Phi Phi Island (eBook)
208 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403246-7 (ISBN)
Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman ?Opernball?, 2000 ?Das Vaterspiel?, 2006 ?Zugvögel?, 2007 ?Phi Phi Island?. Sein letztes Buch ?Jáchymov? erschien im Herbst 2011. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels und den Rheingau Literaturpreis. 2010 war er Mainzer Stadtschreiber. Literaturpreise: Theodor Körner Preis (1980) Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1982) Förderungspreis der Stadt Wien (1984) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1985) Österreichisches Dramatikerstipendium (1988) Elias Canetti-Stipendium der Stadt Wien (1993-94) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1994) Förderungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur (1994) Preis der Stadt Wien und Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels (2000) Mainzer Stadtschreiber (2010) Rheingau Literatur Preis (2011)
Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman ›Opernball‹, 2000 ›Das Vaterspiel‹, 2006 ›Zugvögel‹, 2007 ›Phi Phi Island‹. Sein letztes Buch ›Jáchymov‹ erschien im Herbst 2011. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels und den Rheingau Literaturpreis. 2010 war er Mainzer Stadtschreiber. Literaturpreise: Theodor Körner Preis (1980) Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1982) Förderungspreis der Stadt Wien (1984) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1985) Österreichisches Dramatikerstipendium (1988) Elias Canetti-Stipendium der Stadt Wien (1993-94) Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1994) Förderungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur (1994) Preis der Stadt Wien und Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels (2000) Mainzer Stadtschreiber (2010) Rheingau Literatur Preis (2011)
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ein paar monate lang war ich ziemlich sicher, dass ich dieses buch nicht schreiben würde. schon deshalb nicht, weil ich oft danach gefragt wurde: du arbeitest doch nicht etwa an einem tsunami-buch? – nein, keine angst.
oder: mensch, du hast da was erlebt, da musst du dir keine sorgen um dein nächstes buch machen.
das waren unangenehme situationen. ich wollte darüber schreiben, aber ich wollte es auch wiederum nicht. ich konnte das, was ich erlebt hatte, nicht abwägen, ich konnte es nicht von außen anschauen. es war wie ein tief in mir sitzender knoten, der sich nicht lösen ließ.
der tsunami vom 26. dezember 2004 und seine verheerenden auswirkungen blieben einige monate lang ein medienthema. ich sah die bilder, ich las die vielen augenzeugenberichte, und ich erzählte, wenn ich gefragt wurde, wie es uns ergangen war. zwar sagte ich bei jedem interview zu mir selbst: wenn die tsunami-frage kommt, solltest du gar nicht darauf eingehen. du hast überlebt. und du hast keine angehörigen verloren. warum nicht einfach froh sein und schweigen? dann kam das gespräch auf den tsunami, und ich merkte, dass ich doch auch das bedürfnis hatte, darüber zu reden.
dabei stellte sich eine merkwürdige unschärfe ein. es waren immer details, die mir in den sinn kamen, bilder, die sich in der erinnerung festgesaugt hatten, die mir aber den blick auf diese paar tage mehr trübten als schärften. die bilder gruppierten sich um zwei momente, die mit dem tsunami nur äußerlich zu tun hatten, die auch bei ganz anderen ereignissen hätten auftreten können. um den einen moment, als ich plötzlich zu wissen meinte, das werde ich nicht überleben, und um den anderen, als es danach aussah, als hätten wir unsere beiden kinder verloren.
meine erinnerung an die flutwelle war wie eine barrikade, die mir in den weg gestellt war, obwohl ich sie eigentlich hinter mir lassen wollte. es schien keinen weg um diese barrikade herum zu geben. das vergangene lag hinter mir, aber es lag zugleich auch vor mir, es umzingelte mich.
ich hatte ein schreibjahr in aussicht und begann mir gedanken über einen neuen roman zu machen. aber ich kam nicht vom fleck. ganz gleich, welche figur ich zu entwickeln versuchte, ihr hauptzweck schien zu sein, das zu erledigen, was in wirklichkeit ich selbst zu erledigen hatte. eine weile blieb ich bei dem vorsatz, nicht direkt von mir selbst zu schreiben, sondern die geschichte literarisch zu verarbeiten. als hätte es etwas anstößiges, von jenen zufällen zu berichten, die einem das leben zu nehmen schienen, und den anderen, die es einem dann doch noch ließen.
