Der überwachte Bauch - Wie viel ärztliche Schwangerenvorsorge brauche ich wirklich?

(Autor)

Buch | Softcover
252 Seiten
2016
Edition Riedenburg E.U. (Verlag)
978-3-903085-07-7 (ISBN)
19,90 inkl. MwSt
Endlich schwanger, endlich sicher vorgesorgt beim Gynäkologen des Vertrauens. Doch wer profitiert tatsächlich vom überwachten Bauch? Das derzeit gängige Modell ärztlicher Schwangerenvorsorge wird kaum kritisch hinterfragt. Und das, obwohl Problemschwangerschaften, gewaltsame Eingriffe in den Geburtsverlauf und Interventionen bis hin zum Kaiserschnitt seit Jahren zunehmen, Tendenz steigend.Das Spiel mit der Angst vor unsicheren Ausgängen macht schwangere Frauen zu lukrativen Patientinnen. Vom Arzt definierte "Risiken" bedeuten oftmals das Ende der Selbstbestimmtheit. Die frohe Hoffnung weicht dem jähen Zweifel, und dieser ruft nach noch mehr Kontrolle. Wo wird diese Entwicklung hinführen - und wie können wir sie positiv beeinflussen?Die Medizinanthropologin Doris Moser setzt sich anhand des österreichischen Mutter-Kind-Passes, des deutschen Mutterpasses und der Situation in der Schweiz kritisch mit der gängigen Schwangerenvorsorge auseinander. Sie hat Mütter und Hebammen zu ihren Erfahrungen mit dem System und ihren Wünschen für die Zukunft befragt. Dabei treten herbe Lücken der Schwangerenvorsorge zutage. Nicht zuletzt deshalb, weil absurderweise ausgerechnet die Hebammen - ausgebildete Spezialistinnen für Schwangerschaft und Geburt - kaum ein Mitspracherecht haben und aufgrund geringer Entlohnung um ihre Existenz fürchten müssen.

Mag. Doris Moser ist Medizinanthropologin, Autorin und zweifache Mutter. Ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass viele Frauen auch während der Schwangerschaft ein gewünschtes Maß an Eigenverantwortlichkeit erhalten wollen. Daher widmet sie sich unter anderem der Aufklärung werdender Mütter und tritt für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ein. Weitere Publikationen von Doris Moser bei edition riedenburg: Schwangerschaft schafft Heldinnenkraft - Dein Guide für eine selbstbestimmte Schwangerschaft und kraftvolle Geburt Mein privater Mutterpass - Meine Schwangerschaft selbst dokumentiert (gemeinsam mit Sarah Schmid, „Alleingeburt“)

Vorworte ... 9
Einleitung ... 15
Meine eigene Geschichte ... 25

Vater Staat und die werdenden Mütter ... 35
1974 bis heute ... 36
Säuglingssterblichkeit ... 39
Müttersterblichkeit ... 41
Senkt der Mutter-Kind-Pass die Sterblichkeit? ... 42
Der „sichere Schwangerschaftsverlauf“ ... 46
Was Vater Staat noch plant … ... 51
Fürsorgliches Angebot oder soziale Pflicht? ... 54

Der Mutter-Kind-Pass und sein Inhalt ... 57
Mutter-Kind-Pass: Medizin historisch ... 58
Die obligatorischen fünf Untersuchungen ... 60
Die erste Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ... 61
Die zweite Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ... 63
Die dritte Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ... 63
Die vierte Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ... 64
Die fünfte Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ... 65
Zusätzliche Untersuchungs- und Versorgungsangebote ... 65
Feststellung der Schwangerschaft ... 65
Nahrungsergänzungsmittel: gänzlich unbedenklich? ... 68
Mindestens drei Ultraschalluntersuchungen? ... 72
Für alle, die noch immer nicht genug untersucht wurden ... 74
Hebammenberatung ... 75
Pränataldiagnostik ... 77
Pränataldiagnostische Methoden im Überblick ... 79
Nackenfaltenmessung ... 80
Combined Test ... 81
Organscreening ... 81
Triple-Test ... 82
Chorionzottenbiopsie / Plazentabiopsie ... 83
Amniozentese / Fruchtwasserpunktion ... 83
NIPT (Nicht-Invasiver Pränataler Test) ... 84
Im Dschungel der Untersuchungen ... 85
Anamnese ... 86
Körperdaten der Mutter ... 87
Gynäkologische Untersuchung ... 89
Labor ... 92
Urintest ... 92
Blutuntersuchungen ... 93
Oraler Glukose-Toleranztest (oGTT) ... 94
Internistische Untersuchung ... 100
Ultraschalluntersuchungen ... 100
Verpflichtendes Angebot ... 106
Und wenn das Kind erst einmal geboren ist? ... 108

