Von Alkohol bis Zucker (eBook)

Zwölf Substanzen, die die Welt veränderten
eBook Download: EPUB
2010 | 1. Auflage
224 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-8518-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Von Alkohol bis Zucker -  Christian Mähr
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Chemische Substanzen haben unsere Welt unwiderruflich verändert. Manchem sind sie nicht geheuer, dabei wirken sie auf den ersten Blick ganz unscheinbar. Aus unserem Leben sind sie ohnehin nicht wegzudenken. Und ihre wahren Stärken bleiben dem Auge verborgen. Christian Mähr erzählt die verblüffenden Hintergründe der zwölf wichtigsten Substanzen. Wussten Sie, dass die Weltgesundheitsorganisation das seit Jahrzehnten verteufelte DDT seit Neuestem als Wundermittel gegen Malaria empfiehlt? Dass die Zuckerproduktion seit einem halben Jahrtausend stetig steigt - unterbrochen nur vom Sklavenaufstand 1800 in Haiti? Es sind Geschichten um menschliche und unmenschliche Träume, Reportagen über Wünsche, Gier, Krankheit und Hoffnung. Von Benzin bis Soda, von Anilin bis Penizillin verfolgt Christian Mähr die chemischen Spuren in unserem Leben.

Christian Mähr wurde 1952 in Feldkirch im Vorarlberg geboren und lebt als Autor und Journalist in Dornbirn. Der promovierte Chemiker arbeitete jahrelang beim Österreichischen Rundfunk für die Redaktionen Wissenschaft und Umwelt. Bei DuMont veröffentlichte er den Band >Vergessene Erfindungen< (2002) sowie zahlreiche Romane, zuletzt erschien >Tod auf der Tageskarte< (2014).

DDT

DDT – Dichlordiphenyltrichloräthan. Schon die zungenbrecherische Bezeichnung hat etwas Abschreckendes, vor allem, wenn sie wie hier in einem Wort geschrieben wird. Das erinnert an gewisse Buchstabenrätsel, bei denen man bekannte Wörter aus einer zwischenraumlosen Kette herauslesen muss. Woher soll ein normaler Mensch wissen, wo ein Wortbestandteil aufhört und der andere anfängt? Dabei bezeichnet das Wortmonster nichts anderes als die Bestandteile des Moleküls. di- und tri- sind die aus dem Griechischen stammenden Zahlbezeichnungen für »zwei« und »drei«. Warum Griechisch? Weil die Wissenschaftler, die diese Benennungen im 19. Jahrhundert eingeführt haben, sich gar nichts anderes vorstellen konnten als Griechisch oder Latein, wenn es um wissenschaftliche Bezeichnungen ging, egal, ob Medizin, Zoologie, Physik oder Chemie betroffen waren. All diese Herrschaften hatten ein humanistisches Gymnasium besucht und waren mit Griechisch traktiert worden. Diese Griechenaffinität der abendländischen Naturwissenschaft ist ein Beispiel für die seltsame Tatsache, dass zeitlich weit auseinander liegende Epochen geistig näher verwandt sind als zeitliche Nachbarn. Der Grieche Demokrit hatte sich schon lange vor Christi Geburt die Atome ausgedacht (und niemals etwas in die Hand genommen, was einem wissenschaftlichen Instrument auch nur entfernt ähnlich gesehen hätte). Dabei übersah man großzügig, dass der die letzten tausend Jahre deutlich populärere Grieche Aristoteles von den Atomen überhaupt nichts hielt. Aber das durfte man verzeihen, vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bis in die Gegenwart des 19. Jahrhunderts bedeutende Köpfe die Existenz von Atomen bezweifelten. Der österreichische Physiker Ernst Mach, nach dem die Einheit der Schallgeschwindigkeit benannt ist, pflegte jedes Gegenüber, das von Atomen zu reden begann, mit der berühmten Sentenz zu unterbrechen: »Ah, Atome! – Ham´s’ scho eins gsehn?«

Aber es ist wahr: Eben weil Demokrit die Existenz kleinster unteilbarer Teile der Materie, sogar unterschiedliche Sorten von ihnen durch reine Spekulation gewonnen hatte, hätte er die Struktur einer Substanz wie DDT verstanden. Hergeholt mit einer Zeitmaschine aus dem vierten Jahrhundert v. Chr., würde man ihm die Sache in fünf Minuten auseinandersetzen (flüssiges Altgriechisch vorausgesetzt). Dasselbe stieße bei einem Scholastiker des Hochmittelalters auf deutlich größere Schwierigkeiten – wie auch bei ganz normalen Mittelschülern der Gegenwart.

