Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen -  Johannes Siegrist

Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen (eBook)

Forschungsevidenz und präventive Maßnahmen
eBook Download: PDF | EPUB
2015 | 1. Auflage
193 Seiten
Urban & Fischer Verlag - Fachbücher
978-3-437-18828-2 (ISBN)
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Die Balance zwischen Leistung und Belohnung

Das Buch fasst die wichtigsten Ergebnisse einer langjährigen Forschung des bekannten Medizinsoziologen Professor Johannes Siegrist an der Universität Düsseldorf zu Stress am Arbeitsplatz und den gesundheitlichen Folgen zusammen.

Die Originalität dieser Forschung liegt darin, dass die dargestellte empirische Evidenz auf einem neuartigen theoretischen Modell beruht, das inzwischen in der Forschung weltweit angewandt wird.

Siegrist entwickelte das Modell der beruflichen 'Gratifikationskrise' als Modell der Krankheitsentstehung.

Die Kernaussage lautet: eine faire Balance zwischen Leistung und Belohnung ('Anerkennung') leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Gesundheit arbeitender Menschen, während ihre Verletzung das Risiko stressassoziierter Erkrankungen erhöht.

Zudem werden Vorschläge dargestellt, wie diese Balance in Betrieben und Organisationen sowie durch politische Programme verbessert werden kann.

1

Gute und schlechte Arbeit


Summary


A short discussion of main characteristics and developments of modern societies reveals that health-adverse working conditions continue to affect working people despite technological advances and altered employment structures. Yet, the nature of these health-adverse conditions has changed since mental or psychosocial stress is becoming more important than ever before. How can we judge whether modern working conditions are “good” or “bad” for us? This chapter elucidates two criteria of good work which are assumed to play a crucial role for people's health and wellbeing: autonomy and decision latitude in one's job, and appropriate recognition of one's achievements at work. It is argued that lack of autonomy and control, as well as failed or poor recognition at work increase the risk of physical and mental disorders among working people to an extent that is comparable to the health risk of some traditional occupational hazards.

Zusammenfassung


Eine kurze Skizzierung wesentlicher Merkmale und Entwicklungstrends moderner Leistungsgesellschaften zeigt, dass trotz technischer Fortschritte und veränderter Erwerbsstrukturen belastende, gesundheitsschädigende Arbeitsverhältnisse fortbestehen. Allerdings manifestieren sie sich stärker als früher in Form mentaler bzw. psychosozialer Belastungen. Wie lässt sich dabei beurteilen, ob es sich um „gute“ oder „schlechte“ Arbeit handelt? Im Kapitel wird die Bedeutung zweier für die Gesundheit der Beschäftigten zentraler Kriterien guter Arbeit herausgestellt: Autonomie und Gestaltungsspielraum bei der Tätigkeit sowie angemessene Anerkennung für geleistete Arbeit. Dies führt zu der These, dass fehlende Autonomie und mangelnde Anerkennung arbeitende Menschen physisch und psychisch ebenso zu schädigen vermögen wie dies bei manchen traditionellen Arbeitserschwernissen und Schadstoffen der Fall ist.

Keywords


Modern societies; Good and bad working conditions; Stressful work; Autonomy; Recognition

