Klimakriege (eBook)

Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird
eBook Download: EPUB
2010 | 1. Auflage
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-400724-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Klimakriege -  Harald Welzer
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Kampf um Trinkwasser, Massengewalt, ethnische 'Säuberungen, Bürgerkriege und endlose Flüchtlingsströme bestimmen schon jetzt die Gegenwart. Die heutigen Konflikte drehen sich nicht mehr um Ideologie und Systemkonkurrenz, sondern um Klassen-, Glaubens- und vor allem Ressourcenfragen. Der Autor plädiert für ein neues Denken und zeigt, was jetzt getan werden müsste, um Menschheitskatastrophen abzuwenden.

Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe. Er ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und des Norbert-Elias-Centers für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. In den Fischer Verlagen sind von ihm u. a. erschienen: »Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, »Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird«, »Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen«, »Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens« und - gemeinsam mit Richard David Precht - »Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist«. Seine Bücher sind in 21 Ländern erschienen.

Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe. Er ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und des Norbert-Elias-Centers für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. In den Fischer Verlagen sind von ihm u. a. erschienen: »Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, »Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird«, »Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen«, »Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens« und – gemeinsam mit Richard David Precht – »Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist«. Seine Bücher sind in 21 Ländern erschienen.

Klimakonflikte


Der Westen I


Im Jahr 2005 ist eine »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union« ins Leben gerufen worden. Hinter diesem sperrigen und bürokratisch klingenden Namen verbirgt sich eine höchst dynamische Institution, die die Überwachung der Außengrenzen der EU schlagkräftiger und effizienter machen soll. Dafür beschäftigt sie derzeit etwa einhundert Mitarbeiter und plant einen Einsatzpool von circa fünf- bis sechshundert mobil einsetzbaren Grenzpolizisten, die aus den Mitgliedstaaten kommen und – dies ist ein rechtliches Novum – auch außerhalb dieser Staaten grenzpolizeiliche Aufgaben übernehmen sollen. Die Agentur verfügt gegenwärtig über zwanzig Flugzeuge, dreißig Hubschrauber und mehr als hundert Schiffe, daneben über ausgefeilte technische Ausrüstung wie Nachtsichtgeräte, Laptops etc.

Da der offizielle Name offenbar zu unhandlich ist, hat man sich auf ein eingängiges Kürzel verständigt: Nach dem französischen »frontieres exterieures« heißt das Ganze jetzt sprechend »Frontex«, und es ist nicht auszuschließen, dass dieser Name programmatisch ist. Frontex arbeitet eng mit anderen Behörden wie EUROPOL zusammen, berät die örtlichen Grenzpolizeien an den Brennpunkten illegaler Migration und hilft, wie es heißt, »den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von gemeinsamen Rückführungsmaßnahmen gegenüber ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen«. [7]Ausreisepflichtige Drittstaatsangehörige sind Personen, die kein Asyl bekommen und wieder in ihre Herkunftsländer zurücktransportiert bzw., im offiziellen Sprachgebrauch, »repatriiert« werden, nachdem sie auf irgendeine Weise ein EU-Land bzw. eines der in das Schengener Abkommen einbezogenen Länder [8]erreicht hatten.

Das am 26.März 1995 in Kraft getretene Schengener Abkommen hat das Sicherungsproblem der Grenzen der Mitgliedsländer an die Außenränder Europas gelegt. Während innerhalb des Schengen-Raums Freizügigkeit herrscht, also Verzicht auf Grenzkontrollen etwa bei der Reise von Deutschland nach Holland oder Österreich, verlangt eine »Herkunftsstaatenregelung« von Asylbewerbern den Nachweis einer politischen Verfolgung, sofern sie aus als »sicher« eingestuften Ländern kommen; die »Drittstaatenregelung« sorgt hingegen dafür, dass Personen, die es geschafft haben, beispielsweise aus Sierra Leone in das spanische Andalusien zu gelangen und sich von dort nach Deutschland durchzuschlagen, von hier aus wieder umstandslos nach Spanien zurückgeschickt werden und in Deutschland niemals mehr einen Asylantrag stellen können. Dass diese Regelung den Druck auf die spanischen und portugiesischen, aber auch auf osteuropäische Grenzen erheblich erhöht hat, während die Bewerbungen um Asyl in Deutschland auf ein Viertel des Niveaus von 1995 abgesunken sind, ist nicht verwunderlich. Gerade daraus ergibt sich aber auf EU-Ebene die Frage, wie angesichts der schon gegenwärtig, künftig aber wegen des Klimawandels noch erheblich schneller anwachsenden Flüchtlingszahlen die europäischen Außengrenzen der EU wirksamer geschützt werden können, als es im Augenblick der Fall ist.

