondern auch beim Umgang mit deren Ergebnissen mit Problemen zu tun, die keine wirkliche »Selbstreinigung« gestatteten. Widerstände regten sich dabei nicht allein in der BND-Zentrale in Pullach, sondern auch bei der Bundesregierung in Bonn.
(Band 4 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)

Jahrgang 1984, 2004-2010 Studium der Geschichtswissenschaft, Germanistik und Erziehungswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg, Staatsexamen für das Höhere Lehramt an Gymnasien; seit 2011 Doktorandin am Seminar für Neuere Geschichte der Philipps-Universität Marburg und Mitarbeiterin der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes.

I. Kurswechsel – Die Entscheidung für eine Überprüfung des »besonderen Personenkreises«


Zu Beginn des Jahres 1953 wandte sich die Leitung der Org. gegenüber dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, entschieden gegen »die wiederholt aufgetretene Behauptung«, dass im Nachrichtendienst »rechtsstehende Elemente« besonders zahlreich seien und einflussreiche Positionen einnähmen. Gehlen führte aus, dass sich die Mitarbeiter ausschließlich aus Personengruppen rekrutieren würden, »die auf der politischen Linie der demokratischen Parteien seien«. In Bezug auf V-Männer und Agenten, versicherte der Geheimdienstchef, würde die Organisation zudem auf Personen möglichst verzichten, die der radikalen Rechten oder der kommunistischen Partei naheständen. Auf sie greife man lediglich zurück, »wenn in diese Kreise hinein zur Schaffung von III F [Gegenspionage]-Grundlagen und -Anknüpfungspunkten gearbeitet werden soll, ebenso wie man in Russland nur mit Russen, in Polen nur mit Polen aufklären kann«.1 Damit legitimierte er die Verwendung von Personal mit einschlägigen NS-Bezügen und erteilte gleichzeitig einem etwaigen nachrichtendienstlichen Nutzen Priorität.

Im Zuge der Übernahme der Org. in die Zuständigkeit der Bundesregierung 1956 ergaben sich spezifische personalrechtliche Probleme. Diese hatten sich zumindest in Teilen anderen Behörden bereits früher gestellt: Alle öffentlichen Institutionen der Bundesrepublik standen nach 1949 vor der Frage, wie mit Personen umzugehen sei, die sich, in unterschiedlicher Intensität und aus welchen Gründen auch immer, vor 1945 für das NS-Regime engagiert hatten. Für einen Nachrichtendienst wie die Org. bzw. den BND, der sich berufen fühlte, kommunistische oder, weiter gefasst, staatsfeindliche Agenten und Infiltration aufzuspüren und abzuwehren, spielte in diesem Gesamtkomplex etwa die Beschäftigung – und adäquate beamtenrechtliche Behandlung – ehemaliger Gestapoleute eine Rolle. Dies kollidierte allerdings in den späten 1950er-Jahren mit der zunehmend kritischer werdenden öffentlichen Auffassung über die Beschäftigung ehemaliger Amtsträger des NS-Staates in bundesdeutschen Einrichtungen.

Diese Problematik drang mit der Zeit auch in den nach allen Seiten und in sich abgeschotteten BND vor. 1957 sah der BND-Personalchef Neueinstellungen von ehemaligen Gestapoangehörigen durchaus kritisch, wobei dies wohl weniger auf sein moralisches Empfinden denn auf politische Entwicklungen zurückging: »Der BND muss zunächst erst einmal die alten Mitarbeiter, die früher Angehörige der Geheimen Staatspolizei waren, politisch verkraften und kann es sich nicht leisten, neue Leute dieser Kategorie einzustellen.«2

