Mythos Titanic (eBook)

Das Protokoll der Katastrophe - drei Stunden, die die Welt erschütterten
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2012 | 1. Auflage
192 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-45831-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mythos Titanic -  Wolf Schneider
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Hundert Jahre Untergang der Titanic Keine Phantasie reicht an die schaurige Wahrheit heran, wie und warum am 15. April 1912 das Eiswasser des nächtlichen Atlantiks über der Titanic zusammenschlug, dem siebenstöckigen schwimmenden Palasthotel mit 762 Zimmern. 1490 Menschen wurde das größte Schiff der Welt zum Sarg, darunter 52 Kindern und vier Milliardären. Exakt nach den Protokollen der Überlebenden, ohne Ausschmückung und frei von Legenden erzählt Wolf Schneider in diesem atemberaubenden und reich bebilderten Bericht die letzten drei Stunden des Dramas gleichsam im Minutentakt nach. «Wolf Schneider ist ein Meister der deutschen Sprache.» Stern-Gründer Henri Nannen

Wolf Schneider, geboren am 07. Mai 1925 und gestorben am 11. November 2022, hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, darunter große, erzählende Bücher ebenso wie Standardwerke zu Sprache, Stil und Journalismus. Er war Soldat von 1943 bis 1945, Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung» in Washington, Verlagsleiter des «Stern», Chefredakteur der «Welt», Moderator der «NDR-Talk-Show» und 16 Jahre lang Leiter der Hamburger Journalistenschule. 2011 erhielt er den Henri-Nannen-Preis für sein Lebenswerk, 2012 wurde er vom «Medium Magazin» als Journalist des Jahres für sein Lebenswerk geehrt. Zuletzt erschienen bei Rowohlt «Der Soldat. Ein Nachruf» (2013) und «Denkt endlich an die Enkel! Eine letzte Warnung, bevor alles zu spät ist» (2019). Er lebte in Starnberg.

Wolf Schneider, geboren am 07. Mai 1925 und gestorben am 11. November 2022, hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, darunter große, erzählende Bücher ebenso wie Standardwerke zu Sprache, Stil und Journalismus. Er war Soldat von 1943 bis 1945, Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung» in Washington, Verlagsleiter des «Stern», Chefredakteur der «Welt», Moderator der «NDR-Talk-Show» und 16 Jahre lang Leiter der Hamburger Journalistenschule. 2011 erhielt er den Henri-Nannen-Preis für sein Lebenswerk, 2012 wurde er vom «Medium Magazin» als Journalist des Jahres für sein Lebenswerk geehrt. Zuletzt erschienen bei Rowohlt «Der Soldat. Ein Nachruf» (2013) und «Denkt endlich an die Enkel! Eine letzte Warnung, bevor alles zu spät ist» (2019). Er lebte in Starnberg.

So ist nie zuvor und nie danach ein Milliardär gestorben: Im Eiswasser des nächtlichen Atlantiks mit dem Erfrieren ringend, wurde John Jacob Astor von fünfzig Tonnen funkensprühenden Eisens erschlagen – einem der 24 Meter hohen Schornsteine der Titanic, der sich aus den Halterungen riss, als das Hinterschiff sich hoch wie ein Wolkenkratzer ins Wasser stellte. Hätte Astor nicht einen auffallenden Diamanten am Finger getragen und 4000 Dollar in den Taschen gehabt: Nie hätte man die Leiche identifizieren können, die da zerschmettert und rußverschmiert in der Schwimmweste hing.

Erst 28 Minuten zuvor hatte der Milliardär höflich gefragt, ob er seiner Frau ins Rettungsboot folgen dürfe, denn sie sei schwanger. Doch die Reichen wurden auf der Titanic nicht bevorzugt, einer offenbar unsterblichen Legende entgegen – es galt: Frauen und Kinder zuerst!

Wiederum 130 Minuten vor Astors Frage hatte der Eisberg den Unterleib der Titanic aufgeschlitzt, zehn Sekunden lang und überraschend sanft. Leiser hat selten eine Katastrophe begonnen als die um 23.40 Uhr am 14. April des Jahres 1912 bei spiegelglatter See, und keine hat mit einem grässlicheren Lärm geendet: aus tausend Kehlen die Entsetzensschreie, das klägliche Heulen, die gewinselten Gebete derer, die in Schwimmwesten im Eiswasser trieben, wobei die Kälte ihnen wie mit Messern in Bauch und Beine schnitt, während zwischen ihnen Kisten, Bretter, Korbstühle, Korkstücke, halbe Türen aus dem Wasser schnellten.

