Die Ferienfamilie (eBook)

Roman
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2016 | 1. Auflage
102 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1198-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Ferienfamilie - Barbara Frischmuth
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Eine Patchworkfamilie macht Urlaub. Das Ferienhaus, das Nora für sich und ihren Sohn Pu gemietet hat, ist geräumig, und so lässt sie sich leicht überreden, auch ihre Nichte und Fenek, den Sohn ihres ersten Mannes, mit einziehen zu lassen. Die Verhältnisse dieser Ferienfamilie scheinen kompliziert, aber verworrene Beziehungen sind die Kinder gewöhnt, denn ihre Eltern erproben unentwegt neue Liebes- und Ehekombinationen. Aber dann taucht Noras alter Schulfreund Lajosch auf. Zögerlich versucht er, den Platz an Noras Seite einzunehmen. Sofort misstrauisch, unterziehen ihn die Kinder harten Prüfungen und Abschreckungsmanövern ... Höchst amüsant beschreibt Barbara Frischmuth gleichermaßen die Erfahrungen der Scheidungskinder wie die Unsicherheit der Erwachsenen, die von den Kindern nachsichtig durchschaut werden.

Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit über 25 Jahren lebt sie wieder in Altaussee.

Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt »Die Klosterschule« und dem Roman »Das Verschwinden des Schattens in der Sonne« wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie »Die Schrift des Freundes«, »Der Sommer, in dem Anna verschwunden war«, »Vergiss Ägypten«, »Woher wir kommen« und »Verschüttete Milch« veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. »Der unwiderstehliche Garten« war das vierte ihrer literarischen Gartenbücher.

Nora hatte ein Haus auf dem Lande gemietet, um dort mit Pu, ihrem Sohn, der eher ein kleiner Grizzly als ein Teddybär war, den Sommer zu verbringen. Dieses Haus hatte, wie rasch genug durchsickerte, mehr Schlafstellen, als Pu und Nora benutzen konnten, auch wenn sie sich jeder in ein anderes Zimmer legten. So winzig das Holzhaus auch von außen ausschaute, es befanden sich in seinem Inneren eine Wohnküche, ein Nora-Zimmer und zwei Mansarden mit insgesamt fünf Betten. Und nachdem auch noch diese Einzelheiten die Runde gemacht hatten, war es nur mehr eine Frage von Tagen, daß Vater eins, nämlich der Vater von Pu, aber auch der von Fenek, an Nora herantrat, ihr freundlich den Arm um die Schultern legte und anfragte, ob Sohn eins, nämlich Fenek, ebenfalls die Ferien bei Frau zwei, nämlich Nora, verbringen dürfe, da er, Vater eins, mit Frau drei, nämlich Sylvie, nach Amerika wolle. Auf Studienreise, natürlich nicht zum Vergnügen, das könne er sich gar nicht leisten. Er wolle sich wieder einmal beruflich verändern – als sie das hörte, seufzte Frau zwei, nämlich Nora, tief –, und davor müsse er sich ein bißchen in der Neuen Welt umsehen. Und Feneks Mutter, Frau eins, sei ja nun schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr greifbar, da sie Mann drei, einem zukünftigen Farmer, nach Australien gefolgt war. Wo sie übrigens noch immer damit beschäftigt waren, das Geld für die Farm an einem Würstlstand zu erwirtschaften. Es würde also noch einige Zeit dauern, bis Fenek dort die entsprechenden Verhältnisse vorfand, und der Flug kostete ja auch nicht gerade eine Kleinigkeit.

Übrigens war es Fenek gewesen, der nach einer ihn sehr beeindruckenden Folge der Fernsehserie »Charlie Chan« diese Art der Numerierung eingeführt hatte, um die Familienverhältnisse übersichtlicher zu machen. Oder wurde so alles nur noch verwirrender? Kaum stand fest, daß Fenek die Ferien bei Pu und Nora verbringen würde, schneite eines Abends Noras Schwester, Tante zwei – da Fenek alles von seiner Position aus berechnete, kam er manchmal mit Pus Verwandtschaft in Schwierigkeiten –, in völlig aufgelöstem Zustand herein. Es war wirklich ein grauenhafter Frühsommer mit Schneeregen bis in den Juni. Sie behauptete, ihre Berufsaussichten sänken auf Null, wenn sie nicht Gelegenheit habe, einen dieser Universitätssommerkurse zu besuchen, um ihr Französisch aufzupolieren – vor lauter Nervosität wetzte sie mit dem Finger die Tischkante blank –, sie brauche unbedingt ein Zeugnis, um im Herbst ihren Beruf als Fremdsprachensekretärin wieder aufnehmen zu können. Dazu sei sie seit der Scheidung von Onkel zwei – der von ihr aus gesehen Mann eins und Vater eins ihrer Tochter war – gezwungen. Und das arme Kind könne doch nicht den ganzen Sommer über, und zum Teil unbeaufsichtigt, in der Stadt bleiben.