Dennoch sprach sich Gehlen Ende der 1950er-Jahre persönlich mit Nachdruck für die Beschäftigung und Verbeamtung ehemaliger Gestapobeamter in seinem Dienst aus.3 Dabei stützte er sich auf zwei Argumente: Erstens würden ausschließlich diese Mitarbeiter, die vor allem im Bereich der Gegenaufklärung beschäftigt seien, die Voraussetzungen für die Bewältigung von, nicht weiter definierten, »Spezialaufgaben« erfüllen. Zweitens könne der BND diese Mitarbeiter nicht schlechter behandeln, als sie es in anderen Bundesbehörden erwarten könnten, drohte doch sonst ihre Abwanderung.4 In diesem konkreten Fall beantragte der BND-Präsident die Weiterbeschäftigung und Verbeamtung von zehn ehemaligen Gestapobeamten. Neun von ihnen, hob Gehlen hervor, seien ohnehin als Polizisten nur von Amts wegen, d. h. unfreiwillig, zur Gestapo versetzt worden. Alle seien außerdem in Geschäftsbereichen verwendet worden, die als weniger belastet einzustufen seien. Adenauer selbst äußerte zwar Bedenken, verschloss sich aber schließlich den Argumenten Gehlens nicht. Auch das Parlamentarische Vertrauensmännergremium, darunter der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Erler, hatte keine Einwände:

Der Herr Bundeskanzler entschied, dass er unter dem Gesichtspunkt der Unentbehrlichkeit bestimmter Beamter der ehem. Gestapo für die Aufgaben des BND seine starken Bedenken zurückstellen und den Vorschlägen des BND zur Ernennung der ehem. Beamten stattgeben wolle. Auch die Abgeordneten waren einverstanden.5

Zu diesen ehemaligen Beamten zählte Sebastian Ranner. Er hatte seine Polizeikarriere bei der Münchner Schutzpolizei begonnen, bevor er im Mai 1933 zur Abteilung VI (politische Polizei) der Gestapo München wechselte. Seine Versetzung erfolgte, darauf legte Ranner in den 1950er-Jahren in einem Lebenslauf für den BND Wert, angeblich ohne sein Zutun und ohne dass er gewusst hätte, welche Aufgaben in der Abteilung VI auf ihn zukommen würden.6 In seinen Aufgabenbereich fielen die Überwachung von Vereinstätigkeiten und der exekutive Nachrichtendienst. In München bewährte sich Ranner in den Augen seiner Vorgesetzen offenbar: Von April bis November 1939 übte er eine Tätigkeit bei der sogenannten Reichszentrale für die Bekämpfung der Abtreibung und Homosexualität im Reichskriminalamt Berlin aus. Danach war er knapp zwei Jahre in der Politischen Abteilung der Gestapo Regensburg tätig. Hier erfolgte auch am 1. November 1939 sein Eintritt in die NSDAP.7 Am 13. März 1941 wurde Ranner zu einem Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD in Luxemburg kommandiert. Dieser Einsatz endete am 26. Februar 1942.8 Zurück in Regensburg ersetzte er den SS-Obersturmführer Luitpold Kuhn, der ein Kommando führte, das für die Identifikation und Entfernung politisch nicht verlässlicher sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter zuständig war.9 In der Gestapoaußenstelle übernahm Ranner die Leitung der Referate IV4, IV5 und IV6 für »Gegnerbekämpfung«. Bis Kriegsende hatte er es in der Gestapo bis zum Kriminalkommissar gebracht und bekleidete gleichzeitig den Rang eines SS-Hauptsturmführers.

Laut eigenem Lebenslauf will sich Ranner unmittelbar nach Kriegsende, am 12. Mai 1945, bei den US-amerikanischen Streitkräften respektive beim Counter Intelligence Corps (CIC) gemeldet haben. Vorerst erfolgte keine Inhaftierung.

