Am liebsten am Wasser (eBook)
148 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7386-9450-5 (ISBN)
Markus Heine arbeitet seit fast 20 Jahren als Redakteur bei zwei Anglerzeitschriften. Über das Angeln hat er bisher einige Bücher veröffentlicht (Traumziele für Angler, Am liebsten am Wasser, Angeln für Kinder, So ticken die Angelprofis). Neben dem Schreiben gehören das Fotografieren und Filmen zu seinen großen Leidenschaften. Mit mehreren Reisereportagen über das Angeln in Alaska hat er bereits einige Filmpreise gewinnen können.
DER ZURÜCKEROBERTE PILKER
- Wenn mein Onkel Dirk und ich nicht ausgebüchste Maden einsammeln mussten, saßen wir jede freie Minute am Wasser. Mit Dirk fing ich meinen ersten Fisch, eine handlange Rotfeder, mit Dirk entdeckte ich meine Faszination fürs Raubfischangeln, mit Dirk plante ich meinen ersten Angelurlaub.
Unsere erste gemeinsame Flugreise führte uns 2005 in den Norden Norwegens auf die Insel Sommarøy. Wäre ich selbst nicht dabei gewesen, würde ich die folgende Geschichte wahrscheinlich ins Reich besten Anglerlateins verschieben. Aber glauben Sie mir: Alles ist wirklich so passiert.
Traumziel: In Norwegen fühlen sich alle Angler zu Hause.
Seefest sollte man allerdings sein, sonst ergeht es einem wie Dirk.
- Die die Meeresküste säumenden Berge sind noch schneebedeckt, als wir auf der nordnorwegischen Insel ankommen. Sie befindet sich etwa 80 Kilometer westlich von Tromsø. Auf dem Weg vom Flughafen zur Lodge blicken wir beeindruckt aus dem Busfenster - Wasser, wo man nur hinschaut. Die imposanten Fjorde ragen weit ins Landesinnere hinein, ihre steinigen Ufer werden von den so typischen bunten Holzhäuschen geschmückt. Als rote, gelbe und weiße Farbtupfer leuchten sie zwischen den grünen Bergen und dem blauem Wasser.
Der erste Morgen. Ich schaue auf die Seekarte und bin guten Mutes. „Nur noch knapp zwei Kilometer, dann sind wir endlich da“, rufe ich Dirk zu. „Scheint so, als ob wir auf das draußen liegende Plateau rauskommen.“
Dirk nickt mir zu und zieht sich die rote Kapuze seines Thermo-Anzuges tiefer ins Gesicht. Täusche ich mich oder ist er etwas blass um die Nase? Ich befürchte Schlimmes. Denn dass in meinem Onkel kein waschechter Seebär steckt, weiß ich spätestens seit unserer Kuttertour vor Heiligenhafen. Das war im Winter 1995, jedenfalls fegte ein 7er bis 8er Wind über die Ostsee und brachte die Wellen so sehr in Schwung, dass an ein Angeln nicht mehr zu denken war. Heikle und extreme Bedingungen, bei denen man seekrank werden darf.
Dirk war nicht der einzige, den es auf dieser Tour erwischte. Im Gegensatz zu den anderen Seekranken schaffte er es jedoch unglücklicherweise nicht mehr bis zu Reling. In der miefigen Kajüte des Dorschkutters griff er urplötzlich nach dem Putzeimer und übergab sich.
- „Kotzt du zu Hause auch ins Wohnzimmer“, machte der knorrige Käpt’n meinen Onkel zur Schnecke. Seinen Ausraster hätte sich der alte Knurrhahn getrost sparen können, krümmte sich Dirk - mit 1,95 Metern ein Bär von Mann - doch schon von Magenkrämpfen geplagt auf der Eckbank.
Als sich der motzende Käpt’n dann überaschenderweise zu erbarmen schien und Dirk eine Tablette gegen Seekrankheit anbot, die über drei Jahre abgelaufen war, hatte er jegliche Sympathien bei uns verspielt. Mögen diese - ehrlich gesagt - auch nie sehr groß gewesen sein.
