Das doppelte Deutschland (eBook)

40 Jahre Systemkonkurrenz

Udo Wengst, Hermann Wentker (Herausgeber)

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2013 | 1. Auflage
384 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-265-0 (ISBN)

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Das doppelte Deutschland -
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Dieses Buch geht den bisher nicht systematisch untersuchten gegenseitigen Wahrnehmungen nach, wobei besonders die politischen Entscheidungen, Programme und gesellschaftlichen Prozesse und die sich daraus ergebenden Rivalitäten untersucht werden. Die überwiegend von Mitarbeitern des Instituts für Zeitgeschichte verfassten Beiträge stellen diese Wechselwirkung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen dar: der »Bewältigung« der nationalsozialistischen Vergangenheit, der »Grenzsicherung« mitten durch Deutschland, der Außen- und Dritte-Welt-Politik, der Reformen in den Hochschulen, der Arbeitsmarktpolitik, im Abtreibungsstrafrecht sowie im kulturellen, sportlichen und kirchlichen Umfeld.

Udo Wengst: Jahrgang 1947; Dr. phil.; Stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin; Honorarprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Regensburg. Zahlreiche Buchveröffentlichungen zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, vor allem zur Weimarer Republik, zur Besatzungszeit und zur Bundesrepublik. Hermann Wentker: Jahrgang 1959, Dr. phil, außerplanmäßiger Professor an der Universität Leipzig, Historiker; seit 1998 Leiter der Abteilung Berlin des Instituts für Zeitgeschichte. Buchveröffentlichungen zur Geschichte der britischen Außenpolitik im 19. Jahrhundert und zur Geschichte der SBZ/DDR.

Udo Wengst / Hermann Wentker

Einleitung


Die deutsche Einheit zerbrach im Kalten Krieg. Nach 1945 erwies sich schon bald, dass zwischen den Westmächten und der Sowjetunion nicht jenes Maß an Übereinstimmung hergestellt werden konnte, die, wie etwa nach den napoleonischen Kriegen, ein wesentliches Fundament der friedlichen Neuordnung des Staatensystems hätte bilden können. Der Gegensatz von Demokratie und Diktatur, von sowjetischem Hegemoniestreben und amerikanischer Eindämmungspolitik war so stark, dass eine umfassende Friedensordnung nicht geschaffen werden konnte. Am deutlichsten trafen die geostrategischen Interessen beider Siegermächte in der Mitte Europas aufeinander: Da sie sich über das Schicksal des besiegten Deutschland nicht verständigen konnten, blieb als Ausweg nur die Teilung in zwei deutsche Staaten.

Die Deutschen wollten anfangs indes die Teilung nicht hinnehmen. Sie hielten daran fest, dass sie zu einer Nation gehörten, die auch in einem Staat zusammenleben sollte. Darin stimmten sie mit den führenden Politikern auf beiden Seiten der durch Deutschland laufenden Demarkationslinie überein. Beide deutsche Regierungen traten vehement für die möglichst rasche Wiederherstellung der deutschen Einheit ein; gleichzeitig wollten sie aber das eigene, von den unterschiedlichen Siegermächten etablierte politische System auf den anderen Teil Deutschlands übertragen. Bundeskanzler Konrad Adenauer und die bundesdeutschen Parteien sprachen bis weit in die 60er Jahre der DDR die staatliche Legitimität ab; Ministerpräsident Otto Grotewohl und mit ihm die SED waren genauso wenig bereit, die staatliche Existenz der Bundesrepublik anzuerkennen. Am Anfang ihrer jeweiligen Geschichte reklamierten die Regierungen beider deutscher Staaten für sich, die Interessen aller Deutschen zu vertreten.

Indem in der Bundesrepublik im Verlauf der 50er und 60er Jahre die Demokratie Fuß fasste und in der DDR mit Hilfe eines forcierten sozioökonomischen Wandels eine sozialistische Diktatur nach sowjetischem Vorbild etabliert wurde, verfestigten sich die konträren, miteinander konkurrierenden politisch-gesellschaftlichen Systeme in den beiden deutschen Staaten. Aus dem geteilten Deutschland wurde das doppelte Deutschland. Beide Staaten präsentierten sich als die jeweils bessere Alternative: Die Bundesrepublik etwa stellte der totalitären Diktatur in der DDR ihre freiheitlich-demokratische Grundordnung gegenüber, und die DDR verwies darauf, dass bei ihr der Faschismus ausgerottet sei, während in Westdeutschland alte Nazis weiterhin an den Schaltstellen der Macht säßen.

Doch neben der Konkurrenz zwischen den Staaten blieb das gesamtdeutsche Bewusstsein über einen längeren Zeitraum bestehen. In den 50er Jahren fühlten sich die Deutschen in ihrer übergroßen Mehrheit noch nicht als Bürger der Bundesrepublik oder der DDR, sondern betonten ihre Gemeinsamkeit über die innerdeutsche Grenze hinweg. In zahlreichen persönlichen, aber auch institutionellen grenzüberschreitenden Kontakten und Verbindungen manifestierte sich die weiterhin bestehende Einheit der Nation. Da die Bundesrepublik als Demokratie mit einer prosperierenden Volkswirtschaft jedoch eine enorme Sogwirkung auf die Deutschen in der DDR ausübte, grenzte sich Ost-Berlin seit Mitte der 50er Jahre immer mehr von Bonn ab und unterband die deutsch-deutschen Kontakte in zunehmendem Maße. Mit dem Bau der Mauer durch Berlin stabilisierte die ostdeutsche Führung die DDR und zementierte gleichzeitig die Teilung: Infolge des Mauerbaus zerbrachen weitere Klammern, die die Deutschen trotz der Teilung noch zusammengehalten hatten, insbesondere die gesamtdeutsch organisierte protestantische Kirche.

Nun setzte in beiden Staaten ein Bewusstseinswandel ein. Obwohl alle Bundesregierungen von Adenauer bis Kohl am Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes festhielten, betrachteten die Westdeutschen die Ostdeutschen mehr und mehr als Nachbarn und nicht als Brüder und Schwestern. In der DDR hingegen, deren Führung aus Gründen der Staatsräson Teilung und Abgrenzung perpetuieren wollte, betrachtete die große Mehrheit die Deutschen weiterhin als ein Volk, rechnete aber immer weniger mit einer Wiedervereinigung. Gleichwohl blieben Verbindungen zwischen den beiden deutschen Gesellschaften erhalten: Verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen sind hier ebenso zu nennen wie die ab dem Grundlagenvertrag von 1972 wieder erweiterten Besuchsmöglichkeiten, vor allem in west-östlicher Richtung. Ein weiteres verbindendes Element von entscheidender Bedeutung war die mediale Präsenz der Bundesrepublik in der DDR, die die Deutschen allabendlich zumindest zu einer Fernsehnation werden ließ. Umgekehrt verbesserten sich nach dem Grundlagenvertrag die Möglichkeiten von westdeutschen Journalisten zur Berichterstattung aus der DDR. Vor diesem Hintergrund und den gemeinsamen, weiter wirksamen historischen Prägungen lässt sich von einem »gemeinsame[n] Erfahrungs- und auch Handlungsraum [sprechen], der beide deutsche Staaten, Gesellschaften und Kulturen umfasst«.1

Innerhalb dieses Erfahrungsraumes stellten sich für beide deutsche Staaten vor allem ab den 70er Jahren gemeinsame Probleme – zu nennen wären etwa der wirtschaftliche Strukturwandel, die zunehmende Individualisierung und der Wertewandel sowie das Konsum- und Freizeitverhalten –, deren unterschiedliche Bewältigung sich für vergleichende Untersuchungen besonders eignen. Darüber hinaus wird das Zusammengehörigkeitsgefühl auch daran erkennbar, dass die Deutschen in der DDR jene in der Bundesrepublik letztlich nie aus den Augen verloren. Dies galt für die Westdeutschen zwar auch, aber nur in abgeschwächter Form. Denn die von Adenauer eingeleitete Politik der Westintegration blieb nicht ohne Auswirkungen auf die westdeutsche Gesellschaft, für die die Nation zunehmend an Bedeutung verlor und die Einbindung in die westliche Staaten- und Wertegemeinschaft einen immer höheren Stellenwert einnahm.

Gleichwohl blieben die Politik der Regierungen und der anderen Akteure westlich und östlich der Demarkationslinie aufeinander bezogen. Aufgrund der »Gegensätzlichkeit und engen Aufeinanderbezogenheit der beiden Gesellschaftssysteme auf deutschem Boden« hat Karl Dietrich Erdmann schon 1985 von »der dialektischen Einheit der Nation« gesprochen.2 Hans Günter Hockerts hat sich dem im wesentlichen angeschlossen und mit Blick auf die zeithistorische Forschung zur Bundesrepublik und zur DDR festgestellt: »Man kann daher die eine Seite nicht voll in den Blick nehmen, ohne auch die andere einzubeziehen.«3 Dies ist als Postulat auch jüngst wieder auf einer Tagung von Deutschlandforschern in Suhl erhoben worden, wobei deutliche Unterschiede in der Bewertung zutage traten. Während Horst Möller eine »integrierte deutsche Nachkriegsgeschichte […] beider deutscher Nachkriegsstaaten [als] sinnvoll und notwendig« erachtete, sofern eine »sorgfältige Auswahl der tatsächlich komparativ zu erfassenden, phasenbeschränkten Themen« getroffen und an der »Wertentscheidung angesichts des Gegensatzes von Demokratie und Diktatur« festgehalten werde,4 bezogen Andreas Wirsching und Martin Sabrow andere Positionen. So beschrieb Wirsching »Elemente eines gemeinsamen Erfahrungsraumes« der Deutschen in Ost und West und plädierte für einen pragmatischen Ansatz, der »den Systemgegensatz von Demokratie und Diktatur nicht übermäßig« betonen müsse.5 Sabrow ging noch einen Schritt weiter, indem er darauf hinwies, dass sich zentrale Entwicklungen »quer zu den Scheidelinien von freiheitlicher und unfreiheitlicher Gesellschaft« vollzogen hätten und deshalb eine Betrachtung allein »aus normativer Perspektive« dem »Verständnis für die Binnenlegitimation der zweiten deutschen Diktatur« entgegenstehen würde.6 Über »die analytischen Chancen einer Zusammenschau der deutschen Doppelgeschichte«7 bestand indessen Übereinstimmung. Als Leitlinie hierfür hat Christoph Kleßmann vor mehr als zehn Jahren vorgeschlagen, in den Mittelpunkt einer deutsch-deutschen Beziehungsgeschichte nach 1945 das »Spannungsverhältnis zwischen der Verflechtung beider Teilstaaten […] und einer bewusst oder unbewusst betriebenen oder gewünschten Abgrenzung« zu rücken.8 Doch inwieweit handelte es sich bei beiden deutschen Staaten wirklich um Konkurrenten, die stets aufeinander fixiert waren, sich voneinander sichtbar abgrenzten, in der Konkurrenz aber aufeinander bezogen blieben?

Indizien für eine solche »Verflechtung in der Abgrenzung« (Kleßmann) sind vorhanden. Sehr deutlich wird dies etwa in der Außenpolitik beider Staaten in den 50er und 60er Jahren, als dem Alleinvertretungsanspruch Bonns das Streben Ost-Berlins nach Anerkennung gegenüberstand: Während die Bundesrepublik die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen von Drittstaaten mit der DDR verhindern wollte, suchte Letztere verzweifelt nach Mitteln und Wegen, um ihre internationale Isolation zu durchbrechen. Aber auch auf weniger offensichtlichen Gebieten – etwa im Rahmen des Umgangs mit dem Erbe des »Dritten Reiches« oder auch im Zusammenhang mit der Einführung der Rentenreform von 1957 in der Bundesrepublik – sind solche wechselseitigen Wahrnehmungen und Rivalitäten registriert worden.

Die Forderungen, die Geschichte beider deutscher Staaten nicht isoliert zu betrachten, sondern »über den Tellerrand« zu schauen und diese in einen deutsch-deutschen, europäischen, gar globalen Rahmen einzuordnen, wurden im Hinblick auf die DDR vor einiger Zeit erneut...

Erscheint lt. Verlag 17.12.2013
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Co-Autor Andreas Wirsching, Petra Weber, Michael Schwartz, Anne Rohstock, Thomas Raithel, Helge Heidemeyer, Johannes Hürter, Manfred Kittel, Amit Das Gupta, Dierk Hoffmann, Horst Möller
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Technik
Schlagworte Antifaschistischer Schutzwall • BRD • DDR • deutsch-deutsche Rivalität • Erich Honecker • Franz Josef Strauß • Heinrich Lübke • Kirche • Kredit • Kulturnation • Ostdeutschland • Spitzentreffen • Systemkonkurrenz • UN-Beitritt • Westdeutschland • Wolf Biermann
ISBN-10 3-86284-265-7 / 3862842657
ISBN-13 978-3-86284-265-0 / 9783862842650
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