Innere Kündigung in Beziehungen (eBook)

Vom allmählichen Rückzug in sich selbst
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
208 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560930-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Innere Kündigung in Beziehungen -  Clemens von Luck
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Wer kennt es nicht, das Klischee vom alten Ehepaar, von zwei Menschen, die sich nach langen gemeinsamen Jahren aufeinander »eingespielt« haben und gegenseitig in Ruhe lassen? Doch wenn man genauer hinschaut, fällt auf, daß immer mehr und immer jüngere Paare diesem Bild entsprechen. Seit einigen Jahren hat dieses stark tabuisierte und deshalb schwer zu durchschauende Phänomen zumindest im Berufsleben einen Namen: die 'innere Kündigung'. Innere Kündigung beginnt immer mit einem Rückzug - weil einer der Partner sich als zu übermächtig erweist, Perspektiven verlorengehen oder Alternativen nicht erkennbar sind -, und sie endet mit einer Fassade, die den Zugang zu den eigenen Bedürfnissen und denen des anderen mehr und mehr versperrt. Clemens von Luck beschreibt das weitverbreitete und zugleich äußerst diskrete Phänomen in allen seinen Spielarten im Privat- und Berufsleben. Dabei geht es nicht um die Frage, ob eine innere Kündigung berechtigt ist oder nicht, als vielmehr um das Machbare, Veränderbare und eine mögliche Wende zum Besseren. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Clemens von Luck ist Journalist und Sachbuchautor.

Clemens von Luck ist Journalist und Sachbuchautor.

Tagebuch einer inneren Kündigung


6. Mai

Heute nacht bin ich aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen. Ich habe Wolf beobachtet, er hatte diese hektische Atmung im Schlaf, so als schnappe er ständig nach Luft. Plötzlich war er mir total fremd, wie er so dalag und schnaufte, und dabei ist mir sein Gesicht doch so vertraut. Ich kenne jeden Fleck seines Körpers, und trotzdem ist da eine Distanz. Irgend etwas muß passiert sein, ich kann noch nicht einmal sagen, was, aber alles ist irgendwie anders, nicht mehr so wie früher.

20. Mai

Gestern abend waren wir essen, in einem neuen Restaurant, und es war seit langer Zeit mal wieder richtig nett. Wolf hat mir von seinen Schwierigkeiten mit dem neuen Computersystem in der Firma erzählt. Es interessierte mich zwar nicht besonders, aber endlich war er mal wieder offen und zugänglich. Ich brauche das, zu wissen, was in ihm vorgeht. Später kamen dann noch Melanie und Thorsten, wir haben richtig viel Spaß gehabt.

7. Juni

Die Tage fließen so dahin, es passiert nicht viel. Wolf bastelt jede freie Minute am Wohnmobil. Er ist richtig pingelig, wenn es darum geht (beim Abwasch ist er nie so). Mein Job nervt mich im Moment. Die Arbeit stapelt sich, weil Sabine und Kerstin im Urlaub sind. Es ist nicht in Ordnung, daß Herr Brenner beiden gleichzeitig freigegeben hat, obwohl er wußte, daß so viel zu tun sein wird. Okay, die beiden sind wegen ihrer Kinder auf die Schulferien angewiesen. Und wenn ich protestiert hätte, wäre ich die Spielverderberin gewesen. Fair finde ich es trotzdem nicht.

Wenigstens läuft es zu Hause problemlos. Ich bin zwar immer noch diejenige, die fast die ganze Arbeit im Haushalt macht, aber der Aufwand hält sich in Grenzen. Ich mache im Moment nur das Nötigste, und Wolf scheint das überhaupt nicht zu bemerken. Abends sitzen wir vor dem Fernseher und reden kaum miteinander. Dann gehe ich meistens vor ihm ins Bett, weil ich so geschafft bin. Jetzt sitzt er wieder und guckt Fußball, das interessiert mich ja nun wirklich nicht.

12. Juni

Früher habe ich immer gedacht, mir kann das nicht passieren, daß ich schweigend neben einem Mann sitze und wir uns einfach nichts zu sagen haben. Aber jetzt merke ich, daß es genau so ist. Wir sind jetzt seit sechs Jahren zusammen, und wir leben seit drei Jahren in dieser Wohnung. Alles ist klar und etabliert. Alles ist selbstverständlich, wir sind zusammen, wir leben zusammen, und das wird auch so bleiben. Ich will ja auch Sicherheit. Aber so? Manchmal denke ich daran, wie es wäre, wieder allein zu sein.