Deshalb wurde Frontex auf dem Verordnungswege eingerichtet und hat offenbar schon erste Erfolge zu verzeichnen – etwa in Gestalt eines erheblichen Rückgangs der auf den Kanarischen Inseln anlandenden Flüchtlingsboote. Die Flüchtlinge wiederum, die – meist in Schlauchbooten – 1200 Kilometer über das offene Meer aus Westafrika nach Gran Canaria oder Teneriffa fahren, sind Personen, die aus Ländern kommen, in denen Bedingungen herrschen, die ein Überleben nahezu unmöglich machen. Sie wurden wegen Staudammprojekten umgesiedelt, sind vor Bürgerkriegen geflohen und in Lagern oder Megastädten wie Lagos gelandet, wo drei Millionen Menschen in Slums leben und wo es weder Frischwasser noch Kanalisation gibt. Sie kaufen sich für nach ihren Verhältnissen exorbitante Summen bei so genannten Schleppern ein und bekommen einen Platz auf einem jener überfüllten, meist nicht seetüchtigen Boote, ohne Rückfahrschein, aber mit hohem Risiko, die Reise nicht zu überstehen. [9]Immerhin 30 000 haben es im Jahr 2006 lebend auf die Kanaren geschafft, was die dortigen Sicherheitsbehörden und nicht zuletzt auch die Tourismusindustrie vor beträchtliche Probleme stellt.

Andere Flüchtlinge nehmen die zwar nur 13 Kilometer lange Strecke über die Meerenge von Gibraltar, die aber wegen der dort herrschenden Strömungsverhältnisse und des dichten Schiffsverkehrs nicht minder gefährlich ist. Entsprechend erreicht eine große Zahl der Flüchtlinge die gegenüberliegenden Ufer Spaniens oder Portugals nicht, von wo aus sie aber in der Regel ohnehin zurückgeschickt würden; Schätzungen gehen davon aus, dass allein im Jahr 2006 ungefähr 3000 Personen unterwegs ertrunken sind. Das erwähnt auch Frontex, das gerade in der Vermeidung »der unter lebensbedrohenden Umständen erfolgenden illegalen Einreiseversuche« ein wichtiges Anliegen hat. [10]

Da man den Flüchtlingen ihre Motive, Europa um jeden Preis erreichen zu wollen, nicht nehmen kann und sie, je effektiver Frontex arbeiten wird, auf desto gefährlichere Routen ausweichen werden, läge die ideale Form der Grenzsicherung natürlich darin, die EU-Außengrenzen nach Afrika zu verlegen, um die Flüchtlinge von vornherein daran zu hindern, den Kontinent zu verlassen. Schon im Oktober 2004 hatte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily den Vorschlag gemacht, in Afrika Auffanglager einzurichten und gleich an Ort und Stelle zu prüfen, ob ein Asylanspruch bestehe oder nicht. [11]Diese Idee erzeugte bei den meisten anderen Innenministern der EU erhebliches Unbehagen und stieß zugleich auf heftige Proteste von Menschenrechtsorganisationen. Die Suche nach anderen Lösungen und die entsprechenden Verhandlungen mit der Afrikanischen Union gestalten sich bis heute noch zäh, sodass zu einer verschärften Grenzsicherung gegenwärtig keine Alternativen bestehen, wenn man diese Leute nicht nach Europa hereinlassen will. Die Lage in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla versinnbildlicht das Problem geradezu, indem die Grenzanlagen beständig verstärkt und erhöht werden, während die Flüchtlinge immer verzweifelter Mittel ersinnen, um über die Zäune zu klettern – etwa in Form eines Massenansturms wie im September 2005, als etwa 800 Personen gleichzeitig die Grenze zu stürmen versuchten.

