Workaholics (eBook)

Wenn Arbeit zur Sucht wird
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
208 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-217-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Workaholics - Rainer Schwochow
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Arbeiten Sie heimlich? Etwa im Urlaub? Denken sie häufig an Ihre Arbeit, vielleicht, wenn Sie nicht schlafen können? Arbeiten Sie hastig?
So harmlos beginnt ein Fragebogen zum Thema Arbeitssucht. Wer diese Fragen bejaht, könnte ein Workaholic sein. Entgegen dem gängigen Klischee von der »Managerkrankheit« hat sich inzwischen gezeigt, daß Arbeitssucht kein berufsspezifisches Leiden ist; der Konzernboß ist genauso gefährdet wie ein kleiner Angestellter oder gar eine Hausfrau.
Arbeitssucht findet sich bisher in Deutschland auf keinem Krankenschein als Diagnose. Im Spannungsfeld von Koketterie und Verleugnung wird sie kaum wahrgenommen, zählt doch Arbeit in der Leistungsgesellschaft zu einer der höchsten Tugenden.
Rainer Schwochow untersucht die wichtigsten gesellschaftlichen, sozialen und medizinischen Aspekte der Arbeitssucht, beschreibt Motive, Erscheinungsbilder und Folgen. Betroffene kommen zu Wort, die über ihre Erfahrungen mit Vielarbeit und Sucht, aber auch über individuelle Bewältigungsstrategien berichten. Schwochows Buch gibt nicht nur Anregungen zur Sensibilisierung im eigenen Umgang mit der Arbeit. Es zeigt Wege auf, wie man Gefährdung oder Sucht erkennen und wie man ihnen begegnen kann, und gibt all jenen Rat, die zu einem gesunden Arbeitsverhalten finden wollen. Es enthält zudem einen Selbsttest sowie Kontaktadressen von Kliniken und Hilfseinrichtungen.

Jahrgang 1952, Physik- und Informatikstudium, Exmatrikulation wegen versuchter Republikflucht, anschließend drei Jahre Industriehilfsarbeiter, 1975-80 Studium der Theaterwissenschaften in Leipzig, Theaterdramaturg in Erfurt, 1983-89 Hörspieldramaturg beim Rundfunk der DDR, seit 1989 freier Hörfunkjournalist, Hörfunkautor und -regisseur zunächst in Hannover, seit 1999 in Berlin.

Besessen von Arbeit


Es war Silvester, in der Nacht der guten Vorsätze: Dieses Jahr, ganz bestimmt, werde ich mindestens drei meiner Freunde besuchen. Ein bis zwei Jahre ist es her, seit wir uns das letztemal gesehen haben. So kann man keine Freundschaft pflegen. Wir müssen endlich mal wieder reden.

Inzwischen ist November. Es blieb beim guten Vorsatz. Irgendwie paßte es nie. Immer kam etwas dazwischen: eine wichtige Reise, ein wichtiger Termin, eine ganz wichtige Arbeit. Und dann, als ich mir endlich ein Wochenende freigehalten hatte, da war der eine im Kurzurlaub, der nächste mußte arbeiten, und der dritte war zu einem Wochenendseminar. Die Umstände sind eben so. Sehen wir uns halt später.

Unsere Telefonate ähneln sich. Wieder soviel Arbeit, immer dieser Streß, es ist grausam und so weiter, na, du weißt ja. Am Ende der Spruch: Man kann ja froh sein! Besser zuviel Arbeit als gar keine! Manchmal nervt mich diese Floskel. Wer bestimmt eigentlich, wieviel wir arbeiten? Sind es immer äußere Zwänge? Oder sind es Zwänge, die wir uns selbst schaffen? Unvermeidbar lande ich bei dem Schlagwort »Workaholic«. Ein Modewort. Klingt schick.

Bin ich einer? Sind es meine Freunde? Sind wir auf dem Weg, eine Gesellschaft freiwilliger oder erzwungener Workaholics zu werden? Ich suche Literatur, die ich zu dem Thema finden kann. Keine große Ausbeute. Die Bücher beschreiben die Arbeitssucht als Phänomen. Ich erfahre kaum etwas über die Menschen, ich bekomme »Fallbeispiele« vorgeführt. Damit rückt das Problem weit weg von mir und meinem Alltag. Wo ist die Grenze? Wer ist schon arbeitssüchtig? Wer noch nicht? Ich will arbeitswütige Menschen kennenlernen und ihre Geschichte, ihre Erfahrungen und ihre Sicht auf das eigene Leben.

