Das Hohe Haus (eBook)
400 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402855-2 (ISBN)
Roger Willemsen, geboren 1955 in Bonn, gestorben 2016 in Wentorf bei Hamburg, arbeitete zunächst als Dozent, Übersetzer und Korrespondent aus London, ab 1991 auch als Moderator, Regisseur und Produzent fürs Fernsehen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis in Gold, den Rinke- und den Julius-Campe-Preis, den Prix Pantheon-Sonderpreis, den Deutschen Hörbuchpreis und die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Willemsen war Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin, Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins und stand mit zahlreichen Soloprogrammen auf der Bühne. Zuletzt erschienen im S. Fischer Verlag seine Bestseller »Der Knacks«, »Die Enden der Welt«, »Momentum«, »Das Hohe Haus« und »Wer wir waren«. Über Roger Willemsens umfangreiches Werk informiert der Band »Der leidenschaftliche Zeitgenosse«, herausgegeben von Insa Wilke. Willemsens künstlerischer Nachlass befindet sich im Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Literaturpreise: Rinke-Preis 2009 Julius-Campe-Preis 2011 Prix Pantheon-Sonderpreis 2012
- Spiegel Jahres-Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch 2016 — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 29/2016) — Platz 12
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 16/2016) — Platz 4
Roger Willemsen, geboren 1955 in Bonn, gestorben 2016 in Wentorf bei Hamburg, arbeitete zunächst als Dozent, Übersetzer und Korrespondent aus London, ab 1991 auch als Moderator, Regisseur und Produzent fürs Fernsehen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis in Gold, den Rinke- und den Julius-Campe-Preis, den Prix Pantheon-Sonderpreis, den Deutschen Hörbuchpreis und die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Willemsen war Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin, Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins und stand mit zahlreichen Soloprogrammen auf der Bühne. Zuletzt erschienen im S. Fischer Verlag seine Bestseller »Der Knacks«, »Die Enden der Welt«, »Momentum«, »Das Hohe Haus« und »Wer wir waren«. Über Roger Willemsens umfangreiches Werk informiert der Band »Der leidenschaftliche Zeitgenosse«, herausgegeben von Insa Wilke. Willemsens künstlerischer Nachlass befindet sich im Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Literaturpreise: Rinke-Preis 2009 Julius-Campe-Preis 2011 Prix Pantheon-Sonderpreis 2012
Dass wir all dies von Roger Willemsen erzählt bekommen, ist ein Glücksfall.
Oben im Rang saß 2013 Roger Willemsen und protokollierte. […] Was dabei herauskam: Ein grandioses Buch.
Ein kluger, amüsanter Einblick in den parlamentarischen Alltag und auf die politische Elite. So kenntnisreich gab es das noch nie.
ein aufregendes Buch
Beim Lesen entsteht das Gefühl, selten ein wichtigeres Buch über politische Prozesse und über die Menschen in diesem Betrieb gelesen zu haben
Selten hat mich etwas so gefesselt wie diese scheinbar trockene Materie […] politisches Kabarett reinsten Wassers.
Dieser Autor ist kein Reporter, kein Rechercheur, kein Hintergrundwühler. Er ist Schriftsteller. Einzig und allein: Draufblick - die Fremdheit unbedingt als wichtigstes Gut zu hüten.
Die Stärken seines Berichts bestehen in der filigranen Beobachtungskunst […] sowie überhaupt in der stilistischen und analytischen Kunst, die dieses Buch wirklich lesenswert macht.
Messerscharfer Blick hinter die Kulissen des Bundestags und auf das Treiben unserer Volksvertreter
Montag, 7. Januar, 9 Uhr, Ortstermin
Der Reichstag sieht immer noch aus wie ein Planungsrelikt auf der »Grünen Wiese«, ein Denkmal. Abseits vom Brandenburger Tor, unverbunden mit den großen Verkehrsadern ringsum, ist das Gebäude ein Solitär, umgeben vom »Cordon sanitaire« der Wachhäuschen, Pavillons, Käsekästchen der Absperrungsgitter.
In weit mehr als der Hälfte der Zeit seit seiner Vollendung stand der Bau ungenutzt, verlegen herum, hätte mehrfach zerstört werden sollen, erhob sich dreißig Jahre lang marginalisiert im Schatten der Mauer. Selbst nach der Vereinigung dachte zunächst kaum jemand daran, ihn zum Parlamentssitz zu erheben. Doch mit der künstlerischen »Verhüllung« von 1995 änderte sich der Blick auf den Bau, den man pathetisch, kolossal, überheblich, anmaßend gefunden hatte. Bald richtete man Tage der offenen Tür selbst im Rohbau ein, und das Brandenburger Tor fiel auf Platz 2 der symbolischen Attraktionen Berlins zurück. Das Äußere des Reichstags ist immer noch schwer wie ein Eichenmöbel, überwölbt von der luftigen Kuppel, dem Publikumsliebling. Vor dem alten Haupteingang ist noch der Kaiser vorgefahren. Die heutigen Abgeordneten nehmen den Osteingang.