Der Mutter-Kind-Pass im internationalen Vergleich ... 113
Nationale Programme zur Pränatalversorgung ... 114
Der deutsche Mutterpass ... 116
Die Situation in der Schweiz ... 119
Das Risiko der Sicherheit ... 121
Risikoorientierung ... 122
Der Mutter-Kind-Pass als Präventionsinstrument ... 123
Sekundärprävention: Das Auffinden von Risikofaktoren ... 126
Untersucht werden und sicher sein ... 129
Ärzte, die machtvollen Risikomanager ... 134
VorSORGEn ... 138

Im Frauenkörper ... 141
Frau im Körper ... 144
Das fremde Eigene ... 146
Verkaufte Körper ... 152
Die Untersuchung des weiblichen Körpers ... 155
Weiblicher Körper als Objekt ... 157

Von Frau zu Frau ... 159
Hebammen: Mit Hand, Herz und Verstand ... 163
Vorteile hebammengeleiteter Schwangerenvorsorge ... 166
Wie viel Hebamme ist gesund? ... 168

Erfahrungen mit dem Mutter-Kind-Pass ... 171
Die Sicht der Hebammen ... 172
Ursula Walch ... 173
Margarete Hoffer ... 175
Teresa Angerer ... 178
Hebammenteam „Geburtshaus von Anfang an“ ... 183
Agnes ... 184

Die Sicht der schwangeren Frauen und Mütter ... 186
Wichtige Ergebnisse der Befragung ... 187
Einzelstimmen ... 189
Selbstbestimmt schwanger, selbstbestimmt gebären ... 231
Von der Schwangeren-Vorsorge zur Schwangeren-Fürsorge ... 235
Selbstbestimmtheit und Eigenmacht ... 239