Doch heute motzt kein unsympathischer Kapitän an Bord, und vielleicht habe ich mich auch getäuscht, denn so blass ist Dirk nun auch wieder nicht. Meter um Meter kommen wir der anvisierten Stelle näher. Ein paar Wolken ziehen dicht über unsere Köpfe hinweg. Was wird uns draußen an dem Hotspot erwarten? Der ersehnte 20-pfündige Dorsch, von dem jeder Meeresangler träumt. Die Spannung steigt von Minute zu Minute.
„100 Meter ist es hier noch tief“, sage ich zu Dirk und blicke wieder aufs Echolot. „Aha, jetzt wird’s flacher, wir müssten gleich da sein.“ Der Grund steigt an dieser Stelle an. 75, 50, 40 Meter. Wir haben das Plateau erreicht.
Wenig später taumeln unsere 175 Gramm schweren Pilker, die wir mit einem Seelachsfilet garniert haben, zum Meeresgrund. Dirks Köder kommt zuerst unten an. Sofort haucht er ihm mit gezielten Rucken Leben ein.
Plötzlich reißt er die Rute hoch. „Der sitzt!“ Dirk beginnt zu pumpen, und kurze Zeit später taucht der Übeltäter auf. Ein etwa sechspfündiger Lumb hat sich den Pilker mit Fischfetzen geschnappt. Ihm folgen in den nächsten Minuten mehrere Artgenossen, so dass wir uns nach einer halben Stunde „Lumberei“ dazu entschließen, die Stelle zu wechseln. Liebe Lumbs, ihr müsst entschuldigen, mögt ihr auch superlecker sein - heute wollen wir Dorsche.
„Dirk, lass uns zu Stelle 3 fahren, die Kante dort sieht auch gut aus“, schlage ich vor. Gesagt, getan. Der Wind legt etwas zu und macht die Wellen noch ein Stück größer, was ganz und gar nicht nach Dirks Geschmack zu sein scheint.
„Ist dir schon mulmig?“, frage ich ihn.
„Nein, alles in Ordnung“, antwortet er und lächelt gequält. „Noch.“
Na ja, meiner Meinung nach sieht er jetzt doch ziemlich käsig aus. Allerdings bietet sich Dirk nicht die Möglichkeit, über eine aufkommende Seekrankheit nachzudenken, denn wir haben den Hotspot bereits erreicht. Nach einem „Petri Heil“ sausen unsere Pilker zum Grund hinunter. Das Echolot zeigt 40 Meter an. Die erreicht mein Eisen aber erst gar nicht, denn es wird im Mittelwasser abgefangen.
„Fisch!“, rufe ich und blicke gebannt auf die krumm gezogene Rute. Energisch ruckt es am Ende der Schnur. Ich gewinne das Kräftemessen jedoch und pumpe den Fisch zur Oberfläche. Bald schimmert sein weißer Bauch vor mir. Ein Dorsch! Und kein schlechter! 15 Pfund wiegt er bestimmt.
Als ich den Fisch versorge, lässt mich das Kreischen von Dirks Rollenbremse aufblicken. Seine Rute biegt sich gewaltig.
„Das muss ein Riese sein“, mutmaßt er, während er sich gegen den Druck aus der Tiefe stemmt. „Ich hatte etwas Kleines am Haken. Beim Hochkurbeln stieg dieses Vieh ein.“
Urplötzlich sinkt Dirk in sich zusammen. „So ein Mist! Weg!“ Der Spuk ist vorbei. Ein paar Kurbelumdrehungen, und wir sehen das Malheur: Die Schnur weht lose im Wind. Gerissen!
Wir driften weiter. Dirk sieht jetzt noch blasser aus, wer kann es ihm verübeln? Ich drücke den Freilauf der Multi, und mein 175 Gramm schwerer Köder geht auf Tauchstation. Dasselbe silberne Modell übrigens, das Dirk soeben verloren hat. Als es unten angekommen ist, beginne ich zu pilken.
