Seemacht Deutschland (eBook)

Die Hanse, Kaiser Wilhelm II. und der neue Maritime Komplex
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2013 | 1. Auflage
224 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-270-4 (ISBN)

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Seemacht Deutschland - Hermannus Pfeiffer
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Schon zwei Mal war Deutschland eine Seemacht. Die Hanse prägte 500 Jahre europäischer Geschichte und gilt heute als Vorbild für Europa. Das Flottenprogramm Kaiser Wilhelms II. endete dagegen im Ersten Weltkrieg. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, schickt sich das wiedervereinte Deutschland nun zum dritten Mal an, als Seemacht auf der Weltbühne eine Hauptrolle zu spielen. Die Containerschiff-Flotte des Exportweltmeisters ist heute die größte der Welt, und 2009 wird die Marine mit dem Bau neuartiger Marathon-Fregatten beginnen, den teuersten Waffensystemen in der deutschen Geschichte.
Hermannus Pfeiffer beschreibt die Seemacht Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart, schildert, wie unter den Kanzlern Gerhard Schröder und Angela Merkel ein Netzwerk aus Politik, maritimer Wirtschaft und Marine entstanden ist, und benennt die geostrategischen Risiken, die mit diesem Maritimen Komplex und der Aufrüstung verbunden sind.

Jahrgang 1956; Dr. rer. pol.; Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler; Spezialgebiet Banken - Versicherungen - Finanzmärkte, freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Zeitschriften. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a. "Das Imperium der Deutschen Bank", Frankfurt/M. 1987; "Die Macht der Banken", Frankfurt/M. 1993; "Der Kapitalismus frisst seine Kinder. Der Standort Deutschland, seine Gegner und seine glorreiche Zukunft", Köln 1997; "Die Zähmung des Geldes. Finanzplatz Deutschland gegen den globalen Crash", Reinbek bei Hamburg 2000, "Deutschland AG", in: "Schwarzbuch Deutschland" (Reinbek bei Hamburg 2009).

Welthandelszentrum Brügge


In düsteren Oktobertagen braust die vernichtende Sturmflut über das flache Land, über Flandern hinweg. Bauernhöfe und Wohnhäuser, Kirchen, Schlösser und ganze Dörfer versinken in den Wassermassen. Menschen ertrinken. Niemand zählt sie. Sie hatten dieses kostbare Land mühsam dem Wasser abgerungen, weil es fruchtbaren Boden verhieß. Das Meer kann jedoch unwiderstehlich zurückschlagen, und es holt sich dann zurück, was der Mensch ihm abgetrotzt hat: Land und Leben.

Als sich die herbstlichen Fluten des Jahres 1134 zurückziehen, bleibt der Zwin zurück, ein neuer breiter Meeresarm. Er reicht tief hinein ins Binnenland und beschert Brügge jählings eine Zufahrt zum Meer. In Zukunft werden die größten Frachter der Epoche, die Koggen, die wachsende Stadt anlaufen. Der überraschende Aufstieg des unscheinbaren Provinznestes zum Welthandelszentrum und zum strategischen Eckpunkt der Hanse beginnt.

In der Brügger Vlamingstraat steht rechterhand noch immer das uralte Haus der Familie Van der Beurse. Achtlos zieht der heutige Touristenstrom an dem vergleichsweise unauffälligen Giebelhaus vorbei, das im farbigen Meer historischer Herrenhäuser und Kaufmannspaläste untergeht. Hier bot Robert van der Beurse hundertfünfzig Jahre nach der Sturmflut erstmals Warenhändlern aus drei Kontinenten einen Treffpunkt, um ihre Geschäfte abzuwickeln und Geldkurse festzulegen. Hier ist einer der Ursprungsorte des modernen Kapitalismus.

In dem Haus Ter Beurse wurden schon um 1280 Wertpapiere in Umlauf gebracht. Es waren Wechsel, die ein italienischer Händler, der Gewürze und Gold nach Brügge gebracht hatte, in Venedig gegen Geld einlösen konnte oder die ein Lübecker Kaufmann für seine Lieferung norwegischen Stockfisches als Bezahlung akzeptierte. Belgische Historiker haben für Van der Beurses Arbeit den anheimelnden Begriff »Hotelier-Makler« geprägt.

