Skandal in Togo (eBook)

Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
400 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490217-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Skandal in Togo -  Rebekka Habermas
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Das wahre Gesicht des deutschen Kolonialismus: Im neuen Buch ?Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialisierung? der renommierten Historikerin Rebekka Habermas geht es um koloniale Sehnsüchte, fragile Macht und Gewalt. Im Mittelpunkt steht ein Skandal, der sogar den Reichstag im fernen Berlin auf den Plan rief: 1900 soll der Kolonialbeamte Geo Schmidt eine junge Afrikanerin vergewaltigt haben. Doch solche Übergriffe waren in den Kolonien nahezu alltäglich, warum also die Aufregung? Hier erfahren wir, worum es wirklich ging: Der Kolonialbeamte, eigentlich der mächtigste Mann vor Ort, rang nicht nur mit der afrikanischen Bevölkerung. In Togo waren auch christliche Missionare tätig, die vor allem Gottes Wort verbreiten wollten und ihre Bemühungen durch Geo Schmidt gefährdet sahen. Ihre unzähligen Briefe nach Berlin, in denen sie Schmidts Treiben schildern, sind beredte Zeugnisse eines grundlegenden Konflikts im kolonialen Raum. Und sie führten dazu, dass im Berliner Reichstag Abgeordnete wetterten, die Mission der Zivilisierung in Afrika werde durch brutale Kolonialbeamte gefährdet. Lebendig schildert Rebekka Habermas die Beziehungen, Interessen und Motive der Beteiligten, den Rassismus und Alltag vor Ort und die kolonialen Echos, die der Skandal in der Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs hervorrief. Damit bietet sie neue, erstaunliche Einblicke - eine glänzend erzählte Mikrogeschichte des Kolonialismus und ein wichtiger Beitrag zur Kolonialgeschichte.

Rebekka Habermas, geboren 1959, lehrte von 2000 bis 2023 Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität in Göttingen. Sie war unter anderem Gastprofessorin an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und Fellow am St Antony's College in Oxford. 2015 wurde ihr Artikel »Lost in Translation: Transfer and Non-Transfer in the Atakpame Colonial Scandal« durch das Higby Prize Committee ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihr die Bücher »Diebe vor Gericht. Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert« (2008), »Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne« (hg. mit Alexandra Przyrembel, 2013) und »Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert« (hg. mit Richard Hölzl, 2014).Rebekka Habermas verstarb 2023 nach schwerer Krankheit.

Rebekka Habermas, geboren 1959, lehrte von 2000 bis 2023 Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität in Göttingen. Sie war unter anderem Gastprofessorin an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und Fellow am St Antony's College in Oxford. 2015 wurde ihr Artikel »Lost in Translation: Transfer and Non-Transfer in the Atakpame Colonial Scandal« durch das Higby Prize Committee ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihr die Bücher »Diebe vor Gericht. Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert« (2008), »Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne« (hg. mit Alexandra Przyrembel, 2013) und »Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert« (hg. mit Richard Hölzl, 2014). Rebekka Habermas verstarb 2023 nach schwerer Krankheit.

Das Buch liest sich über weite Strecken wie ein spannender Detektivroman mit überraschenden Wendungen.

Vor allem ist [das Buch] spannend geschrieben und dadurch geeignet, über den akademischen Expertenkreis hinaus Interesse an der Kolonialgeschichte zu wecken.

Habermas' Analyse liefert erhellende Erkenntnisse über die Strukturen kolonialer Herrschaft zu Zeiten des Kaiserreichs.

flüssig, teils elegant geschriebene und auf jeden Fall gut lesbare […] Studie

eine theoretisch luzide, genaue Fallstudie

Lokales und Globales: Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte


»Besser wäre es gewesen, all das, was hier ans Licht gezogen wurde, tief am Fusse eines Berges zu vergraben. Es wäre leicht möglich gewesen (…). Wir haben einmal Einblick bekommen in das, was hinter den Kulissen sowohl hier in Togo wie im ganzen großen Kolonialtheater alles spielt. Manche Illusion ist mir dadurch freilich geraubt worden.«

Ludwig Külz, 1906[13]

Um solche alltäglichen Episoden, die sich in der überschaubaren Amtszeit eines einzelnen Kolonialbeamten zugetragen haben, zum Sprechen zu bringen, benötigt man möglichst viele Quellen möglichst unterschiedlicher Provenienz. Die Archive in Berlin, Lome, London und Rom bergen umfangreiches Material, das tiefe Einblicke nicht nur in die Situation vor Ort gewährt, sondern auch in eine Welt, die weit größer ist als der Bezirk Atakpame und die Kolonie Deutsch-Togo. Diese größere Welt wird jedoch erst sichtbar, wenn man den Mikrokosmos aus der Nähe betrachtet. Damit stellt sich die alles andere als einfache Frage, welche Betrachtungsweisen und Methoden dafür am besten geeignet sind. Ich habe mich für eine koloniale Mikrogeschichte (microstoria) entschieden, und zwar aus mehreren Gründen.