Wir haben bestimmt vier Wochen nicht mehr miteinander geschlafen. Das Merkwürdige daran ist, es stört mich überhaupt nicht. Ich bin sogar ein bißchen froh, daß ich meine Ruhe habe. Andererseits ist es ja nicht normal, wenn man keinen Sex mehr miteinander hat, einfach so, ohne Grund. Aber den Sex, den ich mir von ihm wünschen würde, bekomme ich im Moment wohl sowieso nicht.

Daß der Alltag so viele Dinge zerstören kann! Ich kann Wolf einfach nicht mehr objektiv sehen. Merkwürdig, die Eigenschaften, wegen derer ich mich in ihn verliebt habe, die sind ja immer noch da. Und daß das Kribbeln irgendwann weniger werden würde, war auch klar. Aber jetzt kann ich nicht einmal mehr die guten Seiten an Wolf geniessen. Sein Humor, seine Warmherzigkeit, seine Fähigkeit, auf andere Menschen zuzugehen, und seine Zuverlässigkeit. Alle diese tollen Eigenschaften haben an Bedeutung verloren. Sie sind wohl noch da, aber sie sind selbstverständlich geworden.

Wenn ich zurückdenke, das war früher anders. Als ich Wolf kennengelernt habe, war ich schon drei Jahre allein, immer auf der Suche nach dem Mann meines Lebens. Natürlich gab’s Affairen, aber eigentlich war mir jedes Mal schon am Anfang klar, das ist es nicht. Und als ich Wolf traf, hat’s richtig geknallt. Bei uns beiden. Das war eine tolle Zeit! Ich hatte gleich ein unglaubliches Vertrauen, das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Alles hat gestimmt. Wir mögen beide keinen Käse, er trinkt auch lieber Tee, er duscht morgens und nicht abends, im Urlaub kann er wie ich stundenlang am Strand liegen, wir gehen beide gerne essen, wir können uns beide wirklich gut unterhalten. Damals jedenfalls, und im Bett war es einfach unglaublich gut. Wir hatten fast jeden Tag Sex, und jedes Mal war es neu und aufregend. Er konnte mich im Sturm erobern, aber auch unfaßbar sanft sein. Wo sind deine Zauberhände geblieben, Wolf?

Das sind vielleicht alles Kleinigkeiten, aber für mich sind sie wichtig. Ich war einfach glücklich!

21. Juni

Ich glaube, es war ein Fehler, mich so auf Wolf einzustellen. Dabei wollte ich nur unsere Beziehung optimal gestalten. Anfangs hat Wolf mich auch ernst genommen, er hat mich in allen Dingen nach meiner Meinung gefragt. Ich hatte das Gefühl, er war richtig stolz auf mich und mein organisatorisches Talent. Natürlich gab es Sachen, die ihm nicht so gefallen haben, zum Beispiel meine Klamotten. Ich habe immer gern Rot getragen, bis er mir mal gesagt hat, er findet Rot »nuttig«.

Auch wenn er es nicht so gemeint hat, er hat mich damit zutiefst gekränkt. Ich habe danach kein Rot mehr getragen. Oder meine Haare, ich habe sie seinetwegen wachsen lassen. Auch eine Kleinigkeit, aber vielleicht bedeutet sie mehr, als ich wahrhaben wollte.

Heute habe ich das Gefühl, daß er mich und unsere Ehe nicht mehr ernst nimmt. Es passiert immer öfter, daß ich ihm vorschlage, am Wochenende etwas zu unternehmen. Er findet das dann eine prima Idee, und zwei Tage später hat er es schon wieder vergessen. Aber wenn ich ehrlich bin, frage ich ihn auch nur noch selten nach seiner Meinung. Die meisten Dinge mache ich mit mir selbst ab. Wolf glaubt, meine Probleme zu kennen, ich kenne seine Einstellung dazu, und die hilft mir selten weiter. Ich könnte losheulen, wenn ich das hier so knallhart aufschreibe, aber leider ist es die Wahrheit! Manchmal würde ich ihm am liebsten aus meinem Tagebuch vorlesen, aber ich trau’ mich nicht. Ich habe Angst, daß dann alles vorbei ist.

30. Juni

Das Wetter macht mich krank, alles ist grau in grau, und ich habe seit Tagen extrem schlechte Laune. Es wird Zeit, daß wir in Urlaub fahren.

