Strahlen aus der Asche (eBook)
356 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-10044-6 (ISBN)
Robert Jungk wurde 1913 in Berlin geboren und starb 1994 in Salzburg. Er arbeitete nach 1933 in Frankreich und im republikanischen Spanien an Dokumentarfilmen und schrieb von 1940 bis 1945 für die «Weltwoche» in Zürich. Er hatte einen Lehrauftrag für Zukunftsforschung an der TU Berlin und war Vorsitzender der Gruppe «Mankind 2000» in London. Das Thema, das er in «Die Zukunft hat schon begonnen» anschlug, wurde später in «Heller als tausend Sonnen» (1956) und «Strahlen aus der Asche» (1959) vertieft, international berühmten Büchern, die eindringlich vor den Gefahren der entfesselten Atomkraft warnen. Sein 1973 veröffentlichtes Buch «Der Jahrtausendmensch» führte 1975 zur Gründung einer «Fondation pour l'invention sociale», die Ansätze zu einer humaneren Technologie und Gesellschaft koordinieren und fördern soll. 1977 veröffentlichte er «Der Atom-Staat», eine eindringliche Warnung vor den entmenschlichenden Folgen einer uneingeschränkten Atomenergie-Nutzung.
Robert Jungk wurde 1913 in Berlin geboren und starb 1994 in Salzburg. Er arbeitete nach 1933 in Frankreich und im republikanischen Spanien an Dokumentarfilmen und schrieb von 1940 bis 1945 für die «Weltwoche» in Zürich. Er hatte einen Lehrauftrag für Zukunftsforschung an der TU Berlin und war Vorsitzender der Gruppe «Mankind 2000» in London. Das Thema, das er in «Die Zukunft hat schon begonnen» anschlug, wurde später in «Heller als tausend Sonnen» (1956) und «Strahlen aus der Asche» (1959) vertieft, international berühmten Büchern, die eindringlich vor den Gefahren der entfesselten Atomkraft warnen. Sein 1973 veröffentlichtes Buch «Der Jahrtausendmensch» führte 1975 zur Gründung einer «Fondation pour l'invention sociale», die Ansätze zu einer humaneren Technologie und Gesellschaft koordinieren und fördern soll. 1977 veröffentlichte er «Der Atom-Staat», eine eindringliche Warnung vor den entmenschlichenden Folgen einer uneingeschränkten Atomenergie-Nutzung.
3
«Wirst du morgen noch leben?» («Kimi wa Asu Ikiru ka»), so heißt der Titel einer Sammlung von Aufsätzen und Erlebnisberichten, die Söhne und Töchter von Atomgeschädigten im Jahre 1972 veröffentlichten. Sie wollten damit die ihnen immer wieder versagte Anerkennung als späte Opfer der Bombe erreichen. Unter dem Sammelnamen «hibaku nisei» hat sich diese jüngere Generation der «hibakushas» zusammengefunden. Einige von ihnen erlebten den «Pikadon» und die schweren Jahre danach als Kinder, andere sind «in utero»-Fälle, deren Mütter mit ihnen schwanger gingen, als das Unheil zuschlug, und schließlich sind dabei auch junge Mädchen und junge Männer, die wie Fusako Ueno erst Jahre nach der Katastrophe von Strahlengeschädigten gezeugt wurden.
Wie sie fühlen und was sie fürchten hat mir Fusako geschildert: «Ich habe Genetik und Physik studiert. Die Lehrer wurden meine guten Freunde. Aber meine dringendsten Fragen beantworteten sie dennoch nicht. Zum Beispiel Professor Naomi Shono, der das Buch ‹Strahlung und die Atombombe› geschrieben hat. Davon handelte auch seine Vorlesung. Ich fragte ihn nachher über meine Mutter aus, die sich weigert, zum Arzt zu gehen, obwohl sie leidend ist, weil sie Angst vor dem hat, was er bei ihr finden könnte. Und ich wollte auch wissen, ob ich genetisch belastet sei. Aber er gab mir nie eine klare Antwort. Je mehr ich über die Wirkungen der Bombe erfahre, um so unsicherer werde ich. Die Leute beruhigen mich und sagen, ich sei doch lange nach dem Bombardement zur Welt gekommen. Aber ich quäle mich trotzdem mit Zweifeln. Wie sehen meine Erbzellen aus? Sind nicht vielleicht einige Gene in meinem Körper verkrüppelt? Ich habe Angst, zu heiraten und ein Kind auszutragen.»
