Ein Mal rund ohne abzuheben (eBook)
124 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7412-8742-8 (ISBN)
Dr. Rüdiger May, Jg. 1949, studierte Politologie, Wirtschaftspolitik und Soziologie in Bonn, arbeitete lange in der Politikberatung, so auch in Lateinamerika. Er hat (fast) die ganze Welt bereist, und einige Bücher geschrieben. May lebt mit seiner Familie in Südamerika.
3 Von Southampton nach New York
Planmäßig fand die von Cunard reich gesponserte Reise im nächsten Sommer statt, zu Hochsaison-Preisen. Am 26.7.1995 legt die QE2 pünktlich ab, die Kabine gefällt uns, und wir legen das Bordguthaben gleich in ein schickes Abendkleid für meine Frau Barbara an.
Eine Relax-Reise mit recht gutem Essen, der üblichen Bordunterhaltung, neuen Bekanntschaften – aber immer in seiner „Klasse“. Natürlich, das Schiff hat keine 1., 2. und 3. Klasse mehr, die wir aus dem Titanic-Film kennen, auch keine Zwischendeck-Passagiere wie in der Auswandererzeit, heute verbrämt man das ein bisschen: Da gibt es die „Queens Grill Passengers“ (1. Klasse), die „Princess Grill Passengers“ (2. Klasse) und diejenigen, die im Mauretania-Restaurant (heute Britannia-Kategorie) schon etwas weniger luxuriös speisen. Eisengitter trennen die Welten nicht mehr voneinander, aber durchaus Schilder wie „For Queens Grill Passengers only“. Die britische Klassengesellschaft lebt fort, auch nach der Außerdienststellung der QE224 auf der neuen Queen Elizabeth25, der Queen Mary26 und der Queen Victoria27. Dafür haben sich die Preise „demokratisiert“28.
Das Leben an Bord auf dieser Atlantik-Überquerung ist gemächlich. Morgens meldet sich der Kapitän mit den wichtigsten Daten zu Fahrt, Temperaturen, Wind, Position (ein Mal gab er auch die Entfernung zur Titanic auf dem Grund des Meeres an), drei volle Mahlzeiten, dazwischen Bouillon, der darf bei Briten ja nicht fehlen, und Tea-Time. Abends dann entweder Disko oder steifer Tanz. Auch die traditionellen Eintänzer sind mit an Bord, damit keine der zumeist älteren Damen unversorgt bleibt. Natürlich fehlt auch der Kapitäns-Empfang nicht… Captain’s Dinner gab es nur in den höheren Etagen, wo so mancher vornehme Passagier Zusatzdienste in Anspruch nahm wie den Hundedienst (Unterbringung, Verpflegung und Betreuung des geliebten Vierbeiners29) oder die Mitnahme des eigenen Autos.
Jede Nacht wird die Uhr eine Stunde zurückgestellt, so dass man ohne time-lag ankommt.
Die Ankunft in New York ist spektakulär und man sollte sie sich ein Mal im Leben gönnen: Morgens an der Freiheitsstatue vorbei in das gerade erwachende Manhattan. Die Einreise war für uns denkbar einfach, den US Costums war bereits seit Southhampton an Bord (was für ein toller Job!) und hatte die Passagiere abgefertigt, und deshalb ging man völlig unbeschwert von Bord.
Exkurs: Von Reisenden und Touristen
Als ich mir Notizen für diesen Exkurs machte, fiel mir das Bonmot eines ausgewiesen lebensfrohen Freundes ein: „Es ist alles schlechter geworden, nur eins ist besser geworden, die Moral ist schlechter geworden.“
In der Tat, das ist so eine Sache mit dem „schlechter oder besser werden“.
Manchmal ist es nur Nostalgie oder Modernismus, was uns im Urteil zum einen oder anderen hin tendieren lässt.
Natürlich ist man in seiner Definition eines Ideals nicht frei vom persönlich-sozialen Hintergrund, so auch in der Vorstellung davon, wozu Reisen gut sein soll, und welchen Zielen Tourismus zu dienen hat. Als Bildungsbürger (wenn auch proletarischer Herkunft) muss ich gestehen, dass mir da immer Goethes Reise nach Italien30 einfällt, oder die Mittelmeer-Lustreise der Caroline von Braunschweig31 ab 1814, bei der sie so im Vorbeigehen die Villa d’Este am Corner See erwarb oder zumindest die Harzreise von Heinrich Heine mit seinen bissigen Beobachtungen32.
Von solchen wunderbaren Kutschfahrten, bei denen man die Veränderung von Landschaft, Klima, Bevölkerung, Kultur… ganz langsam „erfuhr“ und aufnahm, sind wir in unserer heutigen Art zu reisen weit entfernt. Sie sind ebenso Nostalgie wie die Reisen auf dem Nil à la „Tod auf dem Nil“ oder mit dem Orientexpress33, der allerdings noch immer fährt, wenn auch nur 2 x im Jahr (und zu horrenden Preisen) und der mit dem Danube-Express34 Zuwachs bekommen hat.
Individuelle Reisen, auch solche mit Expeditionscharakter, so wie sie der als Erfinder des Tourismus geltende Thomas Cook35 im Auge hatte, gibt es natürlich immer noch, selbst für Familien36, und mit genug Kleingeld kann man selbst Reisen der Könige heute nachfahren37, zumindest ein wenig.
