So nicht! Anklage einer verlorenen Generation (eBook)

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2013 | 1. Auflage
160 Seiten
Verlag Kremayr & Scheriau
978-3-218-00885-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So nicht! Anklage einer verlorenen Generation -  Bernhard Winkler
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Ein 23-Jähriger klagt an! Bernhard Winklers Vorwürfe sind hart: Die Politik hat keine Ideale mehr und kümmert sich nicht um die Perspektiven der Jugend: bei der Jobsuche, in der Bildungspolitik, bei der Altersvorsorge. Demokratie ist zur Farce verkommen, die Politiker leben nur mehr in der Defensive, schreibt er. Sein Aufschrei ist laut, offensiv und kommt zum richtigen Zeitpunkt. Sein Fazit: 'Reißt endlich das Ruder rum, sonst entern Piraten und Dagobert Ducks das Parlament.'

Bernhard Winkler, geboren 1989, war nach der Matura von 2008 bis 2010 Journalist bei den Oberösterreichischen Nachrichten, seit 2010 ist er PR-Mitarbeiter eines großen österreichischen Sportartikel-Unternehmens. Ab Herbst 2013 studiert er Jus in Linz.

Bernhard Winkler, geboren 1989, war nach der Matura von 2008 bis 2010 Journalist bei den Oberösterreichischen Nachrichten, seit 2010 ist er PR-Mitarbeiter eines großen österreichischen Sportartikel-Unternehmens. Ab Herbst 2013 studiert er Jus in Linz.

2. Anklagepunkt


Wie ich mein Interesse für Politik weckte und wie alles wieder zunichte gemacht wurde


Ich weiß nicht, welches Motiv genau dahintersteckte, als ich anfing, mich für Politik zu interessieren. Vielleicht wollte ich erwachsener wirken. Vielleicht faszinierten mich Menschen, die nicht nur wussten, was die Namenskürzel der Parteien ausgeschrieben hießen, sondern auch ihre inhaltliche Bedeutung erklären konnten.

Jedenfalls begann ich, Artikel über Politik in Zeitungen zu lesen und mir Berichte im Fernsehen anzusehen. Ich gefiel mir in der Rolle als Halbwüchsiger, der sich zwar noch das Marmeladebrot von der Erziehungsberechtigen streichen ließ, aber bereits wie ein mündiger Bürger mit der Zeitung beim Frühstück saß und aufmerksam verfolgte, was es im Parlament Neues gab. Beim Fernsehen am Abend tauschte ich die amerikanischen Serien gern gegen österreichische Diskussionssendungen und lauschte den Plädoyers der Politiker. Das Einzige, das mir dabei abging, waren die nachträglich hinzugefügten Publikumslacher. Schon damals hätte es genügend passende Momente dafür gegeben.

Meistens waren die morgendliche Zeitungslektüre und die Fernsehabende aber nicht mehr als Leseübungen und Berieselungen, weil ich nichts davon verstand. Ich hatte damals ein Wörterbuch neben dem Fernseher platziert, um unbekannte Wörter sofort nachschlagen zu können. Oft war mir auch nach dieser Recherche nicht klar, was ein Begriff bedeutete, und während ich noch darüber nachdachte, verwendete der Politiker schon das nächste Wort, das ich nicht kapierte. Oft wusste ich nicht einmal, wie es zu buchstabieren war und konnte es somit auch im Wörterbuch nicht finden.

Manchmal las ich einen Zeitungsartikel und hatte nach dem letzten Satz nicht die Spur einer Ahnung, um was es eigentlich ging. Nur wenige Jahre zuvor war ich im Fach Lesen in der Volksschule beim Vortragen von Texten und der anschließenden Nacherzählung in eigenen Worten eigentlich immer recht gut gewesen. Und jetzt, da anstatt der Schüler-Zeitschrift „Spatzenpost“ eine Tageszeitung vor mir lag, konnte ich mein vermeintliches Sprachentalent nur auf die handwerkliche Fähigkeit beschränken, das Subjekt, Prädikat und Objekt der gedruckten Sätze zu bestimmen. Ihr Inhalt lag verborgen wie ein zugeklapptes Buch mit einem Hängeschloss vor mir auf dem Tisch.