Mittelfristig wird den bedrängten Ländern innovative Technik Entlastung verschaffen – so wie an der amerikanischen Grenze zu Mexiko, wo gegenwärtig ein zwei Milliarden Dollar teures Barrieresystem geplant wird, das unter anderem erlaubt, die Positionen potenzieller Grenzverletzer per GPS zu ermitteln und via live stream an die Laptops der am nächsten patroullierenden Grenzpolizisten weiterzuleiten. Man erwartet, dass die Zahl der illegalen Grenzübergänger dadurch drastisch reduziert werden kann. Im Jahr 2006 wurden 1,1 Millionen Personen an dieser Grenze verhaftet. Das US-Repräsentantenhaus hat im September 2006 dem Plan zugestimmt, einen 1125 Kilometer langen Hightech-Zaun zu errichten, der die erwähnten Sicherungsfunktionen unterstützt. Die Grenze ist zwar insgesamt 3360 Kilometer lang, aber man geht davon aus, dass die Maßnahmen viele potenzielle Grenzverletzer abschrecken werden, denn das verbleibende Gelände ist kaum begehbar, da es entweder aus Wüsten- oder aus Bergland besteht; der kürzeste Fußmarsch beträgt 80 Kilometer. Zwischen 1998 und 2004 sind an dieser Grenze 1954 Personen gestorben.

Amerika und Europa werden sich künftig wirksamer schützen müssen vor dem Ansturm der befürchteten Millionen von Flüchtlingen, die wegen des Klimawandels zu erwarten sind – Hunger, Wasserprobleme, Kriege und Verwüstungen werden für einen kaum abschätzbaren Druck auf die Grenzen der Wohlstandsinseln Westeuropa und Nordamerika sorgen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass »aktuell 1,1 Milliarden Menschen über keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser in ausreichender Menge und Qualität verfügen. Diese Situation«, heißt es weiter, könne »sich in einigen Regionen der Welt weiter verschärfen, weil es durch den Klimawandel zu größeren Schwankungen in den Niederschlägen und der Wasserverfügbarkeit kommen dürfte«. [12]

Zudem seien weltweit 850 Millionen Menschen unterernährt, eine Zahl, die aus Sicht des Gutachtens infolge des Klimawandels ebenfalls erheblich ansteigen kann, weil die zu bewirtschaftenden Anbauflächen kleiner werden. Die daraus resultierenden internen Verteilungskonflikte führen zu einem erhöhten Risiko von Gewalteskalationen mit den entsprechenden Folgen für Bevölkerungsverschiebungen und Migrationen, weshalb die Zahl der so genannten Migrationsbrennpunkte zunehmen wird. Entwicklungspolitik sollte vor diesem Hintergrund, so schlägt der WBGU vor, als »präventive Sicherheitspolitik« verstanden werden.

Diese Entwicklungen geben einen Vorgeschmack darauf, was passieren wird, wenn die Flüchtlingsströme durch den Klimawandel...

Erscheint lt. Verlag 23.12.2010
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Afrika • Asyl • Darfur • EU • Flüchtling • Frontex • IPCC • Klimakonflikt • Klimakrieg • Klimawandel • Krieg • Kriegsökologie • Marokko • RAF • Ruanda • Sachbuch • Sudan • Terrorismus • Überschwemmung • Umweltkonflikt • Ungerechtigkeit • USA
ISBN-10 3-10-400724-1 / 3104007241
ISBN-13 978-3-10-400724-3 / 9783104007243
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