Unterwegs auf Norderney
Ankunft und Orientierung
Man kommt per Schiff, schließlich fährt man auf eine Insel, und eine Brücke à la Fehmarn oder einen befahrbaren Damm à la Sylt gibt es nicht. Proviant einpacken müssen Sie aber nicht, die Insel ist festlandsnah und die Überfahrt kurz.
Badefeld am Detmolder Strand
Die Fähren verkehren unabhängig von den Gezeiten stündlich von Norddeich aus. Das sorgt für Betrieb und macht die über 200 Jahre vom Badeleben geprägte Insel nach wie vor zu einem wahren Touristenmagnet. Mit jährlich rund 590.000 Anreisen (und etwa 260.000 Tagesbesuchern) ist Norderney die meistbesuchte Ostfriesische Insel. Die Überfahrt dauert eine knappe Stunde, und schon von Weitem erkennt man die Silhouette Norderneys, die auf den ersten Blick eher an einen urbanen Küstenbadeort erinnert als an eine vergleichsweise einsame Insel. Auf der Fähre befinden sich auch zahlreiche Autos, denn im Gegensatz zu den anderen Ostfriesischen Inseln (mit Ausnahme von Borkum) ist Norderney keineswegs autofrei. Es ist jedoch nicht zu empfehlen, den eigenen fahrbaren Untersatz mitzunehmen, weil der (störende) Autoverkehr auf Norderney stark eingeschränkt ist.
Am Hafen angekommen, ist von Idylle erst einmal wenig zu spüren, denn Norderneys Anleger präsentiert sich auf den ersten Blick als ein moderner Fähr- und Sportboothafen; auch die Ausflugsschiffe fahren hier ab. Mit jährlich rund 2 Mio. Fahrgästen (und 150.000 Pkw-Beförderungen) ist Norderney nach Norddeich der zweitgrößte Personenhafen Niedersachsens. Neben dem Fährgebäude befindet sich das Nationalparkhaus mit seiner hölzernen Fassade. Schräg gegenüber unterhält das Wasser- und Schifffahrtsamt den nicht zu übersehenden Tonnenhof, in dem die in leuchtenden Farben angestrichenen Seezeichen überholt werden. Dahinter zieht sich die Hafeneinfahrt halbkreisförmig bis zum großen Sportboothafen. In der breiten Einfahrt liegen neben dem Tonnenleger und dem Seenotrettungskreuzer auch der Saugbagger oder Versorgungsschiffe für die nahen Offshore-Windkraftanlagen. Dreh- und Angelpunkt: der Kurplatz
Am Anleger stehen Linienbusse und Taxis bereit, um die gepäckbeladenen Gäste ins Zentrum zu bringen. Wer wenig Gepäck hat, kann auch per pedes über den Weststrand die knapp 2 km bis ins Zentrum laufen. Dabei geht es immer auf der langen Strandpromenade um die komplette Westspitze der Insel herum und dann am Westbad in die Stadt hinein. Die Promenade ist ein ansprechend gestaltetes, fast 5 km langes Bauwerk aus Stein und Beton. Seit jeher ist sie die Flaniermeile am Meer - ihr eigentlicher Zweck aber ist, als Bollwerk gegen den Blanken Hans den gefährdeten West- und Nordteil der Insel vor Sturmfluten zu schützen.
Die Stadt
Vom Hafen aus gelangt man zunächst ins elegante Kurviertel und damit gleich ins Herz des Staatsbades, wo das Ambiente weiß getünchter Häuser im Stil der Bäderarchitektur des 19. Jh. noch allgegenwärtig ist. Vom Glanz vergangener Zeiten zeugen insbesondere das repräsentative Conversationshaus (Kurhaus) mit gediegenem Lesesaal und Spielbank (Automatenspiel), der adrette Kurpark, das historische Kurtheater und einige andere Gründerzeitgebäude des Viertels. Wesentliche Bestandteile des Kurplatzes sind auch das Thalasso-Meerwasserbad (bade:Haus) und das architektonisch zum Ensemble passende ehemalige „Bazargebäude“ mit seinen Arkaden, in dem sich heute die Stadtverwaltung befindet. Doch nicht nur rund um den Kurplatz kann man noch - architektonische - Spuren der einstigen Noblesse des Seebades entdecken. Im 19. Jh. lockte die Insel überaus viele adelige Persönlichkeiten an, die eine rege Bautätigkeit entwickelten. En vogue war Norderney vor allem deshalb, weil sich das hannoversche Königshaus mit dem (schon als Kind) erblindeten König Georg V. fast 30 Jahre lang im Sommer hier aufhielt. Die königliche Sommerresidenz (heute ein Hotel) hinter dem Conversationshaus sowie die Marienhöhe und die Georgshöhe erinnern daran.
Spuren dörflicher Idylle des alten Fischerdorfs Norderney finden sich hingegen nur noch sehr wenige. Lediglich im Bereich zwischen den beiden Parallelstraßen Oster- und Langestraße, dem ältesten bebauten Gebiet der Insel, hat hier und da ein kleineres Insulanerhaus aus dem frühen 19. Jh. die Zeit überdauert. Fischerhäuser im alten Stil gibt es keine mehr. Stattdessen wurden im ausgehenden 19. Jh. die typischen Logierhäuser mit den vorgebauten Veranden oder Terrassen erbaut. Auf keiner anderen Ostfriesischen Insel sind noch so viele Baudenkmäler alter Seebadtradition erhalten geblieben, auf keiner anderen wurden aber auch - trotz oder gerade wegen der noch reichlich vorhandenen historischen Bausubstanz - so viele Bausünden begangen. Lange Zeit war die Bäderarchitektur gefährdet, und viele Bauten wurden abgerissen, denn der zunehmende Tourismus verlangte nach immer moderneren Unterkünften.
