Island (eBook)
208 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-173-8 (ISBN)
Bis vor wenigen Jahren assoziierten die Deutschen mit Island vor allem unberührte raue Landschaften, heiße Quellen und Fischfang. Das änderte sich, als 2008 Bankenkrise und wirtschaftliche Turbulenzen weltweit für Schlagzeilen sorgten und zwei Jahre später die Asche des Eyjafjallajökull den internationalen Flugverkehr lahmlegte.
Marie Krüger, die seit mehr als zehn Jahren zwischen Reykjavík und Berlin pendelt, lässt sich weder von Katastrophenmeldungen noch von idyllischen Naturvorstellungen den Blick auf jenen Inselstaat verstellen, der geographisch wie kulturell zwischen Europa und Amerika liegt. Sie schreibt von der jahrhundertelangen Friedfertigkeit der Isländer, ihrem Faible für das Mittelalter, von einer ausgeprägten Blogger-Kultur und Geländewagen im Stadtverkehr, vom ersten demokratisch gewählten weiblichen Staatsoberhaupt der Welt und komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen. Eine echte Entdeckungsreise.
Jahrgang 1978, Skandinavistikstudium mit dem Schwerpunkt Island an der Humboldt-Universität zu Berlin und Studium der isländischen Literatur, Sprache und Geschichte in Reykjavik, unterrichtet Schwedisch und Isländisch, pendelt seit 2000 zwischen Reykjavik und Berlin, wo sie auch als Reiseführerin für skandinavische Gruppen arbeitet. Verschiedene Veröffentlichungen zu Island und Nordeuropa.
Marie Krüger: Jahrgang 1978, Skandinavistikstudium mit dem Schwerpunkt Island an der Humboldt-Universität zu Berlin und Studium der isländischen Literatur, Sprache und Geschichte in Reykjavik, unterrichtet Schwedisch und Isländisch, pendelt seit 2000 zwischen Reykjavik und Berlin, wo sie auch als Reiseführerin für skandinavische Gruppen arbeitet. Verschiedene Veröffentlichungen zu Island und Nordeuropa.
Zwischen den Kontinenten
Europäische Pioniere unter amerikanischem Schutz
Geografisch ist Island ein sehr junges Land, das sich fortlaufend verändert und neu entsteht. Als vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier von der Erde verschwanden, gab es Island noch nicht. Wo nordamerikanische und eurasische Platte auseinanderdriften, gibt es einen sogenannten Mantel-Plume – einen ständigen Strom magmatischen Materials, das hin und wieder als Lava die Erdoberfläche erreicht. Der jüngste Teil Islands ist die Insel Surtsey, die südwestlich des Festlandes liegt und 1963 vor den Augen der Weltöffentlichkeit entstand. Sie ist heute Sperrgebiet und nur für Forscher geöffnet. Im Grunde ist der Alltag in Island also ein permanenter Tanz auf dem Vulkan. Dessen sind sich alle bewusst und entsprechend ruhig laufen die Reaktionen bei Vulkanausbrüchen ab. Als sich 1973 eines Nachts mitten auf der dicht besiedelten Hauptinsel der Westmännerinseln eine Erdspalte öffnet und Lavafontänen in die Luft schießen, verlassen etwa 4000 Menschen ruhig und geordnet ihre Heimat, ohne zu wissen, ob und wann sie zurückkehren würden. Ähnlich gelassen sind die Reaktionen, als zu Beginn des Jahres 2010 der Vulkan unter dem Eyjafjalla-Gletscher ausbricht und zumindest die Bauernhöfe an seinem Fuße bedroht. In zahlreichen Fernsehinterviews schildern die Anwohner, dass sie vorerst bleiben wollten, schließlich könne ein Ausbruch genauso plötzlich enden, wie er begonnen habe.
Diese Abgeklärtheit in Hinblick auf natürliche Gegebenheiten wird sich schon bei den allerersten Siedlern gefunden haben, die in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts von Nordeuropa aus die Reise wagten, um auf einem Flecken Land zu siedeln, der ihnen auf den ersten Blick sehr unwirtlich erschienen sein muss. Im Angesicht der Gletscher war dann auch die Namensgebung naheliegend: Eisland – Island. Dies in Kauf zu nehmen und nicht zu wissen, ob und wie Ackerbau, Viehzucht und Jagd glücken könnten, zeugt von einem stoischen Optimismus und gewissen Leichtsinn – Eigenschaften, die auch die Investmentbanker an den Tag gelegt haben, die 2008 entscheidend zum Zusammenbruch der Isländischen Krone beigetragen haben.