das manöver war zu durchsichtig. anstatt mich in andere figuren hineinzuversetzen, entstand in mir der wunsch, an den ort des geschehens zurückzukehren und den ablauf der katastrophe zu rekonstruieren. und so ist aus dem romanprojekt ein bericht über einen kurzen abschnitt meines eigenen lebens geworden. bald nachdem ich angefangen hatte, daran zu arbeiten, war es mir auch wieder möglich, andere texte zu schreiben.
erzählungen, die davon handeln, wie jemand in die ferne reist, es dort mit unerwarteten vorgängen zu tun bekommt, die es ungewiss machen, ob er überleben wird, heißen abenteuergeschichten. häufig sind sie in der ich-form geschrieben. wer so wie kara ben nemsi seine eigene geschichte erzählt, versichert damit von vorneherein, dass sie letztlich gut ausgehen wird. ich habe die zufallsbekanntschaft mit einer abenteuergeschichte gemacht.
der bericht in einem satz: wir sind zu viert auf der thailändischen insel koh phi phi in einem resort abgestiegen, von dem zwei tage später nur noch ein verwaltungsgebäude, der swimmingpool und das auf acht betonsäulen ruhende dach des speisepavillons übrig waren. die einhundertzehn bungalows, von denen wir zwei gemietet hatten, waren verschwunden.
im grunde ist es die geschichte vieler tsunami-überlebender, die das glück hatten, vom schlimmsten verschont worden zu sein. auch wenn sie verletzt waren und ohne geld, papiere und reisegepäck dastanden, ist ihr schaden nicht zu vergleichen mit der situation derer, die ihre angehörigen und ihr gesamtes hab und gut verloren haben. wir waren die glücklichen überlebenden. aber dieses glück hat einen bitteren geschmack. ich habe es bislang nicht genießen können. wenn ich vom tsunami erzählte, drückten sich mir lange zeit tränen in die augen.
die erinnerung daran, eine immense katastrophe nur zufällig überlebt zu haben, folgt einer eigenen logik. man kann es sich immer wieder sagen, welches glück man hatte, es kommt darüber keine genugtuung auf. es ist vor allem eine erinnerung an den schrecken.
als dieses glück erstmals für mich fassbar wurde, klammerten edith und ich uns gerade an den fassadenvorsprung eines gebäudes, an das wir angeschwemmt worden waren, und unterschieden die menschen, die sich bewegten, von denen, die sich nicht mehr bewegten. die sich, so wie wir, bewegen konnten, hielten nach angehörigen und freunden ausschau. sie nahmen die herumliegenden und die aus dem müll herausragenden toten körper wahr. sie begannen zu schreien oder zu weinen, oder sie starrten regungslos vor sich hin.
ein dreivierteljahr später bekam ich eine nachricht von magdalena, einer jungen frau, die mit ihrem freund am tag des tsunamis zufällig im selben hotel wie wir, im phi phi princess, gewohnt hatte. sie schrieb, ihr freund und sie hätten uns beim frühstück gesehen. ihr sei ein großer stein vom herzen gefallen, als sie aus den medien erfahren habe, dass die haslingers noch lebten. sie habe das bedürfnis, mit jenen menschen kontakt aufzunehmen, an die sie so viel gedacht habe, ohne sie eigentlich zu kennen.
wir trafen uns zum weihnachtsmarkt in der stadt steyr. ihr freund wollte nicht mitkommen. von anfang an, so sagte magdalena, habe er mit niemandem über das, was er erlebt hat, reden wollen, auch nicht mit ihr. er sei der festen überzeugung, die tage zwischen dem 26. dezember 2004 und dem ersten jänner 2005, dem tag, an dem sie nach österreich zurückkehrten, einfach vergessen zu können.
