Ohne Netz
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-94617-8 (ISBN)
- Titel ist leider vergriffen;
keine Neuauflage - Artikel merken
"War ein eher ruhiger Tag: 68 Mails im Eingang, 45 geschrieben. Ich mach den Rechner aus, zieh meine Jacke an, stell mich in den Aufzug und denke: "Harakiri. Gute Nacht, du schöne Welt.""
Alex Rühle ist ein erfolgreicher Journalist, er kommt ganz schön rum, ist glücklich verheiratet und hat zwei Kinder und er ist süchtig. Er ist ein Internet-Junkie. Kein Extremfall, nicht mal die Ausnahme. Er ist gerade so abhängig wie Sie und ich es sind, nur dass wir es nicht immer wissen. Doch Alex Rühle weiß es und macht Ernst: Ein halbes Jahr wird digital gefastet, und das Leben als Journalist und Vater muss offline weitergehen. Dabei ist das Porträt einer Zeit entstanden, in der alles immer schneller geht und man doch keine Zeit hat, und in der das Allein-Sein zur Tortur geworden ist.
"Alles abschalten! Dieses kluge und lustige Buch lesen! Danach weiß man, welches Netz man im Leben wirklich braucht."
Doris Dörrie
30. November - Der Tag davor
Mittags, auf dem Weg in die Kantine, bitte ich Christopher und Bernd, mit mir einen Umweg zu machen, bei den Jungs von der IT vorbei, im zweiten Stock. Ich will die beiden als Zeugen dabeihaben, glaubt mir ja sonst keiner. Der Sachbearbeiter, der mir das Gerät vor etwa einem Jahr ausgehändigt hat, fragt zuerst, ob das ein Scherz sein soll.
- Nein, ich will nur, dass Sie das Ding in Verwahrung nehmen. Am 31. Mai komme ich und hol's mir wieder ab.
- Aber warum denn nur?
- Ich geh ein halbes Jahr offline.
- Da können Sie den Blackberry doch auch zu Hause in eine Schublade stecken.
Ebenso gut könnte ein Dealer seinem Kunden sagen, um clean zu werden reiche es, das Crack auf den Schrank zu legen, außer Sichtweite, vielleicht noch unter einer Kaufhoftüte verstecken, dann werde das schon klappen mit ein bisschen gutem Willen. So etwas klappt nicht. Jedenfalls nicht bei einem wie mir. Ich halte dem Mann stumm meinen Blackberry hin. Er sieht mich regungslos an und verschränkt die Arme. Die anderen Mitarbeiter im Büro sind mittlerweile verstummt und schauen uns bei unserem merkwürdigen Duell zu, Christopher und Bernd stehen feixend in der Tür, Bernd sagt: "Der meint's ernst." Da werden die Fragen sorgenvoller: Ob mit mir alles in Ordnung sei, ob ich irgendwelche Probleme hätte. "Ja, hab ich, deswegen sollen Sie das Ding ja zurücknehmen." Da steckt er den Blackberry achselzuckend in die oberste Schublade seines Schreibtischs und sagt: "Sie kommen doch eh nachher ohne Ihre Freunde zurück und holen ihn sich heimlich wieder."
Als ich dann nach dem Kantinenbesuch beim IT-Support anrufe, versteht die Mitarbeiterin erstmal gar nicht, was ich will. Ob denn irgendwas nicht stimme mit meinem Internet. "Doch, alles wunderbar und makellos, ich will's bloß mal ein halbes Jahr los sein." Da war Stille in der Leitung. "Hallo? Sind Sie noch dran?" "Ja. Schon. Ich weiß bloß gar nicht - ... Ist das denn erlaubt?" Erst als ich der Frau mehrfach versichere, dass das wirklich abgesprochen sei, mit der Chefredaktion und mit der Ressortleitung, verspricht sie mir, heute abend, um 22.30 Uhr, bevor der Letzte aus ihrer Abteilung geht, Mozilla Firefox, Skype, Lotus Notes und den Internet Explorer von meinem Rechner zu schmeißen.
Nach diesem Anruf werde ich plötzlich unsagbar nervös, Übersprunghandlungen allerorten, ich schreib nochmal wie besessen E-Mails und ziehe mir panisch Zeug aus dem Netz, für die Zeitungsthemen der nächsten Wochen, aber auch für dieses Buch, wer weiß, vielleicht finde ich ja noch gute Texte über digitale Sucht, Beschleunigung, Überforderung. Oder umgekehrt eine weitere geistreiche Lobpreisung der Allzeitvernetzung und Intelligenz des Internets. Noch vor einer halben Stunde fühlte sich das Ganze an,als würde ich heimlich auf Abenteuerurlaub fahren. Jetzt ist es plötzlich, als würde ich für eine gnadenlose Arktisexpedition packen, ein Fehler, Greenhorn, und Du verreckst elendig zwischen Eisschollen ...
1. Tag - Höhlenmensch auf Arbeit
Als ich im Büro den Rechner starte, klaffen auf dem Desktop drei Löcher, da, wo die Icons für Firefox, Internet Explorer und Skype standen, ist nichts mehr. In Down by Law von Jim Jarmusch gibt es diese Szene, in der Roberto Benigni, Tom Waits und John Lurie in einer Gefängniszelle sitzen. Benigni, der in dem Film nicht besonders gut Englisch kann, malt mit dünner Kreide ein Fenster an die graue Zellenwand und fragt: "Zack, Jack, is it I look at the window or I look out the window?" Lurie knurrt: "In this case I'm afraid it's I look at the window." Jetzt, da ich nur noch auf Windows schauen kann, auf dieses eine Dokument, kommt es mir so vor, als habe bis gestern direkt hinter der Benutzeroberfläche eine endlose, cinemascopisch schöne Weite gelegen, in die man jederzeit hineinspazieren konnte, um sich darin zu verlieren, die Great Plains des Netzes. Jetzt hingegen ist da nur die gnadenlos glatte, weiße Fläche, ein Blatt, das
Sprache | deutsch |
---|---|
Maße | 134 x 210 mm |
Gewicht | 376 g |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Schlagworte | BlackBerry • Informationsgesellschaft • Informationsüberlastung • Informationszeitalter • Internet • Internetzeitalter • Journalisten/-innen • Journalist / Journalistin • Mediengesellschaft • Mensch-Maschine-Kommunikation |
ISBN-10 | 3-608-94617-9 / 3608946179 |
ISBN-13 | 978-3-608-94617-8 / 9783608946178 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich