Der Tag, an dem mein Leben verschwand (eBook)

Eine junge Mutter verliert ihr Gedächtnis von einem Tag auf den anderen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
400 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-2377-1 (ISBN)

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Der Tag, an dem mein Leben verschwand -  Naomi Jacobs
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Plötzlicher Gedächtnisverlust - ein schreckliches Schicksal! Naomi ist 32, Mutter eines Sohnes - und verliert von einem Tag auf den anderen sämtliche Erinnerungen an ihr Leben nach ihrem fünfzehnten Lebensjahr. Sie erkennt ihr eigenes Haus nicht wieder, nicht einmal ihren Sohn! Stück für Stück erobert sie sich ihre Vergangenheit zurück. Doch mit ersten Fortschritten erleidet sie verstörende, traumatische Flashbacks - irgendetwas Schlimmes ist in ihrer Vergangenheit geschehen ...




Naomi Jacobs wurde in Liverpool geboren, wuchs in den West Midlands auf und studierte Psychologie. Heute lebt sie mit ihrem Teenager-Sohn Leo und ihrer Katze Sophia in Manchester.

Naomi Jacobs wurde in Liverpool geboren, wuchs in den West Midlands auf und studierte Psychologie. Heute lebt sie mit ihrem Teenager-Sohn Leo und ihrer Katze Sophia in Manchester.

1. Nicht mehr in Kansas


Du folgst dem Regenbogen in der Hoffnung, eines Tages jenen goldenen Topf an seinem Ende zu finden. Eines Tages vielleicht. Eines Tages.

R. D.

Ich stand still da und starrte auf die Tür des Klassenzimmers.

Ich hatte eine Tasche über der Schulter und einen kleinen Topf, schlammbraun und mit Deckel, in der Hand.

Stolz durchflutete mich. Ich hatte diesen Topf ganz allein gemacht. Ich klopfte an die Tür, und eine unbekannte Stimme forderte mich auf, einzutreten.

Ein Holzhocker stand in der Ecke, und ich ging auf ihn zu und setzte mich. Die Frau, die mir gegenübersaß, war eine Lehrerin; ich wusste, dass ihr Name Rebecca war und dass sie nicht von meiner Schule war, aber sie war da, um mich zu sehen.

Ihr Gesicht war von einem dichten braunen Lockenschopf umrahmt. Sie kniff die Lippen zusammen, nahm mir den Topf aus der Hand und stellte ihn neben sich auf den Tisch. Töpfe in allen möglichen Formen und Größen standen darauf, ein Meer aus leuchtenden Farben. Die größeren waren mit kleinen Spiegelscherben, azurblauen Meerlandschaften und orange-violetten Himmeln verziert. Die kleineren hatten silbern glitzernde Hälse, goldene Hieroglyphen und kleine rote Deckel. Es war eine blendende Schau vollkommener Keramik. In der Mitte stand mein Topf: verloren, erbärmlich, braun und sehr schlicht.

»Du bist durchgefallen.« Sie warf mir einen enttäuschten Blick zu.

»Was? Nie im Leben!«, rief ich.

Ich schaute auf meinen Topf, und er sah entschuldigend zu mir zurück. »Aber ich habe mir wirklich Mühe damit gegeben.«

»Das mag ja sein, aber ich kann dich nicht bestehen lassen. Du bist durchgefallen. Sieh mal, er ist nicht annähernd so gut wie die anderen.«

Ich wusste, dass sie recht hatte. Das hier waren die wertvollen, schöneren, wundervoll kreativ gestalteten Gefäße, mit denen mein kleiner, kümmerlicher Topf nicht mithalten konnte. Ich dachte an all die Mühe, die ich in ihn gesteckt hatte, und wie ein Vulkan brach die Angst vor dem Versagen aus mir heraus. Ich sprang von meinem Hocker auf, schnappte mir meine Tasche und stürmte zur Tür hinaus.

In einem anderen Klassenzimmer, in einem verlassenen Flur, saßen meine Freundinnen an ihren Pulten und unterhielten sich. Ich versuchte die Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen. Ich hämmerte gegen die Glasscheibe in der Tür, rief ihnen zu, mich hineinzulassen. Niemand wandte sich um. Stattdessen sah ich, wie sie lachten.

»Leute, ich bin’s: Nay. Macht die Tür auf!«

Eine nach der anderen hoben sie die Köpfe und starrten mich an. Meine beste Freundin Katie tauchte an dem Türfenster auf. »Mach auf«, verlangte ich und rüttelte an der Klinke. »Ich muss da rein.« Katie schüttelte lachend den Kopf und zeigte auf eine Uhr an der Wand des Klassenzimmers, wo schwarze Zeiger langsam über römische Ziffern tickten. Sie ging hinüber zur Tafel und schrieb mit Kreide das Wort échec an. Das französische Wort für »Versager«.

Alle sahen ihr zu und lachten. Wieder hämmerte ich verzweifelt mit der Faust gegen die Tür. Auf einmal hörte ich laute Rufe, die vom anderen Ende des Flurs kamen. Die Megabescheuerten – Mädchen aus unserem Jahrgang, die wir nicht ausstehen konnten – liefen auf mich zu und riefen im Sprechchor: »Versager, Versager, Versager …«

Ich wandte mich wieder zur Tür um. Meine Freundinnen waren verschwunden, und das Zimmer füllte sich mit Uhren – Hunderten von Uhren, überall auf den Pulten, an den Wänden; verschiedene Größen, verschiedene Arten. Standuhren, Kuckucksuhren, Weckuhren. Und dann, kaum waren sie erschienen, begannen sie alle zu verschwinden.

»Du musst Leo holen«, flüsterte eine Stimme.

Während die Mädchen näher kamen, spürte ich, wie mein Körper vor Angst bebte und zitterte. Ich wandte mich ab und rannte auf eine Doppeltür am anderen Ende des Flurs zu.

Mir blieb keine Wahl. Ich drückte sie auf.

Ich trat in helles, gleißendes Licht.

Ich schlang die Arme um meine Brust und schnappte wie wild nach Luft, während ich mich im Bett aufsetzte. Ich konnte nicht mehr atmen. Ich schluckte Schluchzer hinunter und versuchte zu schreien. Nicht ein Ton kam heraus.

Gegenüber dem Bett war ein kleines Fenster. Ich sah zu ihm hoch, beschwor meinen Atem, sich zu beruhigen. Die Sonne schien fröhlich durch die Vorhänge und erhellte die violetten Blumen, mit denen sie bedruckt waren. Violette Blumen?

Ich schloss die Augen. »Schon gut, Nay, es war nur ein Traum«, sagte ich laut.

Ich fasste mir an die Kehle. Meine Stimme klang … seltsam, anders; heiser und tief. Wie die eines Erwachsenen. Ich schlug die Augen auf und suchte das Zimmer ab, wandte den Kopf langsam nach links und dann nach rechts. Nichts. Ich erkannte nichts. Ich sah an meinem Körper hinunter. Das Pyjamaoberteil, das ich trug, war schweißdurchtränkt. Ich versuchte nachzudenken, und mein Kopf begann zu schmerzen. Das hier war nicht mein Etagenbett. Wo war meine Marilyn-Monroe-Bettdecke? Das hier war nicht das Zimmer, das ich mir mit meiner Schwester teilte. Wo war sie? Wo war Simone? Ich schloss die Augen wieder.

»Ich muss noch immer träumen«, sagte ich in das leere Zimmer. Wieder meine Stimme; sie klang so fremd. Ich sprang aus dem seltsam großen Bett. Hatte es mich im Schlaf entführt und an diesen fremden Ort gebracht? Ich sah mich in dem Zimmer um. Es war trostlos und grau. Auf dem Boden war kein Teppich, nur blanke Dielen, und die Wände waren abgezogen bis auf den kahlen grauen Putz. Es sah fast aus wie ein Gefängnis.

Ich ging langsam aus dem Zimmer in den Flur hinaus, in der Hoffnung, irgendetwas Vertrautes zu sehen. Das Haus fühlte sich leer an. »Hallo!«, rief ich. Links von mir war eine geschlossene Tür, aber vor mir sah ich durch einen Türspalt ein Badezimmer. Ich drückte die Tür weit auf. Im Bad war niemand, und ich erkannte nichts darin. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel. Vielleicht, dachte ich, werde ich, wenn ich mein Spiegelbild sehe, wissen, dass ich noch immer träume, und aufwachen.

Es dauerte eine lange Sekunde, aber dann, als mir vor Entsetzen der Mund aufklappte, umklammerte ich mein Gesicht und schrie: »NEIN! Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott … ich bin … ich bin … ich bin ALT!!« Ich war alt.

Unter dem Schock wich ich von dem Spiegel zurück. Ich brach in Tränen aus und sank zu Boden. Mein Gehirn versuchte aus dem Gesicht schlau zu werden, das ich eben gesehen hatte, fragte, was das für Falten waren. Die dunklen Ringe unter den Augen und die kurzen Haare? Nein, nein, das war nicht ich. Ich sprang vom Boden auf und starrte wieder auf das Spiegelbild. »Das bin nicht ich!«, schrie ich es an.

Ich rannte zurück ins Schlafzimmer, erschüttert von dem, was ich gesehen hatte. Ich spürte eine kalte Panik, die sich den Weg in meinen Verstand boxte und winzige Löcher der Angst in mein Gehirn schlug. Die Furcht fand ihren Platz. Wo war meine Schwester? Auf einmal verspürte ich den Drang, sie zu finden. Vielleicht war sie im Wohnzimmer.

Panisch stürzte ich aus dem Raum und eine Treppe hinunter und stürmte in eine mir fremde Küche. Nichts. Ich rannte durch bis ins Wohnzimmer. Niemand.

Ich rannte die Treppe wieder hoch, mied die andere geschlossene Tür am Ende des kleinen Flurs und stürzte ins Schlafzimmer. Ich riss die Türen des Kleiderschranks auf, vielleicht auf der Suche nach einer meiner bescheuerten Freundinnen, die »Überraschung!« brüllen und sich schieflachen würde über den beschissenen Streich, den sie mir spielte.

»Oh mein Gott«, stöhnte ich.

Die Farben waren unglaublich: Blau-, Violett- und Gelbtöne, alles war … irgendwie … anders. Kleider, die ich niemals tragen würde. »Das ist nicht mein Zuhause.« Ich schüttelte den Kopf über die Kleider und schnellte herum. »Das ist nicht mein Zimmer … Das ist NICHT mein Leben. NEIN!« Ich rannte zurück ins Bad und sah wieder auf das Gesicht. »Das bin nicht ich!«, schrie ich es wieder an. Benommen schlug ich auf dem Boden auf. Mein Körper rollte sich zu einer Kugel zusammen, und ich fing wieder an zu weinen. Ich versuchte irgendetwas zu finden, worauf sich mein Verstand konzentrieren konnte, egal was, und dann fiel mir ein, dass ich unten ein Foto meiner Schwester gesehen hatte. Aber ich war nicht imstande, noch einmal hinzugehen; ich lag einfach nur da, weinte und stöhnte und murmelte vor mich hin.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde mir allmählich bewusst, dass ich nicht mehr träumte. Das hier war echt; ich war echt. Ich war in einem Bett aufgewacht, das ich nicht kannte, einem Zimmer, das ich nicht erkannte, und einem Haus, das nicht meines war.

Und dann hörte ich Musik in der Ferne, ein Lied, das gesungen wurde. Ich kroch über den Boden des Badezimmers und zurück ins Schlafzimmer, während eine Frau irgendetwas von Bluten oder Atmen sang; nein, es war eindeutig Bluten; ja, es war der Song Bleeding Love. Die Musik kam von irgendetwas auf dem Nachttisch. Sie brach immer wieder ab, fing wieder an, brach erneut ab; aber da war kein Radio, kein Kassettendeck, nur ein kleiner schwarzer Gegenstand, der heftig über die Oberfläche des Nachttischs ruckelte.

Ich zuckte zurück, stolperte fast über mich selbst. Das Geräusch schmerzte in meinen Ohren, und als ich den Gegenstand zögernd in die Hand nahm, blinkte in schwarzen Buchstaben das Wort »Simone«.

»Simone?«, fragte ich den...

Erscheint lt. Verlag 14.7.2016
Sprache deutsch
Original-Titel The Forgotten Girl
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Geisteswissenschaften
Schlagworte Amnesie • Autobiografie • Bewältigung • Biografie • Erfahrungsbericht • Erfahrungsbücher • Erinnern • Erinnerung • Erinnerung verlieren • Erkrankung • Familie • Gedächtnisverlust • Hilfe • Kindheitstrauma • Krankheit • Lebensführung • Lebensweg • Psychologie • Schicksal • Schicksalsschlag • Schicksalsschläge • Therapie • Trauma • Traumata • Vergangenheit • Wahre GEschichte
ISBN-10 3-7325-2377-2 / 3732523772
ISBN-13 978-3-7325-2377-1 / 9783732523771
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