Es hatte gerade geschneit, als ich ankam. Die meisten Besucher waren Touristen, asiatische vor allem, die Foto-Posen ausprobierten vom Hitlergruß bis zur Kommunistenfaust. Sie standen schelmisch vor der Repräsentationsarchitektur und ketzerten gegen die Monumentalität des Gebäudes.
Der Palast ist Direktor, Schutzmann, König. Die realen Polizisten dagegen haben gelernt, eine schläfrige Bereitschaft auszustrahlen, von der nach Jahren nur noch die Schläfrigkeit bleibt. Sie ächzen, wenn sie aufstehen, belastet von ihrer persönlichen Materialermüdung. Wenn man die Sicherheit des Landes an dem polizeilichen Aufwand rund um das Parlament ablesen will, dann war das Land nie so gefährdet.
Das Parlament steht den Bürgern nicht einfach offen. Sie kommen in Gruppen, Teil organisierter Busreisen, denen sich vor allem Senioren aus dem ganzen Land anschließen. Oder sie kommen zu Schulausflügen oder Klassenfahrten. Ein Mädchen erzählt mir, dass sie sich ehemals eine Fahrt nach Berlin nur leisten konnten, weil man für einen Parlamentsbesuch eine Kopfprämie erhielt. Heutzutage sitzen meist Senioren oder Halbwüchsige auf den Tribünen. Sie dürfen für eine Stunde bleiben. Danach werden sie wieder hinauskomplimentiert.
Ich selbst muss einen komplizierteren bürokratischen Weg gehen, meine Daten hinterlegen, meine Absichten erklären, in jeder neuen Sitzungswoche einen neuen Ausweis beantragen, denn, so wurde mir geflüstert, man müsse sehr auf den Ruf des Hohen Hauses achten. Fehler könnten Entlassungen nach sich ziehen. So oft bekam ich das zu hören, dass ich mich des Gefühls nicht erwehren konnte, dieses öffentlichste aller Gebäude habe etwas zu verbergen – etwas, das Kameras nicht zeigen, Stenographen nicht verzeichnen? Es ist mein Parlament, dachte ich, es verhandelt meine Sache, wird von mir bezahlt, warum sollte ich es nicht besuchen dürfen, so oft und so lang ich möchte? Glaubt man vielleicht, dass Bürger, wenn sie das Parlament besser kennten, es weniger schätzten?
Der Rest sind Sicherheitsvorkehrungen: Ich muss zwei Ausweise zeigen, wenn ich nur den Platz samt Fuhrpark am Ostflügel überqueren will. Es folgen eine Ausweiskontrolle am Nordeingang, dann die Schleuse für Gepäck und Person in jener Zone, in der sich Jenny Holzers Installation befindet: eine Säule, auf der in Leuchtschrift eine Auswahl großer Parlamentsreden in die hohe Decke läuft. Dann bin ich im Innern mit seinem prononcierten Gegensatz zwischen dem Sandsteinmantel über den alten Ziegelwänden des historischen Reichstags auf der einen, den skandinavisch leuchtenden Farben der Türen, Rahmen und Paneele auf der anderen Seite. Man passiert die steinernen Friese und Skulpturen im Gewölbe, lauter Relikte aus der Kaiserzeit mit musealer Anmutung. Die farbenfrohen Akzente bei Rahmen, Flächen und Türen dagegen verdankt der Bau dem dänischen Designer Per Arnoldi, der kontrastierend Blau und Rot, viel Orange, Grün und Ocker einsetzte. Frische Farben ohne Patina sind das, überraschend unfeierlich, ja profan.
Schon als Paul Wallot 1882 den Wettbewerb um das Reichstagsgebäude gewann, so schreibt der amerikanische Historiker Michael S. Cullen, stand das künstlerische Ausstattungsprogramm des Hauses und schloss Skulpturen, Wand- und Deckenbilder ein. Die renommiertesten deutschen Künstler sollten beitragen, in der Nordeingangshalle war außerdem eine Galerie mit Standbildern deutscher Geistesgrößen geplant. Da aber am Tag der Abstimmung zu viele Katholiken in der Kommission saßen, wurde eine Luther-Skulptur aus dem Programm herausverhandelt. Aus Protest ließ der Architekt die Reihe dann ganz fallen.
Das heutige Kunstkonzept ist mutiger: Im Eingangsbereich etwa finden sich neben den großen Malereien von Gerhard Richter und Georg Baselitz auch Sigmar Polkes ironische Arbeiten zur deutschen Parlamentsgeschichte – ein mit dem Spazierstock drohender Adenauer, eine spöttische Visualisierung des Hammelsprungs. Im ersten Obergeschoss liegen der Andachtsraum, der Plenarsaal, der Clubraum mit einer Bar; im zweiten Obergeschoss die Büros und Empfangsräume für Bundestagspräsidenten und Ältestenrat, dazu der Große Sitzungssaal, der Bundesratssaal und die Konferenzsäle; im dritten Obergeschoss die Fraktionssäle.
