Narco Wars (eBook)

Der globale Drogenkrieg

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
216 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-350-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Narco Wars - Martin Specht
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Martin Spechts Reportagen sind direkt an den Schauplätzen des globalen Drogenkrieges entstanden: Er trifft einen Auf-tragsmörder, der in Honduras u. a. für ein kolumbianisches Drogenkartell tötet, oder beobachtet die mexikanische Polizei und die Armee in Afghanistan bei ihren umstrittenen Einsätzen im Drogenkrieg. Specht spricht mit Fahndern US-amerikanischer Spezialkräfte über ihre geheimen Operationen und mit »Mr. Kokain« und »Mr. Heroin« bei Europol über die Schmuggelwege nach Europa, oder er recherchiert, wie der Amphetaminmarkt mit dem syrischen Bürgerkrieg zusammenhängt.
Wie im »War on Terror« ist auch im »War on Drugs« die Grenze zwischen rechtsstaatlicher Strafverfolgung und geheimdienstlichen Operationen längst verwischt. Die internationale Staatengemeinschaft ist in einen Konflikt mit völlig ungewissem Ausgang verwickelt.
Martin Spechts Nahaufnahmen des globalen Drogenkrieges zeigen, wie wenig die bisherigen Strategien zur Bewältigung des Problems taugen.



Jahrgang 1964, Journalist, berichtet seit 1989 aus Osteuropa, dem Balkan, Afrika und Zentralasien. Seine Reportagen werden international publiziert. 2008 war er für den Prix Bayeux-Calvados, den internationalen Preis für Kriegsberichterstattung, und 2009 für den Henri-Nannen-Preis nominiert. Seit einigen Jahren hält er sich jedes Jahr für längere Zeit in Kolumbien auf, bereist dabei Lateinamerika und insbesondere die Amazonasregion.
Im Ch. Links Verlag sind von ihm erschienen: »Heute trifft es vielleicht dich. Deutsche in der Fremdenlegion« (2014), »Narco Wars. Der globale Drogenkrieg« (2016) und »Kolumbien - Ein Länderporträt« (2018).

Martin Specht, Jahrgang 1964, begann seine Karriere als Journalist 1989 mit Berichten über den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa. 1991 bis 2004 reiste er auf dem Balkan und in Afrika, um über die Bürgerkriege auf beiden Kontinenten zu informieren. 2005 dokumentierte er im Auftrag der Vereinten Nationen die Hungersnot in Niger sowie das Erdbeben in Pakistan. Seit 2007 verbringt er jedes Jahr bis zu mehrere Monate im Irak und in Afghanistan, um vom dortigen Kriegsgeschehen in Wort und Bild zu berichten. Martin Spechts Reportagen werden international publiziert. 2008 war er für den Prix Bayeux-Calvados, den internationalen Preis für Kriegsberichterstattung, und 2009 für den Henri-Nannen-Preis nominiert. Von ihm ist im Ch. Links Verlag erschienen: "Heute trifft es vielleicht dich. Deutsche in der Fremdenlegion" (2014).

HONDURAS: BEGEGNUNG MIT
EINEM AUFTRAGSMÖRDER


Die Erde kann das Regenwasser nicht mehr aufnehmen. Auch nicht das Blut, das aus den Schusswunden des Toten sickert. Alles fließt zwischen Steinen und Müll am Boden Gott weiß wohin. Der Regen fällt ohne Pause vom Himmel, und das Wasser läuft an mir herunter. In meine Turnschuhe hinein. Eine Frau lässt sich laut schreiend auf die Erde fallen und bleibt wimmernd im Matsch liegen. Um sie herum stehen andere Menschen. Als sie die Schüsse gehört haben, sind sie aus den Hütten auf die Straße gekommen. Die Frau wälzt sich zwischen den Füßen der Nachbarn hin und her. Ab und zu stöhnt sie laut auf. Ich sehe, wie ihre dicken, nackten Beine ins Leere treten. Eine Handvoll Polizisten und Soldaten nähert sich der Menschenansammlung. Während die Soldaten mit ihren M-16-Schnellfeuergewehren im Anschlag die Umgebung beobachten, leuchten die Polizisten mit Taschenlampen den Boden um den Toten herum ab. Der Regen verschluckt die Strahlen wie eine pechschwarze Wand. Es schüttet, als würde die Welt untergehen. Für die Frau trifft das möglicherweise sogar zu. Sie windet sich immer noch am Boden und schreit kurz hintereinander mehrmals besonders laut auf. Vielleicht hofft sie, dass ihre Verzweiflung wie das Blut vom Regen weggewaschen wird. Aber das Blut vermischt sich mit dem Regenwasser zu einer rotbraunen Brühe, die stehen bleibt. Die Frau vergräbt ihr Gesicht im Schlamm und wimmert hilflos.