Entgegen der etablierten Meinung, die Besiedlung Islands sei hauptsächlich von Norwegen aus geschehen, zeigen neueste genetische Untersuchungen, dass ein Großteil der Siedler von den keltischen Orkneys, Hebriden und Shetlandinseln gekommen sein muss. Mitten in Reykjavík findet sich eine interessante Ausstellung, die die Besiedlung Islands mithilfe eines an Ort und Stelle gefundenen Siedlungsrests erklärt und greifbar macht. Die Isländer können bei der Suche nach ihrem Ursprung nicht auf Völkerwanderung und Stammesgeschichte zurückblicken. Umso bemühter sind sie, ihr Jahr null zu finden, das lange bei ungefähr 874 vermutet wurde – einer Zeit also, zu der das lateinische Alphabet kaum etabliert war. Die Zeitangabe stammt aus der Landnámabók (»Buch von der Landnahme«), einer schriftlichen Quelle aus dem 13. Jahrhundert, und muss kritisch bewertet werden. Deshalb trägt die Ausstellung auch den Titel Reykjavík 871 ± 2, denn die gefundenen Siedlungsreste stammen aus dem Zeitraum zwischen 869 und 873, was wiederum nicht bedeutet, dass nicht schon vor 869 in Island gesiedelt wurde.
Archäologische Funde und deren Untersuchung wiegen bei der Suche nach dem Ursprung heute schwerer als das Vertrauen auf die schriftliche Überlieferung, die für Island enorm identitätsstiftend gewirkt hat. Aus keinem anderen europäischen Land sind so viele mittelalterliche Quellen – noch dazu in der eigenen Sprache – überliefert. Deshalb treffen in Reykjavík 871 ± 2 drei Komponenten aufeinander, die für das Selbstverständnis der Isländer entscheidend sind: Abstammung, mittelalterliche Schriftkultur und Vertrauen in technologische Entwicklungen.
Warum die ersten Siedler ihre Heimat verlassen haben, wird nach wie vor viel diskutiert. Fest steht, dass sie über gewissen Reichtum verfügt haben müssen. In Nordeuropa nahmen die Auseinandersetzungen zwischen immer stärkeren Bauern und König Harald Schönhaar zu, der in Norwegen ein Steuer- und Lehnsystem einführte, dem sich einige mächtige Männer nicht beugen wollten. Außerdem wuchs die Bevölkerung im 9. Jahrhundert in Nordeuropa sprunghaft an. Da zu dieser Zeit technische Fortschritte im Schiffbau erzielt wurden, eröffnete sich die Möglichkeit zur Seereise, von der die Wikinger Gebrauch machten, als sie von etwa 800 bis 1050 Gebiete in Schottland, Irland, Frankreich, England sowie Osteuropa und später auch in Südeuropa besetzten. Dabei kamen sie auch immer weiter nach Norden und siedelten erst auf den Färöer Inseln zwischen Norwegen und Island und schließlich in Island selbst. Um das Jahr 900 erreicht der Strom der Aussiedler seinen Höhepunkt, und mit einiger Sicherheit ist davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt etwa 20 000 Menschen in Island lebten. Insofern muss die Besiedlung Islands auch als typisches Phänomen einer Ära gesehen werden, die den Namen Wikingerzeitalter trägt.
So ist es nicht erstaunlich, dass die Isländer gern auf die Wikinger als ihre Vorfahren verweisen, doch ist dies wohl nur die halbe Wahrheit. Genetische Untersuchungen zeigen, dass zwar das Gros der männlichen Siedler aus dem skandinavischen, der Großteil der Frauen jedoch aus dem keltischen Raum kam. Das legt die Vermutung nahe, die Siedler hätten auf ihrer Überfahrt nach Island keltische Sklavinnen an Bord genommen oder aber zuerst keltisches Land erobert und/oder dort gesiedelt, bevor sie weiter nach Norden fuhren. Island musste zudem – im Gegensatz zu Irland und England – weder erobert noch später verteidigt werden, da es ja menschenleer war. Dennoch wird das Stereotyp des Wikingers gern bemüht, wenn die Isländer bei Spielen ihrer Fußball- oder Handballnationalmannschaft nicht nur Schals in Rot und Blau, sondern auch Helme mit Hörnern tragen. Und auch als Souvenir ist der Wikinger allgegenwärtig, was vermutlich daher rührt, dass das Wort Wikinger zum Beispiel im Englischen zum Synonym für Nordeuropäer geworden ist.
