Pulverfass Kaukasus (eBook)

Nationale Konflikte und islamistische Gefahren am Rande Europas

(Autor)

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2016 | 2. Auflage
220 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-326-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pulverfass Kaukasus - Manfred Quiring
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Der Kaukasus bleibt ein unruhiges Konfliktfeld. Nach sechs Kriegen in den letzten 25 Jahren sind in jüngster Zeit wieder neue Kämpfe aufgeflammt. In der zersplitterten Region, deren Fläche nur wenig größer als die Bundesrepublik ist, leben mehr als 50 verschiedene Völker mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen, verschiedenen Religionen und Kulturen. Neben den Territorialstreitigkeiten zwischen den einzelnen Staaten und Gebieten hat Russland die politischen Auseinandersetzungen immer wieder mit angeheizt, betrachtet Moskau das Gebiet doch als seine Einflusssphäre. Inzwischen fällt auch der Schatten des IS auf diese Region am Rande Europas. Manfred Quiring, mehr als 20 Jahre lang Korrespondent für die Berliner Zeitung und Die Welt in der Sowjetunion, Russland und der GUS, hat den Gebirgszug und die angrenzenden Gebiete immer wieder bereist und die Konflikte zum Teil persönlich miterlebt.

Manfred Quiring, Jahrgang 1948, aufgewachsen in Berlin, nach kurzem Zwischenspiel als Eishockeyspieler Journalistik-Studium in Leipzig, ab 1973 Redakteur der »Berliner Zeitung« und zweimal deren Korrespondent in Moskau (1982-1987 und 1991-1995). Er bereiste die ehemalige Sowjetunion von Kaliningrad bis nach Kamtschatka, von Norilsk bis nach Turkmenien, und erlebte alle Wechsel im obersten Staatsamt live in Moskau, 1989/90 ein Jahr Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN in Athen, Korrespondent der »Welt« von 1998 bis 2010 in Moskau

Jahrgang 1948; aufgewachsen in Berlin; nach kurzem Zwischenspiel als Eishockeyspieler Journalistik-Studium in Leipzig, ab 1973 Redakteur der "Berliner Zeitung" und zweimal deren Korrespondent in Moskau (1982–1987 und 1991–1995); er bereiste die ehemalige Sowjetunion von Kaliningrad bis nach Kamtschatka, von Norilsk bis nach Turkmenien, und erlebte alle Wechsel im obersten Staatsamt live in Moskau; 1989/90 ein Jahr Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN in Athen, Korrespondent der "Welt" von 1998 bis 2010 in Moskau.

Die Geschichte der russischen Eroberungen im Kaukasus


Perser, Türken, Russen


Das Gebirgsmassiv des Kaukasus weckte schon sehr früh Begehrlichkeiten unter den Großmächten der Antike. Das betraf vor allem seine strategische Lage. Wie ein Riegel verhinderte die Gebirgskette mit ihren nur schwer zugänglichen Pässen das Vordringen der wilden Steppenvölker nach Süden – nach Persien und ins Oströmische Reich. Selbst heute, im 21. Jahrhundert, führen nur zwei brauchbare Straßen durch die Berge und verbinden Nord- und Südkaukasus. Das ist einmal die von Russland im 19. Jahrhundert gebaute sogenannte Georgische Heerstraße. Sie führt von Wladikawkas (russ. für »Beherrscher des Kaukasus«) in Nordossetien über den Gebirgskamm hinunter in die georgische Hauptstadt Tbilissi und weiter nach Jerewan. Die zweite Straßenverbindung, die einzige, die ganzjährig befahrbar ist, entstand zu sowjetischer Zeit. Sie führt von Wladikawkas durch den 3600 Meter langen Roki-Tunnel nach Zchinwali in Südossetien und spielte beim russisch-georgischen Krieg im August 2008 eine entscheidende Rolle.

Den geografischen Besonderheiten des Kaukasus verdankten die Perser in der Spätantike eine erquickliche Zusatzeinnahme. Sie wurden von Ostrom mit seiner Hauptstadt Byzanz, dem späteren Konstantinopel, dafür bezahlt, dass sie die Gebirgspässe besetzten und weder Hunnen noch andere gefährliche Völkerschaften durchließen.

Der oströmische Einfluss führte zur Christianisierung Armeniens und Georgiens bereits im 4. Jahrhundert, worauf beide Länder bis heute sehr stolz sind. Sie bewahrten sich ihren Glauben auch unter dem Druck der persischen und türkischen Eroberer. Im 16. Jahrhundert eroberten die Osmanen den Kaukasus weitgehend, der Islam wurde – abgesehen von Georgien und Armenien – zur vorherrschenden Religion. Das persische Reich hielt allerdings noch einige Gebiete im Südosten bis zur Niederlage im Krieg mit Russland von 1804 bis 1813.

