Späte Kinder (eBook)

Vom Aufwachsen mit älteren Eltern

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
232 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-318-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Späte Kinder - Eric Breitinger
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Die Zahl der Paare, die mit über 40 Eltern werden, steigt von Jahr zu Jahr. Was bedeutet das eigentlich für die Kinder? Sie profitieren zwar davon, dass ihre Mütter und Väter oft mehr Zeit und Aufmerksamkeit für sie haben, müssen aber den großen Altersabstand in Kauf nehmen. Häufig fehlen auch Großeltern oder Geschwister. Ein Kind später Eltern zu sein, hat Vor- und Nachteile. In jedem Fall prägt es für das ganze Leben.
Eric Breitinger versammelt zum ersten Mal Erfahrungen erwachsener spätgeborener Kinder, zieht Expertenstimmen und Forschungsergebnisse hinzu und lässt seine eigene Geschichte mit einfließen. Ein einfühlsamer Impulsgeber für Eltern und Kinder.

Jahrgang 1962; Studium der Geschichte und Ausbildung an der Journalistenschule MAZ in Luzern; Reportagen für die Weltwoche und die ZEIT; erhielt 1998 den Ersten Preis im Journalistenwettbewerb der Robert-Bosch-Stiftung; arbeitet gegenwärtig beim Schweizer Konsumentenmagazin saldo und als freier Autor für die NZZ Folio; lebt mit seiner Familie in der Schweiz, für "Vertraute Fremdheit. Adoptierte erzählen" (Ch. Links, 2011) erhielt er den Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreis 2012.

Anything goes
geht nicht


Eines meiner Lieblingsfotos zeigt einen alten Mann mit Hornbrille und schlohweißem Haar, der hochkonzentriert und etwas linkisch ein Baby in den Armen hält. Das Baby ist meine Tochter Judith im Alter von wenigen Tagen, der Mann mein Pflegevater. Die Farben des Fotos sind schon leicht vergilbt, meine Frau hat es vor mehr als 20 Jahren aufgenommen. Ich stand im Moment der Aufnahme außerhalb des Bildes, aber in der Nähe meines Vaters – jederzeit bereit, das kleine Bündel Mensch aufzufangen, sollte es ihm entgleiten. Denn er kämpfte gegen das Zittern seiner Hände an, um seine Enkelin in den Armen halten zu können. Er litt damals schon stark an Parkinson. Zwei Jahre später starb mein Vater mit 79 Jahren. Da war ich 32.

Ähnlich ergeht es vielen Kindern, die spät in das Leben ihrer Eltern kamen. Sie können mit Mitte 20 bis Anfang 30 oft schon nicht mehr auf die Hilfe ihrer alternden Eltern zählen. Im Gegenteil: Nicht selten sind sie es, die ihren Vater oder die Mutter unterstützen müssen.

Davon liest man in den meisten Zeitungen und Zeitschriften jedoch wenig. Die Berichte preisen Frauen, die mit über 40 noch Kinder gebären und diese dann ohne Ermüdungserscheinungen großziehen: Hollywoodstars wie Halle Berry und Holly Hunter bekamen mit 47 noch Nachwuchs, die Popsängerinnen Madonna und Céline Dion mit 42, Rockstar Gianna Nannini sogar mit 54. Oft stehen auch Männer im Mittelpunkt, die mit über 60 Jahren noch Vater werden. Ex-Rennfahrer Niki Lauda und US-Immobilienmagnat Donald Trump schenkten ihren Partnerinnen mit 60 noch mal Kinder. US-»Piano-Man« Billy Joel wurde mit 66 abermals Daddy. Ex-Mister Tagesthemen Ulrich Wickert war 69, als seine Frau Zwillinge zur Welt brachte. Silberhaarige Herren im Rentenalter dürfen in den Berichten über das neue Glück des Windelwechselns schwärmen, Mütter jenseits der 40 verstehen die späte Geburt als feministischen Triumph, weil ihnen somit Karriere und Bauch gehören. Fortschrittsgläubige rufen unterdessen das Ende der Ära der natürlichen Empfängnis aus und kündigen ein neues flexibles Zeitalter des »Social Freezing« und anderer Techniken der Reproduktionsmedizin an.

