Israel ist umgezogen (eBook)
238 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-73058-2 (ISBN)
<p>Diana Pinto, geboren 1949 in Paris, ist Historikerin. Unter anderem hat sie zahlreiche Veröff entlichungen zur Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft in Ost- und Westeuropa vorgelegt. Sie ist Gründungsmitglied des European Council for Foreign Relations und war als Beraterin für den Europarat tätig.</p>
Cover
1
Informationen zum Buch oder Autor
2
Titel
3
Impressum
4
Inhalt 5
Einleitung 7
Ein Land, das vorankommt, indem es vor sich flieht 7
Das intergalaktische Café oder der Flughafen Ben-Gurion 27
Die beiden Wege nach Jerusalem 38
Die Lektion von Ost-Talpiot 54
Das Auge des Zyklons 73
Die verwurzelte Utopie 95
Das Aquarium 115
Die Blase 129
Das Zelt 150
Zwischen Erinnerung und memory chip 172
Stargate oder das Tor der Sterne 198
Nachwort 213
Israel quo vadis? 213
Danksagung 219
Anmerkungen 222
Einleitung 222
Das intergalaktische Café oder der Flughafen Ben-Gurion 224
Die beiden Wege nach Jerusalem 225
Die Lektion von Ost-Talpiot 226
Das Auge des Zyklons 228
Die verwurzelte Utopie 230
Das Aquarium 231
Die Blase 231
Das Zelt 232
Zwischen Erinnerung und memory chip 234
Stargate oder das Tor der Sterne 238
Nachwort 238
Das intergalaktische Café oder
der Flughafen Ben-Gurion
Die Ankunft in Israel hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Betreten des intergalaktischen Cafés aus dem Film Star Wars. Jeder kommt mit seiner eigenen starken Identität, die er, solange er unter den anderen weilt, niemals aufgeben wird, bis er auf seinem eigenen religiösen und kulturellen Weg wieder in seine ursprüngliche Welt zurückkehrt. Dort, wo George Lucas Roboter, bizarre Vögel, menschenartige Wesen und andere surreale Geschöpfe versammelt hatte, beherbergt der Flughafen Ben-Gurion in seiner großräumigen Ultramodernität eine buntscheckige Zusammenkunft, die über ihren jüdischen Kern hinaus den großen Einwanderungsgebieten der Erde ebenbürtig ist.
Die israelischen Reisenden, an diesem Sommernachmittag sind es einige Geschäftsleute und Touristen, kehren nach Eretz zurück (ins Land, Israel braucht dabei nicht erwähnt zu werden). Sie passieren ihre eigene Polizeikontrolle, wenn sie keine von ihrem Land in die ganze Welt verkaufte automatische Schleuse durchqueren, die ihre digitalen Fingerabdrücke – und bald auch ihre Iris – liest und ihnen gestattet, nicht zuviel Zeit zu verlieren, bevor sie irgendwo an der Küste von Haifa bis Aschdod über Tel Aviv, dem wahren Herz der Wirtschaft des Landes, in ihr »Zuhause« zurückkehren können.
Wir, die Ausländer, füllen den ausgedehnten Wartesaal in mehreren Warteschlangen, die mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorwärts kommen, … es sei denn, man hat einen »VIP«-Status, ein Privileg, das ich wiederholt genossen habe und das sich nur in Rußland noch mal finden läßt. Es genügt, daß ein Polizeibeamter auch nur den geringsten Zweifel bei irgendeiner Person hegt, und die Schlange stockt zwanzig Minuten lang. Die Wahl der Warteschlange wird dadurch zur Lotterie, zum Verdruß all jener Franzosen, die im Herzen Israelis sind, größtenteils Sepharden, die Verwandte in Israel haben, häufig Wohnungen besitzen und meckern, weil sie wie alle Welt Schlange stehen müssen. Denn die Einreise nach Israel ist nicht leicht. Als nichtjüdischer Tourist und wenn man zum ersten Mal in dieses Land kommt, ist es besser, wenn man in einer Gruppe reist, deren Reiseleiter als Mittelsmann fungieren kann. Beim Warten in der Schlange wird man sich der paradoxen Eigenart Israels bewußt.
Im Gegensatz zu anderen Ländern der Erde kommt ein Großteil der Reisenden nicht nach Israel, sondern zu einem großflächigen Palimpsest anderer Orte, die auf demselben Areal liegen wie der jüdische Staat.