Ein Grund, sich in Island niederzulassen, war, dass es genug weites Land und eine Natur voller essbarer Tiere wie Seevögel, Fisch und Robben gab. Kriegerische Auseinandersetzungen waren kaum zu erwarten, und die Aufteilung des Landes geschah wohl relativ friedlich, eben weil es genug Raum gab und es sinnlos gewesen wäre, mehr Land zu beanspruchen, als man bewirtschaften konnte. Auch das will nicht so recht zum Bild des kriegerischen Berserkers passen, und es ist gerade Friedfertigkeit, die die isländische Geschichte in großen Teilen kennzeichnet.
Neben Gelassenheit, Mut und gewissem Startkapital waren auch technische Kenntnisse vonnöten, um die Seereise zu bewältigen. Für die Islandfahrt wurde meist ein besonderer Schiffstyp, die sogenannte Knorr verwendet, die wendiger als die für die Wikinger typischen Langschiffe war, schwere Ladung aufnehmen konnte, den Reisenden aber erstaunlich wenig Schutz bot. Der beeindruckende, originalgetreue Nachbau eines solchen Schiffes in einem Museum ganz in der Nähe des Internationalen Flughafens erlaubt es, sich ein Bild von den unfassbaren Lebensbedingungen an Bord zu machen. Auf diesem Schiff segelten im Jahr 2000 tatsächlich neun Isländer nach New York, um den Spuren Leif Erikssons zu folgen, von dem später noch berichtet wird. Außer Menschen kamen Haushaltsgegenstände, heidnische Reliquien und Haustiere mit an Bord. Die damals eingeführten Hühner, Rinder, Hunde, Schafe und Pferde sind die Urahnen der heutigen isländischen Rassen, die dem modernen Island als Werbeträger dienen.
Doch die Siedler importierten auch das Thing-System, das sich bei vielen germanischen Stämmen etabliert hatte, und legten so die Grundlage für eine Selbstverwaltung. Bei Versammlungen besprachen sich die mächtigen Männer und fällten gemeinsam Entscheidungen und Richtersprüche auf Grundlage der mitgebrachten norwegischen Rechtssprechung. Zudem wurde der Boden schon in den ersten Jahren der Besiedlung verbindlich untereinander aufgeteilt. Wuchs die Bevölkerung an einem Ort besonders, wurde das Land einer Sippe in mehrere kleine Einheiten aufgeteilt. Island war somit anfänglich für mittelalterliche Verhältnisse erstaunlich »demokratisch«, ja »republikanisch« organisiert. Das Ende der Besiedlungszeit markiert das Jahr 930, in dem die gesamtisländische Thingversammlung, das Alþingi, erstmals zusammentrat. Auch hier gilt, wie immer, wenn von den ersten Jahrhunderten die Rede ist, dass die schriftliche Überlieferung erst 200 bis 300 Jahre später beginnt und die Angaben somit vage bleiben müssen. Nichtsdestotrotz transportiert die unsichere Tradierung Geschichte(n), die für Islands Selbstverständnis so wichtig ist (sind), dass es fast schon eine geringere Rolle spielt, ob es sich um tatsächliche Ereignisse oder Mythen handelt. Besiedlung, Gründung des Alþingi, Selbstverwaltung und wikingisches Erbe sind in der allgemeinen Vorstellung zu Fakten geworden.
Wer...
Erscheint lt. Verlag | 11.8.2020 |
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Reihe/Serie | Länderporträts | Länderporträts |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
Reiseführer ► Europa ► Island | |
Schlagworte | Besitz • Bildung • Bloggen • Demokratie • Eyjafjallajökull • Familie • Fischfang • Frauen • Geld • Genealogie • Geschichte • Gletscher • Identität • Individualität • Insel • Länderporträt • Landschaft • Mittelalter • Nationalromantik • Natur • Natur und Technik • Nordeuropa • Politik • Republikgründung • Reykjavik • Reykjavík • Sprache • Unabhängigkeit • Vulkane • Vulkanismus • Wertvorstellungen |
ISBN-10 | 3-86284-173-1 / 3862841731 |
ISBN-13 | 978-3-86284-173-8 / 9783862841738 |
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