Mein Arbeitsplatz in diesem Jahr wird im zweiten Stock liegen, auf der Besucherebene. Hier passiert man die Sicherheitsbeamten und Garderobieren, läuft auf die große Glasscheibe zu, hinter der man den Bundesadler und die Rückenlehnen der obersten Tribünenplätze erkennt, und hört, wie im Entree-Bereich vor dem parlamentarischen Amphitheater die Saaldiener die Besuchergruppen auf den Verhaltenskodex einschwören: keine Fotos, kein unziemliches Verhalten, keine Zwischenrufe und kein Applaus, kein Nickerchen, keine Nahrungsaufnahme, auch keine Kaugummis, keine Handys. Dann öffnen sich die Türen, und man tritt ein.
Der verglaste Plenarsaal unter der Kuppel ist auf einer Fläche von 1200 Quadratmetern elliptisch angeordnet. Von den Tribünen blicken die Zuschauer entweder abwärts in den Saal, auf das Rednerpult, die Regierungsbank, den Bundestagspräsidenten, die Bundesratsbank, den Stenographentisch, das Plenum oder aufwärts in die Filigranstruktur der Kuppel, in der die Touristen auf- und abwärts krabbeln, während manchmal eine Bahn Sonnenlicht direkt in das Zwielicht des Plenarsaals fällt. Und Zwielicht ist immer.
Die Kuppel von unten: dreitausend Quadratmeter verbautes Glas, verteilt auf 408 Scheiben. Keine repräsentative Monstrosität sollte dies sein, sondern eine funktionale Einheit, die Licht und Luft in das Gebäude leitet. Zwei Wochen beansprucht die komplette Reinigung von innen und außen, und das Personal, das diese Arbeit leistet, schaut dabei denen auf die Köpfe, die tief unter ihnen um die Lebensbedingungen aller streiten. Dabei ist es nicht ohne Ironie, dass die Leistungen am Deutschen Bundestag zu einem Teil von Schwarzarbeitern erbracht wurden, dürftig bezahlt: Vier Mark pro Tag war auch damals nahe am Mindestlohn. Streiks und Arbeitsniederlegungen verzögerten denn auch die Fertigstellung, und da die Arbeiter sozialdemokratisch organisiert waren, wandten sie sich vor allem gegen Arbeitsvermittler und deren Provisionen.
Zum Funktionstest des Plenarsaals ließ man im Februar 1999 1100 Bundeswehrsoldaten Platz nehmen und stellte fest: Auf der Regierungsbank war die Akustik dürftig, anders gesagt: Die Regierung hörte schlecht. Am 7. September 1999 schließlich fand im Reichstag – den »Bundestag« zu nennen vielen besser gefallen hätte – die erste Plenarsitzung statt.
Ich nähere mich dem Plenum von der obersten Stelle. Auf dem Grund des Trichters, zu dem sich die Tribünen senken, steht das Rednerpult. Also hört man, bevor man durch den Kranz der obersten Sitzreihen getreten ist, das Rauschen des Stimmgewirrs, das Schneiden der einzelnen Stimme am Pult: manchmal träge, das verstärkte Organ eines Monologikers, manchmal frisch und kämpferisch wie vor dem Chor der Jasager improvisierend. So weiß man immer gleich, wie die Erregungstemperatur im Saal ist. Willkommen, nie gesehener, altvertrauter Schauplatz unter der Kuppel!
Die sechs Besuchertribünen schweben wie Segmente einer Theatergalerie über dem Plenum. Das Innere des Saals enthält kaum noch Verweise auf das Äußere. Die massige historische Hülle öffnet sich zu einem mehrschichtigen, durchlässigen Innenraum. Auf der gläsernen Ostwand triumphiert der Bundesadler, ehemals heftig umstritten bei den Abgeordneten. Tausende von Skizzen machte Architekt Norman Foster, studierte alles Repräsentationsgeflügel der deutschen Geschichte, reichte allein 180 Entwürfe bei der Baukommission ein. War der Vogel den Abgeordneten zu dünn, so Cullen, dann fanden sie, er erinnere an die »mageren Jahre«. Waren seine Flügelspitzen zu spitz und hoben sie sich, so fanden sie ihn zu bedrohlich. Nein, man ließ den Architekten nicht machen. Genommen wurde am Ende die sogenannte »Fette Henne« aus dem Bonner Bundestag, und Foster zeigte sich tief enttäuscht: »Ein moderner Adler«, meinte er, »wäre ein Zeichen für den Aufbruch gewesen, für Veränderung und Erneuerung.« So liegt der Unterschied zwischen dem tierischen Adler und dem Bundesadler vor allem in der Schnabelpartie, der geraden...
Erscheint lt. Verlag | 6.3.2014 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Angela Merkel • Berlin • Bundesregierung • Bundestag • Bundestagsdebatte • CDU • CSU • Debatte • Demokratie • Deutscher Bundestag • Deutschland • FDP • Gegenwart • Gregor Gysi • Parlament • Parlamentsprotokoll • Plenarsaal • Plenarsitzungen • Politik • Sachbuch • Sitzung • SPD • Thomas de Maizière • Volker Kauder |
ISBN-10 | 3-10-402855-9 / 3104028559 |
ISBN-13 | 978-3-10-402855-2 / 9783104028552 |
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