Die fremde Braut (eBook)

Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland

(Autor)

eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30456-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die fremde Braut -  Necla Kelek
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Eine Türkin in Deutschland erklärt, woran die Integration immer wieder scheitertEine Geschichte von Liebe und Sklaverei, von Ehre und Respekt und von dem wichtigsten Ereignis im Leben einer türkischen Familie: der Hochzeit. Dieses sehr persönliche Buch ist ein Schlüssel zum Verständnis der türkisch-islamischen Kultur und räumt mit Multi-Kulti-Illusionen auf. Zeynep ist 28 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und lebt seit zwölf Jahren in Hamburg. Sie versorgt den Haushalt ihrer Großfamilie und spricht kein Wort Deutsch. Die Wohnung verlässt sie nur zum Koranunterricht. Sie ist eine »Import-Gelin«, eine Importbraut, eine moderne Sklavin. Tausende junger türkischer Frauen werden jedes Jahr durch arrangierte Ehen nach Deutschland gebracht. Die demokratischen Grundrechte gelten für sie nicht, und niemand interessiert sich für ihr Schicksal. Die türkisch-muslimische Gemeinde redet von kulturellen Traditionen, beruft sich auf Glaubensfreiheit und grenzt sich von der deutschen Gesellschaft ab. Und findet dafür Verständnis bei den liberalen Deutschen, die eher bereit sind, ihre Verfassung zu ignorieren als sich den Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit machen zu lassen. Necla Kelek, Türkin mit deutschem Pass, deckt die Ursachen dieses Skandals auf. Sie ist in die Moscheen gegangen und hat mit den »Importbräuten« gesprochen, sie forscht den Traditionen nach und zeigt, wie sich die Parallelgesellschaft verfestigt, an der die Integration immer wieder scheitert. Sie erzählt von ihrem Urgroßvater, einem Tscherkessen, der mit dem Verkauf von Sklavinnen an den Harem des Sultans zu Reichtum kam. Ihr Großvater raubte als Partisan seine junge Frau; der Vater kaufte seine Frau für zwei Ochsen und wurde als einer der ersten Türken »Gastarbeiter« in Deutschland. Und sie erzählt von ihrem eigenen Weg in die Freiheit. »Necla Kelek enthüllt eines der bestgehüteten Tabus: die extrem hohe Anzahl gekaufter Bräute mitten in Deutschland. Und sie erzählt am Beispiel des eigenen Lebens vom weiten Weg der zweiten Generation zu sich selber. Ein mitfühlendes, mutiges, Augen öffnendes Buch.«Alice Schwarzer

Necla Kelek wurde in Istanbul geboren und lebt in Berlin. Sie hat Volkswirtschaftslehre und Soziologie studiert und wurde zum Dr. phil. promoviert. Ihre Bücher »Die fremde Braut«, »Die verlorenen Söhne«, »Bittersüße Heimat« und »Him melsreise« sind Best- und Longseller und haben die Debatte um Integration und den Islam in Deutschland nachhaltig geprägt. Necla Kelek wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2005, dem Hildegard-von-Bingen-Preis 2009 und zuletzt dem Freiheitspreis 2011.

Necla Kelek wurde in Istanbul geboren und lebt in Berlin. Sie hat Volkswirtschaftslehre und Soziologie studiert und wurde zum Dr. phil. promoviert. Ihre Bücher »Die fremde Braut«, »Die verlorenen Söhne«, »Bittersüße Heimat« und »Him melsreise« sind Best- und Longseller und haben die Debatte um Integration und den Islam in Deutschland nachhaltig geprägt. Necla Kelek wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2005, dem Hildegard-von-Bingen-Preis 2009 und zuletzt dem Freiheitspreis 2011.

Im Palast des Sultans


Ali kam allein, und doch auch wieder nicht. In seiner Begleitung und in seinem Besitz hatte er 200 Sklaven und einen ganzen Hausstand an Silber, Samowaren, Geschirr, Schmuck, Waffen. Ali muss eine imposante Erscheinung gewesen sein. Etwa fünfunddreißig Jahre alt, ein Meter neunzig groß, strahlend blaue Augen, ein stolzer Bart und bekleidet mit der Tscherkeska, der Nationaltracht der Tscherkessen, einem hüftlangen, vielleicht roten oder schwarzen Rock mit schmalem Gürtel, kleinem Stehkragen und langen weiten Ärmeln, auf der Brust waren Schlaufen für Patronen aufgenäht. Im Gürtel eine Gurka, einen kaukasischen Silberdolch, vielleicht auch eine Pistole. Darüber eine Burka, ein bodenlanger Umhang mit weit abstehender Schulterpartie, der meist nur über einer Schulter getragen wurde. Auf dem Kopf eine Pelzmütze, an den Füßen schwarze Reiterstiefel.

Seine Ankunft in Istanbul sprach sich schnell herum. Er hatte an Bord, was im Osmanischen Reich wertvoller war als Silber und Teppiche. Er hatte, was Sultane, Wesire und reiche Kaufleute begehrten: schöne tscherkessische Frauen.