Am Beginn steht die Frage: Wie finde ich Menschen, die arbeitssüchtig sind? Ungern möchte ich zuerst Freunde und Bekannte analysieren. Zu groß ist die Gefahr, eigene Beobachtungen nur bestätigen zu wollen. Ich frage eine befreundete Psychologin. Suchtpatienten hat sie einige, aber Arbeitssüchtige? Nein. Sämtliche Anfragen bei den bekannten Suchtberatungsstellen bleiben ohne Erfolg. Im besten Fall hat man dort von Arbeitssucht gehört. Aber sich selbst damit beschäftigt oder gar Ratsuchende kennengelernt? Fehlanzeige. Bei meiner Recherche finde ich in einer alten Tageszeitung den Hinweis auf eine Selbsthilfegruppe in Bremen. Die Kontaktaufnahme ist schwierig. Unter der betreffenden Telefonnummer meldet sich Peter. Ich trage mein Anliegen vor. Das Mißtrauen ist groß, die Anonymität strengstes Gebot der Selbsthilfegruppen. Peter verweist mich an eine zentrale Kontaktadresse. Dort soll ich meinen Wunsch schriftlich vortragen, gegebenenfalls werde man mir Gesprächspartner vermitteln. Nach wenigen Tagen erhalte ich Antwort. In zwei Wochen findet ein Bundestreffen der Selbsthilfegruppen statt. Sofern die Vorbereitungsgruppe des Treffens einverstanden sei, könne ich dort zu einem offenen Informationsmeeting kommen.

Neugierig geworden registriere ich, daß die strengen Regeln der Anonymität in einem krassen Widerspruch zum Verhalten der Menschen stehen, die sich öffentlich als Workaholics präsentieren.

Was hat es damit auf sich?

Endlich sind alle Hürden genommen. Ich fahre nach Böblingen bei Stuttgart. Das Treffen findet unauffällig in Kirchenräumen statt. Etwa 50 Personen aus ganz Deutschland sind zu dem Erfahrungsaustausch gekommen. Frauen und Männer zwischen 25 und 55 Jahren. Sie tragen Jeans, karierte Hemden, legere Pullover. Offensichtlich ist keiner jener Menschen angereist, die, mit Handy, Laptop und Designerbrille ausgestattet, unentwegt durchs Fernsehen in unsere Wohnzimmer hineinlächeln und ihre Geschäftigkeit demonstrieren. Sie prägten das Bild, das ich bisher von einem Arbeitssüchtigen hatte: der vielbeschäftigte Manager oder Jungbanker, der morgens um 6 Uhr in Hamburg aufsteht, um 9 Uhr in Berlin in einer Konferenz sitzt, zwischendurch mit einem Geschäftspartner in Übersee telefoniert und nebenbei noch Anweisungen für die Sekretärin in das Diktiergerät spricht. Einer, der mittags nach London fliegt, auf einer Pressekonferenz die unerwarteten Umsatzsteigerungen seines Unternehmens verkündet und abends an einem Geschäftsessen in München teilnimmt. Erst später, im Verlauf meiner Recherchen, erfahre ich, warum diese Erfolgsmenschen in Selbsthilfegruppen nicht zu finden sind.

Hier jedenfalls sitzen ganz »normale« Leute: Angestellte aus Behörden, Selbständige, Ingenieure, Hausfrauen, Studenten. Einige geben mir ihre Adressen. Sie sind gern zu einem Gespräch bereit. Andere lehnen ab: Sie haben Angst vor beruflichen Nachteilen, wenn ihre Sucht öffentlich wird. Zum Beispiel Harald, der als leitender Angestellter in der Verwaltung einer süddeutschen Kleinstadt arbeitet. Oder Gerhard, ein selbständiger Handwerker. Er hat ein besonderes Problem, von dem seine Kunden nichts erfahren sollen: Bevor er wie ein Besessener zu arbeiten begann, war er vom Alkohol abhängig. Er kämpfte gegen seine Alkoholsucht, indem er sich in Arbeit stürzte. Aus Angst vor der Flasche arbeitet er jetzt abends so lange, bis ihm die Augen zufallen. Dann geht er sofort schlafen. Ein Herzinfarkt vor einem halben Jahr hat ihn aufgeschreckt. Er ist 39 Jahre alt und weiß, daß er so nicht weitermachen kann.

Wenige Tage später fahre ich in eine westdeutsche Großstadt. Hier bin ich mit Wolfram verabredet. Außer seinem Vornamen weiß ich nichts über ihn. Wir treffen uns dort, wo die Selbsthilfegruppe ihre wöchentlichen Meetings abhält. Das war die Bedingung für das Treffen: Keine Nachnamen, keine Privatadressen sollen öffentlich werden.