Doch weder Perser noch Osmanen sollten sich auf Dauer der immer stärker werdenden russischen Militärmacht widersetzen können.

Russlands Kampf um den Kaukasus begann schon sehr früh, früher als die Geschichtsschreibung der Zaren bzw. der Sowjetunion es wahrhaben wollte. Dort beschränkten sich die militärischen Auseinandersetzungen im Kaukasus gewöhnlich auf die Jahre zwischen 1817 und 1864, in denen sich Moskau die Herrschaft in der Region sicherte. Tatsächlich aber geht »der Beginn der Einmischung Russlands in die Angelegenheiten des Kaukasus auf die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück. Schon damals unterstützten die Russen hin und wieder die Kabardiner bei ihren Streitigkeiten mit den Krimtataren, während die Kabardiner ihrerseits den Russen an der litauischen und der Krim-Grenze beisprangen.«1

Im Jahre 1559 gründete Iwan IV., genannt Iwan der Schreckliche, am Ufer des Kaspischen Meeres unweit der heutigen dagestanischen Hauptstadt Machatschkala die Kosakenfestung Tarki, 1587 wurde dort das erste Kosakenheer stationiert. Der Blick der russischen Zaren richtete sich in dieser Zeit auch schon nach Georgien, wo die christlichen Herrscher des in kleine Königreiche zersplitterten Landes sich heftigem Druck durch das Osmanische Reich, aber auch der muslimischen Nachbarvölker ausgesetzt sahen. Angesichts der Bedrohung durch dagestanische Einfälle sandte Alexander II., König des georgischen Reiches Kachetien, 1586 ein Hilfegesuch an den Moskauer Zaren Fjodor. Der schickte ihm 1594 ein 7000 Mann starkes Militärkontingent. Das wurde von den Dagestanern ebenso zerschlagen wie die zehn Jahre später von Zar Boris Godunow in Marsch gesetzten Armeen.2

Initiator weiterer Vorstöße zum Kaukasus und zum Schwarzen Meer war Anfang des 18. Jahrhunderts zunächst Zar Peter I. Gerade hatte er mit der Gründung von St. Petersburg, der Stadt am Finnischen Meerbusen, das Fenster nach Europa aufgestoßen, da zog es ihn in den Süden. Schon damals kam es zu ersten Zusammenstößen mit den Bergvölkern im Kaukasus. 1711 fanden am nordkaukasischen Kuban-Fluss zahlreiche Scharmützel statt, ebenso am Rande des Persien-Feldzuges von 1722/23, auf dem Peter I. Machatschkala und Dagestan an der Küste des Kaspischen Meeres eroberte. Auf einem großen Gemälde, das im Museum von Machatschkala ausgestellt ist, wurde der Moment festgehalten, als Peter in der Hafenstadt am Westufer des Kaspischen Meeres direkt am Leuchtturm an Land ging. Dieser Leuchtturm existiert heute noch. Er steht mehrere Kilometer von der Küste entfernt mitten in der Stadt, so sehr ist der Meeresspiegel des Kaspi in der Zwischenzeit gefallen.

In weiteren Feldzügen gegen Persien (1804–1813 und 1826–1828) eroberte Russland Ostgeorgien, Dagestan und Aserbaidschan. Im Verlaufe der Auseinandersetzungen mit dem Iran schlugen sich die georgischen Königreiche auf die Seite Russlands, das sie für das kleinere Übel hielten und dessen christliche Kultur ihnen näherstand. Nachdem Russland das ostgeorgische Kartli-Kachetien 1801 annektiert hatte, wurden Imeretien, Mingrelien, Abchasien und Gurien zwischen 1803 und 1810 zu russischen Protektoraten. Es dauerte noch mehr als fünfzig Jahre, bis die georgischen Regionen sich nach blutigen Aufständen dem russischen Imperium zuschlagen ließen.

