Glück empfangen und schenken

Lama Zopa Rinpoche, geboren 1946, ist ein weltweit bekannter Lehrer des tibetischen Buddhismus. Er ist spiritueller Leiter und Mitbegründer der "Foundation for the Preservation of the Mahayana Tradition", einem internationalen Netzwerk buddhistischer Proj

Jeder von uns wünscht sich Glück, und nicht nur in jedem Augenblick unseres Alltags. Wir hätten gern ein unwandelbares, höchstes Glück, in dem wir gern für immer verweilen würden. Und wir alle würden gern unseren Problemen ein Ende bereiten und Frieden finden. Wo wir auch leben mögen, welcher Rasse oder Kultur wir angehören, zu welcher Religion oder Philosophie wir uns bekennen und welche Sprache wir sprechen, wir alle möchten glücklich sein und keine Probleme haben. Ja, jedes Lebewesen hat dieses Grundverlangen, glücklich zu sein und nicht zu leiden. Aber unsere Suche nach Glück bringt uns oft nur noch mehr Unbehagen ein. Deshalb müssen wir wissen, was unser Geist alles vermag, wir müssen verstehen, was liebende Güte für unser eigenes Glück und das Glück der Welt bedeutet. Wir müssen unsere tägliche Arbeit so zu verwandeln lernen, dass sie jetzt und künftig zum Glück beiträgt und nicht Probleme schafft. Und wir müssen lernen, wie jede einzelne Erfahrung - Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut, Leben und Sterben - in Glück umzumünzen ist. Es gibt kein besseres Werkzeug, dessen wir uns dazu bedienen können, als Meditation. Die Kraft der Meditation lässt uns dauerhaften Frieden und dauerhaftes Glück finden, und was noch wichtiger ist, sie befähigt uns, auch anderen Glück und Frieden zu bringen. Lass den Gedanken in dir wachsen, dass jeder, dem du - unter welchen Umständen auch immer - begegnest, alle deine Wünsche erfüllt. Das ist die Pforte zum wahren Glück. Die Sonne des wahren Glücks erstrahlt in deinem Leben, wenn du anfängst, liebevoll für andere zu sorgen. Probleme und Problemlosigkeit kommen nicht von außen. Probleme und Problemlosigkeit, aber auch aller Frieden und alles Glück entspringen immer nur deinem eigenen Geist. Deinem Geist ist es gegeben, all die Schwierigkeiten zu beheben, die dein Geist selbst erzeugt hat. Allerdings sind der Geist, der die Schwierigkeiten behebt, und der Geist, der sie schafft, nicht genau derselbe Geist. Ein anderer Geist, ein anderes Denken, eine andere Haltung - das ist es, was Schwierigkeiten behebt und sowohl Frieden als auch Glück schafft. Der Geist des Buddha oder eines anderen Heiligen kann dir nicht eingepflanzt werden. Frieden, Glück und Zufriedenheit müssen aus dir selbst kommen. Solange wir glauben, dass Glück von außen kommen muss - von anderen Menschen oder von äußeren Umständen -, werden wir Probleme immer auf etwas Äußeres zu schieben versuchen. So glauben viele, ihre Probleme stammten von ihren Eltern. Sie sagen: "Dass ich so bin, liegt an meiner Mutter und meinem Vater. Meine Eltern sind schuld." Die westliche Zivilisation erzieht die Kinder im Großen und Ganzen dazu, ihren Eltern an allen Schwierigkeiten die Schuld zu geben, und es wird wenig Augenmerk darauf gelegt, wie gütig Eltern eigentlich sind, wenn sie ihren Kindern das Leben schenken. Wahres Glück hat jedoch nichts mit der Vergangenheit zu tun, mit der Geschichte unseres Lebens oder mit unserer Erziehung. Wahres Glück findet sich, wenn wir uns vom stets unzufriedenen Geist des Begehrens freimachen. Zufriedenheit