Obwohl der Sultan bereits 1847 die Sklavenmärkte offiziell geschlossen hatte, blühte der Handel mit schönen Frauen und Leibeigenen. Erst 1923 mit dem Sieg der türkischen Republik wurde das Verbot auch durchgesetzt. Aber noch Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich unter der Hand gute Geschäfte machen, und die Tscherkessen verfügten über exzellente Verbindungen zur Hohen Pforte, dem Herrscherhaus und der Regierung der Osmanen.

Der Ruf von der Schiffsladung schöner tscherkessischer Mädchen, die im Hafen von Istanbul angekommen sein sollte, drang bis in den neuen Dolmabahce-Palast am Bosporus, in dem Sultan Abdul Hamid II. herrschte, ein Despot. Sein Vorgänger Abdul Meschid I. hatte in seiner mehr als zwanzigjährigen Regierungszeit das Reich reformiert, ihm eine Verfassung und ein Parlament gegeben und mit Hilfe von europäischen Beratern auf den Weg zum aufgeklärten Absolutismus gebracht. Abdul Hamid II. löste dieses Reformwerk wenige Tage nach seiner Thronbesteigung wieder auf, suspendierte die Verfassung und entledigte sich des fortschrittlich gesinnten Großwesirs Mithat Pascha durch Mord. Dabei hatte die Tanzimat, die Rechts- und Verwaltungsreform, allen Türken erstmals bürgerliche Rechte gebracht – die Unverletzlichkeit der Person ohne Ansehen des Standes, die Sicherheit des Eigentums und die Abschaffung der lebenslangen Militärpflicht. Abdul Hamid II. kassierte diesen Fortschritt.

Man schickte die Geheimpolizei aus, die »Schergen des Yildiz«, um den Tscherkessen zu suchen. Es war nicht schwer, die 200 Ankömmlinge und ihren Besitzer ausfindig zu machen.

Für den gerade in Istanbul angekommenen Ali war die Lage verwirrend. Die Stadt litt noch unter den Folgen eines Erdbebens, Armenier lieferten sich in den Straßen der Stadt mit der Geheimpolizei des Sultans blutige Kämpfe, und die Gerüchte in den Gassen von Beyoglu besagten, dass mancher vorlaute Student in einen Sack gesteckt wurde und von der Spitze des Serails in die Strömung des Goldenen Horn gestoßen wurde.

Man fand Ali in Tophane und überbrachte ihm die Aufforderung des Serails, sich umgehend dort einzufinden. Wollte man ihn verhaften? Er wusste es nicht, als er sich auf seinen Kabardiner-Hengst setzte und in seiner besten Kleidung zum Palast aufmachte. Sein Pferd, das er aus der Heimat mitgebracht hatte, konnte er getrost vor dem Palast stehen lassen, es wäre ohnehin niemandem gelungen, den Hengst zu besteigen oder auch nur von der Stelle zu bewegen. Keiner außer seinem Herrn kann einen Kabardiner reiten. In den Bergen, aus denen Ali kam, musste das so sein, denn dort war es das größte Vergnügen unter den jungen Burschen gewesen, die Pferde des Nachbarn zu stehlen. Wem das Pferd gestohlen wurde, der verlor sein Gesicht. Und das war die größte Schmach. Ein Kabardiner bewahrte einen davor.

Der Palast war von einer hohen Mauer umgeben, niemand konnte von der Landseite aus die Palastanlage einsehen. Aber Ali hatte schon vom Schiff aus die Pracht des riesigen, ganz in Weiß und im Stil eines europäischen Schlosses gebauten Gebäudes gesehen, bevor er in den Hafen eingelaufen war. Er meldete sich am Haupttor und wurde von den Wachen barsch auf einen Nebeneingang für Lieferanten verwiesen. Er musste in einem der Torgebäude warten, wurde mehrfach nach Waffen durchsucht und erst Stunden später von einem Soldaten von Raum zu Raum eskortiert, misstrauisch beäugt von den Bediensteten. Dass er seinen Dolch ablegen musste, war eigentlich nicht zu akzeptieren. Ein Tscherkesse ohne Waffen war wie ein Mann ohne Arme. Aber die Regierung hatte Angst vor Mördern. Es waren mehr Sultane durch Gift, den Dolch oder die sei dene Schnur umgekommen, als eines natürlichen Todes gestorben. Ali verstand das nicht, das war nicht seine Welt, das waren keine Männer. Auch innerhalb der Palastmauern bot sich ein ihm ungewohnter Anblick: Da wuchsen Rosen in Reihen und Rondells, es gab große grüne Rasenflächen und Brunnen, aus denen das Wasser spritzte, und unzählige Diener, Beamte und Kutschen, die Gäste brachten.

Ali saß in der Wache des Palastes und wartete. Offensichtlich hatte man ihn vergessen. Niemand kam und bot ihm Tee an, und er begann langsam auf der Bank einzuschlafen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, ein Offizier rief seinen Namen, und zwei Soldaten forderten ihn auf mitzukommen. Sie brachten ihn in den Palast. Er stieg Treppen hinauf, und die Räume, die sie durchquerten, waren groß wie Moscheen und mit kostbaren Teppichen ausgelegt. Kristall-Leuchter hingen von den Decken herab, die so mächtig waren, dass sie nicht auf eine Eselskarre gepasst hätten.