Erstens erlaubt eine Beschreibung aus möglichst großer Nähe, die unterschiedlichen Akteure und Akteurinnen, die für das Geschehen vor Ort von Bedeutung waren, genau zu erfassen. So kann man der in den postcolonial studies zu Recht heraufbeschworenen Gefahr entgehen, mit einem eurozentrischen und überdies häufig noch kolonialen Blick allein die europäischen Akteure sichtbar zu machen. In Togo gab es neben einer schmalen afrikanischen Oberschicht von Kaufleuten, von denen manche in London ausgebildet worden waren, vor allem Frauen und Männer, die vom Ackerbau lebten, aber auch Händlerinnen, die ihre Waren auf verschiedenen Märkten der Region feilboten, dazu sogenannte Fetischpriesterinnen sowie Handwerker und einige wenige Missionsgehilfen und Männer, die für die deutsche Kolonialregierung arbeiteten.

Nur wenige Personen aus dieser Region sind den deutschen Behörden oder der Mission namentlich bekannt geworden: Einige Kautschukhändler und -händlerinnen sind in den Akten festgehalten, da sie gegen Verbote verstoßen hatten oder aus anderen Gründen aktenkundig wurden. Kaufleute tauchen in Schriftsätzen häufiger auf, aber auch etliche Chiefs. Einige Vertreter der togolesischen Handelselite, unter ihnen Mitglieder der panafrikanischen Bewegung, die in der Gold Coast Colony (Goldküste, das heutige Ghana) lebten und eng vernetzt mit London waren, sind durch Artikel in der zeitgenössischen afrikanischen Presse bekannt. Im Missionsarchiv der Steyler wiederum findet man die Namen von einigen Fetischpriesterinnen, ebenso von einem knappen Dutzend Schülern sowie von Missionshandwerkern, die halfen, die Missionsstation instand zu halten.

Neben der afrikanischen Bevölkerung, die konservativen Schätzungen zufolge etwa eine Million Menschen umfasste, lebten in ganz Togo rund 300 Deutsche, jeweils ein Drittel Beamte, Kaufleute und Missionsangehörige. Zu den wenigen Deutschen in Atakpame gehörte eben jener Geo Schmidt, der als Distriktleiter eingesetzt war. Er war studierter Land- und Forstwirt und, als er 1900 nach Togo kam, gerade einmal 30 Jahre alt. Neben ihm gab es nur noch zwei, drei andere, etwa gleichaltrige Deutsche vor Ort, allesamt Mitglieder der Steyler Mission, die ungefähr zur gleichen Zeit, als Schmidt seinen Posten antrat, begonnen hatten, in Atakpame ihre Station aufzubauen.

Über die Deutschen aus Atakpame, aber auch aus anderen Teilen der Kolonie, die auf die eine oder andere Art in die Vorfälle um Geo Schmidt verwickelt waren, wissen wir weit mehr als über die afrikanischen Beteiligten. Stationsleiter benachbarter Distrikte und auch Mediziner haben reichhaltiges Material hinterlassen, ebenso der damalige Gouverneur Waldemar Horn sowie weniger hochrangige Beamte. Schließlich sind die Missionsangehörigen der Steyler und teilweise auch der Norddeutschen Mission zu nennen, die in Deutsch-Togo zahlreiche Stationen unterhielten und die meisten Dokumente hinterlassen haben.

Ein Blick aus der Nähe hat zweitens den Vorteil, die häufig kritisierte isolierte Betrachtung der Beziehung zwischen Metropole und Kolonie beziehungsweise die enge Fokussierung allein darauf zu durchbrechen. Verschiedene Akteure in Togo waren nämlich schon seit einigen Jahrhunderten mit vielen anderen näheren und ferneren Räumen verbunden. So war Atakpame über die Handelsrouten der Kaufleute mit der Küste und mit dem Norden des Landes vernetzt, ja es kann als ein wirtschaftlicher Knotenpunkt des Landes bezeichnet werden. Dazu gab es Verbindungen zur ostafrikanischen Küste über die klassischen Karawanenrouten, die vor allem von den Haussa-Händlern genutzt wurden. Der Weg nach Aneho, dem neben Lome wichtigsten Ort an der togolesischen Küste, und von dort in die französische Nachbarkolonie Dahomey war eine seit Jahrzehnten eingespielte Handelsroute. Über Kaufleute, aber auch über die Verbindung der Distriktleiter zum Gouverneur, bestanden enge Kontakte nach Lome, der Küstenstadt, in welcher der deutsche Gouverneur lebte und in der die Schiffe aus Europa und den Nachbarkolonien anlegten. Aber auch die Kautschukhändlerinnen pflegten zahlreiche Kontakte, vor allem zu Dörfern im Westen der Kolonie bis in die englische Gold Coast Colony hinein, von wo es direkte Verbindungen nach London gab. Die aus Brasilien stammenden Kaufleute hielten über den Atlantik Kontakt mit dem amerikanischen Kontinent.