2. Juli

Vielleicht sollte ich allein wegfahren. Zum Beispiel nach Mallorca, da kenne ich mich aus. Der Gedanke an Sonne, Strand und schöne Männer (und vielleicht einen prickelnden Flirt?) stimmt mich fröhlich.

3. Juli

Ich habe Wolf gestern den Vorschlag gemacht, und er hat nur gesagt, okay, dann fährt er eben allein nach Florida. Er war überhaupt nicht gekränkt, er hat sich auch nicht aufgeregt, gar nichts. Es ist schon komisch, es war meine eigene Idee, aber jetzt bin ich enttäuscht von seiner Reaktion. Eigentlich habe ich mir wohl gewünscht, daß er mal nachgibt und einfach dahin mitfährt, wohin ich will.

Heute abend machen wir ein großes Essen mit unseren Freunden. Ich freue mich schon darauf, sie alle wiederzusehen.

Immer noch 3. Juli

Das Essen war eine Katastrophe. Es fing schon so schrecklich an, als ich mich zurechtgemacht habe. Ich hab mein schwarzes Minikleid angezogen, weil ich richtig gut aussehen wollte. Als Wolf mich sah, guckte er mich nur abschätzend an und meinte, daß Mini megaout sei und ich außerdem keine 28 mehr.

Ich hab mich im Badezimmer eingeschlossen und geheult. Es war absolut schrecklich, am liebsten hätte ich alles wieder abgesagt und mich ins Bett verkrochen. Aber das ging ja nicht mehr. Also habe ich mir das Gesicht gewaschen und mich genau im Spiegel betrachtet. Okay, ich bin tatsächlich keine achtundzwanzig mehr, aber so alt bin ich ja nun auch noch nicht. Oder wirke ich tatsächlich lächerlich in so einem kurzen Rock? Ich war plötzlich so unsicher, es war schrecklich.

Ich habe den Mini dann doch anbehalten, aus Trotz, obwohl ich mich nach Wolfs Kommentar extrem unwohl darin gefühlt habe. Der Abend konnte eigentlich nur noch katastrophal werden, und so kam es dann auch. Ich habe die Fassade gewahrt, indem ich so getan habe, als wenn alles in bester Butter sei. Ich hätte es einfach nicht ertragen, daß auch noch unsere Freunde sehen, wie wir miteinander umgehen. Oder besser: nicht umgehen. Wolf hat auch so schon kaum ein Wort mit mir gesprochen, es war unübersehbar.

Das Essen war auch noch mißlungen, die Nudeln waren zu weich, und die Salatsoße schmeckte nach nichts. Einfach grauenhaft. Alle sind auch sehr früh gegangen. Als sie weg waren, wollte ich noch mit Wolf reden, aber er druckste nur herum, daß er total müde sei, und dann ging er ins Bett.

Ich schreibe hier auf der Couch, zwischen den ganzen dreckigen Gläsern. Ich habe keine Lust mehr, immer gleich alle Spuren wegzuräumen. Ich will keine gute Miene mehr zum bösen Spiel machen! Neben Wolf kann ich mich jetzt nicht legen, das geht einfach nicht. Und allein kann ich nicht einschlafen. Die Gedanken kreisen in meinem Kopf. Ich bin ein bißchen betrunken, weil ich mir eben noch einen doppelten Whiskey ’reingeschüttet habe. Ich fühle mich mies!

Ich muß dauernd an meine Eltern denken. Die haben in meinen Augen eine entsetzliche Ehe geführt. Nach außen war immer alles blitzsauber und in bester Ordnung, aber in Wirklichkeit haben sie völlig nebeneinander hergelebt. Alles war durchorganisiert bei ihnen, selbst an den Wochenenden auf unserem Campingplatz stand pünktlich um eins das Essen auf dem Tisch. Sie haben kaum miteinander geredet, der Fernseher lief jeden Abend. Wenn mein Vater überhaupt da war. Ich habe mich oft gefragt, warum die beiden zusammenbleiben, sie hatten ja...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2016
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Partnerschaft / Sexualität
Schlagworte Arbeitsalltag • Arbeitsvorschrift • Beziehung • Großstadtehe • Gruppenforschung • Harmoniesucht • Helfersyndrom • Krise • Langeweile • Lustlosigkeit • Partnerschaft • Ratgeber • Sachbuch • Schweigen • Streit • Trennung • Unzufriedenheit
ISBN-10 3-10-560930-X / 310560930X
ISBN-13 978-3-10-560930-9 / 9783105609309
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