Alexander Solschenizyn, der 2008 verstorbene große russische Schriftsteller mit weitreichenden historischen Interessen, hielt den Vorstoß nach Süden – ebenso wie die Eroberung Mittelasiens – für einen Fehler. »Wir haben im Transkaukasus nichts zu suchen, außer der Evakuierung russischer Flüchtlinge«, sagte er 1994 in einem Interview mit dem amerikanischen Journal Forbes.3

Die Zaren hatten das anders gesehen. Für sie waren die Größe des Reiches und seine permanente Ausdehnung Werte an sich. Einen wirtschaftlichen Gewinn zogen sie aus der Eroberung des Kaukasus selbst dann nur sehr zögerlich, als ab 1870 in Aserbaidschan und im Nordostkaukasus Erdöl gefunden wurde. Noch 1890, als in Baku schon kräftig Öl aus dem Boden sprudelte, tat sich im Staatshaushalt für diese Region eine Budgetlücke von 24 Millionen (Gold-)Rubel auf. Auch die menschlichen Verluste waren hoch. Im Laufe von kampferfüllten 150 Jahren kamen bis 1864 fast eine Million Soldaten um, die meisten allerdings verloren ihr Leben durch Krankheiten.4 Die widrigen Lebensumstände machten den Kaukasus zu einem bei den Zaren »beliebten« Verbannungsziel, vor allem für Offiziere, die sich gegen die »Spielregeln« in der Armee vergangen oder am Dekabristenaufstand von 1824/25 teilgenommen hatten. Auch der Dichter Michail Lermontow wurde wegen Unbotmäßigkeit vom Petersburger Hof in die unwegsamen kaukasischen Berge verbannt, was ihn allerdings zu unsterblichen Werken inspirierte.

Den Zaren in Moskau und St. Petersburg war der Preis ihrer Eroberungen egal. Ihnen war es wichtig, die persische Vorherrschaft am Kaspischen und die türkische am Schwarzen Meer zu brechen. Russland suchte gesicherte Zugänge zu den südlichen Meeren. Der Blick freilich war noch weiter gerichtet: die Dardanellen, die Durchfahrt vom Schwarzen ins Mittelmeer in der Hand zu haben, ist ein alter russischer Traum.

Während der Herrschaft von Katharina II. entwickelte ihr Günstling Graf Potjomkin Mitte der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts das sogenannte »griechische Projekt«. Das nicht unbescheidene Ziel: die völlige Eroberung und anschließende Teilung des Osmanischen Reiches. In Petersburger Regierungskreisen war man überzeugt, dass man es mit einem zu dem Zeitpunkt sehr schwachen Staat zu tun habe, der zum baldigen Untergang verurteilt sei.

Also wollte man die Hohe Pforte zerschlagen und an ihrer Stelle in Kleinasien und auf dem Balkan das griechisch-orthodoxe Imperium Byzanz wiedererrichten. Für den Thron in Konstantinopel war Katharinas zweiter Enkel ausersehen. Den Namen Konstantin bekam er zu Ehren des ersten christlichen Imperators des Römischen Reichs, Konstantins des Großen.

Aus einem anderen Teil des Osmanischen Reiches, aus Moldawien, der Walachei und Bessarabien, sollte unter dem Namen Dakien ein Pufferstaat zwischen Russland und Österreich geformt und auch dort ein russisch-orthodoxer Herrscher installiert werden. Mit dieser Zerschlagung des Reiches der Osmanen und seiner Neuaufteilung sollte nach dem Willen von Katharina II. der »ewige Friede im Osten« gewährleistet werden.5

Dieses Projekt erwies sich als undurchführbar. Russland konnte zwar die Türken von der Krim, dann auch aus dem Kaukasus und von der nördlichen Schwarzmeerküste verdrängen und diese Gebiete erobern, mehr gelang aber auch nicht. Statt eines wiedererstandenen christlichen Byzanz gewann Russland muslimisch geprägte Gebiete in der permanent unruhigen Kaukasus-Region hinzu.

Auch die Vorstellung, im Süden bis zum Persischen Golf vorzudringen, hat Tradition. Der russische Rechtsnationalist Wladimir Schirinowski wollte dieser Idee in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit seinem Buch »Letzter Durchbruch nach Süden« noch einmal Leben einhauchen und hatte eine erstaunliche Resonanz bei vielen seiner imperial denkenden Landsleute. Die Vorstellung, russische Soldaten könnten sich ihre Stiefel im Indischen Ozean waschen, wie Schirinowski es ausdrückte, beflügelte die Phantasie vieler seiner Landsleute. Und heute wie damals verfängt die arrogante Behauptung, man müsse die »kaukasische Barbarei« durch die russisch-orthodoxe Kultur ersetzen. Man müsse sich eindeutig...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2016
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abchasien • Armenien • Armenische Diaspora • Aserbaidschan • Berg Karabach • General Alexej Jermolow • Genozid • Georgien • Kabardino-Balkarien • Kaspisches Meer • Kaukasier • Kaukasus • nordossetien • Republik Adygeja • Schwarzes Meer • Sotschi • Stawropol • Südossetien • Tschetschenien • Tschetschenienkrieg
ISBN-10 3-86284-326-2 / 3862843262
ISBN-13 978-3-86284-326-8 / 9783862843268
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