»Also gut«, sagte Nora, und das hieß soviel wie daß auch Aglaja, das Sumpfhuhn, kurz Laja, Cousine eins von Pu aus gesehen, mit Fenek jedoch nicht verwandt, die Ferien mit Pu, Nora und Fenek verbringen würde.

Nach Schulschluß brachen sie daher auf, Nora, Noras Schwester und Vater eins, und alle schleppten sie ein Kind und einen Haufen Gepäck an, Bergschuhe, Schwimmhosen, Mikroskope, ferngesteuerte Autos, dicke Pullover, Sandalen, Bücher, Kekse und Lieblingsstofftiere, denn der Sommer war lang und das Wetter in den Alpen spielte schon seit der letzten Eiszeit verrückt.

Das kleine Holzhaus erzitterte, als sie es in Besitz nahmen, vor allem der obere Teil, in dem die Kinder schlafen sollten. Natürlich hatte kein Mensch sich Gedanken darüber gemacht, wer mit wem sich welche Mansarde teilen sollte, und kaum war der erste Koffer mühsam über die Hühnerleiter hinaufgezerrt worden, setzte das Gerangel um die Betten ein. Fenek behauptete, er sei schon zu alt, um noch mit irgend jemandem – außer seinen Kollegen im Internat – ein Zimmer zu teilen.

»Ich bin schließlich zwölf«, brüllte er, laut genug, daß in der Küche unten die Kaffeetassen klirrten.

»Und ich bin ein Mädchen«, kreischte Laja, »glaubst du, ich schlafe mit einem Buben?«

»Pu ist noch ein Baby«, meinte Fenek, »das gilt nicht.« Pu hatte das entweder nicht gehört, oder es war ihm egal. Er wollte ohnehin lieber unten bei seiner Mutter schlafen, wie auch sonst in den Ferien. Er war gerade dabei, seine Steinesammlung und seine Angel wieder herunterzutransportieren, als Nora behauptete, sie wolle diesen Sommer endgültig alleine schlafen. Er sei aus dem Alter heraus, und überhaupt, wie sie ihn kenne, würde er jeden zweiten Tag übersiedeln, rauf – runter, runter – rauf, da solle er lieber von Anfang an oben bleiben.

»Wieso?« schrie Pu, obwohl er wußte, daß es ohnehin keinen Sinn hatte, weiter auf alten Rechten zu bestehen. Wie hatte Fenek gesagt? »Zuerst schicken sie dich aus dem Schlafzimmer, dann aus dem Haus.«

»Möchtest du mir dann wenigstens sagen, wo ich bleiben soll?«

Nora nahm die Angel und stieg hinter Pu die Leiter hinauf. »Ihr könnt euch also nicht einigen?« Sie nahm eine Münze, warf sie in die Luft und schloß beim Auffangen die Hand darum. »Kopf oder Zahl?« Es war allen klar, daß Fenek richtig raten würde. Pu zog also zu Laja, die acht war und wirklich Beine wie ein Sumpfhuhn hatte. »Ihr braucht ja nur zum Schlafen heraufzukommen.« Und Nora zeigte ihnen, in welchen Kasten wer sein Zeug räumen sollte.

Unten saßen die Erwachsenen und tranken einen Schluck, wie sie es nannten. Sie waren ja alle recht gut miteinander – »immerhin etwas«, wie Fenek sagte – bis auf Sumpfhuhns Eltern, die noch kein Wort miteinander wechselten; Sylvie war wohl nur deshalb nicht mitgekommen, weil sonst für das Fahrrad kein Platz mehr gewesen wäre. Nora versuchte aus den mitgebrachten Vorräten ein Abendessen zu basteln, aber Vater eins sagte, das komme gar nicht in Frage, sie würden jetzt alle essen gehen. Die arme Nora habe nun ohnehin die Kinder am Hals, da müsse man sie doch zumindest am ersten Tag noch schonen.