stellt sich ein, wenn wir uns Freiheit vom ewig unglücklichen Geist des Begehrens gewähren. Leid ist der Besen, der schlechtes Karma auskehrt. Das Glück des materiellen Fortschritts ist künstlich, nicht mehr als ein flüchtiger Kitzel, ein Aufblitzen im Dunkel. Wahre Freude, dauerhafte Freude, kommt aus der Tiefe des Herzens. Verzichte auf das Glück, das Leid nach sich zieht. Lass dir das echte Glück lieb sein, das aus Leid hervorgehen kann. MEDITATION Wenn du deinen Körper geschmeidig machen willst, genügt es nicht, bloß daran zu denken. Du musst ihn trainieren; nur der Körper selbst macht den Körper geschmeidig. Und wie körperliche Geschmeidigkeit von deinem Körper erzeugt werden muss, so kann geistige Flexibilität - ein anderer Ausdruck für Frieden und höchstes Glück - nur von deinem Geist erzeugt werden, durch geistiges Training. Meditation ist geistiges Training. Meditation ist für die Psyche eine tief wirksame Technik, die falsche Vorstellungen unterbricht und ein richtiges Denken einleitet, das Frieden, Glück und Harmonie nach sich zieht. "Meditation" - das mag nach Religion klingen, aber eigentlich handelt es sich um die denkbar tiefste psychologische Praxis. Meditation schützt unseren Geist und sorgt dafür, dass ihm die Realität gegenwärtig bleibt. Außerdem trainiert sie dein Bewusstsein, all der Freundlichkeiten gewahr zu sein, die du von anderen erfährst, und hält deinen Geist so im Zustand der liebevollen Güte. Sie lässt dich außerdem die Leiden anderer wahrnehmen und erlaubt dir, mitfühlend zu bleiben. Wie füllen wir die Leere in unserem Herzen? Durch Meditation. Ernsthaft eine spirituelle Praxis aufzunehmen und wirklich zu meditieren bedeutet, dass Leid in Glück verwandelt wird, und zwar durch einen tief greifenden Wandel deines Geistes und deiner Einstellung. Es verlangt vollen Einsatz, deinen Geist von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr weiterzuentwickeln. Es kann "Ewigkeiten" dauern. Letzten Endes ist diese Art des geistigen Trainings eine Übung in Geduld. Manche Meditationsformen sind wie das Abtöten der Wurzeln von Giftpflanzen, die dann keine Samen mehr bilden und nicht mehr immer wieder aufs Neue wachsen und Schaden stiften können. Du tötest die Wurzel des Leid erzeugenden Karmas ab, sodass seine Saat nicht mehr sprießen und dich in Schwierigkeiten bringen kann. Ein Meditationslehrer ist wie jemand, der an einer groß angelegten Rettungsaktion teilnimmt, um Menschen zu helfen, die in Not und Gefahr unterzugehen drohen. Es hat etwas von einem massiven Einsatz, bei dem Polizei, Sanitäter und Rettungskräfte in ganzen Fahrzeugkolonnen mit Blaulicht und Martinshorn anrücken, darüber in der Luft schwirrende Hubschrauber mit Suchscheinwerfern. Der Dharma ist wie eine Rettungsweste. Du selbst entscheidest jedoch, ob du diese Weste auf dem gefahrenreichen Meer des Leidens während deiner Überfahrt tragen willst: An dir ist es, den Dharma zu praktizieren. Meditation macht deinen Geist ruhig, klar und stetig. Sie vermindert die Neigung, Schaden anzurichten. Meditation ist auch der Weg zum Frieden und führt letztlich dazu, dass wir keine Probleme mehr schaffen. Es genügt allerdings nicht, wenn du nur für dich selbst inneren Frieden gewinnst. Das Wichtigste bei der Meditation ist die Entwicklung des guten Herzens, Bodhichitta - des Bestrebens, anderen nicht mehr zu schaden, sondern ihnen zu nützen.