Schaut man sich die Medienberichte genauer an, wird schnell eine Schieflage deutlich: Es geht ausschließlich um die Perspektive der Mütter oder Väter. Allenfalls kommen Psychologen oder Soziologen zu Wort, die das Ende der traditionellen Familie heraufbeschwören oder vor den negativen gesellschaftlichen Folgen des neuen Phänomens für das Miteinander der Generationen und die sozialen Sicherungssysteme warnen. Erstaunlicherweise bekommen die Hauptbetroffenen dieses Trends jedoch kaum Aufmerksamkeit: die späten Kinder. Das ist umso verwunderlicher, als viele von ihnen in ihrer Kindheit und Jugend oft grundlegend andere Erfahrungen gemacht haben als Gleichal­trige mit jüngeren Eltern.

Für eine 25-jährige Erzieherin aus Wien ist das Alter ihres Vaters ein Grund zur Eile: Sie muss schnell heiraten und schnell eigene Kinder kriegen. Sonst ist es zu spät, und ihr Vater bekommt ihr neues Leben als Mutter und seine Enkel nicht mehr mit. Er ist heute 93 Jahre alt. Eine 32 Jahre alte Journalistin aus Norddeutschland sagt, dass »das Alter meines Vaters allgegenwärtig in meinem Leben war«. Bei ihrer Geburt war er 52. Als Kind hatte sie den Eindruck, dass mit seiner Gesundheit etwas nicht in Ordnung sei. Als sie ein Teenager war, ging er in den Ruhestand und warnte sie, dass er ihre Hochzeit vielleicht nicht miterleben würde. Vor neun Jahren starb er 75-jährig. Da war sie 22 Jahre alt und noch unverheiratet. Für eine Psychologin aus der Schweiz, Mitte 40, war immer klar, dass »mich meine Eltern schnell großkriegen wollten«. Sie sollte mit älteren Kindern spielen, schnell erwachsen werden und »bald aus dem Haus sein«. Sie kam als Nachzüglerin zur Welt, neun beziehungsweise 15 Jahre nach den Brüdern. Ihre Mutter war 41 bei der Geburt, der Vater 50. Sie sagt: »Ich habe mir immer einen viel jüngeren Vater gewünscht.«

Spät geboren zu sein, hat Vor- und Nachteile. Auf jeden Fall prägt es fürs ganze Leben. Die Kinder profitieren in der Regel davon, dass ihre Mütter und Väter psychisch etwas stabiler und finanziell abgesicherter sind als jüngere Eltern. Sie können mehr Zeit, Energie und Aufmerksamkeit in ihre Erziehung investieren als jüngere Paare, die oft noch sehr mit sich und der Suche nach ihrem Weg beschäftigt sind. Andererseits lässt der große Altersabstand zu den Eltern die Kinder oft in zwei Welten leben und erschwert – etwa in der Pubertät – die Kommunikation. Nicht selten überschattet eine schwere Krankheit eines Elternteils die gemeinsamen Jahre. Zudem haben Kinder älterer Eltern häufig mit einer gewissen Stigmatisierung zu kämpfen.

Das Aufschieben des Kinderkriegens ist nichtsdestotrotz ein Massenphänomen: In Deutschland stieg laut dem Statistischen Bundesamt das durchschnittliche Alter der Mutter beim ersten Kind zwischen 2009 und 2013 um gut sechs Monate auf 29,3 Jahre an – ein Rekordwert. In der Schweiz waren verheiratete Frauen im Jahr 2013 bei der Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt sogar 30,6 Jahre alt – vier Jahre zuvor waren Erstmütter noch ein halbes Jahr jünger. In Österreich waren sie 2014 im Schnitt 29,1 Jahre alt, anderthalb Jahre älter als die Mütter im Jahr 2004. Zudem kommt das Kinderkriegen in einer Lebensphase in Mode, die sich dafür biologisch nicht optimal eignet. In Deutschland ist schon jede fünfte Mutter bei der Geburt eines Kindes über 35, in der Schweiz jede sechste, in Österreich jede neunte.

Deutsche Mütter über 40 brachten im Jahr 2013 knapp drei Prozent der Neugeborenen zur Welt, insgesamt über 28 000 Kinder. Fast jedes 20. Neugeborene hat einen Vater, der über 50 Jahre alt ist. Tendenz steigend. In Österreich und der Schweiz sind die Zahlen ähnlich. Der Trend zum Spätgebären macht sich auch in der gesamten Europäischen Union bemerkbar: Im Jahr 2002 gebaren Frauen über 40 in den damals 27 Mitgliedsstaaten laut der Statistikbehörde Eurostat fast 128 000 Kinder, 2012 waren es bereits über 218 000 Kinder. In zehn Jahren wuchs die Anzahl »besonders später« Kinder also um rund 70 Prozent.