Wolfram (44) beginnt zu erzählen:

»Ich war vor zwei Jahren wegen psychischer Schwierigkeiten, wegen starker Versagensängste, in einer psychosomatischen Klinik. Dort hat man bei mir Arbeitssucht diagnostiziert. Ich wußte mit dem Begriff nichts anzufangen. Ich hab das als etwas Positives angesehen. Ich hab mich auch besser gefühlt als die anderen Patienten mit einem anderen Krankheitsbild. Ich dachte, das ist ja bei mir alles gar nicht so schlimm. Bis wir in der Therapie auf Ursachen zu sprechen gekommen sind. Da ist mir klargeworden, daß es keine bessere und keine schlechtere Sucht gibt. Aber, vielleicht beginne ich lieber von vorn.

Mein Vater war Friedhofsgärtner, meine Mutter Reinemachefrau. Mein Bruder hatte mit eineinhalb Jahren nach einer Krankheit das Gehör verloren. Weil wir finanziell nicht so gut gestellt waren – wir hatten ein Haus gebaut –, mußten wir die oberste Etage vermieten. Außerdem lebten Großmutter und ein Vetter noch bei uns. Der war auch behindert, schwer kriegsverletzt. Es war manchmal unerträglich bei uns zu Hause. Phasenweise haben meine Eltern versucht, ihre Schwierigkeiten mit Alkohol zu betäuben. Sie haben sehr darunter gelitten, daß mein Bruder behindert war. Und ich hab den Eindruck gehabt, als Jugendlicher und in der Schule, daß meine Eltern von mir erwarten, daß ich das, was mein Bruder aufgrund seiner Behinderung nicht schaffen konnte, irgendwie wettmache. Der oberste Satz zu Hause war: Mach uns keine Schande, und: Du sollst es besser haben als wir. Sieh zu, daß keiner was Negatives über dich sagen kann. Autoritäten, die waren das Größte, und die hatten immer recht, da hat man sich zu beugen, so hab ich das gelernt. Ich hab irgendwie den Eindruck gewonnen, wenn ich Leistung bringe, daß ich dann auch ein guter Mensch bin. Ich hab dann in allen möglichen Bereichen immer versucht, der Beste zu sein. In der Schule, beim Sport, ich hab auch verschiedene Musikinstrumente erlernt. Also meine Eltern haben mir suggeriert, es wäre ganz schön, wenn ich das machen würde. Und dann hab ich Querflöte, Posaune und Akkordeon gelernt. Als ich meinen Beruf gelernt habe – ich bin Beamter –, da hab ich in der Verwaltungsschule einen extremen Ehrgeiz an den Tag gelegt, um möglichst gut abzuschneiden. Ich hatte immer Angst, daß ich es vielleicht nicht schaffen würde, überhaupt die Schule zu absolvieren. Die erste Prüfung hab ich als Bester meines Lehrgangs geschafft und hatte dann den Ansporn, den zweiten Lehrgang genausogut zu machen. Hab da schon ’ne unheimliche Arbeitsintensität entwickelt, um meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Ich war sogar Klassenbester, habe aber, kurz bevor ich die Prüfung gemacht habe, mit anderen Kollegen zusammen einen Betrugsversuch unternommen, um an die Prüfungsthemen zu kommen. Deshalb bin ich der Schule verwiesen worden, konnte die Prüfung aber später nachholen. Nach dem Abschluß hab ich auch gleich eine Arbeit gefunden, als Verwaltungsbeamter. Die ersten zwei Jahre war ich unheimlich glücklich und hab gedacht, ich sei ohne jegliche Probleme. Bis mein damaliger Vorgesetzter gestorben ist und ich dessen Funktion übernommen habe, die Amtsleitung vom Sozialamt. Ich hab darüber nicht groß nachgedacht, als Beamter ist das der normale Weg, und so wie es meine Eltern mir beigebracht hatten, sei strebsam und fleißig, dann wirst du es besser haben als wir, so lief das. Nach einiger Zeit hab ich dort starke Ängste bekommen, konnte sie aber nicht festmachen an konkreten Dingen. Bis ich daraufgekommen bin, daß vielleicht der Umgang mit viel Geld der Grund ist und mein Zweifel, ob ich gerecht bin gegenüber den Leuten, den Hilfesuchenden, ob ich diesen Ansprüchen genügen kann, daß da meine Ängste und Zweifel herkommen. Ich hab mich dann versetzen lassen zu einem anderen Amt, die Probleme sind aber nicht erledigt gewesen, sondern mehr geworden. Die Angst wurde immer größer, mein...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2013
Reihe/Serie Lebenswelten & Lebenshilfe
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Arbeitssucht • Entschleunigung • Leistungsgesellschaft • Ratgeber • Selbsthilfe • Sucht • Symptomatik • Ursachen
ISBN-10 3-86284-217-7 / 3862842177
ISBN-13 978-3-86284-217-9 / 9783862842179
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