Der Torfshipper und mehr düstere Geschichten über Küste und Seefahrt -  Kalle Hamann

Der Torfshipper und mehr düstere Geschichten über Küste und Seefahrt (eBook)

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
200 Seiten
Verlag DeBehr
978-3-95753-314-2 (ISBN)
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Man muss gar nicht so weit hinaus aufs Meer fahren, um seine düsteren Geheimnisse zu erahnen. Der Tod kann blitzschnell mit nassen Fingern nach den Seelen greifen. Neid, Hass, Gier, Mord und Totschlag waren nicht selten bitterer Alltag in den Häfen der Welt. Das Böse hat sich darin suhlen und festsetzen können. Ertrunkene Seeleute, die nachts aus dem Wasser steigen, sind keine Seltenheit. Auch in der Karibik geht nicht immer alles mit rechten Dingen zu. Und Leinen los heißt es plötzlich auf einem menschenleeren rostigen Kahn. Ein Kapitän erleidet einen Alptraum - oder ist dieser gar Realität? Die tiefen Gewässer der Welt teilen uns nur selten so unverblümt ihre Schrecken mit. Kalle Hamann hat einige der erstaunlichsten und grausamsten zu Papier gebracht.

 

DAS HAUS DES TOTEN KAPITÄNS

 Es war stockfinstere Nacht. Der Wind fegte mit Sturmstärke über die Felder und Knicks. Das Schilf, in dem ich saß, schlug mir ständig ins Gesicht. Der Wind zerzauste mein Haar und die feuchte Luft drang durch meine Jacke, meinen Pullover und letztlich durch die Haut. Ich schüttelte mich und wusste nicht, war es vor Kälte oder vor Furcht. Dann schallte auch noch der schaurige Ruf eines Uhus durch die Nacht. Zum wiederholten Male fragte ich mich, was ich in dieser eisigen Kälte in einer Neumondnacht im November hier machte. Meine Füße waren im Schlick versunken und es quietschte, wenn ich sie bewegte. Ich versuchte kein Geräusch zu erzeugen, musste aber die eiskalten, nassen Füße ab und zu bewegen, um sicher zu sein, dass sie nicht erfroren waren.

 Wieder der Uhu. Sein dämonischer Schrei war gerade verstummt, als die Kirchenglocke schlug. Ich zuckte zusammen, jetzt kam die Entscheidung. War es nur ein Hirngespinst, was ich bisher hier gesehen hatte, oder war es doch Realität? Keiner würde mir glauben, mir sowieso nicht, alle hielten mich für einen Spinner. Spökenkieker sagten sie oft zu mir; doch heute werde ich den Beweis erbringen.

 Als der zwölfte Schlag verstummte, hob ich die Kamera, richtete sie auf die Wasseroberfläche und schaltete ein. „Hoffentlich stört sie das leise Surren nicht.“

 Plötzlich fing das Wasser an zu blubbern. Die gesamte Wasseroberfläche brodelte, als kochte das Wasser, selbst der Morast unter meinen Füßen brodelte. Ich bückte mich und fühlte die Feuchtigkeit des Matsches; eiskalt. Als ich wieder aufsah, war der Teich vom Bodennebel eingehüllt, ich konnte gerade darüber hinwegsehen. Mir stockte der Atem. Vor Schreck vergaß ich, den Auslöser der Kamera zu drücken. Ich erblickte eine dunkle Gestalt, die triefend nass dem Teich entstieg und mit wankenden Schritten auf das Haus zuging. Dann noch eine und noch eine. Mir fiel meine Kamera ein und ich drückte auf den Auslöser. Das Surren schien so laut zu sein, dass mein Trommelfell zu zerplatzen drohte. Erst da bemerkte ich, dass es vollkommen windstill geworden war. Ich sah durch den Sucher der Kamera, erkannte aber nur dunkle, schemenhafte Wesen. Es stiegen immer mehr aus dem Wasser, ich hatte vergessen, sie zu zählen. Das Geräusch meiner Kamera schien sie nicht zu beeindrucken. Sie gingen mit ausladenden, wankenden Schritten auf das Haus zu, mit dem Gang der Seeleute, die es gewohnt waren auf schwankendem Deck zu gehen.