Es gibt viele Gründe, warum Menschen heute das Kinderkriegen aufschieben: Viele jüngere Erwachsene haben zwischen 20 und 30 schlichtweg keine Zeit für eine Familiengründung. Sie müssen studieren, Praktika oder Volon­tariate absolvieren und brauchen Zeit, bis sie beruflich halbwegs Fuß gefasst haben. Viele hochqualifizierte Frauen Anfang 30 wollen endlich ihren Anspruch auf berufliche Entfaltung einlösen – die Babys müssen warten. Oft kommen ihnen auch ihre hohen Ansprüche an die eigene Lebensgestaltung in die Quere. Sie wollen erst ein Kind in die Welt setzen, wenn sie beruflich etabliert sind, den richtigen Partner gefunden und sich selbst zu einer rundum gereiften Persönlichkeit entwickelt haben. Der steigende Perfektionsanspruch verhindert mitunter den Nachwuchs.

Denn die menschliche Fortpflanzung kennt keine uneingeschränkte Freiheit. Anything goes funktioniert hier nicht. Die Biologie setzt später Mutterschaft und später Vaterschaft Grenzen. Spätestens mit 50 ist für Frauen Schluss, ab 40 sinken die Chancen rapide, dass es mit dem Kinderkriegen noch klappt. Statistisch sind 90 Prozent aller Frauen mit 45 Jahren unfruchtbar. Vier Jahre vorher kann schon jede Zweite kein Kind mehr bekommen. Zudem steigen mit dem Alter der Männer die Risiken für den Nachwuchs. Auch die Chancen, mit Hilfe der Reproduktionsmedizin ein gesundes Kind zu bekommen, sind, wie die Forschergruppe »Zukunft mit Kindern« im Jahr 2012 feststellte, nur »geringfügig höher« als bei einer natürlichen Empfängnis. Viele Paare überschätzen nach Ansicht der Forscher die Erfolgschancen dieser Methoden bei Weitem. In Deutschland kommt nur bei jeder fünften künstlichen Befruchtung ein Kind zustande – unabhängig vom Alter der Frau. Die Chancen schwinden zudem mit wachsendem Alter, wie eine im August 2015 veröffentlichte israelische Studie zeigt. Sie belegt, dass israelische Frauen seit 1994 viel öfter höhere Bildungsabschlüsse anstreben und später heiraten als früher. Die Autorinnen führen das darauf zurück, dass Israelinnen sich seit 1994 kostenlos künstlich befruchten lassen können. Es ist jedoch eine trügerische Hoffnung, weil gemäß einer weiteren Studie aus Israel aus dem Jahr 2009 nur acht Prozent der 42-Jährigen dank der In-vitro-Fertilisation (IVF) schwanger wurden, bei den 44-Jährigen waren es nur zwei Prozent, bei den 45-Jährigen null.

Der Trend zum Aufschieben des Kinderkriegens hat in Deutschland besonders drastische Folgen: Im Jahr 2013 lag die hiesige Geburtenquote mit 1,4 Kindern pro Frau weit unter dem Durchschnitt der 31 führenden Industrieländer von 1,74. Laut einer im Juni 2015 veröffentlichten Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts hat Deutschland sogar die niedrigste Geburtenrate der Welt – noch hinter Japan oder Portugal. Eine 2011 veröffentlichte Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) führte dies vor allem darauf zurück, dass deutsche Frauen mit ihrer ersten Schwangerschaft immer länger warten. Dabei gelte: »Je höher die akademische Bildung einer Frau, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie ihren Kinderwunsch aufschiebt.«

Dabei fällt eine regionale Besonderheit auf: Ein Team aus Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerinnen stellte in einer Studie zu späten Müttern in Ost- und Westdeutschland 2003 fest, dass in Westdeutschland eher hochqualifizierte Frauen dazu neigen, ihre erste Mutterschaft aufzuschieben. Späte Mütter in Ostdeutschland seien hingegen überproportional oft arbeitslos und lebten in prekären Verhältnissen. Späte...

Erscheint lt. Verlag 19.11.2015
Reihe/Serie Lebenswelten & Lebenshilfe
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Alte Mütter • Altersabstand • Alte Väter • Aufwachsen • Geschwister • Großeltern • Nachzügler • Paare • Späte Eltern • Späte Kinder • spät geboren
ISBN-10 3-86284-318-1 / 3862843181
ISBN-13 978-3-86284-318-3 / 9783862843183
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