Der Tote liegt schutzlos auf der Erde. Das Licht einer Taschenlampe lässt das Blut an Kopf und Oberkörper hellrot aufscheinen. Die Haare sind zu einer matschigen Masse verklebt. Im Schädel klafft ein Loch. Ein gewaltiger Schauer prasselt plötzlich vom Himmel. Im Schritttempo fährt ein weißer Kastenwagen auf die Menschen zu. Seine Scheinwerfer streifen einen Moment lang die unbeleuchteten Hütten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein Hund beginnt, in der Dunkelheit dahinter heiser zu bellen.

Ein Mordopfer in San Pedro Sula, Honduras 2016

Der Wagen wendet und fährt rückwärts an den Tatort heran. Auf den Seiten steht in schwarzer Schrift »Medicina Forense«. Gerichtsmedizin. Ein Mann in Jeans und hellem Hemd steigt auf der Beifahrerseite aus und geht mit einem braunen Plastiksack in der Hand zu dem Toten. Als er sich über die Leiche beugt, fällt aus seiner Hemdtasche ein Kugelschreiber in eine Blutlache. Der Mann flucht, hebt den Stift auf und hält ihn kurz in den herabstürzenden Regen. Anschließend wischt er ihn an der Hose des Toten ab und steckt ihn wieder ein. Er hebt mit einer Hand Schulter und Kopf des Ermordeten an und schiebt mit der anderen den geöffneten Plastiksack über dessen Oberkörper. Dann arbeitet er sich bis zu den Füßen vor, und lässt den Leib in dem Sack verschwinden. »Volontarios?«, ruft der Gerichtsmediziner. Er fragt nach Freiwilligen. Sie sollen ihm helfen, den Toten zu tragen. Zwei Männer gehen zu ihm hin. Zu dritt schleppen sie die Leiche zum Fahrzeug. Auf der Ladefläche liegen bereits drei Säcke. Aus einem läuft Blut. Nummer vier wird mit einem Schwung obendrauf geworfen.

Die Frau kauert immer noch auf der Erde. Sie ist jetzt still und bewegt sich kaum. Ich weiß nicht, was sie mit dem Toten verbindet. Vielleicht war es ihr Ehemann, ihr Sohn, Bruder oder ein Freund. Die Polizisten halten sich nicht damit auf, Zeugen zu befragen oder den Tatort genauer zu untersuchen. Die Anwohner verschwinden schnell wieder in ihren Hütten. Die Frau steht auf. Sie wird von anderen Frauen gestützt und langsam durch Regen und Dunkelheit weggeführt. Ich gehe zurück zum Taxi. Meine Kleidung ist klatschnass. Bevor ich einsteige, entschuldige ich mich deswegen beim Fahrer. Wir sind zufällig an dem Schauplatz des Mordes vorbeigekommen. Ich wollte mir die Stadt anschauen. Im Februar 2016 bin ich in San Pedro Sula in Honduras, um einen Mörder zu treffen.

Während ich mich in Kolumbien aufhielt, schickte mir ein Bekannter aus San Pedro Sula eine Nachricht: »Möchten Sie einen sicario treffen?«

Ich wusste, dass dieser Informant über gute Beziehungen zu Kriminellen verfügt. Langsam übersetzte ich den Text der SMS ein zweites Mal, diesmal etwas sorgfältiger:

»Möchten Sie einen Auftragsmörder kennenlernen?«

»Warum nicht«, schrieb ich zurück. Kurz darauf brachte ich noch eine Nachricht auf den Weg:

»Vielleicht können wir das besprechen, wenn wir uns sehen.«

Ich flog nach Honduras. San Pedro gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Die mexikanische Nichtregierungsorganisation El Consejo Ciudadano para la Seguridad Pública y la Justicia Penal (CCSPJP, ungefähr zu übersetzen mit: Bürgervereinigung für öffentliche Ordnung und Kriminaljustiz) veröffentlicht jährlich eine Liste mit den 50 gefährlichsten Orten der Welt. Die Statistik – sie stützt sich auf Zahlen der lokalen Gesundheits- und Justizbehörden – untersucht die Anzahl der Morde pro 100 000 Einwohner. Sie bezieht sich ausschließlich auf Metropolen außerhalb von Kriegsgebieten. Die Menschen, die in der Statistik auftauchen, sind nicht durch Artillerie- oder Luftangriffe ums Leben gekommen, sondern durch alltägliche, dennoch mörderische Kriminalität.

Im Jahr 2016 lagen 41 der weltweit 50 gefährlichsten Städte in Lateinamerika. Das venezolanische Caracas an erster Stelle, gefolgt von San Pedro Sula, das zuvor vier Jahre lang auf Platz 1 gelegen hatte. In San Pedro gab es 2016 111 Tötungsdelikte pro 100 000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland sind es gerade mal 0,8 je 100 000; in der Schweiz 0,5. Die Gefahr, in San Pedro Sula eines gewaltsamen Todes zu sterben, ist 222 Mal höher als in der Schweiz.

Nach Tegucigalpa, der Hauptstadt, ist San Pedro Sula die zweitgrößte Stadt des Landes und wichtigster Industriestandort in Honduras. Die Hafenstadt Puerto Cortés ist nur etwa 50 Kilometer entfernt. Von dort werden Container und Güter in alle Welt verschifft. Außerdem führt eine der wichtigsten Straßen in Richtung Norden – nach Guatemala und Mexiko – durch San Pedro Sula. Die Infrastruktur wird nicht nur von den Industriebetrieben und Zulieferern genutzt, sondern auch von Drogenschmugglern, die Kokain aus dem Süden – hauptsächlich Kolumbien – via Zentralamerika in die USA transferieren wollen. Die Drogenkriminellen bedienen sich in San Pedro Sula mehrerer ortsansässiger Gangs, um ihre Transporte zu schützen. Diese Gangs wiederum kämpfen um die Vorherrschaft in den Territorien, in denen sie Wegzölle, den sogenannten piso, einfordern können. Darum und wegen der verbreiteten Praxis der Schutzgelderpressung leiden die Einwohner San Pedro Sulas seit Jahren unter einer anhaltenden Welle der Gewalt. Die Aufklärungsquote der zahllosen Morde in San Pedro ist verschwindend gering.

Leider hatte die Fluggesellschaft mein Gepäck – samt Regenjacke – irgendwo vergessen. Darum bestand meine erste Unternehmung in »Gefährlichste Stadt der Welt, Platz Zwei« darin, loszuziehen, um mir eine Zahnbürste zu kaufen. In einer verregneten Abenddämmerung ging ich den Bordstein entlang. Der Hotelportier hatte mir den Weg zu einem Geschäft beschrieben. Mir fiel auf, wie wenig Menschen auf der Straße waren. Die meisten Häuser – eingeschossige Bungalows – hatten vergitterte Eingangstüren und Fenster. In den Gärten glänzten die Pflanzen grün vor Nässe. Die Insassen der Fahrzeuge, die an mir vorbeifuhren, blieben unsichtbar hinter getönten Scheiben. Ich wich vor dem aufspritzenden Regenwasser an den Rand des Bürgersteigs aus und fand schließlich die tienda. Durch ein schweres Eisengitter hindurch reichte mir der Ladenbesitzer die Tüte mit meinen Einkäufen. Pick-ups der Armee glitten auf Patrouille langsam durch den Sprühregen. Auf der Ladefläche junge Soldaten, die ihre Maschinenpistolen schussbereit vor sich hielten. Einige Zeit später nehme ich ein Taxi, um die Stadt zu erkunden und mich mit meinem Informanten zu treffen.

»Woher weiß ich, dass der sicario echt ist?«, möchte ich von meinem Informanten wissen. Orlin hat dunkle Augen und trägt eine braune Lederjacke. Ich erkenne eine Schusswaffe in seiner Jackentasche. Er hat schon öfter Journalisten bei ihren Recherchen geholfen. Orlin hat sein Leben in San Pedro verbracht und zeitweise als Polizeireporter für einen lokalen Fernsehsender gearbeitet. Der junge Mann wurde schon einmal angeschossen, als Kriminelle versuchten, ihn zu ermorden. Ich kann mir vorstellen, wie riskant es für ihn sein muss, sich in San Pedro zu bewegen. Er kennt viele Menschen: Kriminelle, Polizisten, Militärs, Gangmitglieder und viele mehr. Sie wissen, wo er wohnt, was für ein Auto er fährt. Dass er Frau und Kinder hat. Wann er zu Hause ist und wann nicht. Orlin weiß um das Risiko, das er als Informant eingeht. Er hat offensichtlich den nötigen Mut.

Wir stehen vor seinem Wagen im Regen und reden.

»Weißt du«, sage ich. »Der sicario kann mir alles erzählen: Dass er 20 Menschen getötet hat, oder dass er keinen Menschen getötet hat.«

»Wollen wir ihn fragen, ob du bei einem Mord dabei sein kannst?«

Orlin meint das durchaus ernst.

»Nein.«

Ich frage ihn, ob er den Auftragsmörder schon mal getroffen hat.

»Ich habe von ihm gehört. Er ist ein sehr schlechter Mann. Muy mal. Für ihn ist es Alltag, Menschen zu töten.«

...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2016
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Zusatzinfo 19 s/w-Abbildungen und 3 Karten/Tabellen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Amphetaminmarkt • DEA • Drogen • Drogenkrieg • Europol • Kolumbien • Mexiko • War on Drugs
ISBN-10 3-86284-350-5 / 3862843505
ISBN-13 978-3-86284-350-3 / 9783862843503
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