 Dann sah ich, dass im Haus, in einem der hinteren Zimmer, Licht brannte. Wie konnte das denn sein? Als ich letztens hereingeschaut hatte, war keine Lampe im Haus.

Es war überhaupt nur ein Rohbau: fehlende Fußbodenbeläge, die Fenster nicht verputzt und eben – keine Lampen.

 Das heißt doch, in einem Raum hing eine Glühlampe am Kabel von der Decke. Es sah zumindest so aus, als ob es die Küche werden sollte, denn aus der Wand ragten Wasseranschlüsse heraus. Hier standen auch ein Kühlschrank verloren im Raum sowie ein Tapeziertisch mit einem Gaskocher drauf. Soweit ich mich erinnerte, waren in dem Raum, in dem jetzt Licht brannte, die Vorhänge zugezogen. Daher wusste ich nicht, was sich dahinter befand.

 Der Uhu schrie wieder, ich zuckte erschrocken zusammen. Dann erwachte ich aus meiner Starre, schaltete die Kamera aus. Jetzt bemerkte ich, dass der Nebel verschwunden war und der Sturm wieder mit unverminderter Stärke blies.

 Meine Beine waren eingeschlafen und meine Füße spürte ich vor Kälte nicht mehr. Mühsam watete ich aus Schlick und Schilf, schlich geduckt zum Haus. Ich wollte gerade durchs erleuchtete Fenster sehen, als ich einem Mann mit rauschendem Vollbart und wettergegerbtem Gesicht gegenüberstand. Ich bemerkte seinen freundlichen, ja beinahe schelmischen Gesichtsausdruck, seine Augen jedoch starrten ins Leere.

 Ich lege ein Lesezeichen zwischen die Blätter, klappe die Seiten zu und schaue auf das Manuskript. Dieser Jens Peter hat wirklich eine blühende Fantasie, kein Wunder, dass man ihn Spökenkieker nennt. Und dass einige ihn für verschroben halten, kann ich gut verstehen. Meine Gedanken schweifen zurück, zu dem Tag, an dem ich ihn kennenlernte.

 Wir wohnten schon einige Jahre in diesem kleinen Kaff in Nordfriesland. Wir hatten uns dort niedergelassen, weil wir die Ruhe und die Landschaft liebten. Als Seemann brauchte ich schließlich keinen Wohnsitz mit kurzem Arbeitsweg. Natürlich kannten wir schon einige Leute, aber einen ausgedehnten Freundeskreis hatten wir zu der Zeit noch nicht, da wir oft unterwegs waren. Auf meinen Seereisen begleitete mich meine Frau immer.

 Eines Tages saß ich alleine am Tresen der kleinen Kneipe. Irgendwann gesellte sich so ein langer, dünner Kerl dazu. Wallendes, helles Haar und eingefallene Wangen in dem langen, hageren Gesicht. Ich schätzte ihn auf etwa 45, obwohl er älter aussah. Sein faltiges Gesicht wirkte irgendwie streng, seine Augen wanderten neugierig hin und her. Der Anzug war nicht billig gewesen, aber alt und ungepflegt schlotterte er um seinen hageren Körper.

 Ich beachtete ihn nicht weiter, war mit meinen Gedanken ganz woanders, nämlich bei meinem bevorstehenden Einsatz auf meinem Lieblings-Containerschiff, auf dem ich schon drei Verträge absolviert hatte. Wieder sollte es nach Singapur, Hongkong, Tokio, Kobe und Los Angeles gehen. Ich zählte gerade nach, ob wir hier oder in Hongkong mehr Freunde hatten, als mir der Hagere die Hand hinstreckte: „Entschuldigung, Nielsen, Jens Peter Nielsen, störe ich Sie in ihren Gedanken?“

 „Kalle Hamann. Eigentlich schon, aber das macht nichts. Warum siezt du mich denn, hier duzen sich doch die meisten; ich heiße Kalle.“

 „Auch gut. Sag mal, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie … ich meine, dass du Seemann bist?“

 „Ja, das ist richtig, aber wie kommst du denn da drauf?“

 „Na ja, ich habe dich schon öfter gesehen, doch dann bist du immer für lange Zeit verschwunden.“

 „Ich hätte ja auch im Knast sein können“, witzelte ich.