Vor allem gibt es die Wallfahrer, die aus der ganzen Welt ins »Heilige Land« kommen und die man leicht an ihren äußeren Merkmalen (Hüten und Reisetaschen mit dem Gruppenlogo, das Kreuz immer gut sichtbar) und an ihren Begleitern erkennt: katholische Priester, klerikal gekleidet, wenn sie aus Europa und Nordamerika kommen, Soutanen tragend, wenn sie aus Lateinamerika stammen, deutsche oder britische Pastoren, die wie Wanderer ausstaffiert sind, griechisch-orthodoxe Popen mit ihren schwarzen Hauben oder ihre russisch-orthodoxen Brüder, mit subtilen Unterschieden bei Kleidern und Barttracht. Gruppen mit Mönchen und katholischen Nonnen und seit kurzem auch orthodoxe Nonnen bilden harte Kerne und verraten mit einer unaufhörlichen Abfolge ruckartiger und schneller Gesten ihre Nervosität darüber, daß sie durch Israel reisen müssen, um ihre Klöster zu erreichen. Hier im Vorzimmer des »Heiligen Landes« ignorieren sich diese verschiedenen Kinder Christi, von denen jedes mit seinem eigenen religiösen Parcours und seiner eigenen Reiseroute zwischen Bethlehem, Nazareth, Jerusalem und Galiläa gekommen ist, vielleicht um sich um das Heilige Grab herum besser bekriegen zu können.
Die ultraorthodoxen Juden kommen dagegen ins »Gelobte Land«. Mit Überraschung stelle ich fest, daß die Mehrheit von ihnen keine Israelis sind, auch wenn sie in diesem Land wohnen. Die Reisepässe, die ich erkennen kann, sind zum größten Teil belgische oder amerikanische. Als ob dieses »Land« vor allem eine symbolische Verheißung bliebe, die man sich jeden Tag neu verdienen muß, und keine Wirklichkeit, die man sich auf prosaische Weise aneignet. Wenn die perückentragenden Frauen sich alle in nüchternem Schwarz, Braun oder Grau kleiden, unterscheiden sich die Männer durch die Form und die Größe ihrer Hüte, den Schnitt ihrer schwarzen Gehröcke und dadurch, ob sie kurze Beinkleider nach der Art des 18. Jahrhunderts anstelle von Hosen tragen. Jedes Detail kennzeichnet eine ganz spezifische Gemeinschaft, die aus den alten Gebieten Osteuropas hervorgegangen ist, und jede Gruppe pflegt das, was Freud den »Narzißmus der kleinen Unterschiede« nannte. Unterschiede, die dazu bestimmt sind, zu bedeutenden Zerwürfnissen zu werden, die im politischen Raum Israels ein gewaltiges Echo auslösen.1
Für andere ist Israel ganz einfach das »Land der Gelegenheiten«. Das sind die kleinen Gruppen von Filipinos, Thailändern, Ukrainern, ja sogar Moldawiern oder Polen, die gekommen sind, um vor Ort zu arbeiten und Stellen anzunehmen, die ihnen eine Dienstleistungsgesellschaft, die sich von den benachbarten Palästinensern abwendet, mit immer größerem Personalbedarf angeboten hat. Diese Gastarbeiter[1], die alle mit regulären hebräischen Papieren ausgestattet sind, werden sich langfristig als recht problematisch erweisen, da sie oftmals bleiben möchten, wie überall sonst in der Welt auch. Mehrere von ihnen wurden bei den Selbstmordattentaten der Jahre 2002-2005 in den israelischen Städten getötet. Man kann sagen, daß auch sie ihren »Blutzoll« geleistet haben, ganz ohne Staatsbürgerschaft – selbst wenn ihre Kinder hier zur Schule gehen und mit der größten Selbstverständlichkeit anfangen, Hebräisch zu sprechen. Und so kann man in den israelischen Großstädten sehen, wie sich Neunzigjährige in den Parks von Haifa oder anderswo in Begleitung ihrer philippinischen, polnischen, moldawischen oder ukrainischen Pfleger oder Pflegerinnen sonnen, die, auf einer Bank sitzend, geistesabwesend einen Blick in die israelischen Zeitungen werfen. Diese »absolut anderen« gewähren jenen steinalten Menschen, die selbst auch anderen Zeiten und anderen Welten entspringen, ein würdiges, aber doch auch sehr ironisches Lebensende.