Wenn man es einfach macht, dieses Erklären, braucht es aber nicht einmal fünf Minuten.

Die Abkürzung Cl steht für jeweils ein Chloratom, alle Ecken in der Zeichnung sind von Kohlenstoffatomen (C) besetzt, die Wasserstoffatome (H) sind weggelassen, die dürfen Sie selber einzeichnen. Wo? Ganz leicht: überall, wo mehrere Bindungsstriche zusammenkommen, müssen vier Striche abzweigen, sind es nur drei, darf man einen vierten einzeichnen mit einem Wasserstoffatom am Ende.

Was als Erstes auffällt – eine Menge Chlor in diesem Molekül. Tatsächlich ist DDT der einprägsamste Vertreter der von Grünbewegten so heftig gescholtenen Chlorchemie. Das berüchtigte Dioxin enthält ebenfalls einen Haufen Chlor an solchen Sechsecken, ist aber deutlich giftiger als DDT. Der ukrainische Präsident Juschtschenko wird das bestätigen; er wurde mit Dioxin vergiftet und hat nur mit Glück überlebt. Dieselbe Menge DDT hätte überhaupt keine Wirkung erzeugt.

Wie entsteht eine solche Formel? Wie kommt sie in die Welt? Was ist die Absicht, so etwas herzustellen? Der Schweizer Chemiker Paul Hermann Müller erhielt 1948 den Nobelpreis für Medizin für seine Entdeckung, dass DDT Insekten tötet. Wie bitte? Man muss diesen Satz ein wenig wirken lassen: Dieses Komitee vergibt den höchsten Wissenschaftspreis an einen Menschen namens Müller für ein Mittel gegen Mücken? Dabei hat er die Substanz gar nicht selbst – nein, nicht entdeckt, sondern erschaffen. Endecken kann man nur, was in der Natur schon vorkommt. DDT kommt nirgends vor. Nicht auf der Erde, nicht in diesem Teil des Universums. Es muss hergestellt werden. Das tat als Erster der Österreicher Othmar Zeidler im Jahre 1874. Um ein Insektenmittel zu gewinnen? Ach woher! Der damals fünfundzwanzigjährige Zeidler studierte in Straßburg beim berühmten Professor Adolf v. Baeyer und hatte einfach dem Auftrag, im Rahmen seiner Doktorarbeit gewisse Substanzen herzustellen. Natürlich nicht irgendwelche ausgedachte Formeln, sondern die Ergebnisse von Reaktionen, die »vielleicht gehen« … In seinem Fall war das die Reaktion von Chlorbenzol (links) und Chloral (rechts).

Am Chlorbenzol sind an den Ecken noch 5 Wasserstoffatome zu ergänzen, das Chloral ist komplett. Das nackte Sechseck ohne Chlor ist Benzol, das im Steinkohlenteer vorkommt. Mit Chlor entsteht daraus Chlorbenzol, ein weißes Pulver, das nach Mottenkugeln riecht. Es ist giftig. Man verwendet es als Lösungsmittel für Fette, Öle und Harze – als solches darf es mit den Stoffen, die man darin auflösen will, nicht reagieren. Das tut es auch nicht, Chlorbenzol ist ziemlich reaktionsträge. Vielleicht, dachte sich wohl Adolf v. Baeyer, reagiert es aber doch mit einem Partner, der entsprechend reaktionsfreudig ist? Zum Beispiel mit Chloral. Die 3 Chloratome in diesem Molekül machen das zweite Kohlenstoffatom, an dem der Sauerstoff hängt, nämlich richtig »scharf«; sie ziehen ihm Elektronen aus seiner Hülle ab, weshalb es elektrisch positiv wird und sich schleunigst an geeignete Partner anlagert, die irgendwo eine Elektronenwolke herausstehen haben. Das Bestreben geht immer dahin, Ladungen auszugleichen und einen niedrigen Energiezustand zu erreichen – keine getrennten Ladungen, keine Spannungen und so weiter.