Viele paddelten in letzter Panik durch das Meer der Schreie auf die halbleeren Rettungsboote zu, die ihrerseits in Panik vor ihnen flüchteten, mit Ruderhieben auf die Hände derer, die den Bootsrand trotzdem erreicht hatten. Und auch aus manchem der Boote stieg Geheul zum Himmel, aus Angst vor dem Kentern, ja etliche der Geretteten grölten Seemannslieder oder brachen in Hochrufe aus, um die Todesschreie der Erfrierenden zu übertönen.

Manche Frauen hätten noch mehr geschrien, hätten sie nur geahnt, dass ihre Männer sich unter den Sterbenden befanden – doch wer wusste schon Bescheid in den Rettungsbooten? «Ich dachte, das wären nur die Männer von der Besatzung, die da schrien», gab Mrs. Eloise Hughes Smith später zu Protokoll, «oder vielleicht Zwischendeck-Passagiere, die den Untergang verschlafen hatten.»

Was im und über Wasser keiner hörte, das war das Röcheln und Brüllen jener Hunderte, die an Bord geblieben waren und dort ertranken, erstickten oder erschlagen wurden von niederstürzenden Dampfkesseln, Maschinenteilen, Möbeln, Klavieren, Wandverkleidungen, Kronleuchtern, Statuen und Palmentöpfen – während ihr 269 Meter langer Sarg zehn Minuten lang, den Bug voran, dem Grund des Ozeans entgegensank.

Ein siebenstöckiges Palasthotel mit drei Kellergeschossen, 762 Zimmern und mehr als sieben Kilometern Korridoren und Promenaden – das war die Titanic, mit dem üppigsten Luxus der Belle Époque ausgestattet und mit dem Geldadel zweier Kontinente an Bord. Doch nun sollte der Palast auch noch schwimmen, und das gelang ihm nur dreizehn Tage lang. Es war, als hätten die dröhnenden 46 000 PS in seinem Keller, betreut und befeuert von 325 Heizern, Kohlentrimmern, Maschinisten, allein dem Zweck gedient, so rasch wie irgend möglich den Eisberg zu rammen und den Palast in den Untergang zu jagen.

23.39 Uhr – 161 Minuten vor dem Ende: Mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von 22 Knoten durchpflügt die Titanic den Atlantik mit direktem Kurs auf New York. Fünf Eiswarnungen von anderen Schiffen hat sie erhalten – die erste vor 14 Stunden, die letzte vor 40 Minuten. Die Wassertemperatur ist binnen drei Stunden um sieben Grad gesunken, auf ein Grad unter null (womit beim salzhaltigen Meerwasser der Gefrierpunkt noch nicht erreicht ist).

Zwei Möglichkeiten hätte der Kapitän gehabt, um der Kollision mit einem Eisberg auszuweichen, stellt später die englische Untersuchungskommission fest, die in Konkurrenz zur amerikanischen arbeitet: Kurs nach Süd oder Südwest zu nehmen, also die Route zu verlängern – oder mit Einbruch der Dunkelheit die Geschwindigkeit zu drosseln.

«Warum tat er keins von beiden?», heißt es in dem Abschlussbericht. «Weil es seit mindestens einem Vierteljahrhundert üblich war, dass bei klarer Sicht die Ozeandampfer diesen Kurs einhielten, ihre Geschwindigkeit beibehielten und dem Ausguck vertrauten. Diese Übung war durch Erfahrung gestützt: Es waren keine Unfälle aus ihr gefolgt … Captain Smith versuchte nicht, eine Rekordfahrt zu machen; er versuchte nicht, irgendjemandem einen Gefallen zu tun. Er machte einen Fehler, einen sehr schmerzlichen Fehler; doch es lässt sich nicht behaupten, dass er grob fahrlässig gehandelt hätte.»

Es bleibt rätselhaft, wie unter diesen Umständen die Legende entstehen konnte, der Kapitän sei dem «Blauen Band» nachgejagt, dem Wimpel, den von 1838 bis 1969 jenes Passagierschiff trug, das den Atlantik am schnellsten überquerte. Darauf war die Titanic gar nicht angelegt: bauchiger und viel größer als die «Mauretania», Rekordhalterin seit 1907, und dabei mit weniger starken Maschinen (46 000 PS gegen 70 000 PS).

Nein, ihre Aufgabe war, den höchsten Luxus anzubieten, der je die Meere befahren hatte. Und pure Erfindung ist, was der Ufa-Film von 1943 genüsslich ausmalte: Lord Ismay, der Reeder, habe den Kapitän bestochen, um jeden Preis pünktlich oder vorzeitig in New York einzulaufen, um den Kurs der Reederei-Aktien in die Höhe zu treiben.

Was schließlich zu bedenken bleibt: Unmöglich konnte Captain Edward J. Smith so schlau sein, wie es seine Nachfolger durch den Untergang der Titanic geworden sind.

