Tiere essen (eBook)
400 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30219-6 (ISBN)
Jonathan Safran Foer gehört zu den profiliertesten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Seine Romane »Alles ist erleuchtet«, »Extrem laut und unglaublich nah« und »Hier bin ich« wurden mehrfach ausgezeichnet und in 36 Sprachen übersetzt. Sein Sachbuch »Tiere essen« war ebenfalls ein internationaler Bestseller. Foer lebt in Brooklyn, New York.
Jonathan Safran Foer gehört zu den profiliertesten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Seine Romane »Alles ist erleuchtet«, »Extrem laut und unglaublich nah« und »Hier bin ich« wurden mehrfach ausgezeichnet und in 36 Sprachen übersetzt. Sein Sachbuch »Tiere essen« war ebenfalls ein internationaler Bestseller. Foer lebt in Brooklyn, New York. Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, »Sachen machen«, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Bestsellerroman »Der Pfau« und 2019 »Laufen«. 2024 erscheint ihr neuer Roman »Wohnverwandtschaften«. Ingo Herzke, geboren 1966, lebt in Hamburg und übersetzt aus dem Englischen, u. a. Alan Bennett, A. M. Homes, Bret Easton Ellis, A. L. Kennedy und Gary Shteyngart. Brigitte Jakobeit lebt in Hamburg und überträgt seit 1990 englischsprachige Literatur ins Deutsche, u.a. Werke von William Trevor, Alistair MacLeod, Audrey Niffenegger und Jonathan Evison.
Die Früchte von Stammbäumen (S. 13-15)
als ich klein war, verbrachte ich das Wochenende oft bei mei ner Groß mut ter. Wenn ich freitag abends an kam, hob sie mich vom Boden hoch und drückte mich so fest, dass mir fast die Luft weg blieb. Und wenn ich am Sonn tag nach mit tag fuhr, wur de ich wie der in die Luft gehievt. Erst Jahre später wur de mir klar, dass sie mein Gewicht kontrollierte.
Mei ne Großmut ter überlebte den Krieg, weil sie bar fuß in den Abfällen anderer Leute nach Nahrung suchte: nach vergammelten Kartoffeln, weggeworfenen Fleischstücken, Schalen und den Resten, die an Knochen und Obstkernen hingen. Deshalb störte es sie nie, wenn ich über die Ränder malte, so lange ich nur Gutscheine entlang den gestrichelten Linien ausschnitt. Wenn wir uns am Hotelfrühstück labten, schmierte sie ein Sandwich ums ande re, wickelte sie in Servietten und verstaute sie als Mittagessen in ihrer Tasche. Von meiner Großmutter lernte ich, dass ein Teebeutel so viele Tassen Tee ergibt, wie man braucht, und dass alles am Apfel ess bar ist.
Um Geld ging es dabei nicht. (Vie le der von mir aus geschnitte nen Gutschei ne waren für Lebensmittel, die sie nie kaufte.) Um Gesundheit ging es dabei auch nicht. (Sie wollte immer, dass ich Cola trin ke.)
Meine Großmutter deckte nie für sich auf, wenn die ganze Familie zusammen aß. Selbst wenn es nichts mehr zu tun gab – keine Suppe mehr verteilt, kein Topf mehr gerührt und kein Herd im Auge behalten werden musste –, blieb sie wie ein Wachposten (oder eine Gefangene) in der Küche. Für mich sah es so aus, als ob sie schon vom Zubereiten der Speisen satt würde und des halb nicht mehr essen musste.
In den Wäldern Europas aß sie, um lange genug am Leben zu bleiben, bis sie wie der Gelegenheit hatte zu essen, um am Leben zu bleiben. 50 Jahre später in Ameri ka aßen wir alles, was uns schmeck te. Unsere Schränke waren voll mit nach Lust und Laune gekauften Lebensmitteln, überteuerte Feinschmeckerkost, Essen, das wir nicht brauchten. Und wenn das Verfallsdatum abgelau fen war, warfen wir es weg, ohne daran zu riechen. Essen war etwas Sorgenfreies. Meine Großmutter hatte uns dieses Leben ermög licht. Sie selbst konnte die Verzweiflung allerdings nicht abschütteln.
Als Kin der hielten mei ne Brüder und ich unsere Großmutter für die tollste Kö chin aller Zeiten. Wir sag ten es ihr, wenn das Essen auf den Tisch kam, und wie der nach dem er sten Bissen, und noch ein mal am Ende: »Du bist die tollste Köchin al ler Zeiten. « Da bei waren wir klug genug, um zu wissen, dass die toll te Köchin aller Zeiten vermutlich mehr als nur ein Re ept (Hühnchen mit Möhren) beherrschen sollte und dass zu den meisten tollen Rezepten mehr als zwei Zutaten gehörten. Und warum fragten wir nicht nach, als sie uns sagte, dass dunkle Lebensmittel grundsätzlich gesünder seien als helle oder dass sich die meisten Nährstoffe in der Schale oder Kruste befänden? (Die Sandwiches bei unseren Wochenendbesuchen bestanden aus aufbewahrten Pumpernickelenden.) Sie brachte uns bei, dass Tiere, die größer sind als wir, sehr gut für uns sind, Tiere, die kleiner sind als wir, auch gut für uns sind, dann kommen Fische (die keine Tiere sind), dann Thunfisch (der kein Fisch ist), dann Gemüse, Obst, Kuchen, Kekse und Limonade. Kein Nahrungsmittel schadet. Fette sind gesund – alle Fette, immer, in je der Menge. Zucker ist sehr gesund. Je dicker ein Kind, umso gesün der – vor allem, wenn es ein Junge ist. Das Mittagessen besteht nicht aus einer, sondern aus drei Mahlzeiten, die um 11.00, 12.30 und 15.00 Uhr gegessen werden. Hunger hat man immer.
Ihr Hühnchen mit Möhren gehört vermutlich wirklich zum Köstlichsten, was ich je gegessen habe. Doch das hatte nichts mit der Art der Zubereitung zu tun oder gar damit, wie es schmeckte. Ihr Essen war köstlich, weil wir glaubten, dass es köstlich war. Wir glaubten glühender an die Kochkünste unserer Großmutter als an Gott. Ihr kulinarisches Können war eine unserer frühesten Geschichten, genau wie die Schläue des Großvaters, den ich nie kennengelernt hatte, oder der einzige Streit in der Ehe meiner Eltern. Wir hielten an diesen Geschichten fest und brauchten sie, um uns zu definieren. Wir waren eine Familie, die sich ihre Kämpfe mit Bedacht aussuchte, die sich mit Geschick aus der Klemme zog und die das Essen ihrer Matriarchin liebte.
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2010 |
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Übersetzer | Isabel Bogdan, Ingo Herzke, Brigitte Jakobeit |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Ernährung / Diät / Fasten | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Autobiographisch • Eating Animals • Einstellung • Fleisch-Konsum • FOOD Inc • Gesellschaft • Jonathan Safran Foer • Massentierhaltung • Nahrungsmittel • Verantwortung |
ISBN-10 | 3-462-30219-1 / 3462302191 |
ISBN-13 | 978-3-462-30219-6 / 9783462302196 |
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