Schlüsselwörter


Moderne Leistungsgesellschaft; Gute und schlechte Arbeit; Arbeitsbelastungen; Autonomie; Anerkennung
Die Fragen „wer bin ich?“ „was kann ich?“ hat sich vermutlich jeder schon einmal gestellt. Manche Menschen sehen sich sogar wiederkehrend mit ihnen konfrontiert. Auch wenn man die Bedeutung der Arbeit in unserem Leben nicht überschätzen sollte, spielt diese bei der Beantwortung der beiden Fragen zweifellos eine wichtige Rolle. Blicken wir für einen Moment auf die Entstehung moderner Gesellschaften, ihrer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in den vergangenen zwei oder drei Jahrhunderten zurück, dann wird deutlich, dass ein wesentliches Merkmal dieses Prozesses in einer dramatischen Verbesserung der Chancen bestand, das eigene Leben zu gestalten. Weder sind wir von der Wiege bis zur Bahre unentrinnbar an einen festen gesellschaftlichen Ort gebunden, noch zwingen uns Väter oder Mütter, den von ihnen vorbestimmten Beruf auszuüben. Weder wird uns vorgeschrieben, ob und mit wem wir uns – innerhalb oder außerhalb der Ehe – zum Zweck des Zusammenlebens verbinden, noch sind wir als Erwachsene von der finanziellen Unterstützung und den damit verbundenen Kontrollzwängen der Familie in essenzieller Weise abhängig. Moderne Gesellschaften fördern somit die Individualisierung des Lebens, sie befreien Menschen von Jahrtausende alten Abhängigkeiten und Zwängen der Lebensgestaltung. Bekanntlich ist dieser Zugewinn an individueller Freiheit durch Revolutionen und Reformen hart erkämpft worden1. Sein wichtigstes Ergebnis kann wohl darin gesehen werden, dass – allerdings um den hohen Preis von Kriegen und Wirtschaftskrisen – Wohlstand vermehrt wurde und weite Kreise der Bevölkerung Zugang zu Ausbildung, Berufsarbeit und Erwerbseinkommen erhalten haben. Für eine dauerhafte berufliche Arbeit qualifiziert zu sein, sie ausüben und von ihrem Ertrag leben zu können, wurde somit zu einer zentralen Aufgabe der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Zugleich wurden die hierzu erforderlichen Motivationen der Leistungsbereitschaft, des Wettbewerbs und des Gewinnstrebens durch bestimmte Praktiken der Erziehung und der schulischen Ausbildung kollektiv gefördert und gesichert. Und eine kollektive Ethik der Eigenverantwortlichkeit stellt sicher, dass es sich „für arbeitsfähige Individuen verbietet, die eigene Lebensführung von der gesellschaftlichen Wohltätigkeit abhängig zu machen“2. Heute sind die Licht- und Schattenseiten der auf diese Weise entstandenen Leistungsgesellschaft bekannt. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass der Erwerbsarbeit auch heute noch – und aller Voraussicht nach in näherer Zukunft – eine fundamentale Bedeutung für die individuelle Lebensgestaltung zukommt. Daher macht es Sinn, die Fragen „wer bin ich?“ „was kann ich?“ mit engem Bezug zu Arbeit und Beruf zu erörtern.
„Individuum“ ist ein lateinisches Wort, mit dem das Unteilbare, Besondere, Einzigartige der Person bezeichnet wird. Individuell sind unser Aussehen, unsere Gestalt und unsere Anlagen, und individuell sind unsere Biografien, so sehr sie in manchen Aspekten von bestimmten Zeitgenossen geteilt werden mögen. Die Konstruktion moderner Leistungsgesellschaften zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass dieses biografisch Individuelle sich mit etwas Allgemeinem verbindet – mit einer sozialen Position, die es ermöglicht und zugleich erfordert, dass das Individuum durch ihre Aneignung nicht nur eigene Fähigkeiten weiter entwickelt, sondern diese auch, vorwiegend im Leistungszusammenhang der Erwerbsarbeit, der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Auf einer weitreichenden Passung von individuellem Leistungsvermögen und gesellschaftlicher Chancenstruktur in Form verfügbarer sozialer Positionen beruht die Entwicklungsdynamik moderner Gesellschaften. Auf sie zielen Investitionen in Sozialisation und Bildung ab, und aus ihr resultiert die grundlegende Tatsache, dass erbrachte Leistung einen doppelten Nutzen erzeugt, individuellen Gewinn und gesellschaftliche Wohlfahrt. Es ist diese Passung, die der Soziologe Georg Simmel vor mehr als hundert Jahren als eine Grundbedingung menschlicher Vergesellschaftung beschrieben hat: „Dass jedes Individuum durch seine Qualität von sich aus auf eine bestimmte Stelle innerhalb seines sozialen Milieus hingewiesen ist, dass diese ihm ideell zugehörige Stelle auch wirklich in dem sozialen Ganzen vorhanden ist – das ist die Voraussetzung, von der aus der Einzelne sein gesellschaftliches Leben lebt und die man als den Allgemeinheitswert der Individualität bezeichnen kann“3. Nicht zufällig hat Georg Simmel zur Erläuterung dieser These den Beruf herangezogen, denn nach dem oben Gesagten bildet der berufliche Status das stabilste aller Scharniere, welche die Individuen mit der gesellschaftlichen Chancenstruktur verbinden.
Obwohl wir als Mitglieder moderner Gesellschaften mehreren sozialen Kreisen angehören und damit gleichzeitig Inhaber mehrerer sozialer Positionen – mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten – sind, steht die mit der Erwerbsarbeit verbundene soziale Position für einen großen Teil der Menschen im jungen, mittleren und höheren Erwachsenenalter im Zentrum ihres Wirkens und Interesses. Im Medium des anerkennenden Austauschs durch Arbeit entwickeln wir unsere Identität entscheidend weiter und bilden unsere Fähigkeiten aus. Zu ihrer Entfaltung, zur äußeren und inneren Sicherung der Existenz bedarf es dieses besonderen, von Simmel betonten sozialen Rahmens, der das Individuelle der Person mit dem Allgemeinen der gesellschaftlichen Chancenstruktur verbindet. In der Erwerbsarbeit werden die intensivsten und am längsten dauernden Leistungsansprüche an uns und unsere Fähigkeiten gestellt, und von ihr erhalten wir typischerweise das einzige regelmäßige, den Lebensstandard sichernde Einkommen. Teilhabe an der Erwerbsarbeit in Form des Verfügens über einen beruflichen Status ermöglicht neben der Erfüllung materieller auch eine Befriedigung wichtiger psychischer Bedürfnisse, insbesondere die wiederkehrende Erfahrung von Selbstwirksamkeit und positiver Selbstbestätigung. Was geschieht jedoch, wenn diese uns „ideell zugehörige Stelle“ in der gesellschaftlichen Realität – konkret im Arbeitsmarkt – nicht vorhanden ist?