Bei der Etablierung des organisierten Massentourismus kam der Nazi-Organisation Kraft durch Freude (KdF) eine Pionierrolle zu. Plötzlich konnten hier „Volksgenossen“ reisen, die sonst nie von ihrer Scholle oder ihrer Fabrikhalle weg gekommen wären.
Allerdings war diese Organisation nicht als Wohltat für das Volk gedacht, sondern als Element zur Stärkung der sog. Volksgemeinschaft und zum Fitmachen für den Krieg. Ein glühender schweizerischer Nazi-Verehrer38 beschreibt (als Mitreisender auf dem KdF-Schiff „St. Louis“) die Grundsätze, die hier verwirklicht werden sollen: „…Kraftgewinn, Steigerung der individuellen Werte und Volksgemeinschaft“.
Die touristische Erschließung des Bayrischen Waldes, des Westerwaldes, des Harzes etc. diente auch der wirtschaftlichen Entwicklung von bisher vernachlässigten Regionen. Wie sich Urlaub im damals größten Gebäudekomplex der Welt, Prora39 auf Rügen, letztlich entwickelt hätte, bleibt der Phantasie überlassen. Der Krieg machte den Plänen ein Ende.
KdF hatte bis kurz vor Kriegsbeginn insgesamt 9 eigene oder gecharterte Schiffe, die zwar auch Angebote für einfache Volksgenossen machten (z.B. eine Nordlandfahrt ohne Landgänge für 59,95 Reichsmark), aber viele Fahrten fanden später eher für die NS-Nomenklatura statt40. – Zu Kriegsbeginn wurden die Schiffe von der Wehrmacht vereinnahmt.
Italien war (nach Bayern und Österreich) dann nach dem Krieg und der Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Wohnung und Essen das erste Ziel der Fernweh-Begierde der Deutschen, dorthin ging es mit Sonderzügen, Bussen, vielleicht auch schon mit dem eigenen Auto. Zwar sprach man verächtlich von den „Itakern“, bewunderte aber deren Lebensart und Esskultur. Noch heute sind die meisten Gaststätten in Deutschland „Italiener“, inzwischen aber von so manchem Araber geführt41.
Die Völkerwanderung in Richtung Spanien setzte dann mit preiswerten Flügen ein; nun bewegten sich auch bisherige Stubenhocker, verlangten aber nach besonderer Betreuung, wie Transfer zum/vom Hotel, möglichst auch deutsches Essen und Personal, das sie verstanden. Der organisierte Massentourismus vom Typus Neckermann und TUI war geboren. – Natürlich blieb das Phänomen nicht auf Deutschland beschränkt, auch die Briten strebten in die Sonne, Die Schweizer, die Österreicher, die Skandinavier ohnehin, die Italiener hatten Sonne und wollten in die Ferne, die Franzosen nicht nur immer in die Provence fahren42.
Haben sich diese Reisenationalitäten gemischt? Kam es zur Verwirklichung des Wunschtraums „Völkerverständigung durch Tourismus“?43 Sicherlich nur in geringem Maße. Man kann sich nicht genug darüber wundern: Auch noch nach Jahrzehnten benutzen z.B. in Mallorca Reisende aus Großbritannien und Deutschland unterschiedliche Flughafen-Terminals und werden mit unterschiedlichen Bussen zu unterschiedlichen Hotels gebracht, da mischt sich nichts. In den Top-Hotels der Insel gibt es fast nur Deutsche, so wie es umgekehrt in bestimmten Sterne-Hotel auf den Kanaren nur Briten gibt.
Die Absonderung von anderen Nationen ist nicht immer nur Borniertheit oder elitärer Spleen, sie kann auch handfeste Gründe haben. Wer einmal mit russischen Neureichen in einem Hotel war und über Tage vergeblich versucht hat, am noch unverwüsteten Buffet ein paar Bissen zu ergattern, der fragt beim nächsten Mal sein Reisebüro diskret, wer denn in diesem oder jenen Hotel so absteigt44. Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe wunderbare russische Kollegen und Freunde gehabt, weit gereist, kultiviert, rücksichtsvoll, aber ich habe auch noch die Silvesterfeier eines russischen Clans in unserem romantischen Hotel auf Jamaica (der Osten hatte gerade „aufgemacht“) vor Augen, die nach Wladivostoker, Irkutzker, Moskauer und dann Jamaikanischer Zeit, also vier Mal begangen wurde, bis zum Einsatz von Ärzten.
Eine völlig neue Dimension ins internationale Reisen bringt das massenhafte Auftreten von Chinesen45 (und Koreanern), denen man das Schnuppern von Weltluft nach jahrelanger Abschottung ja nur gönnen kann. Zunächst scheinen die es immer doppelt so eilig zu haben wie andere, entsprechend sind ihre Ellbogen, und sie haken ab, sie führen Strichlisten, beschäftigen sich ganz offenkundig nicht mit der Kultur vor Ort und weisen zuhause dann 1000 Mal dieselben, eignen Köpfe auf ihren Fotos vor, dahinter schemenhaft irgendwas, es kann der Eiffelturm, die Tower Bridge, der Khmer-Tempel, der Zuckerhut in Rio, Kapstadts Tafelberg oder das Brandenburger Tor sein, es dürfte kaum zu erkennen sein.
In Angkor Wat (Kambodscha) zollt man diesem Typus von Tourismus dadurch Tribut, dass man...
Erscheint lt. Verlag | 24.8.2016 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
ISBN-10 | 3-7412-8742-3 / 3741287423 |
ISBN-13 | 978-3-7412-8742-8 / 9783741287428 |
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