Die Russen bilden eine Sondergruppe. Es ist schwierig zu entscheiden, wer sie wirklich sind. »Slawische« Russen, die in den Ferien ihre Verwandten besuchen, welche in den letzten Jahrzehnten ausgewandert sind? Ich erinnere mich, zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts einem von ihnen in Moskau begegnet zu sein. Für ihn war das erste Ziel der freien Reisemöglichkeit außer Landes eben Israel. Er besaß nicht viel Geld, und ein alter Freund aus Sowjetzeiten, der ganz zu Beginn der Gorbatschowschen Liberalisierung ausgewandert war, hatte ihn eingeladen. An diesen Besuch hatte er eine strahlende Erinnerung behalten, jedoch weniger wegen seiner jüdischen Besonderheit als wegen der Verlockungen des westlichen Wohlstands. Diese Russen können also entweder Juden oder Nichtjuden sein, denn der Staat hat sich bei der Integration von Einwanderern mit einer häufig verwässerten, jüdischen Abstammung, die eine starke Bindung zum Boden und zur Sprache ihres Herkunftslandes aufweisen, recht großzügig gezeigt. Geschäftsleute? Mittelsmänner in dubiosen Geschäften? Urlauber? Der hohe Anteil junger Leute unter ihnen ist auffällig. Eines ist gewiß: Die Beziehung zwischen Israel und Rußland ist geprägt von Hin- und Rückreisen und undurchsichtigen, zweifelhaften Vereinbarungen.2
Vergnügt und lautstark rüsten sich die jungen Juden, die meist aus Amerika und Europa kommen und T-Shirts mit der Aufschrift »Taglit« (Entdeckung) zur Schau tragen, für einen dreiwöchigen Trip nach Israel, »dem Land ihrer Ahnen«. Der Aufenthalt wird ihnen von israelischen Institutionen angeboten, die von großzügigen Mäzenen aus der Diaspora finanziert werden. Das Programm hat ein ganz bestimmtes Ziel: junge Juden, die noch nie zuvor dort waren, nach Israel zu bringen, damit sie das Land von innen her verstehen und engere Bande mit ihren Wurzeln knüpfen … und natürlich auch, damit sie es nach ihrer Rückkehr in eine Welt, die immer weniger von Israel angetan ist, besser verteidigen können. Der Leitgedanke von Taglit besteht darin, daß jeder Jude von Geburt an ein unveräußerliches Recht (»Geburtsrecht«) auf Israel besitzt. Das Land ist zugleich der Gebirgswasserfall, der Sturzbach, der Stausee, der Bach, der Fluß der jüdischen Identität und ihre Mündung. Aber es ist auch der große Beschützer, der ständig beschützt werden muß.
Dieses Recht auf Rückkehr kommt all jenen nicht zugute, die an den Ort zurückkehren, den man ihr »angezweifeltes Land« nennen könnte, jenen israelischen Arabern, die zwar an Ort und Stelle geboren wurden, aber ein viel komplexeres »Geburtsrecht« und zerklüftete Identitäten haben. Die Schauspielerin Hiam Abbass, die für ihre Rollen in israelischen Filmen wie z.?B. Die syrische Braut oder Lemon Tree bekannt ist, beschreibt die Situation ihrer arabisch-israelischen Leidensgenossen folgendermaßen: »Wir Palästinenser leben hier zwischen den Stühlen … eingezwängt zwischen zwei Völkern, zwei Gesellschaften.«3 Ihr Mantra könnte durchaus sein: »Ich gehöre hierher und rühre mich nicht vom Fleck«, aber in einem gewissermaßen atavistischen Sinne – einem Hier, das ihren Boden und ihr Dorf bedeutet.4 Diese Zugehörigkeit impliziert nicht unbedingt eine wirkliche Bindung (im gewöhnlichen Sinne) an...
Erscheint lt. Verlag | 20.5.2013 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Israel a déménagé |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Berichte • Erinnerungen • Israel • Israel a déménagé deutsch |
ISBN-10 | 3-633-73058-3 / 3633730583 |
ISBN-13 | 978-3-633-73058-2 / 9783633730582 |
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