Von diesem Gasthaus aus begann der moderne Finanzkapitalismus seinen Siegeszug um die Welt. Flämisch wird der Familienname der Hotelier-Makler »Böhrse« ausgesprochen, und so wurde dieser multinationale Treffpunkt im Zentrum des mittelalterlichen Brügge später zum Vorbild und Namensgeber für die Börsen in Frankfurt, London, an der Wall Street und in Shanghai. Um 1400 – zur Hochzeit der Hanse – galt das »Brügger Modell« (André Vandewalle) als führendes Bank- und Handelszentrum in Europa, als Drehscheibe zwischen den Warenströmen aus dem Süden und aus dem Norden.

Vor dem Börsengebäude stehend, schaut der Reisende des 21. Jahrhunderts auf den quirligen Marktplatz einer phantastischen Stadt der fernen Vergangenheit, und unweigerlich bleibt sein Blick an einem gewaltigen und doch eleganten Bau hängen: dem Belfort. 366 Stufen hoch, umschlungen von der mächtigen Lakenhalle, einem Tuchhandelszentrum der Hansezeit, beherrscht der Turm mit seinem Glockenspiel das mittelalterliche Stadtbild aus langen Kanälen, bunten Schaugiebeln und engen Brandgassen. Wenige Schritte neben dem Belfort liefen früher die Handelschiffe in die monumentale 35 Meter hohe Waterhalle ein, dem überdachten Hafenbecken im Zentrum der Stadt, deren Wappen die Farben der Hanse trägt: Silber und Rot bzw. Weiß und Rot.

Majestätisch – eigentlich bürgerlich – überschattet der wuchtige Belfort die prächtigen Adelspaläste, Klöster und Kirchen Brügges. Der herausragende, ansonsten nahezu funktionslose Belfort repräsentiert die Freiheit der Stadt, die Unabhängigkeit gegenüber Aristokratie und Klerus sowie die selbstbewusste ökonomische und politische Macht der Bürger des flachen Polderlandes. Reiche Patrizier hatten diesen Belfort schon zu Zeiten des Robert van der Beurse erbauen lassen.

Dreißig belgische Belforts wurden 1999 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Diese städtischen Glockentürme (dt. Belfried) sind eine flandrische Spezialität und stehen, wie die imposante Backsteingotik entlang der Ostseeküste, für die Befreiung der Städte von der feudalen Herrschaft, für die Macht der Fernhändler und Bürger – Symbol des Selbstbewusstseins der Patrizier. Zwei Dutzend Belforts stehen auch im flandrisch geprägten Nordfrankreich und ein einziger in den Niederlanden, in Sluis. Die Stadt mit den Hansefarben Weiß und Rot im Wappen wurde infolge der Flutkatastrophe von 1134 zum wichtigen Vorhafen Brügges.

Woher kam der Wohlstand der legendären Van der Beurses und der Reichtum der aus Genua zugewanderten Familie Adornes, die sich nach einer Pilgerreise bis Palästina eine eigene Jerusalemkirche in Brügge bauen ließ? Woher stammte das Vermögen der anderen Makler, Kaufleute und Bankiers, die Maler wie Pieter Pourbus, Hans Memling oder Jan van Eyck meisterlich porträtierten?

Der Wohlstand der Patrizier beruhte auf der günstigen Lage der Stadt, dem Geschick der Kaufleute, aber vor allem auf der Arbeit anderer: Mit den kunstvollen Teppichen der Knüpfer aus der Region dekorierten reiche Bürger, betuchte Adelige und Geistliche in ganz Europa die Wände ihrer herrschaftlichen Wohnräume, und die zierlichen Spitzen der Klöpplerinnen verschönten wohlhabende Damen. Das umsatzstärkste Produkt waren jedoch die feinen bunten Tuche, die im Umland von Heimarbeitern und von Arbeitern beiderlei Geschlechts in frühindustriellen Manufakturen gesponnen, gewebt und gefärbt wurden. In Brügge und seinem Umland – die Wappenschilder der Vorhäfen Sluis und Damme sowie von zwei Dutzend weiteren »subalternen Städten« sind am Brügger Rathaus angebracht – entstanden die herrlichen Stoffe für die Moden der Mondänen und Reichen.

Nirgends habe diese erste Industrie einen so stürmischen Aufschwung wie im mittelalterlichen Flandern genommen, notierte der belgische Wirtschaftshistoriker Henri Pirenne. Später hat ein englischer König flandrische Weber und Walker abgeworben, um die Tuchindustrie in Yorkshire zu entwickeln. Er sollte damit die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts vorbereiten. Doch bis dahin deckten die groben Webereiprodukte aus England lediglich die geringe Nachfrage der Krämer und Schuster, der armen Tagelöhner und lehnspflichtigen Bauern in vieler Herren Länder. Dem Bauern erlaubten aristokratische Kleidervorschriften nur schwarze und graue Gewänder aus derbem Gewebe.

Brügge profitierte dagegen von der modernen ritterlichen Kultur in Europa, die auf ein exklusives Erscheinungsbild Wert legte. Brügges Aufstieg zu einer »europäischen Stadt«, so ein belgischer Buchtitel, gründete auf der Verbindung einer speziellen heimischen Produktion, für die in Europa ein neuer Markt entstand, mit dem Fernhandel. Diese Verbindung von Produktion und Handel war typisch für erfolgreiche Hansestädte.

Um mit etwa 50 000 Einwohnern zu einer der größten Städte im damaligen Europa zu wachsen – die bevölkerungsreichste »deutsche« Metropole, die Hansestadt Köln, soll im Hochmittelalter 35 000 Menschen beherbergt haben –, bedurfte es daher noch eines (un-)glücklichen Zufalls, einer Katastrophe: Erst die verheerende Sturmflut von 1134 schuf die geographischen Bedingungen, um den einst unscheinbaren Ort im Binnenland während des 13. Jahrhunderts zu einem wereldhandelscentrum, wie Marc Ryckaert und André Vandewalle schreiben, aufsteigen zu lassen. Als wereldhandelscentrum (Welthandelszentrum) verband Brügge den Westen mit dem Osten, den Süden mit dem Norden. Romantische Wandgemälde im Gotischen Saal im ersten Stock des Rathauses feiern noch immer den Abschluss von Verträgen mit der Hanse und den internationalen Jahrmarkt, der ab etwa 1200 in Brügge stattfand und den offenbar schon Afrikaner und Asiaten besuchten.


»Im späten Mittelalter gibt es in Nordwest-Europa keine Stadt, die kosmopolitischer ist und eine internationalere Ausstrahlung hat als Brügge«, stellt Elviera Velghe vom Groeningemuseum fest. Im »Stapel der Christenheit« trafen sich die beiden großen Handelsgebiete, nämlich die europäische Hanse und die Handelsmetropolen Italiens: Florenz, Genua und Venedig. Die »Fremden« brachten Brügge neben Wohlstand, Wissen und kulturellen Neuheiten auch Handelswaren und Luxusgüter aus dem Süden.

Aus Kastilien und Katalonien kamen köstliches Mandelöl und Pelze, aus Portugal Eibenholz und später aus Afrika Elfenbein und aus den amerikanischen Kolonien Zucker, den in Afrika gekaufte Sklaven anbauten. Das marokkanische Fez lieferte kunstvolle Lederwaren und Edelhölzer vom Ahornbaum. Aus Sijilmassa in der Sahara stammten Datteln und aus dem noch christlichen Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, Alaun zum Färben in der Tuchproduktion. Aus Jerusalem brachten die Schiffe Rotholz nach Brügge, Gewürze aus Armenien und Perlen aus dem Königreich der Tartaren, Bimsstein aus Tunesien und Bougie, dem Handelshafen in Algerien, sie transportierten Reis von der Insel Mallorca sowie Felle aus Sardinien. Diese und viele andere internationale Handelswaren waren bereits um das Jahr 1300 in Brügge erhältlich.

Fernhändler wurden die Einheimischen trotzdem nicht. Von den einheimischen Bruggelingen sollen nur wenige ein europäisches Netzwerk unterhalten haben, wie es die ursprünglich aus Genua stammenden Adornes taten. In die weite Welt hinauszuziehen hatten jene auch gar nicht nötig, denn die Welt kam zu ihnen, und die Patrizier Brügges profitierten davon als Makler des Welthandels, denn bei Geschäften zwischen Fremden musste immer ein ortsansässiger Makler wie...

Erscheint lt. Verlag 17.12.2013
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Technik
Schlagworte Aufrüstung • Bundesdeutsches Flottenprogramm • Clausewitz • Flottenpropaganda • Hanse • Kaiser Wilhelm II. • Koggen • Krieg • Marine • Maritim • Maritime Komplex • Novemberrevolution • Tirpitz Plan • Welthandelszentrum Brügge • Weltmeere
ISBN-10 3-86284-270-3 / 3862842703
ISBN-13 978-3-86284-270-4 / 9783862842704
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