Und wieder musste mein Urgroßvater warten, diesmal in einem Saal voller Spiegel und mit Stoff bespannten Wänden. Es herrschte eine Pracht, als befände er sich hier im Paradies auf Erden. Mit ihm warteten noch andere Effendis, einige von ihnen beäugten den Neuankömmling misstrauisch – wieder ein Tscherkesse, von denen es am Hof nur so zu wimmeln schien. Ali war der Einzige in einer Tracht. Alle anderen Männer trugen Schnauzer und schwarze Anzüge mit engen bis zum Knie reichenden Jacken, weiße Hemden, dunkle Krawatten und auf dem Kopf einen randlosen Hut, den Fes, der mit der europäischen Kleidung auch den Turban abgelöst hatte.

Ali fühlte sich unwohl, er wusste immer noch nicht, was man von ihm wollte. Und niemand redete mit ihm. Jedenfalls war er nicht verhaftet worden, dafür hätte man ihn nicht in den Palast bestellt. Vielleicht wollte man ihn stattdessen gleich mit der seidenen Schnur erwürgen oder zumindest zum Tod durch den Säbel verurteilen. Ali schwitz te, dachte an seine Heimat und bat Allah um Beistand. Er überlegte, was er tun würde, wenn er diese Stunde überleben würde, vielleicht eine Haddsch antreten. Dafür war es ohnehin Zeit. Vielleicht sollte er den Wesir – oder wer auch immer ihn vorgeladen hatte – bitten, ihm vor seinem Tod noch eine Pilgerfahrt nach Mekka zu gestatten. Das würde ihm der Kalif, oberster Gebieter aller Muslime, sicher nicht abschlagen.

Endlich ging eine Tür auf, ein Sekretär trat heraus, schloss die Tür wieder und bat nacheinander erst den einen, dann den anderen der wartenden Beys ins Nebenzimmer. Aber außer dem Sekretär kam nie wieder jemand heraus. Das beunruhigte meinen Urgroßvater. Was geschah hinter der Tür? Die wildesten Phantasien überfielen ihn. Dann wurde auch er hineingebeten, man fragte nochmals nach seinem Namen und teilte ihm mit, dass er gleich vor den Sultan treten und nur, wenn er gefragt würde, zu reden habe, den Blick auf den Boden gerichtet. Schlagartig wurde ihm übel. Er hatte schon einiges in seinem Leben durchgestanden, war auf wilden Pferden über Schluchten gesprungen und durch reißende Flüsse geschwommen, hatte seine Liebste verlassen und sich mit korrupten Kapitänen herumschlagen müssen. Aber dem obersten Herrn auf einem weichen Teppich gegenübertreten zu müssen, flößte ihm Furcht ein.

Mit weichen Knien, aber aufrecht schritt er in den Raum, in dem Sultan Abdul Hamid II. an seinem Schreibtisch in der Nähe des Fensters saß. Die Sonne schien trotz der vorgezogenen Vorhänge so hell, dass der Mann im Gegenlicht saß und Ali ihn nicht recht erkennen konnte. Er war so gekleidet wie die Männer im Saal. Mein Urgroßvater hielt den Kopf gesenkt und verbeugte sich. Der Sekretär sagte leise etwas zum Sultan, der nickte und wandte sich an den Gast: »Wir hören, ihr habt eine lange Reise hinter euch.«

Ali nickte, brachte gerade mal »Evet«, Ja, heraus und vergaß die Anrede.

»Ihr wisst, dass der Handel mit Menschen bei uns verboten ist?«

»Evet.«

»Ihr seid mutig, es dennoch zu versuchen. Nun ja, ihr seid ein Tscherkesse. In meinen Adern fließt mindestens so viel tscherkessisches Blut wie türkisches. Aber sagt das niemandem weiter.« Der Sultan lachte.

»Ich liebe die Mädchen aus deinem Volk, Händler. Es sind die schönsten, die ich kenne. Die Valide Sultan, meine Mutter, ist auch aus deinem Volk.«

»Evet.«

»Ich sollte dich einsperren oder besser noch nach Kars verbannen für deine Frechheit, hier, unter den Augen der Hohen Pforte, solche Geschäfte zu betreiben.«

»Evet.« Ali schwitzte, wie er noch nie in seinem Leben geschwitzt hatte.

»Aber es wäre schade um die schönen Frauen, die dann ohne Schutz wären.«

»Evet.«

»Bist du ein frommer Mann?«

Ali nickte heftig: »Evet.«

Der Sultan schwieg...

Erscheint lt. Verlag 5.5.2011
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Arrangierte Ehe • Deutschland • Ehre • Integration • Islam • Kiepenheuer & Witsch • Leben • Liebe • Multi-Kulti-Illusionen • Necla Kelek • Parallel-Gesellschaft • Türkisch
ISBN-10 3-462-30456-9 / 3462304569
ISBN-13 978-3-462-30456-5 / 9783462304565
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