bei ihr, so erzählte sie, während wir glühwein tranken, sei es anders gewesen. sie habe in den ersten monaten, als der tsunami in aller munde war, selbst nicht darüber sprechen können. erst später sei das bedürfnis erwacht, davon zu erzählen, aber da interessierte es niemanden mehr. sie gehe allen mit ihrem tsunami nur noch auf die nerven.
ich sagte, wir werden einen tsunami-überlebenden-verband gründen und einander alle jahre bei der hauptversammlung die rührendsten tsunami-geschichten erzählen. wir werden tsunami-videos austauschen und die schärfsten opferbilder auf eine website stellen.
die ironie war trotz des glühweins nur mühsam aufrechtzuerhalten. wir mussten uns nicht erzählen, wie diese fremde welt, in die wir geraten waren, aussah. wir sprachen darüber, was wir taten, als das wasser kam, und wie wir uns verhielten, als es unversehens gefährlich wurde. wir redeten von den stunden danach.
magdalena hatte sich das sprunggelenk gebrochen. ihr freund nahm sie auf den rücken und trug sie durch die trümmerlandschaft. sie stießen auf einen mann, der unter der schulter ein weit auseinanderklaffendes loch hatte, durch das man in den brustraum hineinschauen konnte. das ist eines der ganz wenigen bilder, die ihr vom ort des geschehens in erinnerung geblieben sind. später, als sie einen bergweg hinaufgetragen wurde, waren sie schon eine gruppe von etwa zehn personen, darunter ein franzose, dem am rechten fuß die zehen fehlten. entlang des weges standen bungalows. einer schien unbewohnt zu sein. sie brachen ihn auf und quartierten sich ein. doch der bungalow stand nicht leer. es fanden sich darin die habseligkeiten anderer urlauber, die nicht mehr zurückkamen. am nächsten tag wurde magdalena von ihrem freund erneut durch die müllhalden getragen, bis zum tennisplatz vor dem cabana-hotel, wo ein hubschrauber gelandet war. an bord dieses hubschraubers war ein reporter von epa, der european pressphoto agency. er fotografierte einen mann, der sich mit einer frau auf dem rücken einen weg durch eine landschaft aus müllbergen bahnt. dieses foto erschien einen tag später in einer österreichischen tageszeitung. magdalenas eltern wussten, dass ihre tochter lebt, noch bevor sie kontakt mit ihnen aufnehmen konnte.
unsere verwandten durchwachten die nacht vor deutschen fernsehsendern – dem österreichischen fernsehen schien das ausmaß der katastrophe noch nicht bewusst zu sein – und schrieben verzweifelt sms und e-mails, die nicht beantwortet wurden. es gab einen moment der beruhigung, als an der hotline des österreichischen außenministeriums, wo junge präsenzdiener aushalfen, zu erfahren war, koh phi phi sei nicht von der flutwelle betroffen. die stimmung schlug ins schiere gegenteil um, als einer meiner brüder, der selbst schon öfter in thailand gewesen war, im internet die lage unseres hotels recherchierte und dabei auf die information stieß, dass es völlig zerstört worden sei. bevor wir eine möglichkeit fanden, anzurufen, war das ausmaß der hoffnungslosigkeit unter unseren verwandten so groß geworden, dass sie ernsthaft darüber redeten, wo unsere leichen zu bestatten wären, sollten sie jemals überführt werden. bis dann der anruf kam, der bei so vielen anderen ausblieb.
wir konnten die insel nicht verlassen, wir wollten aber auch nicht mit den toten zusammenleben. und so verbrachten viele, die sich bewegen konnten, ihre zeit damit, tote und lebende zu trennen und getrennt zu halten. als das große gericht zu ende war, fand sich die hälfte der gäste des phi phi princess auf der seite der lebenden. der rest...
Erscheint lt. Verlag | 25.9.2014 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | Bangkok • Erinnerung • Fiktion • Flutwelle • Phi Phi Island • Realität • Reportage • Thailand • Tsunami • Weihnachtstag |
ISBN-10 | 3-10-403246-7 / 3104032467 |
ISBN-13 | 978-3-10-403246-7 / 9783104032467 |
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