Die Mörderin Ruth Blaue (eBook)

Schleswig-Holsteins rätselhafter Nachkriegsfall
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2014 | 1. Auflage
216 Seiten
Boyens Buchverlag
978-3-8042-3012-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Mörderin Ruth Blaue -  Klaus Alberts
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Eine Mittelstadt in Schleswig-Holstein 1946 - voller Flüchtlinge, versprengter Soldaten, Gestrandete des großen Krieges. Dem Inferno entronnen, ringen sie weiter ums Überleben, versuchen, sich im Chaos eine neue Existenz zu schaffen. So auch Ruth Blaue und der deutlich jüngere, einundzwanzigjährige Jagdflieger Horst Buchholz, der sich als Holzbildhauer versucht. Zwischen ihm und der Frau, die sich zu dem sensiblen Mann hingezogen fühlt, ist bereits ein Abhängigkeitsverhältnis entstanden, als der Ehemann John aus dem Krieg zurückkehrt. In einer Novembernacht wird John Blaue das letzte Mal lebend gesehen. Ein halbes Jahr später finden Kinder in einem Teich nahe Elmshorn die Leiche eines Mannes mit zertrümmertem Schädel. Zehn Jahre vergehen bis zur Identifizierung: Der Tote ist John Blaue. Seine Frau und Horst Buchholz, sie leben jetzt nach Stationen in Dithmarschen und Hamburg miteinander im Schwarzwald, gestehen, widerrufen, gestehen, widerrufen.... Vor Prozessbeginn in Itzehoe tötet Buchholz sich selbst, Ruth Blaue geht lebenslänglich ins Zuchthaus Lübeck-Lauerhof. Bis zuletzt bleibt sie dabei: 'Aber gemordet habe ich nicht.'. Dieses Buch ist die erste seriöse literarische Auseinandersetzung mit diesem Mordfall, der Anfang der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts die Öffentlichkeit stark bewegte. Nie zuvor öffnete die Justiz der Forschung die vollständigen Prozessakten einschließlich der psychiatrischen Gutachten. Der Autor gibt eine völlig neue Deutung des dramatischen Geschehens und ruft ein Stück Nachkriegsgeschichte Schleswig-Holsteins in Erinnerung. 1963 wurde dieser Kriminalfall in der Reihe 'Stahlnetz' unter der Regie von Jürgen Roland mit dem Titel 'Das Haus an der Stör' verfilmt. Der Film beruht auf dem authentischen Fall, allerdings wurden der Schauplatz und die Namen der beteiligten Personen verändert. Das Drehbuch stammt aus der Feder von Wolfgang Menge.

Klaus Alberts, promovierter Jurist, Kindheit und Jugend in Meldorf, lebt in Kiel, veröffentlicht zu Themen der Jurisprudenz, Regionalgeschichte, Architektur und Stadtplanung. Autor des Buches 'Theodor Steltzer. Szenarien seines Lebens', einer Biografie über den ersten Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins.

Klaus Alberts, promovierter Jurist, Kindheit und Jugend in Meldorf, lebt in Kiel, veröffentlicht zu Themen der Jurisprudenz, Regionalgeschichte, Architektur und Stadtplanung. Autor des Buches „Theodor Steltzer. Szenarien seines Lebens“, einer Biografie über den ersten Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins.

II. Die Prinzessin von Halberstadt


Ruth Blaue hat – wie wir alle – ein reales, durch Fakten belegtes Leben; daneben aber gibt es die Inszenierung und Illuminierung von Leben – die ihres eigenen und die des Lebens derjenigen, die ihr begegnen. Auch die Theateraufführung schafft Realität.

Sie heischt Bewunderung und will Erstaunen erregen. Danach bestimmt sie Akteure und Publikum; gezielt umgibt sie sich dabei mit Menschen, denen sie sich überlegen sieht; Menschen, die sie bewundern, bannt sie an sich. Sie schafft sich ein Milieu, in dem sie Prinzessin, Königin, Herrscherin ist. Sie hat ein festes Ziel für ihr Leben vor Augen.

Am 2. April 1914 kommt Ruth Blaue in Breslau als Tochter des Ehepaares Heine zur Welt; sie ist das älteste von drei Kindern, nach ihr werden noch die Schwester Gerda und der Bruder Wolfgang geboren. Gerda wird sie überleben, Wolfgang stirbt 1944 im Lazarett an seinen in Russland erlittenen Verwundungen.

Der Vater, Karl Heine, ist schon vor dem Ersten Weltkrieg als selbständiger Vertreter für Fleisch- und Wurstwaren tätig. Diesen Beruf übt er bis zu seiner Zurruhesetzung aus, er gehört zum weiteren Kreise der in Halberstadt ansässigen Fabrikantenfamilie Heine, die ein renommiertes Unternehmen in dieser Branche führt. Materiellen Erfolg soll er nicht haben, immer wieder lebt er mit seiner Frau und den Kindern in bedrängten Verhältnissen.

Wegen der Kriegsereignisse zieht die junge Familie im Sommer 1914 zu den Verwandten nach Halberstadt. 1916 wird der Vater eingezogen, er bleibt bis Kriegsende Soldat.