Das frustrierte mich und weckte Selbstzweifel. Es war jedes Mal aufs Neue ein mentaler Rückschlag, wenn die vielen Buchstaben, Wörter und Sätze sowohl einzeln als auch gemeinsam keinen Sinn ergaben. Heute weiß ich, dass praktisch jeder Erwachsene bisweilen mit demselben Problem konfrontiert ist, wenn er sich seine Lieblingszeitung zu Gemüte führt. In Zeiten von komplizierten Wirtschafts- und Staatskrisen mehr als je zuvor. Das bringt viele dazu, bei der Wahl der Tageszeitung an alte „Spatzenpost“-Erinnerungen anzuknüpfen.

Den Kampf mit der Tageszeitung focht ich jeden Tag aus. So viele Fachbegriffe, so viele Namen, so viele ungeschriebene zeitgeschichtliche Querverbindungen – wie sollte mein wissbegieriges, aber unerfahrenes Hirn das alles jemals richtig verarbeiten können? Ich fragte mich oft, warum die Redakteure für ihre Artikel nicht einfachere Worte verwendeten. Warum schrieben sie „essenziell“ statt „wesentlich“? Warum trafen sich Parteien mit möglichen Partnern zu „Sondierungsgesprächen“, anstatt über Inhalte zu reden?

Heute glaube ich die Antwort zu wissen. Der Autor eines Zeitungsartikels befindet sich beim Schreiben nicht, wie viele meinen, in einer Redaktion, sondern in einer Zwickmühle. Als Dienstleister für ein breites Publikum muss er seine Worte für eine Leserschaft formulieren, die vom politikinteressierten Jugendlichen bis zum Greis reicht, der das 20. Jahrhundert selbst erlebt hat und nicht mithilfe von Geschichtsbüchern nachlernen muss. So kommt es, dass der Journalist bei der Wahl seiner Worte zu einem Kompromiss gezwungen ist: Einerseits soll jeder verstehen, was er schreibt. Andererseits sollen sich Experten bei der Zeitungslektüre nicht langweilen. Und manchmal, so lautet meine böse Vermutung, soll das Geschriebene einfach nur intelligent wirken. Im Fall der letzteren nicht durch Fakten belegten Behauptung gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.

Ich suchte mir andere Wege, um politische Zusammenhänge besser verstehen zu können. Ich konzentrierte mich auf die österreichische Innenpolitik. Freilich war das keine bewusste Entscheidung. Mir erschienen Karl-Heinz Grassers Budgetreden in dem erheiternden Gemisch aus Kärntner Dialekt und Schönbrunner Deutsch nur weitaus spannender als George W. Bushs besorgte Miene, wenn er in texanischem Kauderwelsch über den Kampf gegen die selbst erfundene Achse des Bösen schwadronierte. Ich dehnte mein Interesse mit den Jahren auf Europa und die ganze Welt aus, sodass dieser Weg nicht zur Sackgasse wurde.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Jugendliche, Interesse an Politik zu entwickeln. Eine davon ist die Nachahmung politischer Präferenzen erwachsener Vorbilder. Ich beobachtete das in meinem Bekanntenkreis. Wenn etwa die Eltern stark mit einer Partei sympathisieren, kann sich diese Begeisterung leicht auf die Kinder übertragen. Oder im Gegenteil: Das Kind interessiert sich genau für die gegnerische Partei. Schließlich ist die Pubertät auch heute noch die Zeit des Aufmuckens. Zwar nicht unbedingt politisch, aber wenn Politik hilft, gegen die eigenen Eltern zu rebellieren, ist das im häuslichen Kampf um Macht und Anerkennung ein gutes Mittel zum Zweck.

Ebenfalls eine Strategie, die manchem Kind das Thema Politik näher bringt: Politiker zu finden, mit denen man sich auch abseits von Inhalten persönlich identifizieren kann. Die einem als Vorbild erscheinen. Das funktioniert allerdings fast nie über Inhalte, sondern über Banalitäten: Haarschnitt, Kleidungsstil, Hobby. Auch solche Dinge helfen Jugendlichen, Politik nicht völlig aus ihrem Leben zu streichen. Kein Wunder, dass bei überdurchschnittlich vielen von ihnen der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache gut ankommt. Er ist der einzige österreichische Parteichef, der sich abseits der gar nicht jugendlichen Inhalte zu einem betont jugendlichen Lebensstil bekennt. Oder zu dem, was er darunter versteht. Für einen Großteil der Bevölkerung ist das peinlich, für manche Jugendliche einfach nur cool.