Eines der Argumente der amerikanischen Ärzte und Biologen gegen eine umfassendere und häufigere Untersuchung der Überlebenden und ihrer Kinder stützt sich auf die an sich zutreffende Beobachtung, daß dadurch die «Neurotisierung» der Überlebenden und ihrer Nachkommen unvermeidlich gesteigert werde. Aber läßt sich dieser seelische Nebeneffekt überhaupt vermeiden? Sind Gerüchte und Vermutungen nicht noch belastender? Es genügt ja nicht, denen, die «dabei» waren, und ihren Nachkommen zu versichern, daß «nur zehn Prozent» von ihnen unter den Folgen der Bombe zu leiden haben würden, wenn – wie jedermann weiß – über 300000 Menschen als «hibakusha» anerkannt werden mußten und nicht ein einziger von ihnen als wirklich gesund gelten kann; sie alle haben nicht nur unter den biologischen, sondern auch den soziologischen und psychologischen Folgen der plötzlichen Vernichtung ihrer Stadt, ihrer Familie, ihres Freundeskreises gelitten und leiden weiter.
Äußerlich scheint Hiroshima vergessen zu haben, aber es gibt – abgesehen von den vielen Neuankömmlingen – dennoch keine Familie, in der nicht auch heute noch fast Tag für Tag über das Unheil gesprochen wird, das ein einziger Fliegerangriff über alle brachte. Das hat mir der Soziologe Professor Yuzaki versichert, der sich bemüht, die gesellschaftlichen und seelischen Folgen des Bombardements zu untersuchen. Einige Leidenswege haben für alle, auch für diejenigen, die nicht oder noch nicht – das «noch nicht» verdüstert jede Aussicht – das Schlimmste durchmachen mußten, exemplarische Bedeutung gewonnen. So wurde zum Märtyrer der «hibaku nisei» ein Knabe namens Fumiki Nagoya, der im August 1960 zur Welt kam und spätes Opfer eines Krieges werden mußte, der fünfzehn Jahre vor seiner Geburt beendet worden war. Kurz vor seinem fünften Geburtstag erkrankte der Kleine an Leukämie. Durch Bluttransfusionen wurde er am Leben gehalten und konnte sogar für kurze Zeit in die Schule gehen. «Fumi» lernte dort schreiben und malen, so daß er später als Bettlägeriger ein Tagebuch führen konnte. Im Februar 1968 ist dieser junge «hibaku nisei» gestorben. Die Eltern, die alle Phasen dieses zu kurzen Lebens aufgezeichnet hatten, veröffentlichten 1968 ihren Bericht über diese Passion unter dem Titel: «Ich wollte leben. Der Tod eines ‹hibaku-nisei›» («Hibaku Nisei Fumiki-chan no Shi»). Der Eindruck, den dieses von einem großen Verlag in Tokio veröffentlichte Buch machte, war so groß, daß daraufhin die Probleme der «zweiten Generation» von «hibakushas» erstmals in ganz Japan diskutiert wurde. Aber erst im Februar 1980 entschloß sich das Gesundheitsministerium der japanischen Regierung endlich, alle Nachkommen von Atombombenopfern ärztlich untersuchen zu lassen. Ihre Zahl wird inzwischen auf 240000 geschätzt.
Fast zwölf Jahre nach Kriegsende hat es gedauert, bis das japanische Parlament und die Regierung endlich die Existenz und die Hilfsbedürftigkeit der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki überhaupt zur Kenntnis nahmen. Aber selbst dann hatten diejenigen, die von den Folgen des Bombardements körperlich und seelisch betroffen waren, große Schwierigkeiten, als Kriegsopfer anerkannt zu werden. Zwar erhielten 364261 Personen das «Gesundheitsbuch für A-Bomben-Geschädigte», aber bis zum März 1976 sind nur 1,2 Prozent tatsächlich in die Kategorie Vollpatienten aufgenommen worden.
Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurden die Bedingungen für die Wiedergutmachung zwar nach und nach etwas verbessert, die Hilfeleistung der Behörden wird jedoch immer noch von so vielen Vorschriften und Prüfungen abhängig gemacht, daß bis heute erst ein kleiner Teil der Leidenden eine gebührende Unterstützung erhält. Sie müssen zum Beispiel genau nachweisen, daß sie sich am 6. August 1945 (oder in den zwei darauffolgenden Wochen) nicht weiter als zwei Kilometer entfernt vom «Epizentrum», dem Ort der Bombenexplosion, aufgehalten haben. Diese Tatsache muß aber von mindestens zwei Zeugen bestätigt werden. Wie schwer, wenn nicht sogar ganz unmöglich es ist, sich solche Beglaubigungen zu verschaffen, wußten diejenigen, die derartige Vorschriften erließen, im voraus. Sie erreichten damit, was sie wohl auch angestrebt hatten: ein Großteil derer, die Anspruch auf Hilfe hätten, muß darauf verzichten.