An Bord herrscht Ruhe um 23.39 Uhr. In der eisigen Aprilnacht ist keiner der 1316 Passagiere an Deck; einzelne Herren sitzen noch in den Rauchsalons, die meisten Fahrgäste haben sich in ihre Kabinen zurückgezogen. «Mein Mann und ich hatten an dem Dinner teilgenommen, das Mr. Ismay (der Reeder) gab», berichtete Mrs. Eloise Hughes Smith aus Philadelphia später. «Das Dinner war nicht besonders fröhlich, wir gingen gegen neun. Nebenan tranken wir noch Kaffee und Likör, halb zwölf ging ich ins Bett.» Das ist zehn Minuten vor der Kollision.

Die einen entkleiden sich gerade, andere lesen noch im Bett, die Mehrzahl schläft schon – wohlig eingehüllt in das größte, komfortabelste und scheinbar perfekteste Stück Technik, das der Mensch je auf die Natur losgelassen hat. Man wird auch vermuten dürfen, dass so manches Paar sich liebt, vertrauensselig wie nur je in einem so eleganten Hotel mit 762 Zimmern. Einige Paare sind gar auf Hochzeitsreise wie der 25-jährige Fabrikant George Harder aus Brooklyn und seine Frau, die die Katastrophe überleben.

Die Gouvernante Elizabeth Shutes allerdings kann nicht schlafen, weil ein Geruch sie irritiert: Von draußen weht es klamm herein wie aus jener Eishöhle, die sie am Eiger-Gletscher besucht hat.

Im Mastkorb («Krähennest») spähen die Matrosen Frederick Fleet und Reginald Lee in die sternklare, aber mondlose Nacht – nur sie. Warum ist kein zusätzlicher Ausguck am Bug postiert?, fragt später die englische Untersuchungskommission. Warum durchforscht nicht auf jeder Seite der Kommandobrücke ein Offizier die Dunkelheit? Beides ist auf dem nahen Frachter «Californian» geschehen, der später eine so unselige Rolle spielt. Und ist der hohe Mastkorb für den einzigen Ausguck nicht gerade der falsche Platz in einer mondlosen Nacht ohne Brandung, die am Eis aufglitzern könnte – müsste der Späher nicht gerade möglichst weit unten hocken, damit ein Eisberg sich wenigstens gegen die Sterne abhebt?

Und warum gibt es auf der Titanic keinen Suchscheinwerfer? Alle britischen Kriegsschiffe führen ihn längst; nur die Handelsmarine leistet sich noch den Leichtsinn, ihre Schiffe lediglich mit Positionslichtern auszustatten. «Ein Suchscheinwerfer hätte uns helfen können», sagen später der Zweite und der Dritte Offizier der Titanic vor dem amerikanischen Ausschuss übereinstimmend.

Auf nur vier Augen also ruht das Schicksal des größten Schiffes der Erde im matten Licht der Sterne. Unbewaffneten Augen noch dazu: Im Mastkorb war zwar ein Fernglas vorhanden, aber nur für die kurze Fahrt von Belfast nach Southampton – nicht von Southampton bis New York! Es klingt unglaublich, und so klang es schon 1912 in den Ohren der amerikanischen Senatoren, die die Überlebenden befragten: Haben Sie denn kein Fernglas angefordert? «Doch», erwiderte der Matrose Fleet, «aber man sagte uns, das sei nicht vorgesehen.» Angenommen, Sie hätten nach Southampton das Fernglas noch gehabt, das Sie vor Southampton hatten – hätten Sie dann den Eisberg auf größere Entfernung erkannt? «Ja, ein bisschen eher.» Wie viel eher? «Nun ja, genug, um dran vorbei zu kommen.» An zwei Sekunden wird dann auch wirklich alles hängen.

23.40 Uhr – 160 Minuten vor dem Untergang: Frederick Fleet sichtet vor dem Bug eine schwarze Masse und läutet die Alarmglocke zur Brücke hinab. Wie weit war die Masse entfernt, als Sie sie entdeckten?, fragt später Senator William Alden Smith, der Vorsitzende des amerikanischen Untersuchungsausschusses. «Keine Ahnung, Sir.» (450 Meter, nimmt die britische Kommission an.) Wie...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2012
Zusatzinfo Zahlr. s/w Fotos
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Atlantik • Ertrinken • Geschichte • Katastrophe • Kreuzfahrt • letzte drei Stunden • Palasthotel • Schiffe • Schiffsunglück • Schiffsuntergang • Schiffuntergang • Titanic • Tode
ISBN-10 3-644-45831-6 / 3644458316
ISBN-13 978-3-644-45831-4 / 9783644458314
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