Das Wichtigste in Kürze ... 241
Literaturverzeichnis ... 242
Danke ... ... 249

Schwangerschaft ist eine wundervolle Zeit, eine Zeit der Transformation und Erneuerung. Und Schwangerschaft ist ein Prozess, der die werdende Mutter in freudvoller Erwartung in ihre größte Kraft führen kann. Ich kann mich noch gut an den Augenblick erinnern, als ich den ersten positiven Schwangerschaftstest in meinen Händen hielt. Ich erinnere mich an Aufregung und Glück, an Vorfreude und Unsicherheit. Was würde mich wohl erwarten? Woran ich mich auch gut erinnern kann, sind die vielen Arztbesuche, die eine Schwangerschaft für gewöhnlich mit sich bringt. Ich habe das, wie die meisten Frauen, nicht in Frage gestellt, bin brav zu jeder Untersuchung gegangen und habe meinen Mutter-Kind-Pass wie einen kleinen Schatz gehütet. Irgendwie schaut er ja auch enorm wichtig aus, oder? Mutter-Kind-Pass steht in großen Buchstaben darauf und gleich darunter ist der Adler, das Staatswappen, abgedruckt. Und Republik Österreich steht noch dabei. Gleich unter dem Adler. Hat mich irgendwie an meinen Reisepass erinnert. Er kommt sehr staatstragend daher, dieser Mutter-Kind-Pass. Und wenn der außen schon so imponierend gestaltet ist, dann wird der Inhalt erst recht bedeutungsvoll sein. Bedeutungsvoll für meine Gesundheit und vor allem für das Leben meines Kindes. Das habe ich damals, wie gesagt, nicht in Frage gestellt. Schließlich will jede Frau ein gesundes Kind, möchte jede Frau das Beste für ihr Ungeborenes. Und das wird wohl der regelmäßige Gang in die Arztpraxis sein. Mit Mutter-Kind-Pass, wohlgemerkt. Und auch, wenn mir eigentlich nichts fehlt, ich nicht krank bin. Schließlich machen das doch alle so. Über Alternativen wusste ich zum damaligen Zeitpunkt nichts. Ich habe den Marathon von Arztpraxis zu Arztpraxis, von Labor zu Labor, der letztendlich im Krankenhaus in einer medizinisch überwachten Geburt geendet hat, ohne Murren mitgemacht. Ich war eine von vielen. Irgendwann haben mich aber doch Zweifel beschlichen. Ganz still und heimlich hat sich das Gefühl bemerkbar gemacht, dass da etwas nicht ganz stimmig ist. Wie konnte es sein, dass eine gesunde Schwangere derart entmündigt wird; dass ihr nicht zugetraut wird, ihren Gesundheitszustand selbstverantwortlich im Auge behalten zu können, was beispielsweise für einen Diabetiker selbstverständlich ist? Für die einfachsten Tätigkeiten – Wiegen, Blutdruckmessen, Teststreifen in den Urin tauchen – wird die Frau in die Arztpraxis beordert, um sich von einem Profi dabei helfen zu lassen. Ich bin Medizinanthropologin. Der Hang zur kritischen Sichtweise wurde mir quasi in die berufliche Wiege gelegt. Ich habe begonnen, Fragen zu stellen. Und ich habe begonnen, Antworten zu suchen. Den Mutter-Kind-Pass habe ich plötzlich mit anderen Augen gesehen, habe ihn in einem größeren Kontext wahrgenommen und versucht, einen Blick hinter die glänzende Fassade zu werfen. Der Adler hat mich gar nicht mehr so sehr beeindruckt. Ich habe recherchiert und mit Ärzten gesprochen. Ich habe Hebammen um ihre Meinung gebeten und ich habe andere Frauen, andere Mütter, zu ihren Erfahrungen befragt. Als ich mich mit den Vorschriften in anderen Ländern befasst habe, habe ich festgestellt, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt. In nordeuropäischen Ländern beispielsweise große Freiheiten, in Deutschland einen Mutterpass, dessen Vorgaben formal freiwillig sind, der gesellschaftliche, ärztliche und – ab Geburt des Kindes – auch staatliche Druck aber ähnlich hoch wie in Österreich. Meine Gedanken zu all dem habe ich niedergeschrieben. Ich schreibe, weil ich glaube, dass es Zeit ist für eine Veränderung. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel weg von der ärztlich geleiteten medizinischen Schwangerenvorsorge hin zu einer frauenzentrierten Hebammenbetreuung in der Schwangerschaft. Der Grundgedanke des Mutter-Kind-Passes mag Fürsorglichkeit sein. Der Ansatz ist, allen werdenden Müttern und ihren Kindern beste medizinische Versorgung kostenlos zur Verfügung zu stellen, um deren Gesundheit angemessen zu fördern. Es handelt sich also um ein großzügiges Geschenk der Gesellschaft an jede schwangere Frau. Einen schalen Beigeschmack erhält die Sache aber dadurch, dass die Schwangere in Österreich dazu genötigt wird, das Geschenk auch anzunehmen. „Oh, danke! Das ist nett, aber eigentlich habe ich keinen Bedarf!“ Oder: „Das Geschenk ist mir eigentlich viel zu groß. Es ist so schwer, dass ich es gar nicht tragen kann!“ Die Möglichkeit, das großzügige Geschenk dankend abzulehnen, gibt es nicht. Lehne ich das Geschenk ab, werde ich bestraft, nämlich durch den Entzug der mir zustehenden Geldleistung.

Senkt der Mutter-Kind-Pass die Sterblichkeit? In der Tat gingen Mütter- und Säuglingssterblichkeit seit Einführung des Mutter-Kind-Passes im Laufe der Jahre deutlich zurück. Es ist daher wenig verwunderlich, dass der Mutter-Kind-Pass auch gerne als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnet wird. Dieser Erfolg relativiert sich allerdings, wenn auch die statistischen Daten zur Mütter- und Säuglingssterblichkeit aus den Jahren VOR der Einführung des Mutter-Kind-Passes im Jahr 1974 herangezogen werden. Die Statistik Austria hat die entsprechenden Zahlen seit 1946 veröffentlicht (vgl. STATISTIK AUSTRIA 2007, 2015a, 2015b und 2015c). Hier zeigt sich, dass bereits seit Beginn der Aufzeichnungen nach Kriegsende die Säuglingssterblichkeit kontinuierlich gesunken ist, also bereits lange vor Einführung der flächendeckenden ärztlichen Kontrolle der Schwangeren. Vor allem in den ersten Jahren der statistischen Aufzeichnungen fällt die Säuglingssterblichkeit auffallend rasch. Seitdem sank sie, unabhängig von einer medizinisch überwachten Schwangerenvorsorge, weiter und weiter (vgl. STATISTIK AUSTRIA 2015a). Laut Experten ist auch die perinatale Sterblichkeit von Bedeutung. Diese gibt die Anzahl der kindlichen Todesfälle bis zum siebenten Tag nach der Geburt an, Totgeburten werden miteinbezogen. Auch hier zeigt sich anhand der Aufzeichnung der Statistik Austria, dass es bereits lange vor Implementierung des Mutter-Kind-Passes zu rückläufigen Zahlen kommt (vgl. STATISTIK AUSTRIA 2015c). Auch zur Müttersterblichkeit sind Zahlen seit 1946 verfügbar. Hier zeigt sich ein ähnliches Bild, denn bereits lange vor Einführung der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sind die Zahlen rückläufig und die Müttersterblichkeit nahm in Folge weiter mehr oder weniger kontinuierlich ab. Die Kurve beginnt also auch hier lange vor Einführung der medizinisch überwachten Schwangerschaft rapide abzusinken. Die geringere Mütter- und Säuglingssterblichkeit hat also nicht in erster Linie mit den unzähligen Untersuchungen zu tun, die seit Einführung der flächendeckendenden Schwangerenvorsorge durchgeführt wurden, sondern kann vor allem mit den bereits angesprochenen sozioökonomischen Faktoren und dem technischen wie medizinischen Fortschritt begründet werden. Ein weiterer interessanter Punkt ist die Tatsache, dass in den Anfangsjahren des Mutter-Kind-Passes beinahe 100 Prozent der werdenden Mütter das Angebot der ärztlichen Kontrollen in Anspruch genommen haben (vgl. LEODOLTER 2014). Heute sind die offiziell zugänglichen Zahlen der Inanspruchnahme geringer (vgl. ABUZAHRA 2009). Trotzdem sind die Zahlen zur Säuglings- und Müttersterblichkeit nicht gestiegen. Die niedrigen Sterberaten müssen also andere Ursachen haben. Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen von Müttern und ihren Neugeborenen spielen in Hinblick auf die Säuglingssterblichkeit ebenso eine Rolle wie das soziale Umfeld, der individuelle Lebensstil und Merkmale des Gesundheitssystems (z.B. Zugang zum Medizinsystem). Da viele Faktoren Einfluss auf die Säuglingssterblichkeit haben, führt eine Steigerung der Gesundheitsausgaben nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Ergebnisse in diesem Bereich. Das zeigt auch die Tatsache, dass in einigen Ländern einerseits eine niedrige Säuglingssterblichkeit besteht und gleichzeitig ein vergleichsweise niedriges Niveau der Ausgaben im Gesundheitsbereich zu bemerken ist (vgl. OECD 2011). In Finnland sind beispielsweise nur zwei Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft vorgesehen, gleichzeitig gehört Finnland zu den Ländern mit den niedrigsten Säuglingssterblichkeitsraten (vgl. OECD 2011 und ABUZAHRA 2009).

Erscheinungsdatum
Verlagsort Salzburg
Sprache deutsch
Maße 155 x 220 mm
Gewicht 405 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Schwangerschaft / Geburt
Schlagworte Alleingeburt • artgerecht • Eigenverantwortung • Frauengesundheit • Frauenkörper Frauenweisheit • Geburtsvorbereitung • Hausgeburt • Hebammen-gesundheitswissen • Hebammensprechstunde • HypnoBirthing • Kaiserschnitt • medizinische Vorsorge • Medizinsystem • Mutter-Kind-Pass • Mutterpass • Mutterpasshülle • Natürliche Geburt • Perinatologie, Pränatalmedizin • Pränataldiagnostik • Ratgeber • Risiko • schmerzfreie Geburt • Schwanger • Schwangerenvorsorge • Schwangerschaft • Schwangerschaft / Gravidität • Screening • selbstbestimmte Geburt • Sicherheit • Sozial- und Kulturanthropologie, Ethnographie • Überwachung • Ultraschall • Vorsorgewahn
ISBN-10 3-903085-07-3 / 3903085073
ISBN-13 978-3-903085-07-7 / 9783903085077
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