Norderneyer Bäderarchitektur
Das, was landläufig als Bäderarchitektur bezeichnet wird, ist kein einheitlicher Baustil, sondern eine Art Sammelbegriff für die oft villenartige und liebevoll verschnörkelte Bauweise von Logierhäusern zur Blütezeit der großen Seebäder in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und im frühen 20. Jh.
Zunächst in Anlehnung an den klassizistischen Stil, bald ein wenig preußisch pompös, galt es, das gut betuchte städtische Publikum auch architektonisch zufriedenzustellen. So entstanden neben Zweckbauten wie Kur- oder Badehäusern prachtvolle Villen, mitunter mit großen Freitreppen vor einem säulenartigen Vorbau. Die Logierhäuser sind zwei- bis viergeschossig und vorwiegend hellweiß bzw. gelegentlich auch vornehm gelblich-beige gestrichen, was auf Norderney (z. B. in der Luisenstraße, Moltkestraße oder Heinrichstraße) auch heute noch für eine eigentümlich mondäne Stimmung sorgt. Typische Stilelemente sind die reich verzierten, hervorspringenden, oft hölzernen Gebäudeteile und Loggien mit filigranen Holzarbeiten. Um dem vorherrschenden Schönheitsideal der vornehmen Blässe gerecht werden und die Sonne möglichst meiden zu können, wurden ausladende, heute wintergartenähnlich verglaste Veranden oder pergolaartige Terrassen vor die Logierhäuser gebaut. Man bediente sich auch immer mehr gründerzeitlicher Stilelemente wie reich verzierter Balkongitter, großer Jugendstil-Rundbogenfenster, steinerner Ranken oder Reliefe und verzierter Erker oder Dachreiter.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass jeder vermögende Bauherr die benachbarten Sommerresidenzen durch Schmuckfassaden in den Schatten stellen wollte. Mittlerweile hat man sich auch auf Norderney seiner alten architektonischen Schätze besonnen und versucht viele der alten Bauten zu erhalten bzw. Neubauten dem Stil der Bäderarchitektur anzupassen.
Die Stadt Norderney ist kompakt bebaut; fast alles lässt sich bequem zu Fuß erreichen. Vom Kurviertel aus zieht sich die Poststraße in die Stadt hinein, sie bildet zusammen mit der hier abzweigenden (zum Weststrand führenden) Strandstraße und einigen Seitengassen die Fußgängerzone Norderneys. Auf diese wenigen Straßen konzentriert sich Norderneys Betriebsamkeit - vor allem in den Sommermonaten ist der Trubel beträchtlich, fast großstädtisch. Dann drängen sich Tausende von Urlaubern und Tagesgästen zum Bummeln und Einkaufen durch den Ort. An zentraler Stelle befindet sich das ehemalige kaiserliche Postamt (von 1892), das mit Schaugiebel und Ziegelverzierung sowie -bemalung eines der markantesten Gebäude der Stadt ist und in dem heute Ladengeschäfte untergebracht sind.
Silhouette eines Staatsbades: Norderney
Aber selbst bei all dem Trubel gibt es inmitten der Innenstadt hier und dort ein ruhiges Sträßchen zu entdecken, in dem Gästehäuser mit verglasten Veranden ein wenig Gründerzeitcharme versprühen. Autoverkehr oder auch parkende Autos finden sich hier so gut wie gar nicht; die gepflasterten Straßen wirken daher manchmal seltsam leer. Eine Besonderheit auf Norderney ist die andere Reihung der Hausnummern in den kleinen Straßen. Hier sind nicht wie üblich gerade Ziffern auf der einen und ungerade auf der anderen Seite verortet, sondern es wird einfach durchgezählt: die eine Straßenseite hinauf und die andere wieder hinunter (Hausnummer 1 und die höchste Hausnummer liegen sich dann gegenüber).
Strand, Dünen, Salzwiesen
Um den gesamten Nordwestteil der Insel zieht sich eine lange Strandpromenade. Einen passablen Strand sucht man hier vergeblich; lediglich ein kleiner Rest Sand hat sich zwischen die mächtigen Buhnenbauwerke aus Beton gelegt, welche diesen Inselabschnitt vor der Gewalt der Nordsee schützen. Platz für Strandkörbe gibt’s hier nur auf dem Deichrasen (Kaiserwiese). Breiter wird der Sandstreifen allerdings wieder am zentrumsnahen Westbad, dessen Promenadenabschnitt von Hotels und Cafés flankiert und der so etwas wie die Schokoladenseite der Insel ist. Natürlich stehen auch hier die Strandkörbe dicht an dicht. 2300 gibt es davon auf Norderney, und alle sind - wie die Inselflagge - blau-weiß gestreift. Norderneys eigentliches Badezentrum jedoch liegt im Inselnorden, gut einen Kilometer vom Kurzentrum entfernt. Von der geschäftigen Poststraße aus flaniert man zum Nordstrand über die fast ebenso betriebsame Friedrichstraße, an deren Ende...