Eine solche Elektronenwolke besitzt das sechseckige Chlorbenzolmolekül, man nennt das Ganze dann elektrophile Addition, also »elektronenliebende Anlagerung«, das ist genau, was das positivierte Chloral macht; es »liebt« die Elektronen der Ringmoleküle sogar so sehr, dass es sich an zwei davon anlagert. Der Sauerstoff wird als Wasser abgespalten: Um das zu erreichen, muss man nur ordentlich konzentrierte Schwefelsäure verwenden, damit wären wir auch schon beim Kochrezept: Man mischt Chlorbenzol mit Chloral und Schwefelsäure und rührt kräftig durch. Alles Weitere passiert von allein, sogar so heftig, dass gekühlt werden muss (durch die Zugabe von Eis). Ob das Ganze im Labor oder in der Fabrik stattfindet, macht in diesem speziellen Fall keinen großen Unterschied, man braucht einfach ein säurefestes Gefäß, einen Rührer und Geduld.

Nach acht Stunden hat ein Industrieansatz durchreagiert, das Produkt DDT ist praktischerweise ein Feststoff und lässt sich von der Schwefelsäure abfiltrieren, die Reinigung des Produktes erfolgt durch Standardoperationen, die hier nicht interessieren. Worauf ich mit dieser relativ genauen Schilderung hinauswill: Es ist sozusagen keine Kunst. Auch dem guten Othmar wird die Aufgabe keine schlaflosen Nächte bereitet haben, die Reaktion gelingt auch mit den Labormitteln des 19. Jahrhunderts. Er stellte die Substanz her, reinigte sie, stellte den Schmelzpunkt fest (109 Grad Celsius) und die Summenformel (C14H9Cl5), schrieb das Ganze säuberlich in seine Dissertation – und das war’s. Es ging einfach darum, ob diese Reaktion funktionierte und was dabei herauskam: Chlorbenzol und Chloral ergibt Dichlordiphenyltrichloräthan. Aha. Insektizide Wirkung? Davon ist keine Rede.

»Beitrag zu Kenntnis der Verbindungen zwischen Aldehyden und aromatischen Kohlenwasserstoffen« hieß die Doktorarbeit Zeidlers, er hat also noch andere Produkte hergestellt, später übernahm er eine Apotheke in Wien, 1911 ist er gestorben, von der insektentötenden Wirkung seines DDT hat er nie erfahren – und er hat, ich wage diese Vermutung, an diesen speziellen Stoff in seinem späteren Leben nie mehr einen Gedanken verschwendet. Leicht möglich, dass Othmar Zeidler nicht nur der erste Mensch war, der DDT synthetisierte, sondern für sechs Jahrzehnte auch der letzte: die Substanz war zu nichts zu gebrauchen. DDT diente als Mosaikstein zur Erlangung eines Doktortitels und zu nichts sonst.

Sechzig Jahre später: Die Schweizer Chemiefirma Geigy AG war bisher auf sogenannte Feinchemikalien spezialisiert; ihr Renner war ein Wollfarbstoff. Ende der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts fanden die Inhaber, dass sich Geigy breiter aufstellen müsste, wenn die Firma konkurrenzfähig bleiben wollte. Sie hatte circa hundertachtzig Jahre vorher als Handelsunternehmen für »Materialien, Chemikalien, Farbstoffe und Heilmittel aller Art« begonnen, erst später Pflanzenfarben extrahiert und ab 1859 den Farbstoff Fuchsin hergestellt.

Nach der Krise von 1929 litt auch die chemische Industrie der Schweiz unter einem Konjunktureinbruch; um nicht allein auf die Textilfarbstoffe angewiesen zu sein, bedurfte es der Diversifizierung und neuer Forschungsfelder. Forschungsleiter Paul Läuger erhielt den Auftrag, nach synthetischen Insektiziden zu suchen. Das sind solche, die man aus einfachsten Grundbestandteilen im Labor zusammenkocht – das Gegenteil, die natürlichen Insektizide, kommen eben als Naturprodukte schon in Pflanzen vor. Zum Beispiel das schon im 19. Jahrhundert bekannte Pyrethrum, ein Insektenpulver, das aus verschiedenen Chrysanthemenarten gewonnen und auf dem Balkan und in Russland angebaut wurde. Warum hat man dann nicht einfach diese Naturstoffe analysiert, sprich ihre Struktur aufgeklärt und dann im Labor nachgebaut? Weil diese Substanzen kompliziert gebaut sind; entsprechend kompliziert und teuer ist die Synthese. Im Fall...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2010
Zusatzinfo 7 schw.-w. Abb.
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Naturwissenschaften Chemie
Technik
Schlagworte Chemie • DDT • Geschichten • Hintergründe • Penizillin • Reportagen • Soda • Zuckerproduktion
ISBN-10 3-8321-8518-6 / 3832185186
ISBN-13 978-3-8321-8518-3 / 9783832185183
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