Olanoni

Claus-Peter Leonhardt, geboren 1951, Studium der Anthropologie und Pädagogik. Tätig war als Hochschuldozent für Wirtschaftspädagogik, Psychologie und Medientheorie sowie als Herausgeber und Autor zahlreicher Sachbücher. Heute Leitung der Unternehmensberatung "Global Village Consultants".

Altes Wissen und neue Wege Ihr Name lautet Pele-honua-mea, was Pele des geheiligten Landes bedeutet. Sie ist Pele-´ai-honua: Pele, die Landfresserin. Sie schafft das Land, indem sie mächtig ihre schwarzen Zungen in den Ozean schiebt. Sie frisst das Land, wenn sie ihre Flammen- und Aschenregen über die blühenden Äcker streut. Sie beherrscht die Vulkane auf Hawai`i und der Mensch hat keine Herrschaft über sie. Sie erscheint als junge und verführerische Schönheit. Sie taucht auf als altes schrumpeliges Weib. Ihr spiritueller Name ist Ka-´ula-o-ke-ahi, die Röte des Feuers. Pele lebt in den Menschen fort, auch wenn das geschäftige Hawaii seinen Weg des Business geht. Sie gaben Pele einen Namen, nachdem sie mit ihren stolzen kleinen Auslegerbooten von stillen Eilanden über die Weiten des Pazifiks auf diesen lebendigen Inseln anlandeten. Feuerspeiende Berge und bebender Erdboden erschütterten die Seelen, und dies schuf neue Götter. Die Vorstellung einer belebten Natur, in der in allen Dingen ein Geist wirkt, brachten die Polynesier von ihren Herkunftatollen mit in die neue Heimat. Es war die Vorstellung, dass in allem `aumakua wirke, der Geist der Ahnen. „Tütü“ ist ein Kosename für Großeltern. Als Ende 1986 ein Lavastrom einen Großteil des Ortes Kalapana zerstörte, meinte einer der betroffenen Einwohner: „Ich liebte mein Haus, ich lebte hier, meine Vorfahren lebten hier und ich hatte es weiter gebaut – es ist mein Leben. Wenn aber Tütü es nehmen will, ist es gut, denn es ist ihr Land.“ Die ersten Früchte, die von den Rändern der Lavaflächen geerntet werden, gehören Pele. Und die Lava ist fruchtbar. Die Schweine durchpflügen die Landschaft nach Essbarem. Die Menschen kennen die Stellen, an denen die nahrhaften und heilwirkenden Pflanzen wuchsen. Und Pflanzen waren wichtig. Die polynesischen Seefahrer, welche die endlos erscheinenden Wasser des riesigen Pazifik befuhren, wussten, dass sie auf einem Planeten der Pflanzen unterwegs waren. Ihre Vorbereitungen waren systematisch und gründlich. Sie waren mit gutem Navigationsinstrumenten und Kartenmaterial ausgestattet. Die Seefahrten waren gut vorbereitet. Wer hier von Wilden spricht, die Erfahrungssegeln machen oder einfach in ein Nirgendwo (griechisch Utopie) aufbrachen, zeigt seine Ahnungslosigkeit über das durchdachte Wissen und die reifen Erfahrungen der frühen Menschen vor 2.000 oder 3.000 Jahren. Eine wichtige Fracht wurde immer sorgfältig zusammengestellt: Die Kanupflanzen, die auf der neuen Insel Grundlage für die neue Siedlung bildete. Sie wählten die Pflanzen achtsam aus und verstauten sie sorgfältig. Für die Neugründung benötigten die Siedler nur wenige Bausteine, die polynesischen Kulturen waren hocheffizient und sehr effektive Gemeinschaften, die in gut funktionierenden Königtümern und Staatswesen lebten. Um einen neuen Staat zu gründen, waren die Bedarfe auf wenige Elemente reduziert. Das Bishop Museum in Honolulu hat in seiner 112-jährigen Geschichte einen Fundus von 24,5 Millionen Artefakten der polynesischen Kultur aufgebaut. Es ist eines der Kompetenzzentren polynesischer Geschichte und Kultur. Die Forscher stellten sich die Frage: „Was benötigten die polynesischen Siedler?“ Die Antwort ergab eine überraschend überschaubare Anzahl von Elementen, die wirklich gebraucht wurden. In Neudeutsch könnte man sagen, die Polynesier betrieben ein „lean-settling“ (eine schlanke Besiedlung), in Anlehnung an die „lean production“ in der Industrie. Die Siedler brachten in die neue Welt nur eine kleine Anzahl Tier und Pflanzen mit, die als Nahrung und für den Hausbau, als Kleidung und Medizin sowie für religiöse und politische Zwecke genutzt werden konnten; kurz gesagt: es waren Staatsgründungen aus dem Koffer. Durch den richtigen Einsatz der sehr weniger und notwendiger Dinge wurden langlebige und glückliche Lebensgemeinschaften begründet. Die mitgebrachten Pflanzen und Tiere mussten kaum gepflegt werden, sie hatten jeweils besondere Eigenschaften, welche die Gestaltung des Alltags unterstützten und einfach machten. Anlässlich dieser hocheffizienten Reduktion auf das Wesentliche sei nochmals an die Wurzel des Wortes Kultur erinnert. Das lateinische Wort cultura bedeutet Ackerbau, Landbau, Pflege, Bearbeitung, aber auch Ausbildung und Bildung. Kultur ist die Pflege des Bodens und die Ausbildung der Menschen, damit Pflanzen, Tiere und Menschen und ihr Geist sich entwickeln und wachsen können. Die polynesischen Gründungen waren Kulturgründungen im ursprünglichen Sinn. Dies drückte sich auch in der Lebenssituation aus. Die Ernährungs- und Gesundheitslage der Bevölkerung war im Allgemeinen sehr gut, die Lebenserwartung lag in dem Bereich moderner Gesellschaften, die Lebensfreude und das Glück lag über den heutigen Werten, wenn man rückschauend eine „Work-Life-Balance“ (Arbeits-Lebens-Bilanz) ziehen will. Altern war nicht mit solchen hohen Lasten verbunden, die wir aus den heutigen europäischen und amerikanischen Gesellschaften kennen, und die als Begründung für die steigenden Soziallasten dienen. Selbst 80 jährige Greise und Greisinnen waren bei guter Gesundheit.