Das Eisen schnellt vom Grund in die Höhe. Einmal. Zweimal. Dreimal. Widerstand! Ich schlage an. Stur bleibt der Fisch auf der Stelle stehen. Das muss ein ganz Großer sein! Der ersehnte 20-Pfünder? Abwarten. Jetzt heißt es zunächst, den Drill zu überstehen.
Ich spüre, wie ich mit jeder Pumpbewegung eine riesige Masse bewege. Wehren tut sich der behäbige Klotz allerdings nicht. Zweimal zieht er mir drei bis vier Meter Geflochtene von der Rolle, das war’s dann aber auch. Allerdings habe ich die Bremse auch ziemlich hart eingestellt. Wir sind schließlich in Norwegen und nicht beim Rotaugen-Pickern am Kanal.
Ungefähr zwei Minuten mögen nach dem Anhieb vergangen sein. Gleich müssten wir den Burschen das erste Mal sehen können. Wo bleibt er nur? Meter um Meter Schnur gewinnt meine Multi zurück. Jetzt erkenne ich etwas unter dem Boot. Was heißt hier etwas? Das zuerst verschwommene, kleine Schimmern wächst zu einem riesigen weißen Fleck heran, der in dem dunklen Wasser auf mich zu schwebt.
„Was für ein Dorsch!“, huscht es über meine Lippen. Beherzt greife ich dem Riesen in die Kiemen, um ihn über die Bordwand zu zerren. Ich hole nochmal etwas Schwung, und schließlich landet der Brocken auf den Planken. Mir fehlen die Worte. Der bislang größte Fisch meines Lebens liegt vor mir. Der bereits in der Kiste liegende 15-pfündige Dorsch sieht neben dem Riesen wie ein halbstarker Jüngling aus.
„Petri Heil!“, jubelt Dirk, der den Drill gebannt verfolgt hat.
„Petri Dank!“ Ich kann meinen Blick nicht von dem Fisch abwenden. ‘Was für eine Fressmaschine‘, denke ich, als ich in das riesige Maul greife und den tief im Schlund sitzenden Haken löse. Die Waage pendelt sich bei 33 Pfund und 100 Gramm ein. Länge des Dorsch-Monsters: 118 Zentimeter.
Dirk machen die Wellen nun doch zu sehr zu schaffen, er ist kreidebleich. Deshalb fahren wir zurück in den Hafen. Besser ist das. Was wir dort erleben werden, hätten wir in unseren kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten.
Der riesige Dorsch liegt auf dem Filetiertisch, ganz passt er nicht auf die Holzplatte, seine Schwanzflosse ragt ein Stück über sie hinaus. Ich bin gespannt, was der Fisch meines Lebens wohl gefressen hat, bevor er meinen Pilker schnappte. Ich taste den prallen Magen des Dorsches ab und wundere mich. Seltsam, es liegt etwas sehr Hartes darin. Ob das Muscheln oder Krebse sind? Als ich den Magen aufgeschnitten habe, verschlägt es mir die Sprache. Ich bin mir nicht sicher, ob es stimmt, was ich da sehe.
„Dirk, schau dir das an!“ Mein Onkel lukt mir über die Schulter und schüttelt den Kopf. „Das gibt‘s doch nicht. Unglaublich. Du hast meinen Dorsch gefangen!“
Tatsächlich, es ist wirklich wahr. Ich habe den Dorsch gefangen, den Dirk zuvor verloren hatte. Als Beweis pult Dirk seinen silbernen Pilker aus dem...
Erscheint lt. Verlag | 12.2.2015 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Freizeit / Hobby ► Angeln / Jagd | |
Sachbuch/Ratgeber ► Sport | |
Schlagworte | Angelerzählungen • Angelgeschichten • Angeln • Fische • Fischen |
ISBN-10 | 3-7386-9450-1 / 3738694501 |
ISBN-13 | 978-3-7386-9450-5 / 9783738694505 |
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Größe: 3,0 MB
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