1.1. Jugendarbeitslosigkeit


Aktuell sind in Spanien 56 Prozent und in Griechenland über 58 Prozent der jungen Erwachsenen unter 25 Jahren ohne Arbeit. Im gesamten EU-Gebiet sind 5,5 Millionen junge Menschen hiervon betroffen4. Eine weitergehende Analyse der jüngeren Entwicklung hat gezeigt, dass der Anteil nichterwerbstätiger junger Erwachsener zwischen 18 und 24 Jahren, die weder in Ausbildung noch in Lehre sind, in den von der Finanzkrise besonders stark betroffenen südeuropäischen Ländern seit 2008 deutlich gestiegen ist, so in Griechenland von 15,9 auf 28,4 Prozent und in Spanien von 17,0 auf 23,8 Prozent. In Deutschland ist ihr Anteil hingegen von 11,8 auf 9,8 Prozent gesunken5. Die Forscher haben diese benachteiligte Gruppe mit dem Kürzel NEET bezeichnet (englisch: no education, no employment, no training). Welche Zukunftsperspektiven eröffnen sich diesen jungen Menschen? Wie können sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und weiter entwickeln? Welche Möglichkeiten haben sie, ihre soziale Identität zu formen und zu erfahren?
Der Eintritt in das Berufsleben gestaltet sich nicht nur für die gering Qualifizierten schwierig. Selbst besser Ausgebildete stoßen aktuell in den von der Finanzkrise stark betroffenen Ländern Europas auf...

Erscheint lt. Verlag 14.1.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Krankheiten / Heilverfahren
Studium Querschnittsbereiche Prävention / Gesundheitsförderung
ISBN-10 3-437-18828-3 / 3437188283
ISBN-13 978-3-437-18828-2 / 9783437188282
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