Ruth besucht in Halberstadt die Volksschule, hat gerade mit dem Lyzeum begonnen, als der Vater aus wirtschaftlichen Gründen 1925 nach Hamburg geht, die Familie siedelt sich in Lokstedt an. Dort besucht sie die Mittelschule, macht 1929 die Mittlere Reife; es schließt sich der Besuch einer Hauswirtschaftsschule an, wo sie Schneidern und Weißnähen lernt, von April bis September 1930 besucht sie eine Handelsschule.

Ende des Jahres findet sie eine Anstellung in der Klinik Friedrichsberg, erledigt dort Schreibarbeiten, übt einfachere Labortätigkeiten aus. Danach wechselt sie ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und beginnt eine Lehre als Laborantin; nebenher erledigt sie Sekretariatsarbeiten für einen leitenden Institutsmitarbeiter. Mitte 1933 wird sie fristlos entlassen, weil entdeckt worden ist, dass sie zahlreiche Briefe ihres Chefs unterschlagen hat. Ein Strafverfahren wird nicht eingeleitet, sie erfährt eine psychotherapeutische Betreuung.

Während ihrer Tätigkeit in Eppendorf lernt sie den zehn Jahre älteren Assistenzarzt Dr. Wolfgang Trautmann kennen, den sie am 23. August 1933 heiratet. Trautmann beendet am 28. August die eheliche Lebensgemeinschaft, weil er erfährt, dass seine Ehefrau im Zustand der Unzurechnungsunfähigkeit, sie leidet laut psychiatrischem Gutachten an einer periodisch auftretenden Gemütskrankheit, eine Urkundenfälschung begangen hat. Auf seinen Antrag hin erklärt das Landgericht Hamburg am 29. November 1933 die Ehe für nichtig; die Beklagte Ruth Trautmann erhebt keine Einwendungen.

Die Verbindung reißt nach der Nichtigkeitserklärung nicht ab, sondern bleibt intensiv aufrechterhalten, auch in sexueller Hinsicht, während dieser Zeit, im Dezember 1933, erleidet sie eine Fehlgeburt. Sie trägt wesentlich zum Lebensunterhalt Trautmanns bei, die Mittel dazu gewinnt sie aus der Begehung von Straftaten, sie unterschlägt, fälscht Urkunden, betrügt. Von Juni bis August entleiht sie aus einer Bücherei fünfzig bis einhundert Bände, die sie verkauft. Im März 1935 nimmt sie eine Stelle als Kontoristin bei einer Agentur für elektrische Apparate an. Von April bis Juli reicht sie 78 fingierte Aufträge ein und erhält einen Provisionszuschuss in Höhe von 1.078,00 RM. Sie verkauft zwei Staubsauger, die sie an Kunden ausliefern soll.

Im Oktober 1935 wird sie vom Schöffengericht Hamburg zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, ein psychiatrisches Gutachten attestiert ihr verminderte Zurechnungsfähigkeit. Die Verurteilung erfolgt wegen fortgesetzten Betruges in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit fortgesetzter schwerer Urkundenfälschung und fortgesetzter Unterschlagung. Sie verbüßt einen Teil der Gefängnisstrafe, der geringere Teil wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Grund für ihre Straftaten wird in der Beziehung zu Dr. Trautmann gesehen, für den sie Geld herbeischaffte.

Als sie das Gefängnis verlässt, ist sie 22 Jahre alt. Ihre Eltern fangen sie auf, besorgen ihr eine kleine Wohnung, im Frühjahr 1936 findet sie eine Anstellung als Stenotypistin und Kontoristin bei einem Makler. Dr. Trautmann sieht sie nicht mehr.

In diesem Jahr lernt sie den Seemann John Blaue kennen, der auf dem Wege zum Offizier in der Handelsschifffahrt ist. Aus dem freundschaftlichen Verhältnis wird eine intime Beziehung, John Blaue gibt die Seefahrt auf und gründet in Hamburg das kleine Fuhrunternehmen „Blaue-Blitz“. Zwei Lastwagen werden angeschafft. Sie packt beim Aufbau energisch mit an, übernimmt neben ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit organisatorische und kaufmännische Aufgaben im Betrieb. Nachdem das Paar seit 1938 zusammenlebt, wird im Mai 1940 die Ehe geschlossen. Im selben Jahr wird ihr Mann zur Marine eingezogen, an wechselnden Standorten kommandiert er als Oberleutnant zur See ein Vorpostenboot.

Während der Zeit seiner Stationierung in Gotenhafen lebt das Ehepaar in Danzig zusammen, wo Ruth Blaue auch nach der Versetzung ihres Mannes nach Norwegen bleibt. Bis 1942 ist sie dienstverpflichtet bei den Deutschen Werken, ist dort in der Werksbibliothek beschäftigt.

1943 wird sie zur Flak eingezogen, Ausbildung in Hagenow, kommt später als Scheinwerferführerin im Raum Bremen zum Einsatz, wird Ende 1944 aus dem Wehrdienst wegen mehrfacher Nervenzusammenbrüche entlassen. Sie geht zu ihren Eltern nach Elmshorn, wohin diese inzwischen verzogen sind. In ihrem Hause in der Ollnstraße 153 richten sie ihr eine Dachgeschosswohnung ein, in die 1946 auch ihr Mann einziehen soll. Der versieht nach der Kapitulation noch weiter Dienst bei einer Bergungseinheit in Kiel, jetzt in Diensten der Engländer. Das Ehepaar sieht sich häufig.

Ruth Blaue gründet kurz nach Kriegsende eine Leihbücherei, die „Blaue Stube“, der sie bald eine Kunstgewerbehandlung anschließt. Ihre Eltern bieten hin und wieder obdachlosen Soldaten eine Bleibe. Ruth Blaue, deren Mann da noch in Kiel stationiert ist, nimmt einen ehemaligen Luftwaffenangehörigen, den Fliegerleutnant Horst Buchholz, in ihre Wohnung auf; der versucht sich eine Existenz als Holzbildhauer aufzubauen. Er beteiligt sich an ihrem Geschäft, es entsteht Freundschaft zwischen den beiden, dann eine intime Beziehung. Als John Blaue nach Beendigung seines Dienstes für die Besatzungsmacht in die Ollnstraße einzieht, kommt es zu Spannungen, da dem Ehemann das Verhältnis zwischen seiner Frau und dem Untermieter nicht verborgen bleibt. Er toleriert jedoch die Beziehung einstweilen, da er stark mit dem Aufbau einer neuen eigenen Existenz beschäftigt ist. Kurz bevor ihm dieses gelingt, verschwindet er Mitte November 1946 spurlos. 1948 gibt Ruth Blaue eine Vermisstenanzeige auf.

Im Juni 1947 wird in einer Kiesgrube in der Nähe Elmshorns eine stark verweste Männerleiche mit zertrümmertem Schädel gefunden. 1954 wird der Tote als John Blaue identifiziert. Nach umfangreichen Ermittlungen werden seine Frau und Horst Buchholz wegen Mordverdachts festgenommen, gehen in Haft.

Buchholz, der als Bildhauer durchaus erste Erfolge hat, und Ruth Blaue, die ihr Geschäft verkauft hat, verlassen 1948 Elmshorn und siedeln sich in einem von ihm gekauften Haus im gleichnamigen Ort Buchholz bei Burg in Dithmarschen, dann in Schafstedt im selben Landkreis an. Nach der Währungsreform bricht sein Geschäft zusammen, er bezieht Arbeitslosenunterstützung, sie trägt zum Lebensunterhalt durch Wahrsagen, Kartenlegen und Bücherverkäufe bei. Seit Anfang 1947 schon leben sie immer offener als Paar zusammen.

Auf der Suche nach einer tragfähigen Existenz geraten sie nach Süddeutschland, nach Gremmelsbach bei Triberg im Schwarzwald. Buchholz, der nebenher weiterhin skulpturale Schnitzereien herstellt, findet Arbeit in einer Uhrenfabrik als Schnitzer, Ruth Blaue ist in dem Unternehmen als Bürokraft angestellt; dann macht er eine Erfindung, ist auf dem Wege in die Selbständigkeit.

So verläuft Ruth Blaues äußeres, belegtes Leben bis zu ihrer Verhaftung im Sommer 1954.

Zwei Menschen, die Ruth Blaue ihr ganzes Leben kennen, haben über sie berichtet, und zwar im Rahmen von Verhören durch die Polizei, als sie schon des Mordes verdächtigt wird: ihr Vater und die Schwester Gerda.

Karl Heine erzählt uns von einem sehr aufgeweckten Kind, das sich gegenüber seinen Altersgenossen und seinen beiden anderen Kindern überdurchschnittlich begabt gezeigt habe. Es habe wegen guter Leistungen auf der Volksschule eine Klasse übersprungen, Deutsch und Geschichte seien die stärksten Fächer gewesen. Es habe im frühen Alter nie Schwierigkeiten bereitet. Das normale, gute Verhältnis zu seiner Tochter als junger Frau habe sich verändert, als sie im Alter von 18 Jahren den Arzt Dr. Trautmann geheiratet habe. Er habe diesen wegen dessen schlechten Rufs abgelehnt, schließlich aber dem Drängen seiner Tochter nachgegeben. Die Ehe sei dann doch mit seiner Zustimmung geschlossen worden. Er sieht sie da nur noch selten: „Ich hatte mich seit dieser Zeit bereits innerlich von meiner Tochter getrennt.“ Sie hat sich vollkommen verändert, er erkennt sie nicht wieder.

Der Vater erinnert sich:

Nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe richtet Ruth sich wieder ein normales Leben ein und findet eine...

Erscheint lt. Verlag 1.1.2014
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Biographie • Das Haus an der Stör • Horst Buchholz • Kriminalfall • Madonnengesicht • Mord • Nachkriegsdeutschland • Ruth Blaue • Schleswig-Holstein • Stahlnetz
ISBN-10 3-8042-3012-1 / 3804230121
ISBN-13 978-3-8042-3012-5 / 9783804230125
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