Jeder junge Mensch lernt auch in der Schule über Politik. Die Schule ist ein Ort, an dem man sich grundsätzliches, neutrales Politikwissen aneignen kann. Das klingt gut. In höheren Schulen gibt es ein eigenes Fach dafür. Bei mir hieß das damals „Politische Bildung“. Das Schulfach kam aber eindeutig zu spät, um mein Interesse für Politik zu wecken. Denn das war längst erledigt. Erst im Alter von 17 Jahren absolvierte ich meine erste Unterrichtsstunde in diesem Fach.

Alle Neulinge auf diesem Gebiet hatten somit ein Jahr Zeit, um sich auf ihr Dasein als wahlberechtigte Staatsbürger vorzubereiten. Das war bei zwei Unterrichtsstunden pro Woche viel zu wenig. Also standen die Erstwähler bei der Entscheidungsfindung erst recht wieder allein da. Ihnen blieb der Wahlkampf als Informationsquelle. Sich aus dessen Versprechungen und Slogans eine fundierte Meinung zu bilden, war aber schlicht und einfach unmöglich. Irgendwie waren alle Parteien für niedrigere Steuern, für mehr Wohlstand, für Fairness in der Politik und für mehr Sacharbeit statt Streitereien. Da hätte man sich gewünscht, mehrere Stimmen zu haben, um alle Parteien für ihre guten Standpunkte belohnen zu können. Leider ließ sich aus geschliffenen Phrasen, Feuerzeugen in Parteifarben und Bierzelt-Reden keine Entscheidung für eine bestimmte Partei ableiten, die man mit mehr als einem Halbsatz begründen konnte.

Obwohl die wenigsten jungen Menschen gut informiert waren, wurde uns allen das Wahlrecht irgendwie als Pflicht jedes Staatsbürgers nahegelegt. Wählen zu gehen war offensichtlich wichtiger, als sich vorher eine gut begründete Meinung zu bilden. Das schmerzte mich besonders, nachdem ich jahrelang so viel Energie investiert hatte, um mir Wissen über Politik anzueignen. Plötzlich musste ich mir von Gleichaltrigen erklären lassen, dass sie sich für diese oder jene Partei entschieden, weil der Spitzenkandidat ihnen von allen zur Wahl stehenden „am sympathischsten“ war. Oder noch schlimmer: Jemand wählte eine Partei, weil das in der Familie so Tradition war. Fehlten nur noch Erstwähler, die sich die kostbare Stimme um Taschengeld abkaufen ließen. Bei der Nationalratswahl 2008 gingen dann jedenfalls fast alle aus meinem Bekanntenkreis wählen. Auch jene, die bis eine Woche davor eine Aversion gegen alles verspürten, was mit Politik zu tun hatte.

Letztlich war alles egal und umsonst: meine Überlegungen, welcher Partei ich meine Stimme geben sollte, meine Diskussionen mit Leuten, die sich nicht für Politik interessierten, meine Überzeugung, mit meiner Stimme etwas bewirken zu können, meine Brandreden für den hohen Stellenwert von Politik. Die in den nächsten Jahren aufgedeckten Korruptionsfälle aus der Zeit vor der letzten Wahl hatten meiner eigenen Meinungsbildung und meinen Argumenten in Diskussionen nachträglich jede Grundlage entzogen. Ich hatte später entdeckte Unwahrheiten als Fakten hingenommen und auf ihnen meine Meinung aufgebaut. Jene, die immer schon eine Abneigung gegen Politik hatten, waren im Recht. Leute wie ich waren im Unrecht.

Alle beschriebenen Möglichkeiten, bei Jugendlichen Begeisterung für Politik zu wecken, sind heute vernichtet. Der Umgang mit Wirtschafts-, Staatsschuldenkrisen und Korruption erstickt jeden winzigen Keim wachsenden Interesses an Politik. Inhaltliche Positionen werden so schnell revidiert, dass man nur schwer mitkommt. Die...

Erscheint lt. Verlag 6.5.2013
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Demokratie • Generationenvertrag • Gesellschaft • Jugend • Politik • Politik; Gesellschaft; Generationenvertrag; Jugend; Demokratie
ISBN-10 3-218-00885-9 / 3218008859
ISBN-13 978-3-218-00885-3 / 9783218008853
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