Immer wieder erscheinen in Zeitungsannoncen und auf dem Fernsehschirm Aufforderungen von zurückgewiesenen Antragstellern, man möge sich doch an sie erinnern und ihnen beistehen. Nur selten hat jemand Fotos von sich und seiner Familie aus der Hölle von damals retten können. Woran sollen sich dann die gesuchten Zeugen nach Jahrzehnten halten? Es ist gar nicht zu vermeiden, daß es da zu Hunderten, wenn nicht Tausenden Gefälligkeitsaussagen kommt. Mancher humane Beamte drückt ein Auge zu. Aber es gibt natürlich auch die «Korrekten» und die «Scharfen». Sie behandeln die Antragsteller und ihre Zeugen nur zu oft als potentielle Betrüger. Hält man den Bürokraten das vor, so verteidigen sie sich, es würden sich sonst Schwindler auf Kosten derer bereichern, die wirklich Anspruch hätten.
In der Tat tauchen in der Skandalchronik von Nachkriegs-Hiroshima Fälle von «Unterstützungsbetrug» regelmäßig auf. Besonders mit einer Affäre – es handelte sich um einen städtischen Kontrollbeamten namens Yoshio Tanimoto, der sich jahrelang mit kleinen Summen bestechen ließ und dafür Gefälligkeitszertifikate ausfertigte – beschäftigten sich Lokalpresse und Lokalrundfunk so lange und so ausführlich, daß die Organisationen der «hibakushas» schließlich gereizt zum Gegenangriff übergingen. Sie protestierten gegen das ganze würdelose Prüfungsverfahren, das sie zu Recht als unerträgliche Demütigung bezeichneten und verlangten, daß es abgeschafft werde. Ihre Argumente: Selbst, wenn dann hier und da einmal etwas zuviel gezahlt würde, wäre das doch fast gar nichts im Vergleich zu den Milliarden, die von der Regierung bei der Wiederaufrüstung verschwendet würden.
Alle diese Beschwerden führten lediglich zu Versprechungen, man werde in Zukunft den Genehmigungsvorgang erleichtern, Zusagen, die bald wieder vergessen wurden. Genauso war schon zuvor der Versuch der «hibakushas» gescheitert, sich mit Hilfe der Gerichte Genugtuung zu verschaffen. Fünf Überlebende, die von ihren Organisationen ausgewählt worden waren, reichten 1963 beim Bezirksgericht Tokio Klage gegen die Vereinigten Staaten ein mit dem Ziel, ausreichende Entschädigungen zugesprochen zu bekommen. Zwar entschieden die Richter, daß der Einsatz einer Waffe, deren Wirkungen ungleich zerstörerischer und folgenreicher gewesen sei als jeder anderen, gegen das Völkerrecht verstoßen habe. Sie sahen sich aber nicht imstande, daraus durchsetzbare Ansprüche abzuleiten.
Noch schwerer als die japanischen «hibakushas» hatten es ihre koreanischen Leidensgefährten. Als die Bombe fiel, befanden sich schätzungsweise 50000 Koreaner in und um Hiroshima. Sie hatten meist für die Rüstungsindustrie und das Militär geschuftet. Oft waren sie gegen ihren Willen von den japanischen Machthabern, die Korea wie eine Kolonie behandelten, unter Sklavenbedingungen zu den schwersten Arbeiten gepreßt worden. Auch koreanische Frauen und Mädchen kamen bei dem Atomangriff um. Man hatte sie gezwungen, in den Soldaten- und Seemannsbordellen der Garnisonsstadt zu «dienen». Nach der Katastrophe, bei der vermutlich 30000 bis 35000 dieser Zwangsarbeiter getötet wurden, blieben die überlebenden Koreaner sich völlig selbst überlassen. Von den anderen, die davongekommen waren, wurden sie nach wie vor diskriminiert. Die alten rassischen Vorurteile waren nicht einmal durch das gemeinsam Erlittene beseitigt worden. Die Koreaner versuchten, wenn es ging, ihre Identität zu verbergen. Viele sprachen kaum oder gar kein Koreanisch mehr und hatten sich ganz an japanische Sitten angepaßt. Aber ein solches Versteckspiel war riskant, und so kehrten die meisten dieser Atomopfer schließlich nach Süd- oder...
Erscheint lt. Verlag | 23.9.2016 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Atombombe • Atomkraft • Hiroshima • Japan • Journalismus • Journalistik • nachwirkungen • Radioaktivität • Sachbuch • Schicksal • Verstrahlung • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-688-10044-1 / 3688100441 |
ISBN-13 | 978-3-688-10044-6 / 9783688100446 |
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