»Wascht euch«, sagte Vater eins, bevor sie den Abhang zum Dorf hinuntertrabten, vergaß aber darauf zu achten, daß sie es auch wirklich taten. Pu hatte klebrige Hände und einen verschmierten Mund, was Vater eins erst in der Nähe des Dorfbrunnens auffiel, wo er ihn dann so gründlich wusch, daß Pu vor lauter Lachen, Gluckern und Prusten beinah erstickte. Vor dem Gasthaus behauptete Lajas Mutter plötzlich, sie könne nun doch nicht mehr mitkommen, die Wolken, sie zeigte dramatisch auf ein paar finstere Ballungen, und sie fahre so ungern bei Regen. Laja verzog kaum eine Miene, obwohl ihre Mutter sie zum Abschied halb tot küßte und jeder sehen konnte, daß sie mit den Tränen kämpfte.

Vater eins war richtig aufgekratzt, und jeder konnte bestellen, was er wollte. Auch Nora wurde sehr gesprächig, nachdem sie zwei Achtel Wein getrunken hatte, und doch schwang in aller Stimmung ein wenig Galgenhumor, wenn Fenek nicht alles täuschte, und Fenek ließ sich so gut wie nie täuschen.

Pu hatte, wie immer in solchen Situationen, die Gelegenheit wahrgenommen, sich dicht an Vater eins zu lehnen, den Ellbogen auf dessen Knie gestützt, die Beine über den seinen. Fenek störte das, auch wenn er nie darüber sprach (wo kämen wir denn da hin, wenn wir uns alle so an Vater eins hängten?), dafür zwickte er Pu manchmal, wenn niemand hinsah. Aber Pu war nun einmal jemand, der alles spüren und anfassen mußte und der nicht einmal davor zurückschreckte, in Gegenwart anderer seine Mutter abzuschmusen, dabei war er schon sieben. Er, Fenek, war da ganz anders. Zum Glück.

Eigentlich waren sie alle recht müde, aber Vater eins und Nora rauchten immer noch eine immer wieder letzte Zigarette miteinander, und als sie endlich gingen, war Pu bereits eingeschlafen. Als sie ihn weckten und auf die Beine stellten, fing er ein fürchterliches Gezeter an, so daß ihn Vater eins auf die Schultern lud und ein Stück trug. Beim Brunnen stellte er ihn dann ab und drohte, ihn munterzuwaschen, wenn er sich jetzt nicht von selber bewege.

Vater eins und Nora gingen eingehängt, und Pu ließ sich von Laja ziehen. Fenek hatte das Gefühl, daß sie wie eine normale, friedliche Familie wirkten. »Hört her«, flüsterte er Pu und Laja zu, »wenn jemand im Ort euch fragt, so sind wir eine Familie, Vater, Mutter, Kinder. Habt ihr verstanden! Vater muß eine Reise machen, wir sind in den Ferien, wegen der guten Luft.«

»Wieso?« Pu schien zu erwachen. »Nora ist nur meine Mutter.«

»Meine Mutter, meine Mutter«, äffte Fenek, »wie wenn das nicht völlig egal wäre.«

»Ist es aber nicht«, brummte Pu.

»Es geht niemanden etwas an, versteht ihr. Niemanden. Ich weiß, wovon ich rede. Wenn ihr erst anfangt, irgend etwas zu erklären, kommt ihr in Schwierigkeiten.«

»Und wenn man uns nicht glaubt?« flüsterte Laja.

»Die fragen doch nicht, weil sie wirklich etwas wissen wollen, sondern einfach so, aus Langeweile. Man kann ihnen erzählen, was man will. Wir sehen aus wie eine Familie, also sind wir eine, und basta. Nur nicht anfangen, etwas zu erklären. Dann nimmt die Fragerei kein Ende, und wir haben nie unsere Ruhe.«

Zu Hause zog Vater eins noch eine riesige Schau als verehrungswürdiges Familienoberhaupt ab. Er gab Fenek einen großen Geldschein, natürlich so, daß Nora genau sah, wie groß er war, und ermahnte ihn, sparsam damit umzugehen. Auch Pu und Laja bekamen einen, wenn auch kleineren, obwohl die ohnehin versorgt waren. Und zu Nora sagte er etwas von den Alimenten, die er diesmal doppelt überwiesen habe, sie solle sich das...

Erscheint lt. Verlag 10.6.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Familie • Ferien • Patchwork-Familie • Roman • Scheidungskind • Sommer • Urlaub • Zusammenleben
ISBN-10 3-8412-1198-4 / 3841211984
ISBN-13 978-3-8412-1198-9 / 9783841211989
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