[Doch e]in Versuch der öffentlichen amerikanischen Stelle, mich aus den allgemeinen Massnahmen gegen Angehörige der Staatspolizei herauszuhalten, fand nicht die Billigung des amerikanischen Hauptquartiers.10

So wurde Ranner am 27. Mai 1945 in das Kriegsgefangenenlager Natternberg gebracht und später ins Internierungslager Dachau überführt, wo die amerikanischen Alliierten mutmaßliche Kriegsverbrecher festhielten.11 Mitte Juli des folgenden Jahres wurde er an die luxemburgischen Behörden ausgeliefert, die einen Prozess gegen deutsche Sicherheitspolizisten vorbereiteten.12 Der Prozess vor einem Sondergericht begann 1949. Vorgeworfen wurden den Angeklagten Beihilfe zum Mord und Freiheitsberaubung mit Todesfolge. Am 23. März 1950 erlaubte das Gericht Ranner, den Ausgang des Prozesses in der Bundesrepublik abzuwarten – möglicherweise, weil die Richter die Vorwürfe für wenig fundiert hielten. Denn mit Urteil vom 19. Februar 1951 sprach der jetzt für den Fall zuständige Gerichtshof für Kriegsverbrechen in Luxemburg den Angeklagten frei. Neben den luxemburgischen Strafverfolgern ermittelte Anfang der 1950er-Jahre auch die Regensburger Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe zum Mord an polnischen Staatsbürgern sowie wegen Verschleppung von Juden gegen Ranner.13 Diese beiden Ermittlungsverfahren wurden am 29. April 1955 eingestellt – »mangels Schuld«, wie er später beim BND zu den Akten gab. Am 16. April 1956 erfolgte Ranners Wiedereinstellung als Polizeimeister bei der bayerischen Landespolizei, wo er später als Polizeiobermeister im Passkontrolldienst eingesetzt wurde. Spätestens seit 1957 versuchte Ranner, in den BND zu wechseln.14 Seine Übernahme konnte allerdings bis 1958 nicht erfolgen, weil die Voraussetzungen für die offizielle Beschäftigung ehemaliger Angehöriger der Gestapo innerhalb des BND, wie erwähnt, noch nicht geklärt waren.15

Anfang 1959 wurde Ranner schließlich von der bayerischen Landespolizei zum BND abgeordnet, nachdem das Parlamentarische Vertrauensmännergremium, wie oben dargelegt, in seiner Sitzung am 11. Juni 1958 die Einstellung des ehemaligen Gestapoangehörigen ausdrücklich gebilligt hatte.16 Am 7. März 1959 wurde ihm zudem in seiner Eigenschaft als Unterbringungsteilnehmer nach Artikel 131 des Grundgesetzes der Beamtenstatus zuerkannt.17 Aus einer von Gehlen unterzeichneten Feststellung zur Laufbahnbefähigung gehen die Gründe hervor, warum der BND sich der Mitarbeit Ranners versichern wollte: Der ehemalige Gestapoangehörige verfügte in den Augen des Dienstes aus seiner Tätigkeit von vor 1945 über besonders nützliche nachrichtendienstliche Kenntnisse. Konkret wurde er im Dienst mit den Aufgaben eines Sicherheitsberaters einer Dienststelle betraut.

Nur fünf Jahre nach dem Beschluss des Parlamentarischen Vertrauensmännergremiums hatten die Verantwortlichen in Bonn und in der BND-Leitung ihre Meinung über die Beschäftigung ehemaliger Gestapobeamter im BND offensichtlich geändert. Im November 1963 ordnete der BND-Präsident die interne Überprüfung des sogenannten »besonderen Personenkreises« an, mit dem inoffiziellen Ziel, NS-belastetes Personal aus dem Dienst zu entfernen. Nun wurden auch Personen wie Ranner überprüft, für deren Einstellung und Beamtenernennung sich Gehlen noch vor wenigen Jahren...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2016
Reihe/Serie Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte BND • Carl Theodor Schütz • Drittes Reich • Hans-Henning Crome • Heinz Felfe • Karl Johann Bäuml • Konrad Adenauer • Kurt Weiss • Personalüberprüfung • Pullach • Reinhard Gehlen • Selbstreinigung
ISBN-10 3-86284-363-7 / 3862843637
ISBN-13 978-3-86284-363-3 / 9783862843633
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