 „Das kann ich mir weniger vorstellen. Aber was ich dich fragen wollte, kennst du den Klabautermann?“

 Er konnte nicht wissen, dass er mich ausgerechnet bei meinem Lieblings-Seemannsgarn erwischte, also legte ich los: „Und ob ich den kenne, ist ein alter Freund von mir, habe schon einige Schnäpse mit ihm getrunken, nur gesehen habe ich ihn zum Glück noch nicht.“

 „Wieso nicht und wieso zum Glück?“

 „Also Jens Peter, dann will ich dich mal aufklären. Du musst wissen, dass der Klabautermann unsichtbar ist. Er zeigt sich erst, wenn das Schiff dem Untergang geweiht ist und keiner der Besatzung eine Überlebenschance hat.“

 „Klasse, ich hab doch immer gewusst, dass es auch noch vernünftige Menschen gibt.“

 „Wie meinst du das denn jetzt?“

 „Ach, alle halten mich für einen Spökenkieker, dabei habe ich sehr viel nachgeforscht, und auch darüber geschrieben. Ich bin nämlich Schriftsteller.“

 „Ach was; ich schreibe auch, aber mehr zum Spaß, hauptsächlich Seemannsgarn und solche Geschichten.“

 Den zweiten Teil des Satzes schien er gar nicht gehört zu haben. Er war so aufgeregt, dass er einen Schriftstellerkollegen getroffen hatte, der auch noch an den Klabautermann glaubte, dass seine Augen vor Aufregung klimperten.

 „Du Kalle, das trifft sich gut. Ich möchte dir gerne den Anfang meines neuen Manuskripts zeigen, und hören, was du als Fachmann dazu sagst. Warte bitte einen Augenblick, bin gleich wieder da.“

 Bevor ich sagen konnte, dass ich kein Fachmann war, sondern nur ein Hobby-Schriftsteller, war er schon verschwunden. Aber wahrscheinlich bezeichnete er mich als Fachmann, da ich vorgab, den Klabautermann zu kennen. Ich musste grinsen.

 „Na, Kalle, hat Jens Peter dich ordentlich vollgelabert? Findet sonst ja keinen, der ihm zuhört. Soll ich dir noch ein Bier einschenken?“

 „Ja, Georg, eins kann ich noch haben. Aber sag mal, was war das denn für ein Knilch?“

 „Ach, weißt du, eigentlich ist der ganz intelligent, war früher mal Lehrer an der hiesigen Schule, hat den Kindern aber soviel Geistergeschichten und so’n Quatsch erzählt, dass er entlassen wurde. Das scheint ihn total verwirrt zu haben, jetzt nennt er sich Schriftsteller und sieht überall Gespenster.“

 Inzwischen hatte sich die Kneipe gefüllt. Da ich meiner Frau versprochen hatte, nicht so lange zu bleiben und noch vorm Abendbrot den Hund Gassi zu führen, bezahlte ich und ging. Nach ein paar Schritten war Jens Peter plötzlich neben mir und reichte mir einen Umschlag.

 „Ich wollte dich nicht vor den anderen kompromittieren. Wenn die sehen, dass du was von mir liest, halten die dich auch noch für einen Spinner. Hier ist meine neueste Geschichte, der Anfang davon. Ich würde mich wirklich freuen, deine Meinung darüber zu hören. Kannst dir ruhig Zeit lassen.“

 Dann war er aus meinem Gesichtsfeld verschwunden. Ich ging nach Hause und legte den Umschlag auf meinem Schreibtisch in die Eingangslade.

 Das ist jetzt über vier Monate her. Seit wir von See zurück waren, sortierte ich all die Post, die sich in der Zeit angesammelt hatte. Dabei fiel mir dieser...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
ISBN-10 3-95753-314-7 / 3957533147
ISBN-13 978-3-95753-314-2 / 9783957533142
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