Recht jung hingegen waren die Verbindungen zwischen Togo und dem Kaiserreich. Sie wurden durch die Dampfschifflinie Woermann gesichert, die zwischen Hamburg und Afrika verkehrte, und seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit Hilfe der Telegraphenlinie nach Berlin intensiviert. Daneben gab es die über die Mission hergestellten Verbindungen: Die Norddeutsche Mission – die sich bereits hier niedergelassen hatte, bevor dieser Küstenstreifen zur deutschen Kolonie geworden war – verband Togo mit dem Missionssitz in Bremen sowie mit dem Württembergischen, denn eine ganze Reihe afrikanischer Missionsgehilfen wurde dorthin geschickt, um Deutsch zu lernen. Daneben gab es noch die Steyler Mission, die erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Togo gekommen war und über Briefe sowie persönlichen Kontakt mit dem Mutterhaus in Steyl an der deutsch-holländischen Grenze Verbindung hielt. Zu erwähnen sind auch die Kontakte einzelner Kolonialbeamter und Missionare zu Vertretern des Reichstags – etwa zu Matthias Erzberger oder zum Zentrumsabgeordneten Hermann Roeren. Politische Verbindungen entstanden außerdem innerhalb der westafrikanischen politischen Elite, nicht nur zwischen Togo und der Goldküste, sondern bis nach Lagos. Die dortige Elite wiederum war über verschiedene Presseorgane mit England und Amerika vernetzt und hatte über die Abolitionist Society sogar Kontakte nach Indien. Hier wird sichtbar, dass auch Atakpame Teil des von Paul Gilroy so anschaulich beschriebenen Black Atlantic war, jenes Raums, der durch den Dreieckshandel der Sklavenhändler zwischen Europa, Afrika und Amerika geschaffen worden war und mittlerweile ein teilweise enges Kontaktnetz darstellte. Über dieses Netz wurden längst nicht mehr nur Menschen und Waren, sondern auch Nachrichten, Musik, Ideen und vieles mehr transportiert.

Wenn man diese zahlreichen Verbindungen aus der Nähe betrachtet und ihre Bedeutung für den Hergang der Ereignisse in Atakpame und deren Resonanzen andernorts ernst nimmt, zeigen sich überraschende Bezüge: So sind die Ereignisse von Atakpame letztlich auch im Zusammenhang mit den Anfängen der panafrikanischen Bewegung zu sehen, spielten sie doch in den westafrikanischen Blättern der diese Bewegung tragenden Afrikaner eine nicht unwichtige Rolle. Auch zeigt sich, dass die Skandalisierung vermeintlich sexwütiger Beamter im Zusammenhang mit einem der größten kolonialwirtschaftlichen Projekte des Kaiserreichs stand, das auch von Wissenschaftlern wie Max Weber unterstützt wurde: der Einführung und Etablierung einer Baumwollvolkskultur.

Eine koloniale Mikrogeschichte (microstoria) gibt drittens Einblicke in kleine, aber bedeutsame Differenzen und Konflikte, die aus größerer Distanz unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleiben. So werden etwa die Differenzen zwischen einzelnen Personen sichtbar – seien es nun jene aufseiten der Deutschen oder jene zwischen den Afrikanern und Afrikanerinnen –, die jenseits der sich darin offenbarenden persönlichen Animositäten von Bedeutung sind. Damit wird auch die in jüngster Zeit immer wieder betonte Forderung erfüllt, die Vielstimmigkeit sowohl der Europäer als auch der Afrikaner nicht zu unterschlagen, um vorschnelle Vereinfachungen zu vermeiden und die Widersprüche und die Brüchigkeit des Kolonialismus in nuce sichtbar zu machen.[14] Im Fall von Atakpame eröffnet der Blick auf diese Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit auch eine neue Sicht auf die koloniale Situation. Diese war weder ausschließlich durch Kolonialbeamte noch in erster Linie durch Missionare bestimmt, geschweige denn durch eine Konfrontation zwischen afrikanischer Bevölkerung und Kolonialamt, sondern durch die tagtägliche Interaktion sehr unterschiedlicher Teile der einheimischen Bevölkerung mit Mission, Kolonialbeamten und zuweilen auch Kaufleuten, die freilich in Togo eine eher untergeordnete Rolle spielten.

Der gleichzeitige Blick auf die afrikanische Bevölkerung, auf Beamte...

Erscheint lt. Verlag 22.9.2016
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Afrika • Atakpame • Berlin • Christen • Deutsches Kaiserreich • Gewalt • Hottentotten-Wahlkampf • Kautschuk • Kolonialbeamte • Kolonialgeschichte • Kolonialismus • kolonialkritik • Lome • Mission • Presse • Rassismus • Reichstag • Sexualität • Sozialdemokrat • Zentrum • Zivilisierung • Zwangsarbeit
ISBN-10 3-10-490217-8 / 3104902178
ISBN-13 978-3-10-490217-3 / 9783104902173
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,2 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich