Kompetenzorientierung im Sportunterricht an Grundschulen (eBook)
140 Seiten
Meyer & Meyer (Verlag)
978-3-8403-3435-1 (ISBN)
Peter Neumann (Jg. 1965) ist Professor für Sportpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Seine Promotion 'Das Wagnis im Sport? kann als wichtige Grundlage der Pädagogischen Perspektive 'Etwas wagen und verantworten? angesehen werden. Daneben hat er viele einschlägige Fachbeiträge zur Wagniserziehung veröffentlicht und Sportlehrerfortbildungen zum Wagnissport gehalten.
Peter Neumann (Jg. 1965) ist Professor für Sportpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Seine Promotion "Das Wagnis im Sport? kann als wichtige Grundlage der Pädagogischen Perspektive "Etwas wagen und verantworten? angesehen werden. Daneben hat er viele einschlägige Fachbeiträge zur Wagniserziehung veröffentlicht und Sportlehrerfortbildungen zum Wagnissport gehalten.
2 Das kleine 1 × 1 der Kompetenzorientierung
Unlängst hat Stibbe (2011) pointiert aufgezeigt, dass und wie es Lehrkräften schwer gemacht wird, einen Einblick in die Kompetenzdebatte zu bekommen oder gar den Überblick zu behalten. Einen gewichtigen Grund für die unbefriedigende Situation sieht Stibbe in den recht „eigenwilligen Auslegungen” (S. 337) des Kompetenzbegriffs in den Fachcurricula der Länder. Momentan existieren verschiedene Kompetenzformulierungen und begriffliche Neuschöpfungen, die ein Verständnis der Kompetenzorientierung deutlich erschweren und eine Aversion seitens der Lehrkräfte begründen können.
Deshalb beginnt das Kapitel mit einer Klärung des Kompetenzbegriffs (Kap. 2.1), um anschließend Kompetenzorientierung und kompetenzorientierten Unterricht genauer zu fassen (Kap. 2.2-2.4). Angesprochen werden dabei sowohl bildungspolitische Erwartungen als auch pädagogische Überlegungen zur Kompetenzorientierung. Lehrkräfte müssen schließlich Sinn und Nutzen der Kompetenzorientierung nachvollziehen können, wenn sie sich nicht nur rein formal auf die Kompetenzformulierungen des Lehrplans berufen wollen (Kap. 2.5). Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Kompetenzorientierung im Sportunterricht der Grundschule (Kap. 2.6).
2.1 Was sind Kompetenzen?
Beinahe täglich unterscheiden wir menschliches Verhalten in kompetentes oder inkompetentes Verhalten. Beispielsweise suchen wir ein bestimmtes Fachgeschäft auf, weil wir dort eine kompetente Beratung erwarten können. Oder wir ärgern uns im Straßenverkehr über den inkompetenten Versuch eines Vorausfahrenden, rückwärts einzuparken. Im Gegensatz zu dieser alltäglichen und nicht nach objektiven Kriterien vorgenommenen Zuschreibung von Kompetenz und Inkompetenz wird ein pädagogischer Kompetenzbegriff anders bestimmt.
In der empirischen Bildungswissenschaft soll mithilfe des Kompetenzbegriffs nicht die Bildung selbst, sondern es sollen damit eher die Voraussetzungen für Bildung bezeichnet und gemessen werden. Das sogenannte Literacy-Konzept identifiziert beispielsweise die für Bildung notwendigen kognitiven Operationen und Prozesse. Der Lesekompetenztest von PISA 2000 ist ein Beispiel für eine solche Kompetenzbestimmung und Kompetenzmessung, bei der Vorhersagen über zukünftige Bildungserfolge mittels operationalisierter Fähigkeiten und Fertigkeiten (Basiskompetenzen) getroffen werden.
Das zugrunde liegende Verständnis von Kompetenz geht auf Forschungsarbeiten und eine Definition von Weinert (2001) zurück. Dieser definierte Kompetenzen als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können” (S. 27f.).
Ordnet man diese komplexe Aussage, lassen sich fünf Grundannahmen dieser für die wissenschaftliche Kompetenzdiskussion maßgeblichen Definition bestimmen:
• Kompetenzen müssen erstens erlernt oder erworben werden.
• Kompetenzen beziehen sich zweitens in dieser Lesart auf kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten; motorische Fähigkeiten und Fähigkeiten werden bei der Problemlösung als weniger bedeutsam angesehen.
• Kompetenzen fungieren drittens als Schlüssel für das Lösen von Problemen, es geht damit nicht um das Abarbeiten von Reproduktionsaufgaben.
• Kompetenzen beziehen viertens volitionale (willensbezogene), motivationale und emotionale Aspekte ein, sodass die konkrete Anwendung des Wissens eine Bereitschaft oder Haltung voraussetzt, Kognitionen in die Tat umzusetzen.
• Kompetenzen unterscheiden sich fünftens von Schlüsselqualifikationen, da Kompetenzen das domänenspezifische (fachgebundene) Vermögen und die Bereitschaft anzeigen, mögliche Probleme zu lösen.
Die Bindung des Kompetenzbegriffs an kognitive Dispositionen ist für Sportpädagogen auf den ersten Blick überraschend und unverständlich. Nachvollziehbar wird diese Orientierung aber dann, wenn man sich vor Augen führt, dass die Lern- und Unterrichtsforschung in der Tradition von Weinert und Helmke ihren Schwerpunkt in kognitiven Fächern hat und nicht in ästhetisch-expressiven, wie dem Sportunterricht. In der noch jungen Diskussion innerhalb der Sportpädagogik gibt es aber auch Fachvertreter, die ihren Kompetenzmodellierungen (vgl. Gogoll, 2012) oder ihrer Aufgabenkonzeption für den Sportunterricht (vgl. Pfitzner, 2012) diese kognitive Ausrichtung des Kompetenzbegriffs zugrunde legen.
Die empirische Bildungsforschung hat den Kompetenzbegriff ursprünglich ausgewählt, um damit begrifflich und konzeptionell Klarheit zu erzeugen, indem eine Unterscheidung zum normativ besetzten und empirisch kaum fassbaren Begriff der Bildung geschaffen werden sollte. Je länger allerdings über Kompetenzen im schulischen Bildungssystem geschrieben, geredet und geforscht wird, umso mehr bekommt der Kompetenzbegriff unklare und schwammige Konturen.
Eine Tendenz zur Unschärfe erwächst dem Kompetenzbegriff aus seiner weiterreichenden etymologischen Bedeutung. Denn Kompetenz verweist auf das Vorhanden-sein und die Beziehung der Aspekte „Zuständigkeit”, „Fähigkeit” und „Bereitschaft” (vgl. Marquardt, 1982, S. 24). Während Fähigkeit als Wissen und Können und Bereitschaft als Wollen im neueren Kompetenzbegriff Berücksichtigung finden, wird der Aspekt der Zuständigkeit nicht aufgenommen. Etwas vereinfachend kann Kompetenz somit als das Zusammenkommen von Wissen, Können und Wollen „übersetzt” werden. Orientiert man sich an dieser Trias, kann im Sportunterricht die-/derjenige als nicht kompetent bezeichnet werden, die/der erstens nicht genug weiß, nicht viel kann oder nicht will, zweitens etwas will, ohne dieses hinreichend zu wissen oder zu können oder drittens etwas weiß und kann, aber es nicht will.
2.2 Was heißt Kompetenzorientierung?
Kompetenzorientierung zielt in besonderem Maße darauf ab, die Akkumulation toten, d. h. anwendungslosen Wissens bei den Schülerinnen und Schülern zu verhindern. Diese Zielstellung besitzt auch Gültigkeit im Sportunterricht, wenngleich in einer modifizierten Form: Kompetenzorientierung im Sportunterricht bedeutet die Vermeidung toten oder auch „blinden” Könnens. Damit ist ein von den Schülerinnen und Schülern nicht genutztes Bewegungskönnen gemeint, auf das sie in ihrem Bewegungsleben nicht zurückgreifen.
Kompetenzorientierung bedeutet zudem die Orientierung des Lernens im Unterricht an komplexen Aufgaben. Anstelle der Vermittlung singulären Wissens ist vermehrt auf Handlungs- und Anwendungsaufgaben im Unterricht zu achten, damit die Schülerinnen und Schüler den entscheidenden Schritt vom Wissen zum Können gehen können. Es gilt, im und durch Unterricht nicht nur Wissen zu erwerben und anschließend zu reproduzieren, sondern die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, erworbenes Wissen anzuwenden und dieses Wissen zur Lösung von fachtypischen Problemen zu nutzen. Dies hat zur Folge, dass „die Lernprozesse der Schüler(innen) in den Mittelpunkt gerückt werden” (Feindt & Meyer, 2010, S. 29).
Sichtbare Folge der Kompetenzorientierung auf der Ebene der Lehrpläne ist das sogenannte Kerncurriculum, in dem inhaltlich knapper und konzentrierter als in einem Vollcurriculum die fachspezifischen Kompetenzbereiche aufgeführt und die zu erwerbenden Kompetenzen und Kompetenzniveaus ausgewiesen werden. „Neu” und für viele Lehrkräfte gewöhnungsbedürftig ist, dass sich die Förderung der Schüler an vorgegebenen Kompetenzstufen orientieren soll und dass Einsichten, die aus kompetenzdiagnostischen Tests stammen, zur weiteren Gestaltung lernunterstützender Wissens- und Anwendungssituationen genutzt werden sollen. Aus bildungspolitischer Sicht verspricht man sich damit eine Optimierung des Lernens auf der Grundlage von empirisch abgesicherten Kompetenzstufenmodellen.
In kompetenzorientierten Curricula werden deshalb Erwartungen formuliert, die darüber Auskunft geben, was Schülerinnen und Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Grundschule (in der Regel nach Klasse 1 und 2 oder nach Klasse 3 und 4) wissen und können sollen. Beispielsweise sollen Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg am Ende von Klasse 4 im Bewegungs- und Erfahrungsfeld „Laufen, Werfen und Springen”
• „kürzere Strecken schnell und längere Strecken ausdauernd laufen, zudem auch Orientierungsaufgaben erfüllen und sich dabei auf unterschiedlichen Untergründen und über das Schulgelände hinaus...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2013 |
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Reihe/Serie | Edition Schulsport | Edition Schulsport |
Verlagsort | Aachen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Ansprüche • Aufgabenkulturen • Auswertung • Bildungsplan • Durchführung • Entwicklungsarbeit • Ergebnisse • Grundschule • Lehrkräfte • Lehrplan • Planung • Ressourcen • Schulsport • Studie • Studienauswertung • Unfallkasse Baden-Württemberg • Verwirklichung |
ISBN-10 | 3-8403-3435-7 / 3840334357 |
ISBN-13 | 978-3-8403-3435-1 / 9783840334351 |
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